Vater zweier Republiken - Karl Renner#
Von Ernst Zentner
IN ARBEIT
Der einstige österreichische Bundespräsident wr das achtzehnte und letzte Kind verarmter mährischer Kleinbauern. Geboren am 14. Dezember 1870 als "Karl Matthias Renner" in Unter-Tannowitz bei Nikolsburg (Dolní Dunjajovice/Mikulov). Mit Gelegenheitsarbeiten und als Privatgelehrter finanzierte der junge Renner sein Nikolsburger Gymnasialstudium (1881-89). Danach unternahm er ein Jahr freiwilligen Militärdienst in der k. u. k. Armee zu Wien.
Ebenfalls aus ärmlichsten Verhältnissen stammte seine Lebensgefährtin Luise Stoisits. Sie gebar ihm 1891 aein einziges Kind, eine Tochter namens Leopoldine. Renners Erscheinung entsprachder eines heißblütigen Revolutionärs und Intellektuellen, der sich mit der Zeit den Spielregeln der bürgerlichen Gesellschaft anpassen musste. 1893 ehelichte er seine Gefährtin kirchlich. Zwei Jahre danach begann er endlich den Dienst - k. k. Staatsbeamter - in der Parlamentsbibliothek- und studierte nebenbei an der Wiener Universität Jus (Doktorat 1898).
Vorerst unter Pseudonymen verfasste er Sachbücher, die gesellschaftspolitische und nationale Fragen behandelten. Etwa "Staat und Nation" (1899) oder im dreibändigen Werk "Österreichs Erneuerung" (1916/17) stellte er die Umgestaltung der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn in eine "Donaukonföderation" zur Diskussion.
Renner stieß schon sehr früh zur Sozialdemokratie (1893) und amtierte von 1907 bis 1918 als deren Abgeordneter im Reichsrat. Renner akzeptierte den "gerechten Verteidigungskrieg" der Habsburgermonarchie (1914-18). Nach Ende des Ersten Weltkrieges deklarierte sich der Sozialdemokrat als erklärter Kriegsgegner.
Nach dem Zerfall der Donaumonarchie fungierte Renner als Staatskanzler "Deutschösterreichs" (1918-20). Nebenbei übernahm er auch den Posten des Staatssekretärs für Äußeres und leitete 1919 die "deutschösterreichische" Friedensdelegation in Saint-Germain, wo er - eingeschüchtert durch die gegnerischen Mächte - nachgab. Seine Regierungskoalition mit den Christlichsozialen legte die Grundlagen für die Erste Republik (Provisorische Verfassung, Habsburger-Gesetz, Sozialgesetze).
Der Staatskanzler verkörperte den gemäßigten (rechten) Flügel der Sozialdemokratischen Partei und bestand darauf, dass die erwähnte Koalition beibehalten werden sollte. Weil ihm das misslang, verließ er die Bühne der Bundespolitik. Bald gründete er innerhalb der Genossenschaftsbewegung die "Arbeiterbank" (1923), deren Leitung er auch kurzzeitig innehielt.
Der Altkanzler kritisierte Außenpolitik und Sanierungsprogramm des damaligen Kanzlers Prälat Ignaz Seipel. Ebenso beobachtete Renner mit Sorge die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und Verschärfung des Innenpolitischen Klimas. 1918-34 war er Mitglied des Nationalrates, 1931-33 dessen Erster Nationalratspräsident. Kanzler Dollfuß nutzte Renners unüberlegten Rücktritt zur Ausschaltung des Nationalrates. Nach den Februarunruhen '34 wurde Karl Renner für drei Monate inhaftiert.
1938 schätzte Renner offenbar den Nationalsozialismus falsch ein falsch und sprach sich für einen Anschluss an das Großdeutsche Reich aus. Die Kriegsjahre verbrachte der altgediente Politiker – geduldet von den Machthabern – im niederösterreichischen Gloggnitz ("Renner-Villa") mit rechtswissenschaftlichen, soziologischen und schriftstellerischen Arbeiten.
Nach ersten Kontakten mit den Russen übernahm er am 27. April 1945 als Staatskanzler die "Provisorische österreichische Staatsregierung". Es gelang ihm, Bedenken der Westmächte, aber auch Vorbehalte innerösterreichischer Kreise zu zerstreuen. Renne vertrat erfolgreich die Idee eines unabhängigen Österreichs. Acht Monate später – 20. Dezember 1945 – wählte ihn die Bundesversammlung einstimmig zum Bundespräsidenten. Dieses höchste Staatsamt bekleidete Renner – zwischendurch mehrmals ausgezeichnet – bis zu seinem unerwarteten Tod im Alter von 80 Jahren am 31. Dezember 1950. (Begraben wurde er in der Präsidentengruft auf dem Wiener Zentralfriedhof.)
Renner war ein beachteter Schriftsteller (über 140 Bücher und 550 Zeitungsartikel) und sogar Dichter, ebenso Wissenschaftler, Humanist, Philosoph und Aufklärer. Er dachte in monumentalen Dimensionen. Zweifellos ein anpassungsfähiger Mann voller Widersprüche. So stand der "Baumeister der Ersten Republik an der Wiege der Zweiten Republik." Gewiss ein weiser Altösterreicher, ein hochrangiger "Staatsmann von Weltruf" und zugleich "Symbolfigur des neuen Österreichs" …
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