Roman Hans Gröger: Wien ohne Stadtbahn#
Roman Hans Gröger: Wien ohne Stadtbahn. Ein Konzept aus dem Jahr 1885. Verlag Berger, Horn - Wien. 70 S., ill., € 25,-
Der Historiker Roman Hans Gröger ist ein produktiver Publizist zur Eisenbahn-, Verwaltungs- und Zeitgeschichte Österreichs sowie Biographien von Exponenten aus diesen Bereichen. Seine jüngsten Publikationen beschäftigten sich mit Themen des Wiener Stadtverkehrs.
Otto Wagners strahlend weiße Stadtbahnbauten und die Gitter im Sonnenblumen-Design zählen zu den Ikonen des Wiener Jugendstils. Mit der Stadtbahn besaß Wien das fünftälteste, teilweise unterirdisch verlaufende, Schnellverkehrssystem. Die feierliche Eröffnung in Anwesenheit des Kaisers fand 1898 im Bahnhof Michaelbeuern statt. Zuvor gab es zahlreiche Projekte. 1885 stellten der Präsident der Neuen Wiener Tramway-Gesellschaft, Wilhelm von Lindheim (1835 - 1898) und der Techniker Michael Pollacsek (1848 - 1905) ein Konzept unter dem Titel „Die Organisation des gesamten Verkehrs in Wien und Umgebung“ vor. Sie wollten die vorhandenen Straßenbahn-, Lokalbahn- und Hauptbahnstrecken ohne kostspielige Neubauten miteinander verbinden und den Personenverkehr völlig neu organisieren. Ihre "Denkschrift" ist das Thema des vorliegenden Buches.
Die Wiener Weltausstellung 1873 wäre der Anlass für eine moderne "Gürtelbahn" gewesen. Das Handelsministerium sandte einen Experten nach England, um die neuesten Entwicklungen zu studieren. Es schrieb einen Wettbewerb aus, der 22 Einsendungen zählte und den Otto Wagner gewann. Der Gemeinderat verzögerte das Projekt wegen mangelnder finanzieller Sicherheiten der interessierten Betreiber. 1880 hätten mehrere Engländer gute Chancen gehabt. Sie dachten an eine Gürtelbahn unter Einbeziehung des Wienflussbettes und der Zahnradbahn auf den Kahlenberg. Ihre Planungen stießen im Gemeinderat und bei österreichischen Eisenbahningenieuren auf Widerstand. Zu ihnen zählte Michael Pollacsek, der die geplanten Hochbahnen nach amerikanischem Vorbild ablehnte.
Als sich immer mehr abzeichnete, dass die "Wiener Gürtelbahn" nicht zu realisieren war, weckte dies das Interesse des Großindustriellen Wilhelm von Lindheim. Gemeinsam mit Pollacsek legte er 1885 eine umfassende Studie über das neue Verkehrskonzept vor. Sie planten die Errichtung von mehreren Kopfbahnhöfen der (damals noch privaten) Eisenbahn-Gesellschaften in Ringstraßennähe und die Einbeziehung von Pferdestraßenbahn und Dampftramway. Eine innere und eine äußere Ringbahn hätten die Stadt umrundet. Obwohl der Fahrpreis günstig war, sah die Rentabilitätsrechnung gut aus. Doch statt auf die Vorschläge von Lindheim und Pollacsek zurückzugreifen, entschied sich die Stadtverwaltung dazu, im Juni 1892 ein eigenes Gesetz zur Errichtung einer Stadtbahn in Wien zu erlassen. In den folgenden Jahren errichtete die k. k. Baudirektion für die Wiener Stadtbahn die Vororte-, die Gürtel-, die obere Wiental- und die Donaukanallinie, die am 9. Mai 1898 teilweise in Betrieb genommen werden konnten. … Schließlich wurden die Strecken der Wiener Stadtbahn in das Wiener U-Bahn-Netz integriert, was bei der Umsetzung des von Wilhelm von Lindheim und Michael Pollacsek konzipierten Planes … nicht möglich gewesen wäre.