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Karin S. Wozonig: Betty Paoli#

Bild 'Wozonig'

Karin S. Wozonig: Betty Paoli. Dichterin und Journalistin. Eine Biographie. Residenz Salzburg - Wien 512 S. ill., € 38

Betty Paoli (1814-1894) war ein Superstar unter den Biedermeier-Literaten (Literatinnen gab es damals kaum) und die erste Berufsjournalistin. Franz Grillparzer urteilte, Paoli sei der größte Lyriker der Zeit. Heute ist fast vergessen. Die Wiener Literaturhistorikerin Karin S. Wozonig hat das doppelte Jubiläum der Schriftstellerin - 210. Geburtstag, 130. Todestag - zum Anlass einer akribisch recherchierten Biographie genommen. Die Autorin hat die schwer zugänglichen Quellen zu Paolis Leben erstmals chronologisch erfasst und in den Kontext ihrer Zeit gestellt. "Jede gute Biographie muss ja auch ein Zeitbild sein, da es unmöglich ist, den Menschen von seiner Umgebung zu trennen," schrieb Paoli. Karin S. Wozonig vom Institut für Germanistik an der Universität Wien erfüllt diese Forderung perfekt.

Die acht Lebensjahrzehnte der Dichterin waren eine Umbruchszeit für Wien - vom Vormärz zur Spätgründerzeit. In ihrem Geburtsjahr 1814 tagte der Wiener Kongress zur Neuordnung Europas nach den Napoleonischen Kriegen. Das Biedermeier gilt als hohe Zeit der bürgerlichen Familienkultur. Dazu gehörten Almanache, literarische Taschenbücher für Damen, ebenso wie großbürgerliche Salons. 1848 erfasste die politische Bewegung der Revolution Europa. In Österreich führte sie zum Rücktritt des Staatskanzlers Clemens Wenzel Lothar Metternich. Kaiser Ferdinand I. verzichtete auf den Thron und sein Neffe Franz Joseph übernahm die Regentschaft im Sinn des Neoabsolutismus. 1858 ließ er die Stadtbefestigung schleifen und die Ringstraße anlegen. 1866 forderte die Schlacht von Königgrätz zehntausende Opfer. 1873 brachte nicht nur die Weltausstellung, sondern auch eine Cholera-Epidemie und einen Bankenkrach.

Am 30. Dezember 1814 erblickte Barbara Anna Glück in der Wiener Innenstadt das Licht der Welt. Ihre Mutter war Theresia Glück, geb. Grünnagel, ihr Vater der Militärarzt Dr. Anton Glück. Angeblich soll sie aber die Tochter eines ungarischen Adeligen - vermutlich Fürst Nikolaus II. Esterházy de Galantha - gewesen sein. Als Barbara acht Jahren alt war, starb Anton Glück, Theresia Glück verspekulierte die Ersparnisse der Familie. Um für den Lebensunterhalt zu sorgen, arbeitete die Tochter ab ihrem 16. Lebensjahr als Gouvernante. Für diesen Dienst als Erzieherin gab es keine Ausbildung. Mädchen, die selbst noch halbe Kinder waren, mussten Verantwortung für fremde tragen. Paoli verließ zwei Mal Wien für längere Zeit, lebte u. a. in Galizien und Schlesien als Erzieherin. Mit 18 übte sie diesen Beruf in der ukrainischen Kleinstadt Kremenez aus. Sie war mit ihrer Mutter in das 1000 km entfernte damalige Wolhynien gereist, um die „Flucht aus dem gesellschaftlichen Abseits“ von Wien anzutreten. Die junge Frau war davon sichtlich nicht begeistert, doch fand sie rückblickend Positives an dem Aufenthalt: „Ich lebte dort von meinem 18. bis 20. Jahre in tiefster Einsamkeit, ohne andern Umgang als mit mir selbst, ohne andere Zerstreuung als jene, die Studium und Arbeit mir bothen. In diesen für mich entscheidenden Jahren, die mich zur Einkehr in mich selbst nöthigten, gelang es mir, manche Lücke meiner Erziehung zu ergänzen.“ Wissbegier Weiterbildung begleiteten sie ihr Leben lang.

1834 starb Theresia Glück. Wenig später nahm ihre Tochter das Pseudonym Betty Paoli an. Die 21-jährige war auf dem besten Weg, sich als Schriftstellerin einen Namen zu machen. Ihre Biographin bemerkt: " In den Jahren 1837 und 1838 beginnt die Hauptphase in Paolis lyrischem Schaffen. In den folgenden Jahren wird sie mit ihren Gedichten in jeder wichtigen literarischen Publikation vertreten sein und … sich in der Wiener Gesellschaft etablieren." Allerdings hatte sie mit Vorurteilen gegen dichtende Frauen zu kämpfen, doch nannte sie ein strenger Kritiker "ein Ausnahmetalent, für das die Forderung nach weiblichem Wohlverhalten nicht gilt." Das Leben der Erfolgsautorin war von Geheimnissen und Gerüchten umgeben. wie 1837 Geburt und Tod eines Sohnes. Sicher ist, dass sie der üblichen "Karriere" als Hausfrau und Mutter nicht entsprach. In einem Gedicht mit dem Titel „Kein Gedicht“ konstatiert sie: „Mein Unglück läßt sich in zwei Worte fassen: / Ich war ein Weib und kämpfte wie ein Mann!“ Paoli setzte sich zeitlebens für Mädchenbildung und Frauenrechte ein.

Karin S. Wozonig komplettiert die Biographie mit einer Zeittafel und teilt Paolis abwechslungsreiches Leben in fünf Phasen: 1814 - 1839, "Die ersten fünfundzwanzig Jahre" reicht bis zur Erzählung "Clary", die erstmals unter Pseudonym erschien. Ihre Gedichte wurden u. a. im "Österreichischen Musenalmanach", "Der Humorist", "Der Telegraph" und "Wiener Zeitschrift" publiziert. Das Biedermeier war die große Zeit der "Salons", in denen adelige und großbürgerliche Damen die künstlerische und intellektuelle Elite um sich scharten. Paoli - literarisch erfolgreich, gebildet und sprachgewandt - war dort ein geschätzter Gast. Im Salon Wertheimer lernte sie Franz Grillparzer, Ottilie von Goethe, die Schwiegertochter Johann Wolfgang von Goethes oder den Arzt und Lyriker Ernst von Feuchtersleben kennen. Seit 1839 lebte Paoli als Gesellschafterin bei Henriette Wertheimer. Deren Ehemann Joseph Wertheimer war Präsident der Wiener Kultusgemeinde und sozial sehr engagiert. In diesem angesehenen Haus konnte sich Paoli ungestört ihrer Dichtkunst widmen. 1840-1847 etablierte sie sich als Lyrikerin. 1841 erschien die erste Gedichtsammlung im renommierten Verlag Gustav Heckenast in Pesth, in dem auch Adalbert Stifter publizierte. 1842 wurde sie Gesellschafterin der Fürstin Maria Anna Schwarzenberg, die sie auf Reisen nach Deutschland begleitete.

"Revolutionen, Reisen und Ressentiments" kennzeichneten die Jahre 1848 - 1855. Marie von Ebner-Eschenbach trat mit Paoli in Kontakt, die zu ihrer Entdeckerin wurde. Ihre eigenen Feuilletons erschienen in der "Presse". Nach dem Tod der Fürstin Schwarzenberg übersiedelte Paoli nach Sachsen und war Gesellschafterin der Gräfin Auguste Bühnau auf Schloss Dahlen bei Dresden. Die Dichterin besuchte Paris, wo sie Heinrich Heine begegnete. In den folgenden Jahren reiste sie nach Italien und übersiedelte nach Wien. Sie verfasste Übersetzungen aus dem Russischen, Ausstellungs- und Theaterkritiken. 1855 fand sie Anschluss bei der großbürgerlichen Familie Fleischl von Marxow, deren vier Söhne sie unterrichtete. Hier konnte sie inspiriert arbeiten, Gäste empfangen und am Salon der Dame des Hauses teilnehmen. "Durch fast vierzig Jahre hat sie," wie Marie von Ebner-Eschenbach feststellte, "unter hochbegabten edlen Menschen gelebt: frei und geschützt."

Die nächste Phase, 1856- 1869, übertitelt die Biographin "Familie und Feulleton". Paoli schuf die ersten Übersetzungen aus dem Französischen für das Burgtheater, schrieb ein Buch über Kunstgeschichte und begann, in der "Neuen Freien Presse" Essays zu publizieren. 1870 - 1884 gab es "Altes und Neues". Auf dem Programm standen Deutschland- und Italienreisen. Sie schrieb Rezensionen über Ferdinand von Saar (den sie entdeckte), Conrad Ferdinand Meyer und veröffentlichte "Grillparzer und seine Werke". Der Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen Wiens feierte sein neues Ehrenmitglied zum 70. Geburtstag (der eigentlich ihr 71. war). Kurz vor dem 80. starb Betty Paoli in Wien. Das letzte Kapitel trägt den Titel "1885- 1894: Feiern und Ende". 1891 erhielt sie die Ehrenmitgliedschaft der Grillparzer-Gesellschaft, Eine Gedenkfeier mit prominenter Besetzung folgte 1895, im angesehenen Verlag Cotta erschien "Gedichte. Auswahl und Nachlaß."

"Zum Schluss" ihres bemerkenswerten Buches schreibt Karin S. Wozonig: "Das Leben Betty Paolis war reich, oft turbulent, bis zum Ende produktiv - und immer ungewöhnlich. Sie war eine Ausnahmeerscheinung und bahnte mit ihrem lyrischen, kritischen und essayischen Werk neue Wege für die, die nach ihr kamen. … Es gab kein Vorbild, das ihr die nötige Freiheit bot, ohne anzuecken. … Betty Paoli war die erste österreichische Dichterin, die Begehren, Sehnsucht, Enttäuschung, Schmerz aus der weiblichen Perspektive in die Lyrik ihrer Zeit einbrachte."

hmw