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Hertha Hurnaus, Gabriele Kaiser, Maik Novotny: Maschinenräume#

Bild 'Hurnaus'

Hertha Hurnaus, Gabriele Kaiser, Maik Novotny: Maschinenräume. Hinter der Kulisse der Wiener Ringstraße. Mit Beiträgen von Hertha Hurnaus, Friedrich Idam, Stefanie Jovanovic-Kruspel, Gabriele Kaiser, Maya McKechneay, Gerhard Murauer, Andreas Nierhaus, Maik Novotny. Album Verlag Wien. 272 S. ill., € 42,-

Hinter die Kulissen zu blicken, ist immer spannend und überraschend. Umso mehr, wenn es sich um so berühmte Gebäude wie jene der Wiener Ringstraße handelt, die heuer ihr 160-jähriges Bestehen feiert. Für ihre Architekten war das - historistische - äußere Erscheinungsbild wesentlich - bis heute wichtig als Kulturgut und für den Tourismus. Hinter den Kulissen gab es eine Fülle von technischen Innovationen auf der Höhe der Zeit. Sie funktionierten "unsichtbar". Auch später hielt sich das Interesse daran In Grenzen. Und erst jetzt gibt es, nach achtjähriger Vorarbeit ein beeindruckendes Buch zum Thema.

Die Fotografien von Hertha Hurnaus bilden das Herzstück des Werkes. Die Architekturfotografin hat umfangreiche Dokumentationen, u.a. über das Parlament und die Semmeringbahn, geschaffen, Ausstellungen gestaltet und viel in Fachzeitschriften publiziert. Herausgeberin Gabriele Kaiser schreibt: Jahrzehnte nach Fertigstellung der Ringstraßenbauten gleicht das Abtauchen in die teilweise dreigeschoßigen Keller … einer Expedition zum Meeresgrund oder einer archäologischen Grabung. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass viele der gemauerten Gänge, die Hertha Hurnaus fotografisch erkundete, gar keine Räume für menschlichen Aufenthalt sind. … Die Fotografien von den Luftbrunnen, Luftgängen und Luftkammern nähren die Vorstellung, sich im Inneren der Maschinerie selbst zu befinden. Das kann bedrohlich wirken, interessant, aber auf jeden Fall faszinierend.

Wenn auch sprichwörtlich ein Bild mehr als 1000 Worte sagt, so bilden die überwiegend in Schwarz-Weiß gehaltenen ganzseitigen Fotos eine glückliche Symbiose mit den Texten. Nach einleitenden Essays werden acht Objekte auf je einer Doppelseite, kombiniert mit einem historischen Gebäudeplan und aktuellen Informationen, vorgestellt.

Das Burgtheater wurde nach dem Projekt von Gottfried Semper und Carl von Hasenauer 1874-1868 errichtet. Umbauten erfolgten 1897 und 1948 bis 1955. Die Ventilationsanlage zählt zu den besterhaltenen der Ringstraße. Das "Einlaufbauwerk" für die Frischluft befindet sich im Volksgarten. Die Abluft entweicht bei der kupfernen Windfahne auf dem Dach. Ihr Entwurf stammt vom Bildhauer Johannes Benk, der auch das Deutschmeister-Denkmal und Figuren für die Votivkirche und das Heeresgeschichtliche Museum schuf. Sein "Boreas" - in der griechischen Mythologie die Personifikation des winterlichen Nordwinds - ist der weithin sichtbare Bote eines in den tiefen Kellern regierenden Luftgeists. (Gabriele Kaiser).

Die Pläne zum 1874 bis 1883 errichteten k. k. Reichsratsgebäude stammen von Theophil Hansen. Das Parlament wurde 2018 bis 2023 generalsaniert. Die 2017 entstandenen Fotos haben nun dokumentarischen Wert. Die "untergeordneten Funktionen" im Erdgeschoss, wie Magazine, Technik- und Verwaltungsräume verwandelten sich in ein modernes Besucherzentrum. Die Luftmischräume wurden zu Untersuchungsausschusslokalen, im Dachgeschoß findet ein Restaurant Platz.

Über das 1871 bis 1891 errichtete Kunsthistorische Museum (KHM) schreibt der Architekt und Journalist Maik Novotny: Vestibül, Prunkstiege und Kuppelhalle. Die Raumbezeichnungen im Zentrum des KHM tragen die imperiale Identität schon in sich. Der Weg auf den Gipfel der Hochkultur wurde hier von den Architekten Gottfried Semper und Carl von Hasenauer in einer dramaturgisch ausgeklügelten Raumsequenz inszeniert. Eine "Steigerung der Wirkungen vom Eingange bis zum Innern der Hauptetage" war für Gottfried Semper elementar...

Das gleichzeitig von denselben Architekten geplante Naturhistorische Museum ist das Pendant des KHM. Der "dem Reiche der Natur und seiner Erforschung" gewidmete Repräsentationsbau hat eine 65 m hohe Kuppel, die von innen so eindrucksvoll ist wie von außen. Wendeltreppen und Stiegen führen bis zum Scheitel. Im Keller stehen wohlsortiert Skelette und Regale voller präparierter Wildtiere. Eine zusammengedrängte Herde aus Pferden, Zebras, Leoparden und Hirschen wartet hier wie fluchtbereit.

Das bis ins Detail originalgetreu erhaltene Monturdepot (ein Teil des KHM) ist nicht zugänglich. Es wurde 1908 im Leopoldinischen Trakt der Hofburg eingerichtet und bestand nur ein Jahrzehnt. Darin wurden die Livreen der Beschäftigten des Hofmeisteramtes aufbewahrt. Die Stahlbau-Fima Ignaz Gridl, die u. a. durch das Schönbrunner Palmenhaus bekannt ist, fügte die Garderoben passgenau in das viereinhalb Meter hohe Gewölbe ein. Zwei eiserne Wendeltreppen führen zur oberen Etage, wo sich die belüfteten, weißen Garderobekästen befinden. Die Diener hatten drei Arten von Uniformen, die pfleglich behandeln mussten, damit sie 50 Jahre lang hielten. Doch so weit kam es nicht.

Der Wiener Bankverein auf dem Schottenring schließt chronologisch die Ringstraßengebäude ab. 1909 bis 1912 wurde er nach dem Entwurf von Ernst Gotthilf und Alexander Neumann errichtet. Nach dem Umbau von 2018 bis 2021, während dessen die Fotoserie entstand, wurde die Kassenhalle zum Supermarkt. Erhalten blieben die "Reserve- und Effektentresore", die Maike Novotny ein Festungsbauwerk im Untergrund nennt.

Das Rathaus aus den Jahren 1872 bis 1883 erinnert an die freien Städte des Mittelalters und die flämische Gotik. Mit dem Rathausmann auf der Spitze seines Turmes überragt es die nahe Votivkirche. Als "Verwaltungsmaschine der schnell wachsenden Metropole" umfasst das Rathaus vier kleinere und einen großen Hof. Dombaumeister Friedrich von Schmidt hat es für 1.500 Beamte und 20.000 "Parteien" geplant. Hochmodern war damals die Erschließung durch Paternoster-Aufzüge, die noch bestehen. Die Frischluft für die Räume zum Repräsentieren, Arbeiten und Feiern kam aus zwei halbkreisförmigen Tunnels unter dem Rathauspark.

Die 1874 bis 1884 errichtete Universität ist, wie die Votivkirche, ein Werk von Heinrich von Ferstel. Er wählte dafür Formen der italienischen Hochrenaissance mit dem Arkadenhof als kommunikativem Herzstück. Dort befindet sich auch in 12 m Tiefe die Frischluft-Zisterne. Der Ventilationssystem stammt vom Militärarzt Karl Böhm (1827-1902). Als Vorstand des "Versuchshauses" am Josephinum experimentierte er mit Heizung, Beleuchtung und Belüftung -zunächst in Operationssälen - und wurde schließlich neben seiner Karriere als Chirurg zum wichtigsten Ventilationsexperten der Ringstraßenzeit. Bei fast allen Monumentalbauten - Börse, Burgtheater, Hofmuseen, Rathaus, Parlament, Universität, Neue Burg realisiert er sein Gebäude-Beatmungs-System, das auf natürlicher Temperaturdifferenz und Luftströmung beruht. Der Dachboden über dem Festsaal der Universität zählt mit seinen bogenförmigen Fachwerkträgern zu den schönsten der Ringstraße. In der in den 1960er Jahren umgebauten Bibliothek befanden sich Hunderttausende Bücher in Eisenregalen, die sich über 13 Ebenen erstreckten und durch Eisenwendeltreppen und Bücherlifte verbunden waren. Die Fotos entstanden im Sommer 2024 kurz vor der Sanierung des Bibliothekstraktes. Dabei wird das Büchermagazin zum "Library and Learning Center" transformiert.

Der Bibliotheks-Tiefspeicher der Hauptuniversität und nahezu alle Keller- und Dachräume im Parlament existieren nicht mehr. Das macht dieses Buch auch zu einem Zeitdokument der Technikgeschichte und zu einem Reservoir atmosphärischer Erinnerungsarbeit. Denn, so Gabriele Kaiser, Aus der Entstehungszeit der Monumentalbauten der Ringstraße liegen prominente Fotodokumentationen vor - von der Grundsteinlegung bis zur Fertigstellung - doch von den technischen Einrichtungen gibt es kaum bauzeitliche Aufnahmen. Um so wichtiger ist dieses Buch, das Atmosphäre und Wissen vermittelt. Der Blick hinter die Kulisse der Wiener Ringstraße lohnt sich - in mehrfacher Hinsicht.

hmw