Walter Ziegler: Traumbäume #
Walter Ziegler: Traumbäume. Österreichs alte Riesen, Überlebenskünstler und Naturdenkmäler zwischen Alpen und Adria. Verlag Berger Horn. 240 S., ill., € 45,-Walter Ziegler, Jahrgang 1956, beschäftigt sich seit frühester Kindheit mit der Natur, studierte und unterrichtete Biologie und engagiert sich als Exkursions- und Kursleiter. Jahrzehntelange "augen- und hirnaktive Wander- und Bahnreisen" widmete er seinem "Herzensprojekt". Das Ergebnis kann sich sehen lassen: ein stattlicher Bild-Textband über Zieglers Traumbäume. Dafür hat er keinen Aufwand gescheut, die ermüdende Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, anstrengende Fußmärsche und intensive Recherchen auf sich genommen. Der Lohn der Mühen, an denen er seine Leserschaft teilhaben lässt, waren Erlebnisse, Begegnungen, informative und stimmungsvolle Fotos. Für Nahaufnahmen der Blütenstände eines Milchorangenbaums (Maclura pomifera) ließ sich der Biologe sogar in die Krone eines der seltenen, bis zu 10 m hoch werdenden, Exemplare hieven.
In Österreich gibt es rund 3400 behördlich registrierte Naturdenkmäler, davon drei Viertel Bäume. Allerdings sieht der Autor die Schutzbestimmungen als "dringend verbesserungswürdig" an. Sie sind regional unterschiedlich, der Schutzstatus kann widerrufen werden. Selbst wenn ein Baum die "amtliche Nobilitierung" erhalten hat, stehen fachliche Kontrollen und regelmäßige Pflegemaßnahmen auf einem anderen Blatt.
Das älteste der 400 Wiener Naturdenkmäler, die so genannte "tausendjährige Eibe" (Taxus baccata) im Botanischen Garten am Rennweg, ist schon seit 1936 geschützt. Sie soll die "älteste Eibe Europas" und der letzte Rest eines "uralten Eibenhaines aus der Römerzeit " sein (dann wäre sie allerdings mehr als tausendjährig). Im Schönbrunner Schlosspark gedeiht ein "lebendes Fossil", wie es Charles Darwin nannte. Der älteste Ginkgo biloba Österreichs wurde 1781 in einer englischen Handelsgärtnerei erworben. Seine Vorfahren gab es bereits vor 250 Millionen Jahren. In seiner Heimat Japan ziert der Ginkgo Tempelanlagen und Wappen. Die übelriechenden Samen werden medizinisch verwendet. Nach Europa kam der Fächerblattbaum um 1730 und begeisterte hier nicht nur J. W. Goethe. Als schadstoffresistenter Stadtbaum macht der Ginkgo wieder Karriere. Er überlebte sogar die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima.
Der Autor verbindet Fachwissen mit persönlicher Zugangsweise. Seine Leidenschaft für alle Erscheinungsformen der Natur führte den gebürtigen Gloggnitz er in die Natur seiner Heimat, das Schwarzatal und das Semmering-Rax-Schneeberggebiet. Wiener Neustadt, sein jetziger Wohnort, liegt im Steinfeld, wo die Anlage von Föhrenwäldern bis ins 15. Jahrhundert zurückgeht. Besonders Maria Theresia engagierte sich für die Aufforstung. Als Pinus nigra austriaca ist die Schwarzföhre die berühmteste Baumart Österreichs. Sie lieferte Pech (Harz), Forstsamen und viele andere "nützliche Stoffe".
Mammutbäume (Sequioa) vermutet man kaum in Niederösterreich, doch finden sie sich vereinzelt in Villen- und Schlossparks. Wildwachsend kommen sie in kalifornischen Nationalparks vor. Dort erreichen sie Höhen von 95 m und Umfänge von 35 m. Der größte Baum der Welt, der "General Sherman Tree" im Sequoia-Nationalpark erreicht ein Stammvolumen von fast 1500 m³ und ein Gewicht von 2400 t. Sein Namensgeber, der amerikanische General William T. Sherman, wohnte in der neugotischen Villa Warrens in Payerbach. In dem prächtigen Landsitz, einem der ersten im touristisch aufstrebenden Semmeringgebiet, logierte 1873 Kaiserin Elisabeth. Im selben Jahr ließ der Pfarrer von Payerbach neben der Kirche eine Sequioa pflanzen.
Niederösterreich ist reich an "ältesten" pflanzlichen Bewohnern und Walter Ziegler weiß viel über seine Traumbäume zu erzählen, zum Beispiel über die monumentale Stieleiche (Quercus robur) im Wechselgebiet, Edelkastanien, Weiden, Dirndl oder Parks wie in Laxenburg und Pottendorf mit ihren Spezialitäten. Er bereiste für das Buch alle neun Bundesländer sowie Südtirol, Kroatien, Slowenien, Montenegro und Polen. In der Steiermark erkletterte er die Übelbacher Riesenlinde. In der "steirischen Toskana" gedeihen nicht nur Kürbisse. Auch die, nach einem Blitzschlag gerettete, sogenannte 1000-jährige Europa-Eiche lebt wieder. Als "Kärntner Riese" gilt eine siebenstämmige Kandelaber-Fichte. Seit mehr als 400 Jahren ist sie, auf 1100 m Seehöhe fest verwurzelt, als Grenzbaum bekannt. In Hallstatt trafen sich anno 1845 der Schriftsteller Adalbert Stifter und der Geograph Friedrich Simony zu einer Wanderung. Dabei entstand die Idee zur Stifters bekannter Erzählung "Bergkristall".
Das sich über die drei Bundesländer Steiermark, Oberösterreich und Salzburg erstreckende Salzkammergut ist nicht nur eine der berühmtesten Kulturregionen Österreichs , sondern auch eine geo-biologische Schatztruhe. Besucher aus aller Welt können in diesem einzigartigen, von markanten Felsgebirgen umrahmten Seengebiet nicht nur die ältesten Anlagen und Zeugnisse des Salzbergbaus besuchen, sondern auch Naturjuwelen in Gestalt seltener Blumenwiesen, romantischer Wälder und seltener alter Bäume. In Salzburg werden der "Lammertaler Wächter", eine 300 jährige Weißtanne, und das Naturdenkmal "Kesselfall" in Kaprun vorgestellt. In Tirol lernt man den "Großen Ahornboden" am Talschluss des Rißtales kennen. Im größten Schutzgebiet des Bundeslandes befinden sich einige 300 bis 600 Jahre alte Bergahorne (Acer pseudoplatanus). Am Staller-Sattel in Osttirol sieht man das größte zusammenhängende Zirbenareal der Ostalpen. In Vorarlberg gibt es 240 Naturdenkmäler. Ein Riesenbaum, eine Stieleiche (Quercus robur) im Naturschutzgebiet Rheindelta zählt (noch) nicht dazu. Ihre Körpermaße sind beeindruckend. Höhe: 30 m, Kronenbreite: über 40 m, Stammumfang: 7,65 m, geschätztes Alter: 330 - 370 Jahre.
Außer den Bäumen gilt das Interesse des Autos der Geologie, Botanik und Zoologie der Gebirge, Karst- und Vulkangebiete, der Fotografie, dem Biotop- und Baumschutz. So bringt er auch Sehenswertes aus Nachbarländern ein. In Südtirol sind es die "Ultener Urlärchen", die seit neun Jahrhunderten die Bewohner vor Lawinen schützen. In Kroatien wird der "Wald der fallenden Wasser", der Nationalpark Plitvicer Seen zurecht ausgiebig in Bild und Text referiert. 1949 gegründet, ist er der älteste Nationalpark Südosteuropas und wurde 30 Jahre später als eines der ersten Naturdenkmäler in das UNESCO-Weltnaturerbe aufgenommen. Von Slowenien und Kroatien bis Montenegro stellt der Autor eine Reihe weiterer "Traumbaum-Landschaften und Naturjuwelen im Karst" vor.
Nach all den aufbauenden Baumgeschichten fehlen bei den fast 70 Kapiteln auch die "schmerzhaften Orte der Zeitgeschichte" nicht, wie die Konzentrationslager Birkenau/Ausschwitz in Polen und Mauthausen in Oberösterreich. War ein Baum einst die "letzte Hoffnung im KZ", wie Viktor E. Frankl schreibt, so können heute Friedhöfe zu tröstlichen Naturoasen werden. Der Wiener Zentralfriedhof gilt sogar als "Park der Ruhe und Kraft". Das Buch endet positiv: Die Schlusskapitel beschäftigen sich mit "Exotischen Schönheiten, lebenden Fossilien und Kulturzeugen", Bäumen als Stadtretter, der Schönheit von Borken, Laub und Pilzen. Schließlich zitiert Walter Ziegler in seinem beeindruckenden Buch Hermann Hesse, "den wohl größten Baumfreund der Literaturgeschichte". Der einer evangelischen Missionarsfamilie entstammende Nobelpreisträger meinte: Bäume sind für mich immer die eindringlichsten Prediger gewesen. Ziegler ergänzt: Sie predigen lautlos das Gesetz alles Irdischen, des Werdens und Vergehens, des Wandels der Stoffe und der Wünsche. Vor allem predigen sie den Frieden und die Genügsamkeit.