Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Raimund Lissy: Constanze Geiger#

Bild 'Lissy'

Raimund Lissy: "Es liegt ein eigener Zauber in diesem Wunderkinde!" Constanze Geiger, Komponistin, Pianistin, Schauspielerin in Wien. Hollitzer Verlag Wien. 422 S. ill., € 45,-

Seit dem Neujahrskonzert 2025 ist Constanze Geiger (1835-1890) weltweit einem Millionenpublikum bekannt. Der Anlass ihrer Wiederentdeckung ist ebenso seltsam wie ihre Biographie. Erstmals wurde die Komposition einer Frau beim Neujahrskonzert aufgeführt und von mehr als 50 Millionen Zusehern in rund 100 Ländern im Fernsehen gehört. Eigentlich befremdlich, dass die Autorschaft einer Komponistin bei der Ankündigung des Programms auf großes mediales Interesse stieß und noch immer nicht als selbstverständlich gilt. Der Dirigent Riccardo Muti urteilte über Geigers Ferdinandus-Walzer: "Es ist ein tolles Stück! Wenn ich nicht von der Qualität überzeugt wäre, würde ich es nicht aufführen."

Constanze Geiger galt als Wunderkind. Wie einst Leopold Mozart mit seinem Sohn Wolfgang Amadeus (1756-1781) und dessen fünf Jahre älteren Schwester Maria Anna (1751-1829), unternahm der "geprüfte Tonkünstler und Organist" Joseph Geiger mit seiner kleinen Tochter ausgedehnte Konzertreisen nach Paris, London, Italien und Deutschland. Allerdings musste er sie nicht an den größten Höfen seiner Zeit bekannt machen. Joseph Geiger wirkte als Musiklehrer der Erzherzoge Carl Ludwig, Franz Joseph und Franz Karl. Seine Frau Theresia war als k. k. Hofmodistin tonangebend in ihrer Branche. Das Ehepaar hatte sechs Kinder, von denen nur Constanze und ihr Bruder Joseph Maria das Erwachsenenalter erreichten.

Constanze Geiger war eine Universalkünstlerin. Ihre Fähigkeiten als Komponistin, Pianistin und Schauspielerin wusste sie bei ihren Auftritten geschickt zu verbinden. Ihr kompositorisches Werk umfasst 13 Walzer, sechs Polkas, acht Märsche, drei geistliche Werke, sieben Lieder, 41 Klavierstücke und drei Stücke für Zither. Ihren ersten Auftritt, in privatem Rahmen, hatte sie mit neun Jahren mit einem von ihr komponierten "Gebet" und drei eigenen Klavierwalzern. Das "Gebet" wurde in mehreren Kirchen, u.a. in Paris, aufgeführt. Ein Jahr später konnte man bei einer Messe in der Hofburgkapelle ihr "Ave Maria" hören. Organist war ihr Lehrer Simon Sechter(1788-1867). Elfjährig erlebte die "talentreiche Constanzia Geiger" im Sophienbadsaaal und im Etablissement Dommaier die Aufführung ihrer Walzer durch Johann Strauss Sohn, der dort bei Bällen und Soireen sein Orchester dirigierte. Im Revolutionsjahr 1848 fand das 13-jährige "hübsche Compositionstalent" in der Alserkaserne für einen Marsch ungewöhnliche Interpreten: Die Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 35. Dass eine junge Frau für die Militärmusik komponierte, fand nicht allgemein Gefallen. Kritiker bezeichneten das als "Widerspruch gegen das Naturgesetz. Im Saal der Gesellschaft der Musikfreunde debutierte die "jugendliche Dilettantin" 1850 als Schauspielerin. Als 15-jährige trat Geiger außer an Wiener Bühnen in Bratislava, Wiener Neustadt, mehrmals in Berlin auf. Im Theater an der Wien spielte die 16-Jährige in zwei Einaktern, dazwischen brachte die Strauss-Kapelle einen ihrer Walzer zum Besten. Ein Jahr später heißt es über das "talentreiche Fräulein Geiger": Ihr Franz Joseph-Marsch wurde von mehreren Militärkapellen bei der Burgwache" zur Aufführung gebracht und gefiel ganz vorzüglich." Ebenso spielte sie in Wien und Berlin Theater. Im nächsten Jahr neben Baden, Linz, Karlsbad und Olmütz vor allem an der Wiener Josephstadt. Ein Highlight des Jahres 1854 war wohl die Aufführung von Geigers "Elisabeth Vermählungs-Marsch", der bei der Ankunft der Kaiserbraut in Nussdorf und deren Einzug in die Residenz von mehreren Militärmusikkapellen dargeboten wurde. 19-jährig sah man die Künstlerin u. a. in Budapest und Brünn, im nächsten Jahr in Laibach, Graz, Bad Ischl und Linz, dann in Temesvár, Zrenjanin, Szegedin, sowie in Karlsbad, Teplitz und Berlin. Mit 23 gab sie in Krems, Serbien, Ungarn und Hamburg musikalisch-theatralische Vorstellungen. Die letzten Konzertreisen führten die Schauspielerin nach Frankfurt, Dresden. Leipzig, Prag, Olmütz und Laibach. 1859 beendeten die Geburt eines Sohnes und die Heirat mit einem Fürsten die künstlerische Karriere der dann so genannten Baronin Constanze von Ruttenstein.

Constanze Geiger hatte einen großen Startvorteil in die Künstlerlaufbahn. Vom musikalischen Vater und der ehrgeizigen Mutter gefördert, erhielt sie Unterricht beim einflussreichen Musiktheoretiker und -Pädagogen Simon Sechter, bei dem auch Franz Schubert und Anton Bruckner Unterricht in Kontrapunkt und Komposition nahmen. Die Meinung der Kritiker über das "Wunderkind" war von Anfang an geteilt. Schon als Zwölfjährige musste sie sich daran gewöhnen, dass die "Theaterzeitung" und "Der Wanderer" ihr gegenüber freundlich eingestellt waren, während Blätter, wie "Der Humorist" feindlich und angriffig schrieben. Besonders dessen Redakteur Moritz Gottlieb Saphir hatte es auf sie (und andere) abgesehen. Deshalb wegen Ehrenbeleidigung zu drei Monaten Arrest verurteilt, retteten ihn die Wirren der Revolution 1848 vor dem Gefängnis.

Geiger schien sich von Bösartigkeit ihrer Kritiker nicht beeindrucken zu lassen. Zur Zeit des Prozesses gegen Saphir trat sie erstmals öffentlich als Pianistin auf. Der Gemahlin Kaiser Ferdinands, Maria Anna, widmete sie ein "Ave Maria" und erhielt zum Dank en Collier und Ohrgehänge mit Opalen und Ruinen. Seit 1852 trat Geiger als Universalkünstlerin (Schauspielerin Komponistin, Pianistin) auf. "Diese besondere Art der Bühnenpräsentation wurde quasi zu ihrem Markenzeichen." Die "Presse" nannte Constanze Geiger gemeinsam mit der Weltreisenden Ida Pfeiffer als eine der beiden berühmtesten Wienerinnen. Sie war nicht nur als Multitalent ihrer Zeit voraus. Schon 1859 wollte sie eine Damenkapelle gründen – was als "wunderliches Projekt" diffamiert wurde. Erst eineinhalb Jahrzehnte später feierte die Berlinerin Josephine Weinlich Erfolge mit ihrem Damenquartett. 1869 führten Josef und Eduard Strauss bei ein Promenade-Concert Weinlichs im Stadtpark ein Werk Geigers auf.

Kurz vor Constanze Geigers 25. Geburtstag (1860) wurde ihr Sohn Franz Ferdinand Leopold getauft. Sein Vater war der Oberst Prinz Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha (1824 -1884). Die Eltern heirateten ein halbes Jahr später. Ein Bruder des Bräutigams war König von Portugal, eine Cousine die berühmte englische Königin Viktoria. Die Familie tolerierte schließlich die nicht ebenbürtige Verbindung. 1862 wurde Constanze Geiger von Herzog Ernst II. in den Freiherrenstand erhoben. Ihr Adelsdiplom lautete auf den Namen "Freifrau von Ruttenstein." Nicht nur das Ehepaar war glücklich, auch die "Mutter der Debutantin", Theresia Geiger. Sterbend soll sie gesagt haben: "Das Programm meines Lebens ist erfüllt." 1869 übersiedelten Constanze von Ruttenstein und Prinz Leopold nach Gotha, zweimal im Jahr besuchten sie Wien. Die Baronin widmete sich nun der Wohltätigkeit, u.a. nach dem Ringtheaterbrand, und Empfehlungsschreiben. So bemühte sie sich um Auszeichnungen für Johann Strauss. Nach dem Tod ihres Mannes lebte die Witwe in ihrer Villa in Paris. Sie wurde am Friedhof Montmarte begraben. Ihr Wunsch, eingeäschert im Sarg ihres Gatten in Coburger Mausoleum beigesetzt zu werden, erfüllte sich – trotz Zusage - nicht.

Ihrem, wie es in einem Nachruf heißt, "merkwürdigen, zwischen grellen Gegensätzen hin und hergeworfenen" Leben widmete nun Raimund Lissy eine Biographie. Der Autor, Violinist seit seinem 4. Lebensjahr, ist Mitglied der Wiener Philharmoniker und Leiter von dessen historischem Archiv. Mit seinem Kammermusik-Ensemble hat er mehrere Kompositionen Geigers eingespielt. Sein Werk bringt, wissenschaftlich fundiert und übersichtlich aufgearbeitet, die erste Biographie der Constanze Geiger/von Ruttenstein, Briefe an sie und von ihr, ein Werkverzeichnis und eine Aufführungsdokumentation. Die deutsche Hochschulprofessorin Marion Linhardt trug ein Kapitel über "die Rollen der Constanze Geiger" bei. Ein Register vervollkommnet den umfangreichen Band, der eine zu Unrecht fast vergessene Frau in ihrer Bedeutung würdigt.

hmw