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"Die Fledermaus" im Sog des Champagnerrausches am Anfang der Wirklichkeit#

Von Ernst Lanz

IN ARBEIT UND ANALYSE

1866 knirschte die Monarchie über den bitteren Misserfolg bei Königgrätz. Ein Jahr danach kam der "Ausgleich" zwischen Wien und Budapest zustande, der die Geburt der "Doppelmonarchie" Österreich-Ungarn einleitete. 1873 fand in Wien die große Weltausstellung statt, die vom Kaiser Franz Joseph I. eröffnet worden war. Im gleichen Jahr wurde die Hauptstadt des Vielvölkerreiches zum Ausgangspunkt einer Wirtschaftskrise, die sogleich ganz Europa erfasste. Für die österreichischen Spekulanten und Bankiers brach kurzfristig eine finanzielle Illusion zusammen. Für die kleinen Leute und Sparer verschwand langfristig eine ganze Welt voller Erwartungen. Eine scheinbar aus den Angeln gehobene Welt, die etliche Monate später durch eine Operette des ungekrönten Walzerkönigs Johann Strauß (Sohn), einem Hoffnungsschimmer gleich, wieder erstehen sollte: "Glücklich ist, wer vergisst, / was doch nicht zu ändern ist!"

Johann Strauß Sohn, 1870
Johann Strauß Sohn, 1870. Schöpfer des Donauwalzers, der "Fledermaus" ... - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
Strauß (1825 in Wien geb. - 1899 ebenda gest.) verstand es wie kein Zweiter, die Stimmung, den Zeit- und Kulturgeist der Bürgerlichen von einst, auf einen Nenner zu bringen und ironisch liebenswürdig wiederzugeben. Der vorzügliche Tonkünstler verarbeitete Couplets und Melodien, die heute jedem Operetten-Fan so ziemlich geläufig sind. Voller Schwung, voller Charme, altmodisch österreichisch und doch zeitlos / zeitungebunden!

"Trinke., Liebchen, trinke schnell, / Trinken macht die Augen hell ..."

"Die Fledermaus" - sie hat außer der Tierart nichts mit den "Batman"-Movies zu tun - beinhält ein raffiniertes Verwechslungsspiel - stets Garant für Lacher und erfolgreiche Unterhaltung -, das als Rache der "Fledermaus" wirkungsvoll mit maliziösem Geschmack und Wiener Humor in Szene gesetzt wird. Auch die Abrechnung mit dem Beamtentum unter dem österreichisch-ungarischen Doppeladler des 19. Jahrhunderts, findet in der Figur des Gefängnisdirektor Frank und seines untergebenen Gerichtsdieners Frosch aufrüttelnde Reaktion. Aber lassen wir gerechtigkeitshalber Frank selbst / selber zu Worte kommen: "Mein schönes, großes Vogelhaus, / Es ist ganz nahe hier. / Viel Vögel flattern ein und aus. / Bekommen Freiquartier. / Drum lad ich Sie ganz höflich ein, / Verehrtester, ich bitt, / Dort auch mein werter Gast zu sein, / Verehrtester, ich bitt, / Spazieren S' gefällig mit!"

Herr Gabriel von Eisenstein entpuppt sich als vergnügungssüchtiger Rechtsanwalt, der selbst zu einer achttägigen Arreststrafe verdonnert wird, und der Verlockung eines merkwürdigen Freundes erliegt, am Tage des Strafantrittes eine glanzvolle Soiree zu besuchen, und wo er natürlich ahnungslos mit den erotischen Verstrickungen seiner als Gräfin verkleideten und maskierten Gemahlin Rosalinde konfrontiert und irritiert wird.

Gastgeber Prinz Orlofski ist der klassische gelangweilte Aristokrat russischer Schule, dem nur daran gelegen ist, etwas zu erleben, was ihn zum Lachen reizt: "... 's ist mal bei so Sitte. / cha-cun à goût!"

"Die Majestät wird anerkannt rings im Land, / Jubelnd wird Champagner der Erste genannt!"

So viel Champagner-Fröhlichkeit verstrahlt keine andere Operette. "Die Fledermaus", die doch die Vorzüge eines modernen Musicals aber mit listig-lustigen und versöhnlichen Ausgang darstellt - ohne den Zuschauer auf seinem Heimweg mit Traurigkeit belastet. Sie gehört zu den ewig-jungen Klassikern, denen nicht angesehen wird oder zumindest kaum anmerkt, dass sie aus dem vorvorigen Jahrhundert stammt. Immerhin bald 150 Jahre alt und unverwüstlich, in der Epoche zwischen Gründerzeit und aufkommenden Jugendstil entstanden.

Nur ihre Entstehungsgeschichte hört sich eher unspektakulär an. 1872 erwarb der damalige Direktor des Theaters an der Wien, Maximilian Steiner, über Vermittlung des Theateragenten Gustav Lewy, um eine große Summe Geldes die Aufführungsrechte für das französische Lustspiel "La Revèillon". Dieses wurde von den beiden Librettisten Henry Meilhac - er arbeitete für Jaques Offenbach - und Ludovic Halèvy - dieser wiederum erarbeitete mit Meilhac für Georges Bizet das Libretto der Oper "Carmen" - geschrieben und im Pariser Theatre du Palais-Royal mit relativem Erfolg uraufgeführt. Das drei Akte umfassende Lustspiel handelte von einem kompromittierten Ehemann und seinen galanten Erlebnissen. Auch dieses Theaterstück wurzelte auf einem anderen Stück, betitelt "Das Gefängnis" vom Leipziger Roderich Benedix, das 1851 in Berlin uraufgeführt wurde heute mitsamt seinem Autor längst vergessen ist.

Das in "La Revèillon" dargelegte Lokalkolorit ließ sich auf Wiener Verhältnisse keineswegs übertragen, und so gab Direktor Steiner den Text an seinem Konkurrenten Franz Jauner, Direktor des Carl-Theaters weiter. Dieser wiederum beauftragte seinen pensionierten Hausdichter und -dramaturgen Karl Haffner mit der Übersetzung ins Deutsche. Haffner hieß in Wirklichkeit Karl Wilhelm Schlachter, stammte aus Königsberg und war ein Volkskomödienverfasser und Romanautor. Danach gab Jauner den Text an Steiner zurück. Doch leider eröffnete sich das Resultat als herbe Enttäuschung und wurde an Richard Genée (1823 in Danzig geb. - 1895 in Baden bei Wien gest.) weitergereicht. Genée befand sich seit 1868 in Wien und angeblich mit Haffner nie im Kontakt. Er erkannte die Publikumswirksamkeit des Inhalts und wagte es die Haffner'sche Version total zu überarbeiten. Ende 1873, Oktober, erhielt Johann Strauß (Sohn), der "populärste Musiker seiner Zeit", das Buch, das noch "Doktor Fledermaus" hieß, und schuf nach Vorarbeiten im Winter 1873/74 in nur 42 Tagen die Musik. Der Tonkünstler arbeitete außerdem auch noch nachts und hatte alle Not, die von der Zensurbehörde - die war damals sehr streng und kompromisslos und ein politisches Erbe Metternichs - zwischen den 5. und 20. März 1874 angestrichenen anstößigen oder politisch-provokant angehauchten Textstellen zu korrigieren. Die leider unvollständige Originalpartitur (Wiener Stadt- und Landesbibliothek) weist an derlei Stellen entsprechende Streichungen oder Nachkomponierungen auf. Sie sind bemerkenswerte Beweise, wie Richard Genée und Komponist Johann Strauß gemeinsam angestrengt unter Zeitnot bis zur Premiere arbeiteten. Genée setzte theaterdramaturgische Änderungen durch, wie beispielsweise der Maskenball im 2. Akt. Und noch etwas macht "Die Fledermaus" umso reizvoller: Sie ist eine Operette, deren musikalische Begleitung völlig für ein "klassisches Orchester" abgestimmt wurde - auch den Sängern wurde "solistischer Freiraum" gewährt. Es ist unfassbar und erstaunlich, dass der gleiche Johann Strauß sieben Jahre zuvor, 1867, den berühmtesten Walzer aller Zeiten "An der schönen blauen Donau", op. 314, komponiert hatte.

Am 5. April 1874, Ostersonntag, war es soweit. Um 19 Uhr erhob sich während der ersten Takte der Ouvertüre begeisterter Applaus. Auch die Besetzung konnte sich sehen lassen: Publikumsliebling Marie Geistinger (1833 in Graz geb. - 1903 in Klagenfurt gest.) (Sopran) - sie unterhielt zusammen mit Maximilian Steiner seit 1869 die Direktion des Theaters an der Wien - verkörperte virtuos die Partie der Rosalinde. Ein gewisser Herr Jani Szika (ungarischer Tenor) spielte ihren Gemahl Gabriel von Eisenstein, Fräulein Irma Nittinger die Hosenrolle des Prinzen Orlofski, Eisensteins Stubenmädchen Adele wurde von der Wienerin Caroline Charles-Hirsch (Sopran) verkörpert, Carl Adolf Friese als Gefängnidirektor Frank und Alfred Schreiber den Gerichtsdiener Frosch. Die Dekoration der Bühnenbilder schuf Alfred Moser.

Johann Strauß Sohn als Fledermaus, Karikatur im Kikeriki, 1874
Johann Strauß Sohn als Fledermaus, Karikatur im Kikeriki, 1874 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Die Aufführung mit Johann Strauß höchstpersönlich am Dirigentenpult, war nicht anders zu erwarten, beim Publikum ein toller Erfolg. Die Kritiken der allgemeinen Presse waren - wie konnte es schon in Wien anders sein, teils erfreulich, teils bissig. "Seinen letzten Trumpf hat Director Steiner vom Theater an der Wien am Ostermontag ausgespielt und auch dafür keinen Triumph eingeheimst. Johann Strauß' 'Komische Operette', betitelt: 'Die Fledermaus', flatterte um ersten Mal durch's Haus und da ihr die musikalische Flügel und der librettistische Schweif zu armselig kurz gewachsen waren, so f i e l s i e d u r c h - die arme 'Fledermaus'. / Eine 'Fledermaus' ist es so eigentlich nicht, was uns da vier martervoll langweilige Stunden in einem völligen Schwitzbade zum Sitzen, hören und Sehen zwang, es ist ein ganz anderes, bald mehr bald weniger confus werdendes Ding, das nur immer von einer Fledermaus spricht, welche auf irgend einem Maskenballe die nicht mehr ungewöhnliche, aber nichtsdestoweniger 'geistreiche' Apostrophe gehört haben soll: 'Schöne Maske, ich kenne Dich.' ... / Einigen soll der Verstand stehen geblieben, Andern gar durchgegangen sein. Wer aber die Ostersnntags-Vorstellung der 'Fledermaus' mit seinem vollen Verstande und mit gesunden Gliedern verlassen hat, der ging am Ostermontag gewiß - je nach seiner confessionellen Eigenschaft - in die Kirche oder in die Synagoge, um dem Herrn zu danken für die Erlösung aus jener Pein, denn die Zumuthungen an den gesunden Menschenverstand sind in dieser 'Fledermaus' wahrlich keine geringen. \ Und diesen Quark von einem Libretto, das an Langweile und Geistlosigkeit nichtsünschen übrig läßt, suchte sich Johann Strauß auf dem französischen Boden? Und zwei 'deutsche Dichter' haben ihn 'vergermanisirt'? Schauriglich! ..." (EXPRESS. Wochenschrift für Politik und sociale Interessen, Volkswirthschaft, Handel, Gewerbe, Kunst und Literatur.. Nr. 14 / Wien, am 7. April 1874 / VI. Jahrgang, Seite 1)

Im Theater an der Wien wurde "Die Fledermaus" lediglich nur 58mal gegeben. Andere Musikwerke standen im Jahr 120mal auf dem Spielplan. Die Direktion des Hauses setzte kaum Vertrauen in eine Strauß-Operette, zumal kommerziell-wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund standen. Dafür rissen sich sich die ausländischen Bühnen um das Stück, beginnend mit Berlin und Hamburg. Die Aufführungsserie wurde in Budapest und schließlich in Paris fortgesetzt. In Hamburg 1880 erfuhr die Strauß-Operette ihre erste Aufführung in einem Opernhaus. Bis 1890 setzte sich die Erfolgsserie auch an Bühnenhäuser in Amerika und Australien fort!

Der Entstehungsort der "Fledermaus", nämlich Wien, sollte erst 1894 - zwanzig Jahre nach der Uraufführung - an dieses erfolgreiche, in aller Welt beliebte Operettenwerk erinnern. In diesem Jahr wurde sie erstmals im k. k. Wiener Hofoperntheater (nachmals Staatsoper) aufgeführt. 1897 trat dort Gustav Mahler als Direktor ein und nahm "Die Fledermaus" ihrer Publikumswirksamkeit wegen in dass "ständige Repertoire" auf. Bis zum heutigen Tag gehört sie zum Hausstück der Wiener Staatsoper. (Auch an anderen Bühnen wie Volksoper usw.)

(Jedes Opern- oder Theaterhaus, das auf sich etwas hält, bietet in seinem Spielplan - trotz Konkurrenz von "Cats", "Les Miserables" und "Phantom der Oper" sowie andere - "Die Fliedermaus".)

Eine nette Sitte ist es auch, das hängt nur vom jeweiligen Regisseur und Bearbeiter der Inszenierung ab, manche Dialoge und ganz besonders gilt das für den Monolog des Gerichtsdieners Frosch den aktuellen - Zeitgeschehen anzupassen, was oftmals vom Publikum mit zustimmendem Gelächter oder Applaus honoriert wird.[1]


[1] Ernst Lanz erinnert sich an eine originelle "Fledermaus"-Aufführung bei den Salzburger Festspielen (Live im TV) - einen Monat vor dem 9/11 -, bei der sämtliche Zwischentexte, durch völlig andere Inhalte - eher (nachpubertäre) Zoten - ersetzt wurden. Außerdem wurde das Milieu in eine rechtskonservative Aura versetzt. Gesanglich war das Ganze kein Problem, abgesehen von der (bewusst) verunglückten Darbietung des Prinzen Orlofski. Das Premierenpublikum war wütend - man bedenke wie teuer Salzburger Festspiel-Eintrittskarten sind - und ein Abbruch bestand bevor. Eine Entschuldigung rettete die Premiere. Immerhin originelle Kostüme, die teils an ziehharmonikaartige, zylindrische Faschings-Lampions erinnerten. Ein Arzt aus Wien (?) klagte gerichtlich um Rückgabe des teuren Eintrittspreises. Der Richter vertrat die Freiheit der Kunst und lehnte ab.