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WAS VON DER NEUEN LITERARISCHEN SAISON ÜBRIG BLEIBT#

Eine etwas polemische Betrachtung von Harald W. Vetter

Keine Angst, ich werde diesfalls nicht Gottfried Benn aufrufen, der das Seine bereits 1931 dazu gesagt hatte. Der gar nicht feine und gravierende Unterschied zu damaligen Zeit ist, dass das Saisonale heutzutage längst einem Dauerbombardement aus Neuerscheinungen gewichen ist, dem weder der hartnäckigste Leser noch der ehrlichste Kritiker gewachsen ist. Literatur wird also genauso wie ein neues Auto oder ein Haarshampoo intensiv und nicht selten hanebüchen beworben. Der neueste Roman, der neueste Erzählband – weniger schon die Lyrik – bekommt Platz in den einschlägigen Programmen, Feuilletons und findet sogar noch auf der Doppelseite im hintersten Teil der Zeitung sein immerhin bescheidenes Auskommen. Die Auslagendekos der Buchhandlungen wechseln beinahe täglich und man preist Sensationen an, grell, bunt, aufreizend, vor allem aber wortreich, wobei dieser Wortreichtum ein längst schon vollkommen abgenutzter ist, doch wie soll man denn dem Konsumenten namens Leser die Ware sonst noch halbwegs schmackhaft machen? Unzweifelhaft verdienen die Verlage mit gepushten Bestsellern das Allermeiste, und so fällt auch für die Autorinnen und Autoren gar nicht so wenig ab, wenn man sich in der Sparte Thriller, Kriminalroman oder sonstigen, sich mysteriös gebenden Großwerken zurecht gefunden hat. Man unterschätze diesbezüglich vor allem gerade nicht die einschlägigen Verwertungsgesellschaften. Wer ein wenigstens mittelgroßes, nur etwas bekannteres Verlagshaus gefunden hat, der wird es einigermaßen gut haben, denn dort arbeiten Werbefachleute mit in der Regel besten Beziehungen zu den Massenmedien, die natürlich eifersüchtig gehütet werden. Auch läuft die Sache hier ebenso prosaisch nach Angebot und Nachfrage ab. Saison ist schließlich jetzt immer, es kommt lediglich darauf an, den Zug der Zeit beim Schopf zu erwischen, solchen auf den Klappentexten und davor anderswo zu positionieren.

Ja, es gibt sie noch, die bemühten, ausdauernden Rezensenten in diversen Zeitschriften oder die Literaturblogger, welche sich aus Überzeugung für das eine oder andere Buch und seine Autorenschaft in die Bresche werfen, doch das alles sind Rückzugsgefechte, im gewaltigen Mainstream der Literaturverwertung eine vergleichsweise fast schon winzige Minderheit! So werden viele Autoren quasi in Lagunen eingehegt, wo sie von einem Kleinverlag zum anderen dümpeln, sich anbiedern müssen, ja noch selbst Werbung für ihre Publikationen machen sollen, weil es bei diesen Verlegern an personellen Ressourcen, vor allem an spezifischen Kontakten zu den Medien fehlt. Freilich soll man darüber nicht nur jammern, denn solche Verhältnisse liefern schlussendlich eben auch den kulturellen „Unterbau“ einer Gesellschaft und damit eines Landes. Tatsächlich muss jedoch hier nachdrücklich angemerkt werden, dass die Fördermaßnahmen der öffentlichen Hand ungerecht verteilt sind! Wer am lautesten schreit, fordert, moniert und urgiert, kriegt seine Schriftsteller immer noch an die Kandare und also ins aufwendige Verlagsprogramm. Über die diversen Abhängigkeiten von Verlegern, Autoren, Subventionsgebern und Rezensenten mag hier einmal gnädig geschwiegen werden. Sie sind insbesondere in einem kleinen Land vielfältigster Natur und verzahnen sich naturgemäß unentwegt weiter. Und ich betrauere in diesem Zusammenhang so manche herausragenden Autorinnen und Autoren, denen es bestenfalls gelingt, einige wenige Titel bei kleineren Editionen unterzubringen, schlimmstenfalls eigenverlegerisch tätig werden müssen oder diesbezüglich das Internet bemühen! In Österreich – und nicht nur hier – sind unzählige große Talente weitgehend unbeachtet geblieben oder wurden bestenfalls dann und wann post mortem „wiederentdeckt“. (Germanisten, Philologen und Kulturhistoriker werden hier gelegentlich ein weites, unbeackertes Feld vorfinden.) Das ist unendlich schade, hat die Literatur in ihrer ganzen entfalteten Qualität destruiert, ja fast als vernachlässigbare Randerscheinung denunziert. Wohlgemerkt, hier geht es nicht um Larmoyanz der Unbeachteten, sondern um dezidierte künstlerische Wertigkeiten, die von der allgegenwärtigen, wenngleich ziemlich launischen Sonne der literarischen Saison nicht beschienen wurden und werden! Es ist allerdings sehr schwierig, dieses Thema nicht pro domo behandeln zu wollen, weil eben die je eigene Erfahrung meistens doch zu einer authentischeren Aussage führt. Daher mag man es mir an dieser Stelle wohl nachsehen, wenn ich über meine eigene Sache spreche. Ich selbst versuchte mich also seit rund 45 Jahren im literarischen Betrieb zurecht zu finden. Das ging von der Gründung aufmüpfiger Literaturzeitschriften, Lesungen an der Uni und mancherlei Beachtung durch den Rundfunk oder mir gewogener Rezensenten über einen gewichtigen, bald verstorbenen Mentor ohne bleibendes Echo so dahin. Irgendwelchen Gruppierungen und Cliquen wollte ich mich nicht unterordnen. Groteskerweise war das Berufsleben fürderhin ausschließlich im Kulturleben des Landes verankert, von den daraus entstandenen Beziehungen und Kontakten machte ich dennoch keinen Gebrauch. Erst viel später versuchte ich im sogenannten literarischen Leben wieder Fuß zu fassen, was ohne die selbstlose Hilfe wohlmeinender Freunde wahrscheinlich vollkommen unmöglich gewesen wäre. Zuletzt nahmen sich drei Verlage meiner Arbeit freundlich an, es gab hie und da von Seiten des literarischen Betriebs einige zustimmende Reaktionen zu den sieben Büchern, mehr aber nicht. Als ich einmal ein Prosa-Manuskript recht mühselig an rund fünfzig deutschsprachige Verlage abschickte, erwartete ich mir – ja was denn eigentlich? In Wirklichkeit kamen rund zehn Rückschreiben, Absagen, Bedauern oder Vertröstungen beinhaltend. Nun wird man vielleicht sagen, dass dies das „täglich Brot“ des Poeten darstellen würde, das erscheint mir aber als eine etwas überkommene, romantisierende und unzeitgemäße Überlegung. Wer aus der Not der Zeit etwas zu sagen hat, soll sich Gehör verschaffen, sofort und unverzüglich! Da spielt immerhin das derzeitige Verlagssystem nicht mit. Lektoren – so es diese noch wirklich gibt – legen ganze Manuskriptbündel gleichgültig zu Seite und kümmern sich eher um die „Hausautoren“, welche zumeist nicht rein zufällig entdeckt wurden, sondern vielmehr nach wie vor qua verschiedener Netzwerke empfohlen werden. Auffällig ist überdies, dass man hier auffallend viele, sehr junge Autorinnen und Autoren mit besonderem Nachdruck präsentiert, denen es nicht selten an sprachlicher Erfahrung und literarischem Wissen zu fehlen scheint, was aber aktuell – polemisch gesagt – leider nur den Wenigsten auffällt. Wenn Lesen mit Bildung zu tun hat, dann scheint hier allerhand unterbrochen worden zu sein. Eine solche Bildung kommt mir jedenfalls wie ein Dynamo vor, dessen Achse möglicherweise die Tradition wäre.

Bevor ich ins endgültige berufliche Fahrwasser geriet, hatte ich mich als Buchhändler, Scout-Leser für einen namhaften Verlag und als Rezensent für zwei große Printmedien verdingt. Das waren einigermaßen lehrreiche Jahre, in denen ich zahlreiche Schriftsteller kennen lernen konnte, aber eben auch das ganze kommerziell ineinander greifende Räderwerk literarischer Saisonen. Doch war ich mit meiner eigenen Arbeit damals keineswegs mit eingebunden, darum erstaunte es mich in den letzten Jahren umso mehr, wie letztklassig man jetzt mit kleinen Verlagen und deren Autoren umgeht. Es fehlt fast vollkommen an Beachtung. Die Massenmedien nehmen vielfach nur mehr Bücher größerer Verlagsunternehmungen zur Kenntnis und klagen dann nach etwaigen Nachfragen so wortreich darüber, dass sie eben viel zu viele Einsendungen hätten. Aber gerade jene gepushten Publikationen sind gewöhnlich hoch subventioniert, während unzählige qualitativ herausragende Werke der völligen Nichtbeachtung anheimfallen, weil die sehr oft eher idealistisch gesinnten Editionen dafür nicht genug werbliche Kraft aufbringen können und darum gar nicht wirklich ernst genommen werden. Auch hier scheint der allgegenwärtige Konsumismus derzeit restlos durchgeschlagen zu haben. Ich habe es stets als außerordentlich schmerzlich empfunden und tue das immer noch, wenn Autoren, die tatsächlich etwas zu sagen haben, der heimischen Literatur also Wesentliches hinzu zu fügen hätten, mit ihren Texten buchstäblich von Verlag zu Verlag hausieren gehen müssen! Freilich ist es leider aber so, dass ein falsches oder eher schon gar kein kulturelles Bewusstsein der Qualität die finanziell abgesicherte Quantität ungeniert vorsetzt. Wer das als querulatorischen Kulturpessimismus oder kleingeistige Gejammer ansehen möchte, mag es ruhig tun. Wie man gerade hört, klagen die heimischen Verlage über einen situationsbedingten Papiernotstand. Könnte daraus immerhin vielleicht doch noch was Gutes werden, wer kann das schon wissen?