Die offene Mülltonne#
Von Ernst LanzIm Wohnhaus lebte in einer kleinen Wohnung eine etwas ältere Dame. Sie war schon jenseits der achtundachtzig. Sie war ein Relikt aus der Nazi-Ära. Manchmal redete sie wie eine ewiggestrige Verfechterin der Ideen Hitlers. Einmal in der Woche holte sie aus der städtischen Bücherei einige Bücher, um ihr Wissen zu verbessern. Ein junges Paar kümmerte sich von Zeit zu Zeit um die alte Dame. Sie war ja schon gebrechlich. So gut sie nur konnte, bemühte sie alles selbstständig zu bewerkstelligen. Ein- oder zweimal in der Woche trug sie ihren Mülleimer in den Hof und schütteten den unbrauchbaren Inhalt in einer der metallenen Tonnen. Nachbarn behaupteten, sie ließe absichtlich die Mülltonne offen. Merkwürdigerweise jedesmal wenn sie ihren Abfall ablieferte, war danach tatsächlich die Mülltonne offen. Ich hatte kaum die Gelegenheit, sie dabei zu erwischen, wie sie den Behälter offenlässt. Der Lift war schneller und sie längst in ihrer kleinen Wohnung.
Nun die Filiale der Städtischen Bücherei neben dem Markt wurde wegen mangels an lesewilligen Benützern geschlossen. Fast am gleichen Tag verstarb die alte Dame. Eine Trauerparte am Schwarzen Brett erinnert an ihren letzten Weg. Nahezu neun Jahrzehnte währte ihr Leben. Zwei Wochen später versank der Sarg in der Grube.
Ausgerechnet an diesem Beerdigungstag war die Mülltonne wieder offen. Ist sie aus der Ewigkeit kurz zurückgekehrt? Irgendjemand kippte den großen gebogenen Deckel zu. Seit damals war die Mülltonne nie mehr geöffnet zurückgelassen worden. Gibt es ruhelose Seelen? Ist unser eigenes Leben nicht unruhig genug?
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