Karl Lueger - Volkstribun und Herrgott von Wien#
Von Ernst Zentner
Karl Lueger wurde in Wien-Wieden 1844 in kleinbürgerlichen Verhältnissen geboren. Der Vater war Saaldiener in der Technischen Hochschule und die Mutter Tochter eines Tischlermeisters. Nach erfolgreichem Jus Studium betrieb Lueger eine Anwaltskanzlei. Nebenbei wurde er Berufspolitiker. Von 1878 bis 1910 gehörte er dem Wiener Gemeinderat an. Er wechselte seine politischen Ansichten ständig. Bis 1893 organisierte er die inzwischen konstituierten Christlichsozialen und konnten Wahlerfolge verbuchen. Seit 1885 wirkte er als Abgeordneter im Reichsrat und fünf Jahre nachher im niederösterreichischen Landtag. Das neue Wahlrecht ermöglichte auch Personen mit niedrigem Jahreseinkommen die Politik zu entscheiden. Um zahlreiche Stimmen auf sich zu vereinen, verärgerte er sämtliche Stützen der Wiener Gesellschaft, Judentum, Großbürger, Adel, Deutschnationale und hohe Kirchenfürsten sowie Sozialdemokraten.
1895 endete jäh die liberale Herrschaft im Rathaus. Obwohl der beliebte Politiker viermal gewählt wurde, verweigerte ihm Kaiser Franz Joseph stets die Anerkennung und gestattete ihm höchsten die Funktion des Vizebürgermeisters. Der "Demagoge" erhielt 1897 wiederum die Stimmenmehrheit. Der Kaiser gab nach und bestätigte Lueger als neuen Bürgermeister. Damit begannen dreizehn segensreiche Jahre Wiener Kommunalpolitik. Die von den Liberalen praktizierte Privatinitiative schob er beiseite und führte die öffentliche Hand ein. Und mit ihr wuchs der Schuldenberg. Lueger zwang seinem Wien, das damals eine Million Einwohner beherbergte - Armut und Elend - die Strukturen einer künftigen modernen Weltstadt auf. Er dachte an eine Metropole mit vier Millionen Einwohnern. 1910 zählte Wien erstmals die Hälfte.
Das Stadtoberhaupt stellte die gesamte Infrastruktur Wiens unter städtische Verwaltung. Er führte die Arbeitsvermittlung ein, ordnete den Bau einer zweiten Hochquellenwasserleitung. Dazu ermöglichte er die Schaffung naturgegebener Erholungsgebiete und forcierte Eingemeindungen.
Lueger akzeptierte die österreichisch-ungarische Donaumonarchie, trat für eine Gleichberechtigung der Nationalitäten ein, kritisierte jedoch das magyarische Vorwärtsstreben. Während der Sprachenkrawalle achtete er wohlweislich auf sein tschechisches Wählerpotential und sympathisierte mit den Demonstranten.
Seine Amtszeit fiel in die kreative Jugendstilzeit. Längst galt er als "Volkstribun" und sogar "der Herrgott von Wien"! Er war ein faszinierender Redner, der jeden Menschen ansprechen konnte. (Unter seinen Zuhörern befand sich auch ein gewisser junger Adolf Hitler ...)
Luegers Ruf dürfte makellos gewesen sein. Seine Popularität übertraf sogar die des alten Kaisers. Die Wienerinnen erfreuten sich an den "schönen Karl". Er unterhielt zu Damen des Theaters und aus Künstlerkreisen lockere Beziehungen. Wien liebte er aber mehr und durfte sich seit 1900 Ehrenbürger nennen. Nach seiner siebten Bürgermeisterwahl (1909) dankte er mit folgenden Worten: "Mein Programm sind die Taten, die ich geschaffen habe." Ein Jahr darauf starb er in seiner Dienstwohnung im Rathaus nach schwerer Krankheit im 65. Lebensjahr. Die Anteilnahme der Bevölkerung war groß. In der Krypta der "Luegerkirche" am Zentralfriedhof wurde er später zur letzten Ruhe gebettet. Die Nachwelt dankte ihm mit einem Platz, Denkmälern und einem Wienerlied.
Seine radikalen Äußerungen mögen aus heutiger Sicht suspekt klingen. Auch die sozialen Probleme konnte er - aus der Perspektive seiner Zeitgenossen - nicht bewältigen. Tatsache bleibt, dass Karl Lueger für die Stadt Wien als hervorragender Kommunalpolitiker bleibende Errungenschaften geleistet und den Weg für das moderne Wien erwiesen hat.
Quelle:
Überarbeitet nach:
Ernst Zentner, Der "schöne Karl". Vor 150 Jahren wurde Wiens berühmtester Bürgermeister geboren: Karl Lueger. In: "Neue Wochenschau für Alle". 19. Oktober 1994" / Nr. 42. Seite 8-9
Copyright Ernst Zentner 1994-2017
Siehe bitte auch:
- Biographien/Lueger,_Karl und dort weiterführende Literatur