Das Christusbild im Wandel der Zeit - Sakralkunst#
Von Ernst ZentnerJesus von Nazareth war von jeher die zentralste Gestalt des Christentums. Sein Aussehen - in unzähligen Kunstwerken aus nahezu 2.000 Jahren - wechselte zwischen triumphierenden menschgewordenen Gott und leidenden Gottessohn.
Das Neue Testament bot keinen Hinweis auf die Erscheinung Jesu Christi. Ebenso verweigerten die Kirchenväter des 1. und 2. Jahrhunderts entsprechende Andeutungen, um eine übertriebene Bilderverehrung zu verhindern. Lediglich außerbiblische Schriften beschrieben Jesus als einen Knaben oder gut aussehenden Jüngling. Vorerst nahmen Geheimsymbole (Fisch, Kreuz, Weinstock und Christusmonogramme) auf den Religionsgründer Bezug.
Längst begannen die Versuche ein Christusbild nach antiken Vorbildern zurechtzuformen. Der "Gute Hirte" ist als erstes sicheres Christusmotiv bezeugt (z. B. Wandmalerei in der Lucina-Krypta der Calixtus-Katakombe, um 200/220; Rom), Schon Konstantin I. der Große (325-337) soll auf einem Brunnen in Konstantinopel eine "Hirten"-Statue aufgestellt haben. Die seither geschaffenen Christusdarstellungen widerspiegelten die Berührung der heidnischen Geisteswelt mit christlicher Intellektualität. Bald glich Jesus im Kreis seiner Jünger - eher einem Philosophen als einem einfache Mann aus Galiläa (Relief auf dem Junius-Bassus-Sarkophag, 359; Vatikanische Museen, Rom).Im 4. Jahrhundert manifestierten sich zwei Grundtypen: Ein bartloser junger Mann mit lockigen Haaren: Jugend galt als Zeichen der Gottheit - in Anlehnung an das Schönheitsideal des griechisch-römischen Gottes Apollo. Die andere Christus variante besaß einen kurzen Vollbart und eine lange - gescheitelte - Haartracht; der Bart wirkte als Sinnbild der Hoheit, Würde, des Mutes und der Kraft. Ein interessantes Beispiel beider Versionen existiert in den Theoderich-Mosaiken von Sant' Apollinare Nuovo zu Ravenna (byzantinisch, um 520/530). Dort können wir auf mehreren Einzelbildern einen jugendlich-blonden Heils-Christus und einen bärtigen Passions-Christus erblicken. Der bärtige Gottessohn blieb seit dem 6. Jahrhundert auf Sakralkunstwerken vorrangig.
Stets verlangten die Gläubigen nach einem authentischen Abbild Christi. Byzantinische Theologen vermuteten, dass die übernatürliche Kraft eines Gottesbildes umso intensiver sei, desto genauer die Abbildung wäre. Vom 6. Jahrhundert an gab es Überlieferungen und Legenden von den "nicht durch Menschenhand gemalten Bildnis Christi" - griechisch: "Acheiropoieta". Dieses respekteinflößende Gesicht gedieh allgemein zum gleichbleibenden "Christusporträt" der Ostkirche (Ikone!) bis in die Gegenwart. Weitere Acheiropoieta waren das Antlitz Christi auf dem Schweißtuch der hl. Veronika ("vera icon", lat. "wahres Bild") und das geheimnisvolle Turiner Grabtuch (mit der Gestalt Jesu; seit 1578 im Dom zu Turin).Die Diskussion um die Wesensgleichheit von Gottvater und Sohn - Konzil zu Nicäa (325) - erbrachte angemessene Kunstwerke, in denen Jesus eine ehrwürdige Aura erhielt. Nachdem unter Konstantin das Staatskirchentum eingeführt wurde, tauchten die Elemente des alten Kaiserkultes in der Christus-Ikonographie auf. Die Ostkirche ernannte Jesus zum "Pantokrator" (griech. "Allmächtiger", "Allherrscher"). Während der abendländischen Romanik setzte sich die "Majestas Domini" (lat. "Herrlichkeit des Herrn") oder auch "Salvator Mundi" (lat. "Retter, Erlöser der Welt" durch. Generell der in einem Heiligenschein thronende Weltenherrscher mit Segensgestus und Buch; umgeben von den vier Evangelistensymbolen, Propheten oder Aposteln. Besonders auf Portalreliefs diverser Kathedralen in Frankreich des 11./12. Jahrhunderts. Manchmal agierten Maria und Johannes der Täufer als Fürbitter bei Christus - "Deësis" (griech. "Bitte", "Gebet") - innerhalb des "Jüngsten Gerichtes".
Je nach Kirchenpolitik bestanden unterschiedliche Auffassungen. Der mildtätige "schöne Gott" ("Beau Dieu") beherrschte die Fassaden und Hauptportale französischer Kathedralen. Er wurde zum Mittelpunkt des Weltgerichtes und gebot über Himmel und Erde (Amiens, um 1220-35; Bourges, um 1250-55). Gleich so kamen im Mittelalter den Szenen aus dem Leben und der Passion Christi große Wichtigkeit zu. Die Gotik entdeckte den menschlichen Christus. Realistische und mitleidserregende Bildwerke entstanden: "Schmerzensmann", "Kreuzigung" und "Pietá". Ein aufwühlendes Musterbeispiel schuf Matthias Grünewald mit seinem Tafelbild "Der gekreuzigte Christus" ("Isenheimer Altar", 1513-15; Musée d'Unterlinden, Colmar). Die protestantische Kirche benützte Christusbilder - für Buchillustrationen - im geistigen Kampf gegen das damals devastierte Papsttum ("Passionale Christi et Antichristi", Lucas Cranach d. Ä., 1521).Die Humanisten der Renaissance vertraten die Meinung, dass sich das Göttliche auch im Schönen offenbart. Der verklärte Christustyp dominiere. Michelangelo vollbrachte einen urgewaltigen - fast zornigen - "Weltenrichter" (Fresko "Jüngstes Gericht", 1534-41; Sixtinische Kapelle, Vatikan). Der natürliche Jesus und der "Himmelskönig" erschienen ebenfalls im Barock und Rokoko. Etwa in einem lichtüberfluteten farbenfrohen Deckenfresko von Johann Baptist Zimmermann (1753-54; Wallfahrtskirche in der Wies, Bayern): Der verjüngte Erlöser ruht auf einem Regenbogen. Seitlich als mystische Monumente der leere Richterthron und das geschlossene Tor zur Ewigkeit.
Im 19. Jahrhundert entwarfen die "Nazarener" (Künstlergruppe der Romantik) einen gefühlvollen Heiland, welcher bald in den Alltag überwechselte. Die vom Weltschmerz geplagten Künstler des 20. Jahrhunderts konzipierten einen leidenden Christus (wie in der Gotik!). Andererseits stellten sie einen triumphierenden Messias dar, der - inmitten einer mit Problemen überladenen Welt - zu Versöhnung und Liebe mahnt ...Quellen
Wilhelm Neuß, Christus, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1953), Sp. 609–633
(Wird ergänzt, EZ)