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Theodore Roosevelt in Wien (April 1910)#

Eine Spurensuche
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(Ein gewesener US-Präsident besucht während seiner Weltreise Wien und den Kaiser kennen)
Von Ernst Zentner
Theodore Roosevelt (1858-1919) war von 1901 bis 1909 der 26. US-Präsident. Er forcierte den Ausbau des Panamakanals, trat für eine weltbeherrschende Politik ein und erhielt wegen der Beendigung des Russisch-Japanischen Krieges (1904/05) sogar den Friedensnobelpreis (1906). Vereinfacht gesagt: Roosevelt brachte die USA auf modernen Kurs ins 20. Jahrhundert (und darüber hinaus.) Am Mount Rushmore National Memorial wurde er neben den monumentalen Präsidentenköpfen von George Washington, Thomas Jefferson und Abraham Lincoln verewigt.
Auch nach seiner Präsidentschaft blieb Roosevelt politisch aktiv und unternahm Weltreisen. Dabei hielt er sich nur zwei Tage in Wien auf.
US-Präsident Theodore Roosevelt, 1908 (?)
US-Präsident Theodore Roosevelt, 1908 (?) - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
Kaiser Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn
Kaiser Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn, Briefmarke 1910. Der Monarch alter Schule freute sich auf den Amerikaner und behandelte ihn wie eine ihm gleichgestellte Persönlichkeit - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
Neuer Markt, Wien-Innere Stadt
Neuer Markt, Wien-Innere Stadt. Hier logierte Ex-Präsident Theodore Roosevelt zwei Nächte im Hotel Krantz - nach kriegsbedingten Umbauten das gegenwärtige Hotel Ambassador (Kärntner Straße) (1905) - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
Fassade des Hotel Krantz, Zeichnung, 1899
Hotel Krantz, 1899; Neuer Markt 5, Wien-Innere Stadt - Foto: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Hotel_Krantz - CC BY-NC-ND 4.0

Fassade des früheren Hotel Krantz, heute Hotel Ambassador
Fassade des früheren Hotel Krantz, heute Hotel Ambassador zugehörig - Ausschnitt eines Fotos: Zyance, Wikimedia Commons - Gemeinfrei
Roosevelt trifft beim Hotel Krantz ein
Ex-Präsident Theodore Roosevelt (links) trifft beim Hotel Krantz ein. Begrüßt vom Hoteldirektor (?). Die Schaulustigen sind Mitglieder der amerikanischen Kolonie in Wien - Foto: Hof-Photograph R. Lechner. Abgedruckt in: "Wiener Bilder" Nr. 16 20. April 1910, Seite 4 (ANNO/ÖNB) - Archiv Zentner
Alois Lexa von Aehrenthal, Minister des Äußern, 1910. Er betrieb die österreichisch-ungarische Annexion Bosniens und Herzegowina. Mit seiner Außenpolitik war möglicherweise der Weg in den großen Krieg und der Zerfall der Doppelmonarchie verknüpft. Er starb schon 1912 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
Alois Lexa von Aehrenthal, Minister des Äußern, 1910. Er betrieb die österreichisch-ungarische Annexion Bosniens und Herzegowina. Mit seiner Außenpolitik war möglicherweise der Weg in den großen Krieg und der Zerfall der Doppelmonarchie verknüpft. Er starb schon 1912 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
Kaiser Franz Joseph geht auf Theodore Roosevelt zu und begrüßt ihn herzlich
Theodore Roosevelt beim Kaiser. Illustration - Foto: Abgedruckt in "Illustrierte Kronen-Zeitung" XI. Jg. Nr. 3697 17. April 1910, Seite 3 (ANNO/ÖNB) - Archiv Zentner"
Detail, Kleine Galerie, Schloss Schönbrunn
Detail der Kleinen Galerie im Schloss Schönbrunn, Deckenbild von Gregorio Gugliemi. Hier in der Kleinen Galerie - liegt neben der Großen Galerie - fand die Hoftafel des Kaisers zu Ehren Theodore Roosevelts statt - Foto: Dennis Jarvis from Halifax, Canada - Wikimedia Commons - Gemeinfrei
Roosevelt (mitte) besucht die (noch nicht eröffnete) berühmte Erste Internationale Jagdausstellung in Wien
Ex-Präsident Theodore Roosevelt (mitte) besucht die (noch nicht eröffnete) berühmte Erste Internationale Jagdaustellung in Wien. Links von ihm sein Sohn Kermit Roosevelt - Foto: Photograph A. Würthe & Sohn. Abgedruckt in: "Wiener Bilder" Nr. 16 20. April 1910, Seite 4 (ANNO/ÖNB) - Archiv Zentner
Roosevelt (dritter von links) besucht mit seinem Sohn Kermit (vierter von links) die Burg Kreuzenstein
Ex-Präsident Theodore Roosevelt (dritter von links) besucht mit seinem Sohn Kermit (vierter von links) die Burg Kreuzenstein. Graf Wilczek ist zu seinem hohen Gast gewandt. Rechts hinterm Schlossherrn der damals neue amerikanische Botschafter Mr. Kerens - Foto: Hof-Photograph R. Lechner. Abgedruckt in: "Wiener Bilder" Nr. 16 20. April 1910, Seite 4 (ANNO/ÖNB) - Archiv Zentner
Burg Kreuzenstein bei Korneuburg (1925)
Schloss Burg Kreuzenstein (1925). Hier hielt sich im April 1910 der Expräsident der USA, Theodore Roosevelt, als Gast des Grafen Hanns von Wilczek auf - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
Der ehemalige Botschafter der Vereinigten Staaten in Wien, Mr. Charles Spencer Francis, schrieb über Roosevelt im Morgenblatt der Zeitung "Neue Freie Presse" (15. April 1910) u. a. folgendes:
"Theodore Roosevelt ist vermöge seines Charakters und seiner Stellung nicht allein der typische Vertreter des amerikanischen Unternehmungsgeistes und der Fähigkeiten des amerikanischen Volkes, sondern er steht in den Vereinigten Staaten auch an der Spitze der Bestrebungen, welche die Förderung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen seinem Lande und allen anderen Nationen der Welt zum Ziele haben ... / Unser Expräsident ist von der größten Hochachtung für Oesterreich-Ungarn erfüllt, und da es mir vergönnt war, durch drei Jahre Botschaften zwischen Sr. Majestät dem Kaiser Franz Josef und dem Präsidenten Theodore Roosevelt zu vermitteln, darf ich mit Bestimmtheit erklären, daß zwischen ihnen die freundlichsten Gefühle obwalten ... / Mr. Roosevelt ist vor allem ein Mann der Tat. Begabt mit bemerkenswerter Elastizität des Geistes, einem durch einen kräftigen Körper unterstützten Verstand, gepaart mit Ausdauer und nie erlahmender Willenskraft, erringt er wunderbare Erfolge. Bei seinem hohen Mut, seiner Prinzipientreue, seiner Liebenswürdigkeit gegen jedermann, seiner Aufrichtigkeit in der Freundschaft, seinem phänomenalen Gedächtnis und seiner sicheren Kennerschaft von Menschen und menschlichen Dingen kann es nicht wundernehmen, dass er in den Herzen seiner Landsleute allüberall einen auserlesenen Platz einnimmt ..." ("Neue Freie Presse" Nr. 16395 Wien, Freitag, den 15. April 1910, Seite 2)

"... jetzt empfängt ihn unser Kaiser, als ob er der gekrönte Herrscher Amerikas wäre. / Die Bedeutung Roosevelts liegt also nicht in seiner politischen Machtstellung, sondern rein in seiner Persönlichkeit, die ihn aus dem Niveau des gewöhnlichen Bürgers in gesellschaftliche Höhen erhebt, in denen man sonst nur regierende Fürsten trifft. / Er selbst scheint aber auf höfische Sitten und Zeremoniell wenig Gewicht zu legen. Er gibt sich einfach und dies drückt sich auch in seinem wenig imponierenden, ja sogar etwas saloppen Aeußeren aus. Er hält eben nach Art der Amerikaner nichts auf Aeußerlichkeiten." ("Illustrierte Kronen-Zeitung" Nr. 3696, 16. April 1910, Seite 3)

Der Besuch des US-amerikanischen Expräsidenten Theodore Roosevelt bewirkte in Wien gewiss Aufsehen. Die Gazetten von damals berichteten ausführlich darüber. Die Osterfeiertage lagen über zwei Wochen zurück. Über Wien lag die Fadesse des Alltags.
Freitag, der 15. April 1910. Am Südbahnhof (heute wäre das die Gegend um den Hauptbahnhof) entstieg aus einem aus Venedig kommenden Zug der ehemalige Präsident der nordamerikanischen Union, Theodore Roosevelt. Mit ihm sein Sohn Kermit Roosevelt. Die Ankunft dürfte geheim gehalten worden sein. Was blieb in Wien je geheim? Der damalige amerikanische Botschafter Mr. Richard C. Kerens und der Botschaftsekretär Mr. Bartley Ripes sowie ranghohen Mitgliedern der amerikanischen Kolonie in Wien. Dazu war noch dabei der österreichisch-ungarische Botschafter in Washington, Freiherr von Hengelmüller. Um 06:45 Uhr verließ Roosevelt den Schlafwagen. Aber lassen wir einen Journalisten berichten:
"Beim mittleren Fenster des ersten Schlafwagens erschien ein glattrasierter Herr, der amerikanische Marineattaché. Er ließ das Fenster herab und gleich darauf schob sich der Kopf Roosevelts zum Fenster heraus. Ein interessantes, volles Gesicht, stark gebräunt von der Sonne Afrikas. Ein staubiger schwarzer Schlapphut, dem man die Strapazen einer mehrmonatlichen Benützung ansieht, bedeckte den Kopf. Roosevelts Nase trägt einen goldgefaßten Zwicker, hinter dessen Gläsern die Augen hervorblitzen. Die Zwickerschnur hängt rechts über die Wange herunter. Der blonde buschige Schnurrbart hat schon einen starken Stich ins Graue ..."
[Illustrierte Kronen=Zeitung Nr. 3696, 16. April 1910, Seite 3]
Roosevelt bestieg beim Bahnhofsausgang den für ihn bereitgestellten kaiserlichen Hofwagen. Ein Lakai mit Zweispitz öffnete ihm die Tür und überreichte ihm ein Kuvert. Der Amerikaner öffnete es und hält in Händen eine Einladung für Samstag zur Audienz beim Kaiser und zum Hofdiner nach Schönbrunn.
Botschafter Kerens fuhr mit dem Automobil.

Um 07 Uhr langte der Politiker beim Hotel Krantz (Wien-Innere Stadt, Neuer Markt) ein. Der Hotelier Joseph Krantz und der Hoteldirektor Bugl hatten längst Vorbereitungen getroffen, um den hohen Gast aus Nordamerika wohlwollend zu empfangen. Der kam in Begleitung des Botschafters. Zehn Fotoapparate richteten sich auf Roosevelt. Vertreter der Wiener amerikanischen Kolonie warteten und ebenso Repräsentanten der Presse (Amerikaner, Engländer und Franzosen sowie Österreicher). Mittels Morgenblätter war das Eintreffen Roosevelt in halb Österreich-Ungarn schon bekannt gewesen. Das Publikum musste mithilfe der Wache im Zaum gehalten werden. Wie oft kommt schon ein gewesener US-Präsident nach Wien?
Der Hotelier hielt seine Begrüßung auf englisch - es wird wohl ein Oskar-Werner-Englisch gewesen sein - und hoffte, dass sich der Gast in Wien wohlfühlen werde. Als höfliche Antwort kam: "Ich bin davon von vorneherein überzeugt."
Später kam noch sein Sohn Kermit mitsamt zahlreichen Koffern, Handtaschen und kompakten Eisenblechkisten. Die Unterbringung des Gepäck kontrollierte er persönlich und ging dann zu seinem Vater.
Inzwischen hielt Roosevelt mit dem österreichisch-ungarischen Botschafter Hengelmüller und Sektionschef Müller eine kleine Konferenz. Hier wurden wohl Modalitäten des "Staatsbesuch" abgehandelt. Dann standen Frühstück und Posterledigung am Programm. Ein Berg von Briefen wurde im Hotel abgegeben. Spitzfindige Geister fanden heraus, dass Roosevelt sich selbst rasierte und dann ein Bad genommen habe. Antwortschreiben diktierte er seinem Sekretär.
Um 10:30 Uhr verließ der Politiker - er trug einen hohen Zylinderhut - das Hotel. Die Menschenmenge - Angehörige der amerikanischen Kolonie - riefen voller Freude: "Hurrah for Teddy!". Er dankte und korrigierte: "Hurrah for U. S. A.!"
Der Expräsident besuchte im Ministerium des Äußern (Außenministerium der Monarchie), Minister Graf Aehrenthal und sie beide sprachen miteinander über eine Stunde lang.
Anschließen begab sich Roosevelt zu einem Luncheon (Mittagessen). Endlich fuhr er in die Hofburg, wo er vom Kaiser erwartet wurde.
Normalerweise mussten Audienzen beim Kaiser in der Hofburg Wochen vorher schon angemeldet werden. Aber beim Expräsidenten Roosevelt machte der Kaiser eine ehrliche Ausnahme. Zugegeben, wann hat man schon Gelegenheit einen weltgewandten Friedensnobelpreisträger zu empfangen? Roosevelt war ein typischer amerikanischer Mensch, unkompliziert und ließ sich nicht durch Etikette einschränken. Er galt als sympathisch und erlebte die Wiener Herzlichkeit. Wo er erschien, wurde ihm Jubel zuteil.
Um 14 Uhr – früher Nachmittag – traf Roosevelt vor der Hofburg ein und wurde im Arbeitszimmer seiner Majestät empfangen. Der Kaiser begrüßte ihn mit einem Händedruck. Der Aufenthalt dauerte 38 Minuten. Kaiser Franz Joseph interessierte sich für amerikanische Verhältnisse und den Verlauf der Reise, für die afrikanischen Jagderlebnisse des Gastes (Roosevelt war mit seinem Sohn Kermit auf "Landpartie" in Afrika und Europa). Dieser berichtete und danke schließlich für den "huldvollen Empfang".
An dieser Stelle sei eine Anekdote überliefert: Angeblich soll der Kaiser auf die Frage Roosevelts, was die Aufgabe eines Kaisers im 20. Jahrhundert sei, geantwortet haben: "Der Sinn meines Amtes ist es, meine Völker vor ihren Politikern zu schützen!"
Aber man muss sich auch vorstellen, dass der Expräsident Roosevelt nach Wien zu einem Zeitpunkt kam, in dem seit 1908 Krisen auf den Balkan herrschten, begonnen hatte das mit der österreichisch-ungarischen Annexion Bosniens und der Herzegowina; das Osmanische Reich protestierte und Serbien sah seine eigenen groß-serbischen Reichspläne zerstört und entschied zur Mobilisierung. Trotz leichter Entschärfung der Situation, durch Vermittlung des Deutschen Reiches, blieben die Spannungen am Balkan erhalten.
Schon zur gleichen Zeit versammelten sich Hunderte Amerikaner am Platz vor dem Kapuzinerkloster um ihren großen Landsmann zu begrüßen. Es war im April ein starker Gewitterregen und dennoch harrten sie aus. In Begleitung des österreichisch-ungarischen Botschafters fuhr Roosevelt vor die Kapuzinergruft, stieg aus und verneigte sich in allen Richtungen der Wartenden. Danach wurde er im Eingangsbereich der Gruft von Guard P. Matthäus begrüßt. An den Särgen einstmals der Kaiserin Elisabeth (gest. 1898) und des Kronprinzen Rudolf (gest. 1889) legte der illustre Gast aus den Vereinigten Staaten Prachtkränze mit Schleifen in den amerikanischen Farben nieder. Auf den Bändern stand: Theodore Roosevelt. – Vienna. April 15. 1910. Es war vor Ort eine offene Trauerbekundung der USA. Roosevelt machte einen Rundgang in der Kapuzinergruft und der Guard gab entsprechende Erläuterungen ab. Das Ganze dauerte eine Viertelstunde. Die Gruft wurde damals in den letzten Monaten restauriert und erweitert.
Danach, etwa 15:45 Uhr langte der Amerikaner bei den Palais der Erzherzoge und Erzherzoginnen ein und gab überall seine Karte ab. Das tat er auch beim Belvedere, wo der Hausherr Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand „bekanntlich nicht in Wien weilte.“
Der knapp kalkulierte Zeitplan des hohen Besuchers ermöglichte auch eine Visite der Spanischen Hofreitschule um 15:30 Uhr. Mit dem Automobil fuhr er, begleitet vom amerikanischen Botschafter Richard C. Kerens, vom Hotel "Krantz" zur Spanischen Hofreitschule am Josephsplatz. Offizieller Empfang durch Oberststallmeister Ferdinand Graf Kinsky und Hofrat Freiherr von Slatin. Roosevelt nahm Platz in der Hofloge. Er „anwohnte“ den Vorführungen „equestrischer Evolutionen“; die Hofbereiter führten mit ihren Lipizzanern alle Gangarten vor. Man muss sich vorstellen, dass Roosevelt einst ein Reiteroberst war, und dadurch als Pferdekenner agierte.
[Eigentlich erinnert mich das alles, was sonst ein moderner Tourist des 21. Jahrhunderts in Wien so tut. Zuerst Stephansdom dann Schönbrunn - ohne Kaiser -, dann Hofreitschule und wenn es hochkommt das Belvedere ... Nicht anders. Dann in die nächste Stadt ...]
Theodore Roosevelt war ein Meister der Selbstinszenierung mit einem übersteigerten Männlichkeitssinn - dazu ein Großwildjäger. Fast ein altmodischer Ernest Hemingway[1] um 1900 ... Roosevelt bekämpfte erfolgreich die Trusts (riesige wirtschaftsbestimmende Firmen), die allmählich die traditionellen amerikanischen Werte gefährdeten, und brachte Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einem Tisch, viel später gab es den Achtstundentag.
Danach fuhr er zur Breitenseer Kavalleriekaserne, im Westen Wiens, um das Husarenregiment Kaiser Nr. 1 zu besichtigen. Roosevelt zeigte Interesse an militärischen Einzelheiten: Er beobachtete den Aufbau und Handhabung eines Maschinengewehres. Er nahm inmitten den Offizieren Platz. Ehrenbezeugungen und übliche Begrüßungen wechselten einander ab. Ein englischsprachiger Trinkspruch folgte und ein Toast (kurze Ansprache, in der er sich freundlich zeigte) folgten: Er freute sich, dass er ein so gutes Regiment seiner Majestät besichtigen konnte. Eine angenehme Stimmung herrschte. Er hielt sich hier von 16:45 bis 18:30 Uhr auf und danach kehrte er in die Stadt zurück.
Am Abend verbrachte der Politiker mit seinem Sohn sowie dem amerikanischen Botschafter bei einem Diner im Ministerium des Äußeren - bei Minister Graf Aehrenthal - bis nach 22:30 Uhr. Dann folgte noch eine Einladung in den Jockeiclub in der Augustinerstraße. Vor halb Mitternacht ging Roosevelt mit seiner Entourage zu Fuß - den Kutscher hatte man weggeschickt - ins Hotel "Krantz" zurück.
Samstag, 16. April 1910. Am Vormittag unternahm Roosevelt mit dem kaiserlichen Automobil - am Steuer saß der Chauffeur des Kaisers - eine Fahrt zum Schloss Burg Kreuzenstein des Grafen Hanns Wilczek. Wilczek war ein österreichischer Polarforscher (er initiierte und finanzierte die Payer-Weyprecht-Expedition!) und Kunstmäzen. Nach jahrelangem Wiederaufbau seiner Schlossanlage Burg Kreuzenstein bot diese sich als Schauburg seit 1906.
Auf Französisch beantwortete Graf Wilczek geduldig die Fragen seines Gastes. Sie betrafen die schwierige Errichtung der Burg und die museale Einrichtung. Im Speisesaal stießen sie mit Wein gefüllte grüne Römer nach "alter deutscher Sitte" an. Wilczek fühlte sich durch die Anwesenheit Roosevelts besonders geehrt. Es gab ein kaltes Buffet. Die wichtigsten Räume wurden von den Gästen besichtigt. Vom Söller der Burg hatte die Gesellschaft einen herrlichen Ausblick gegen Stockerau. Roosevelt verabschiedete sich von den Gästen und vom Grafen Wilczek und bestieg das kaiserliche Automobil.
Nach der Rückkehr nach Wien gab der amerikanische Botschafter Kerens zu Mittag im Hotel "Bristol" ein Dejeuner (in diesem Fall etwa ein kleines Mittagmahl, sonst wäre es ein Frühstück). Roosevelt und Beschäftigte der amerikanischen Botschaft nahmen daran teil.
Danach besuchte um 15 Uhr ihn noch der päpstliche Nuntius Erzbischof Granito di Belmonte. Roosevelt weilte noch mit Minister Aehrenthal im Saal. Der Nuntius blieb bis um 15:30 Uhr.
Als Roosevelt seit Anfang 1910 erfahren hatte, dass Wien eine Jagdausstellung veranstalten würde, bekundete er - als Jäger - sein tieftes Interesse. Nachmittag - ab 15:30 (?) Uhr - besuchte er das Palais Fürstenberg, wo er Fürstin Irma, der Ehefrau eines der Ausstellungsleiters, Fürst Max Egon von Fürstenberg, seine Aufwartung machte und mit ihr zur Rotunde (Prater) fuhr. Mr. Roosevelt besichtigte die Erste Internationale Jagdausstellung. Aber das war noch vor der offiziellen Eröffnung durch den Kaiser, die ihrerseits nach Verschiebung, am 7. Mai stattgefunden hatte. Ein Wettersturz hatte die Aufbauarbeiten total verzögert. Für den Politiker und leidenschaftlichen Jäger aus Übersee hatte man gern eine Ausnahme gemacht.
Nebenher ließ der Aeroklub einen Kugelballon hochgehen, der zwei mächtige Flaggen in den amerikanischen Farben herabhängend trug.
Stunden später, ab 18 Uhr fand sich Roosevelt, eingeladen vom Kaiser Franz Joseph, im Schloss Schönbrunn ein. Eine festliche Hoftafel, genauer geschrieben eine "Allerhöchste Tafel" in der Kleinen Galerie, an der der Expräsident und sein Sohn Kermit sowie der amerikanische Botschafter Kerens teilnahmen. (Wem es interessiert: 51 Jahre später wird in der daneben liegenden Großen Galerie das Treffen zwischen US-Präsident John F. Kennedy mit UdSSR-Premier Nikita Chruschtschow stattfinden.) Roosevelt wird wohl das Deckenfresko von Gregorio Gugliemi bewundert haben (Verherrlichung des weisen und milden Regiments des Hauses Habsburg, verbunden mit römisch-deutschem Kaisertum, 1759). Daneben konzertierte die Musikkapelle des Infanterie-Regiments Nr. 32. (Irgendwie erinnert es an die Stimmung der späteren Kaiserfilme der 1950er Jahre ...)
Der erste Bürger Amerikas wurde vom Kaiser zu einer Hofjagd eingeladen. Doch der Gast musste wegen seines knapp kalkulierten Zeitplans verzichten. Der Kaiser akzeptierte das. Normalerweise widersprach man einer österreichischen Majestät nicht. In Wahrheit waren sie gleichgestellte Persönlichkeiten obwohl sie sich unterschieden.
Um 21 Uhr empfing der Expräsident in den Räumen der amerikanischen Botschaft (Wien-Rennweg) die Mitglieder der hiesigen amerikanischen Kolonie. Dort gab der Wiener Männergesangsverein dem hohen Gast mit einigen Liedern ein Ständchen. Damit endete auch der Aufenthalt Theodore Roosevelt in Wien.
Am Sonntag, 17. April 1910 fuhr er um 09:05 Uhr mit dem Zug nach Preßburg. Bevor er rasch in den Waggon stieg, rief er auf die Frage, wie es ihm in Wien gefallen habe: "Very fine!"
Eines seines nächsten Reiseziele war Budapest. Von dort aus nach Frankreich, Belgien und die Niederlande, nach Stockholm und Christiania (Oslo, Norwegen). Vor Mitte Mai wird er in Berlin einlangen und dort ein Ehrendoktorat annehmen ... Danach geht es nach London.
Hatte der Aufenthalt des Politikers etwas gebracht? Vier Jahre später Sarajewo ...
Wien war wenigsten 50 Stunden lang Welthauptstadt. Solche seltene Momente boten Gesprächsstoff.


Anmerkung

[1] Günther Treffer: USA. Wie aus dem weißen Fleck auf der Landkarte die Weltmacht Nr. 1 wurde. (kurz & bündig. Herausgegeben von Wolf In der Maur) Wien 1988, Seite 79

Benützte Quellen (Auswahl)

  • Neue Freie Presse
  • Wiener Bilder Nr. 16 20. April 1910, Seite 4
  • Wiener Zeitung
  • Illustrierte Kronen-Zeitung Nr. 3696, Seite 3-4; Nr. 3697, Seite 1, 3-6; Nr. 3698, Seite 8

Siehe auch

Ernst Zentner 2021-2022