Der "alte Fürst" - Staatskanzler Kaunitz-Rietberg - Politiker und Diplomat unter Maria Theresia (und Joseph II. sowie Leopold II.) #
Von Ernst ZentnerEin großer Österreicher, der in einem Atemzug mit Prinz Eugen von Savoyen genannt werden kann, war Wenzel Anton Dominik Fürst von Kaunitz-Rietberg.
Am 2. Februar 1711 erblickte er in Wien (Innere Stadt) das Licht der Welt. Der Vater — Maximilian Ulrich Graf Kaunitz—Rietberg stammte aus Böhmen (Landeshauptmann in Mähren) und die Mutter — Maria Ernestine Gräfin von Ostfriesland und Rietberg — aus Norddeutschland. Als zweitgeborener Sohn kam für ihn vorerst nur der geistliche Stand in Frage; schon in der Kinderwiege wurde er als künftiger Domschüler von Münster bezeichnet. Tatsächlich studierte der junge Kaunitz in Wien, Leipzig, Regensburg und Leiden die Rechtswissenschaften. Danach bildete er sich in Diplomatenkreisen von ganz Europa. Unter Kaiser Karl Vl. trat er 24jährig in den Staatsdienst ein und amtierte als Reichshofrat (1735).
Maria Theresia sandte Kaunitz als österreichischen Botschafter nach Turin (1742—44), Brüssel (1744—46) und Paris (1750—53). Am Brüsseler Hof fungierte er sogar als Minister beim General-Gouverneur der österreichischen Niederlande. Bereits 1748 auf dem zu Aachen abgehaltenen Friedenskongress, der den österreichischen Erbfolgekrieg beendete, vertrat Kaunitz erfolgreich die Interessen Österreichs.
1753 ernannte Maria Theresia ihn zum Staatskanzler. Sogleich installierte er das erste österreichische Außenamt (heute Bundeskanzleramt).
Damals stand Frankreich wegen der überseeischen Besitzungen im Konflikt mit Großbritannien. Anfang 1756 kam ein preußisch-englisches Abkommen zustande. Der Kanzler erreichte — unterstützt durch Madame de Pompadour — ein Bündnis zwischen Frankreich und Österreich (Versailles, 1. Mai 1756). Eine diplomatische Meisterleistung, die als „Renversement des Alliances" (Umkehr der Bündnisse) einen Wendepunkt in der europäischen Politik darstellte.
An diesem Angriffspakt gegen Preußen beteiligte sich bald nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges (1756—63) auch Russland. Zugleich hielt das Zarenreich das Osmanische Reich in Schach! Doch Schlesien blieb verloren. Angesichts der wieder erwachten Stärke Österreichs vertraute die Habsburgerin ihrem Kanzler bedenkenlos und erhob ihn 1764 in den Reichsfürstenstand („Kaunitz-Rietberg").
1772 vollzogen Kaunitz und Kaiser Joseph II. (gest. 1790) die Erwerbung Galiziens während der 1. Teilung Polens — gegen den Willen Maria Theresias. Allerdings den nachfolgenden gewaltsamen Gebietserweiterungen unter Joseph II. (1775 Bukowina, 1779 Innviertel) brachte der alternde Kanzler nur Unwillen entgegen. Später irritierte ihn der Eintritt Österreichs an der Seite Russlands im Krieg gegen die Türkei (1788). Seit Maria Theresias Tod (1780) verlor der Fürst an politischem Einfluss. Er blieb voll geistiger Regsamkeit und sparte nicht mit harter Kritik an außenpolitischen Fehlentscheidungen. Unstimmigkeiten mit Leopold II. und Franz II. führten zu seiner selbst erwünschten Demission 1792. Er sah auf nahezu sechs Jahrzehnte im Dienst des Kaiserhauses zurück und zählte nun 81 Jahre.
In der Innenpolitik schaffte er 1761 den österreichischen Staatsrat, welcher zentrale Kontrolle über die gesamte Monarchie ausübte. Ferner betrieb er Verwaltungsreformen und konzipierte Ministerien im gegenwärtigen Sinn sowie erwirkte eine Änderung des Steuersystems und förderte Industriegründungen. Vor allem vollzog er die Trennung von staatlicher und kirchlicher Gewalt (Klosteraufhebungen!) als Resultat eines aufgeklärten Staatskirchentums („Josephinismus"!). Kaunitz bereitete für Österreich die Grundlage zu einem modernen Staatswesen.
1736 heiratete er Maria Ernestine Gräfin Starhemberg (gest. 1749). Sie gebar ihm sieben Kinder — eine Enkelin vermählte sich mit Metternich. Kaunitz galt als faszinierender Mann, und als Witwer konnte er bei Hof vielen Frauen die Herzen brechen.
Ebenso zeigte er sich als launenhafter Exzentriker, der immerzu auf sein Aussehen und seine Gesundheit bedacht War. Seine beinahe pathologische Furcht vor ansteckenden Krankheiten und Tod ließen ihn zu einer Karikatur verkommen.
Andererseits verkörperte Kaunitz-Rietberg den hochintelligenten Verstandesmenschen und Förderer von Wissenschaft und Kunst. Dank seiner Initiative gründete Maria Theresia 1754 die Orientalische Akademie in Wien. Unter seiner Mitwirkung entstand 1772 die Brüsseler Akademie der Wissenschaften. Seit seinem Amtsantritt realisierte er die Vollendung der Gartenanlage von Schönbrunn. Kaunitz meinte weise, dass ein Landesfürst zum Wohl des Staates die "schönen und freyen Künste" unterstützen solle. Die durch ihn neu konstituierte Akademie der bildenden Künste in Wien hatte in seiner Person seit 1772 einen Protektor. Nebenbei besaß er eine ausgefallene Vorliebe für alles Französische und sprach — zum Ärger Kaiser Josephs II. ausschließlich französisch.
1754 erwarb Kaunitz in Wien-Mariahilf ein Schloss, das er später ausbauen ließ — darin eine wertvolle Kunstsammlung einrichtete — und bis zu seinem Tod dort lebte (1971 abgetragen).
83jährig starb er am 27. Juni 1794 in Wien. Seine letzte Ruhestätte fand er in der von ihm in Auftrag gegebenen Stadtpfarrkirche von Austerlitz (Slavkov u Brna, Mähren), wo sich auch das väterliche Schloss — einstiger Stammsitz der Familie Kaunitz — befindet.
Eine Statue am Wiener Kaiserin-Maria-Theresia-Denkmal präsentiert Kaunitz-Rietberg, der mit Intelligenz und Wagemut zu Neuem an der Ausformung Alt-Österreichs zu einer achtunggebietenden Großmacht in Europa beigetragen hatte.
Dieser Artikel ist eine leicht überarbeitete Version nach "Der 'alte Fürst' - Vor 200 Jahren starb Staatskanzler Kaunitz-Rietberg." Von Ernst Zentner. In: Wochenschau. 29. Juni 1994 / Nr. 26. Seite 8 bis 9
Quellen (eine bloße Auswahl):
Constantin von Wurzbach: Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton Fürst. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. 11. Theil. Wien 1864, S. 70–86 (Digitalisat).
Alfred Ritter von Arneth: Kaunitz, Wenzel Anton Fürst. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 15, Leipzig 1882, S. 487–505.
Alfred von Arneth: Biographie des Fürsten Kaunitz: Ein Fragment. In: AÖG. 88, 1900, S. 1–202. Digitalisat
Grete Klingenstein: Der Aufstieg des Hauses Kaunitz. Studien zur Herkunft und Bildung des Staatskanzlers Wenzel Anton. Göttingen 1975 (Neuauflage: 1997).
Grete Klingenstein, Hanna Begusch, Marlies Raffler, Franz A. J. Szabo (Hrsg.): Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg: 1711–1794. Neue Perspektiven zu Politik und Kultur der europäischen Aufklärung. Graz/ Esztergom/ Paris/ New York 1996
Angela Kulenkampff: Österreich und das Alte Reich. Die Reichspolitik des Staatskanzlers Kaunitz unter Maria Theresia und Joseph II., Köln/ Weimar/ Wien 2005
Franz A. J. Szabo: Staatskanzler Fürst Kaunitz und die Aufklärungspolitik Österreichs. In: Walter Koschatzky (Hrsg.): Maria Theresia und Ihre Zeit. Eine Darstellung der Epoche von 1740–1780 aus Anlass der 200. Wiederkehr des Todestages der Kaiserin. Salzburg/ Wien 1979, S. 40–45.
Tibor Simanyi: Kaunitz oder die diplomatische Revolution. Staatskanzler Maria Theresias. Wien 1984
Ernst Zentner 1994/2019
Weiterführendes
- Kaunitz, Wenzel Anton Graf ab 1764 Reichsfürst von Kaunitz-Rietberg/AEIOU
- Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg/AustriaWiki
- Maria Theresia/Biographien
- Joseph II./AEIOU
- Leopold II./AEIOU