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Carina Sacher, Lukas Vejnik: Zentren geistiger Stadterweiterung#

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Carina Sacher, Lukas Vejnik: Zentren geistiger Stadterweiterung. Die Architektur der Wiener Volkshochschule. Album Verlag Wien. 202 S. ill., € 30,-

"Für alle" wird heute oft propagiert. Neu ist dieser Anspruch nicht. Seit 120 Jahren ist "Bildung für alle" der Grundsatz der Wiener Volkshochschulen (VHS). Im November 1905 eröffnete die VHS Ottakring ihr Gebäude, das als erstes Haus für eine "Abendvolkshochschule " gilt, weit mehr als ein Ort der Bildung. … eine soziale Infrastruktur, die den Vereinsmitgliedern gehörte und von ihnen selbst - im Sinne des "demokratischen Ausbaus von unten" - programmiert werden konnte.

Das vorliegende Buch könnte ein Geburtstagsgeschenk sein. Autoren sind Dipl.-Ing. Univ. Ass. Carina Sacher, die an der TU Wien lehrt und der Architekturforscher Lukas Vejnik. Ihr Werk handelt von städtebaulichen Entwicklungen, architektonischen Entwürfen, volksbildnerischen Bestrebungen der Wiener VHS und ihren internationalen Vorbildern. Die Struktur des Buches orientiert sich an den beiden zwischen 1954 und 1984 prägenden Bautypen "Volksheim" und "Haus der Begegnung". Interessant ist nicht nur der Inhalt, mit historischen und aktuellen Fotos, sondern auch die Ausstattung der Publikation. Passend zur Blütezeit der Erwachsenenbildung im Roten Wien sind Umschlag, Vorsatz und der gesamte Text in roter Farbe gehalten. Ein informativer Anhang und der beigepackte Bildessay von Florian Rainer runden das Thema ab.

Als "Stammhäuser" gelten die vier bis 1934 gegründeten Standorte Ottakring (Ludo Hartmann-Platz, 1905 eröffnet, 1961 umgebaut, derzeit Generalsanierung), Margareten (Stöbergasse 11-15, 1909 eröffnet, 1975 abgerissen), Urania (Uraniastraße 1, eröffnet nach Plänen von Max Fabiani 1910, umgebaut 1961) und Alsergrund (Galileigasse 8, eröffnet 1934 in einem seit 1874 bestehenden Schulhaus). Seit 2008 sind die Wiener VHS als gemeinnützige GmbH organisiert (74,9 % Verband Wiener Volksbildung, 25,1 % Stadt Wien, die Eigentümerin der Bauten ist). Dazu zählen und neun spezialisierte Einrichtungen und 32 VHS-Standorte, darunter 17 Veranstaltungszentren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Favoriten mit der Per-Albin-Hansson-Siedlung der erste größere Gemeindebaumit mehr als 1000 Wohnungen. Als letzter Bauteil wurde 1955 das "Volksheim" eröffnet, das den neu Zugezogenen ein gemeinschaftliches Zentrum für sozialen Austausch und Bildung bieten sollte. In den ersten Nachkriegsjahren kamen das Volksheim Großjedlersdorf (1954) und die inzwischen geschlossene VHS Hietzing im Steinitzhof (1955) dazu. Veranstaltungen fanden nicht nur in den Neubauten, sondern auch in anderen Lokalitäten, wie Schulen, statt. So gab es auf dem Wienerberg das erste Community Center der Volksbildung in Wien. Die Teilnehmer des Clubs im Ziegelwerk nutzten leerstehende Räume, statteten sie für ihre Zwecke aus, veranstalteten Ausstellungen und Mikroskopierübungen.

In den 1950er Jahren setzte innerhalb der österreichischen Erwachsenenbildung eine intensive Beschäftigung mit Architektur ein. … Nach den ersten beiden als gelungen beworbenen Experimenten in der Per-Albin Hansson-Siedlung und in der Siemensstraße fand in Wien der kommunale Bau von Volksheimen in den frühen 1960er Jahren seine Fortsetzung. In den Bezirken Döbling, Donaustadt, Liesing und Ottakring entstanden fünf weitere Volksheime … Das Volksheim entwickelte sich in dieser Phase zu einer Art Grundausstattung eines sozialen Städtebaus. Die Volksheime dienten nicht nur als Abendschule für die arbeitende Bevölkerung, sondern hatten auch untertags Angebote für Kinder und Jugendliche. Sie unterscheiden sich von Volkshochschulen in Programm, Umfang, Einzugsbereich (und …) Vermietung an vorhandene Gruppen, definierte Kulturamtsleiter Karl Foltinek. In den 1960er entstanden ein Dutzend Einrichtungen des Verbands Wiener Volksbildung, darunter 1964 das Planetarium im Prater und Gustav Peichls "Gesellenstück", das Volksheim mit Bücherei und anschließender Atriumschule "In der Krim".

Die nächste Entwicklungsstufe waren die hybriden Infrastrukturen der "Häuser der Begegnung." Sie vereinten VHS, Bücherei, Musikschule, Jugendzentrum, Bezirksverwaltung und Gastronomie. Acht Häuser entstanden in den 1970er Jahren, dazu der Neubau der VHS Hietzing und das 2021 abgebrochene Bildungszentrum Margareten. Das bisher letzte Projekt ist das Haus Begegnung Brigittenau (1984). Bis 2030 will man sich auf die Renovierung vorhandener Bauten konzentrieren. Der Bau der Häuser der Begegnung fiel in die Amtszeit von Gertrude Fröhlich-Sandner. Ihre Wirkungsperiode als Stadträtin war von kontinuierlich steigenden Förderungen für die Volksbildung geprägt. Dazu kam die Einbindung der Volkshochschule in das dezentrale Programm "Bildung und Kultur für die ganze Bevölkerung." Dies lag ganz im Zeitgeist der 1960 er und 1970er Jahre. Auch die Republik stellte die Erwachsenenbildung auf eine höhere Bedeutungsebene. Der Bund verdoppelte die Subventionen für VHS. SchülerInnen erhielten Gratis-Schulbücher und Schülerfreifahrt. Im Hochschulbereich verbesserten Studienbeihilfen die Chancengleichheit. Das Universitäts-Organisationsgesetz ermöglichte den Studierenden Mitbestimmung. Die Wiener VHS erlebten eine entscheidende Transformation: Freizeit- und Unterhaltungsangebote nahmen zu, praxis- und berufsorientierte Kurse sowie politische Bildung wurden verstärkt.

Eine groß angelegte Besucherbefragung ergab in den 1990er Jahren u.a. Wünsche nach zusätzlichen Kommunikationszonen, Cafés, Kinderbetreuung und mehr Grün und Sonne. Sie wurden bei der Umgestaltung der neuen VHS Hietzing umgesetzt. Wolfgang Speiser, der als Pionier und Doyen der Volkshochschulen Österreichs nach 1945 gilt, bezeichnete die VHS als die wandelbarste aller Bildungseinrichtungen. Carina Sacher und Lukas Vejnik sehen die VHS als ausbaufähige Zentren für die Gemeinschaft. Sie schließen ihr Buch: Die Zentren geistiger Stadterweiterung verstehen wir als tragfähiges Fundament für Experimente und Visionen zur Schaffung einer vielfältigen sozialen Infrastruktur, die der Diversität ihrer Nutzer:innen und ihren jeweils eigenen Aneignungsprozessen gerecht werden.

hmw