Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Politik am Ring: Kampf gegen Kindesmissbrauch umfassender angehen#

Parlamentsfraktionen diskutierten Präventionsmaßnahmen und Kinderschutzkonzepte im Kampf gegen Kindesmissbrauch#

Kampf gegen Kindesmissbrauch
Video: Parlamentsdirektion (21.3.2023)

Wien (PK) - Wien (PK) - In regelmäßigen Abständen treten erschreckende Fälle von Kindesmissbrauch zutage, die Diskussionen über bessere Präventionsmaßnahmen, strengere Strafen und eine effektive Verbesserung des Kinderschutzes zur Folge haben. Innenpolitisch herrscht Konsens darüber, dass Kinder vor Gewalt geschützt werden müssen, egal ob es sich um sexualisierte, physische oder psychische Gewalt handelt. Uneins ist man sich über die Maßnahmen, die es dazu braucht: Die Forderungen gehen von einer spürbaren Erhöhung des Strafmaßes über den Auf- und Ausbau eines umfassenden Opferschutzes bis hin zu höheren Finanzierungszusagen für die Präventionsarbeit.

Die Bundesregierung hat im Jänner 2023 ein Kinderschutzpaket vorgestellt, das strengere Strafen, Gütesiegel für Betreuungseinrichtungen und auch finanzielle Mittel für Opferhilfe umfasst. Über diese Maßnahmen und auch darüber, was es zusätzlich braucht, diskutierten in der Internet-TV-Sendung des Parlaments Politik am Ring unter der Moderation von Gerald Groß Vertreter:innen der fünf Parlamentsfraktionen mit Hedwig Wölfl, Psychologin und Geschäftsführerin der Möwe-Kinderschutzzentren, sowie mit Barbara Neudecker, Psychotherapeutin und Leiterin der Fachstelle für Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche im Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren.

Erhöhung des Strafrahmens als "einfachste" Maßnahme?#

ÖVP-Abgeordnete Elisabeth Pfurtscheller stellte eingangs das von der Regierung präsentierte Paket vor und erklärte, dass dies aus mehreren Komponenten bestehe. Man wolle damit künftig alle Möglichkeiten ausschöpfen, neben einem angepassten Strafrahmen seien auch eine Unterstützung der Opfer sowie Täterarbeit vorgesehenen. Das Thema Gewalt an Kindern müsse viel breiter diskutiert werden, wie dies im Kinderschutzpaket auch getan werde, ergänzte die Kinder- und Jugendsprecherin der Grünen Barbara Neßler. Darin enthalten seien über Monate entwickelte, ausgereifte Vorhaben, um die massiven Lücken, die es im Kinderschutzbereich gebe - ein Kind pro Klasse sei durchschnittlich von Missbrauch in der einen oder anderen Form betroffen -, zu beheben und das Übel an der Wurzel zu packen. Man müsse ansetzen, bevor die Missbrauchshandlungen passieren, so Neßler, und darauf fokussierten die Regierungsvorhaben.

Susanne Fürst, FPÖ-Menschenrechtssprecherin, befürwortete das Kinderschutzpaket mit den vier Säulen Prävention, Aufklärung, Opferschutz und höhere Strafen, kritisierte aber, dass die Maßnahmen viel zu lange auf sich warten ließen und es das Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den Schauspieler Florian Teichtmeister gebraucht habe, bis die Regierung tatsächlich ins Tun gekommen sei. Vonseiten der FPÖ habe es in den letzten Jahren viele Anträge gegeben, die umfassende Kinderschutzmaßnahmen vorgesehen hätten, sie seien aber alle abgeschmettert worden, ohne dass vonseiten der Regierung Alternativen vorgeschlagen worden seien, kritisierte Fürst. Als die FPÖ höhere Strafen für Kindesmissbrauch gefordert habe, sei das als populistische Law & Order-Politik zurückgewiesen worden, nun habe sich die Regierung aber der Forderungen der FPÖ bedient, befand die Abgeordnete.

Christian Oxonitsch (SPÖ) bezeichnete die Präsentation des Kinderschutzpakets als erfreuliche Tatsache, zumal man nicht nur den Strafrahmen justiert, sondern auch die Schaffung von Einrichtungen, die Täter:innenarbeit forcieren, sowie die Finanzierung von Präventionsmaßnahmen, vorgesehen habe. Dennoch sei zu kritisieren, so der Abgeordnete weiter, dass sich nicht die gesamte Palette an möglichen Maßnahmen im Kampf gegen Kindesmissbrauch im Paket wiederfinde und dass mit höheren Strafen zu stark auf die Abschreckung fokussiert werde.

Auch Johannes Margreiter, NEOS-Justizsprecher, befand - auf Basis seiner als Strafverteidiger gesammelten Erfahrungen in der Pflichtverteidigung von Tätern -, dass Strafdrohungen wenig ändern würden. Viel wichtiger sei es, weit davor nämlich bei der Ausweitung der Präventionsarbeit, gegen möglichen Missbrauch vorzugehen. Man müsse danach trachten, jeden Übergriff zu verhindern. Zudem gehöre viel mehr und viel genauer hingeschaut, da die Dunkelziffer missbrauchter Kinder extrem hoch sei. Ansetzen könne man da beispielsweise bei der Sensibilisierung von Pädagog:innen, da diese viel Zeit mit den Kindern verbringen und am ehesten mögliche Verhaltensänderungen als Folge von Missbrauch feststellen können, ergänzte der Abgeordnete.

Expertinnen: höhere Strafen nur ein Teilaspekt#

Nach Ansicht der Psychologin Hedwig Wölfl müsse man immer vor Augen haben, dass das Unrechtsbewusstsein derer, die solche Taten setzen, gering sei und die Wirkung höherer Strafen daher nur bedingt ins Gewicht falle. Dennoch sei aus Kinderschutzsicht zu befürworten, dass in der Strafhöhe Verhältnismäßigkeit ausgedrückt werde. Die Schwere des Deliktes solle sich im Strafausmaß widerspiegeln, so Wölfl, dies könne nämlich für Kinder und Jugendliche, die zu Opfern werden, durchaus als Ausdruck einer Art ausgleichenden Gerechtigkeit fungieren. Psychotherapeutin Barbara Neudecker gab zu bedenken, dass man, sobald man höhere Strafen diskutiere, zu sehr auf die Täter fokussiere. Oft werde in Diskussionen um die Strafhöhe nicht bedacht, dass nicht alles, was falsch sei, verurteilt werden könne, so Neudecker. Zudem greife die Diskussion um höhere Strafen zu kurz, da die eigentliche Täter:innengruppe zu mehr als der Hälfte aus Minderjährigen bestehe. Hinter den Personen, die Missbrauch an Kindern und Jugendlichen begehen, verstecken sich unterschiedliche Täter:innengruppen, und das dürfe man nicht außer Acht lassen, ergänzte Hedwig Wölfl. Diese Fälle müssen differenziert betrachtet werden, so die Expertin.

In der Praxis sei es ein großes Problem, dass verhältnismäßig wenige Fälle, die in diesem Bereich angezeigt werden, tatsächlich zu einer Verurteilung führten, berichtete Barbara Neudecker. Sie und ihre Organisation begleiten Kinder und Jugendliche, die Gewalt erlebt haben, durch Gerichtsverfahren, und da müsse man laufend zur Kenntnis nehmen, dass nicht alles, was falsch sei, auch straffähig sei. Am Ende erhalte man oft die Aussage, dass das Geschehene unter kein Delikt subsummiert werden könne, und dies sende eine zweifelhafte Botschaft in Richtung Opfer, so die Expertin. Wolle man in diesem Bereich wirksame Verbesserungen herbeiführen, brauche es ernsthafte Bemühungen, die Justiz kindgerechter zu machen. Nicht nur vonseiten des Kinderschutzes, sondern auch vonseiten der Gerichte müsse ein Verständnis dafür da sein, dass die Opfer aufgrund ihres Entwicklungsstandes und auch aufgrund der durchlebten Ereignisse und ihrer Traumatisierung oft nicht in der Lage seien, jenes Material zu liefern, das Gerichte brauchen, um Missbrauchstäter:innen verurteilen zu können. Da müsse man neue Wege finden, so Neudecker.

Prävention und Therapie: Reichen die vorgesehenen Mittel aus?#

Im Kinderschutzpaket fehle ein Schwerpunkt auf Präventions- und Therapiearbeit, außerdem werden die dafür vorgesehen Mittel nicht ausreichen, prognostizierte SPÖ-Abgeordneter Oxonitsch. Wichtig sei mit Blick auf die Verwendung der Gelder, dass der Dialog mit jenen Organisationen geführt werde, die in diesem Bereich tätig seien und aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung sagen könnten, was, wo gebraucht werde. Der Abgeordnete betonte die Einigkeit der Fraktionen in der Frage des Verhinderns von Kindesmissbrauch, gab aber zu bedenken, dass noch einiges getan werden müsse, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn man das Kinderschutzpaket um diese Punkte erweitere und alle Stakeholder einbeziehe, könne daraus jedoch etwas sehr Positives werden.

Auch FPÖ-Abgeordnete Fürst attestierte Lücken bei der Präventionsarbeit, insbesondere rund um das Thema des unbeschränkten Zuganges von Kindern und Jugendlichen zur Darstellung von Gewalt und sexuellen Inhalten. Bisher gebe es keine Lösung für dieses Problem, da es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht anerkannt werde. Es sei sogar das Gegenteil der Fall, so die Abgeordnete, da Kinder unter dem Deckmantel der Digitalisierung - befeuert durch das Homeschooling während der Coronazeit - in das stundenlange Vor-dem-Laptop-Sitzen hineingedrängt worden seien.

Das Kinderschutzpaket sehe zwar härtere Strafen vor, entgegnete Grünen-Abgeordnete Neßler, das Herzstück - und sie sei selbst an den Verhandlungen beteiligt gewesen - seien aber präventive Kinderschutzkonzepte. Diese sollen greifen, bevor es überhaupt zu einem Missbrauchsfall komme. Dass noch mehr Geld nötig sei beziehungsweise einige Aspekte noch fehlten, wie von der Opposition kritisiert wurde, treffe zu, das sehe sie genauso. Wichtig sei aber, dass keine Schritte zurück gemacht werden und man zukünftig weiter daran arbeiten werde.

Kinderschutzkonzepte machen Prävention zum zentralen Thema#

Das Kinderschutzpaket sorge für eine breite Umsetzung von Kinderschutzmaßnahmen in ganz Österreich, betonte ÖVP-Mandatarin Pfurtscheller. Schulen müssen künftig Kinderschutzkonzepte ausarbeiten - dabei setzen sich die Institutionen mit Risiken für Kinder in ihrem Wirkungsbereich auseinander und definieren Maßnahmen, um diesen Risiken zu begegnen -, Vereine und Organisationen, die mit Kindern arbeiten, werden vorerst nicht verpflichtet, sondern lediglich dazu motiviert. Bedauerlich fand dies Expertin Wölfl, woraufhin die Abgeordnete erläuterte, dass große Organisationen wie die Pfadfinder oder die Kinderfreunde bereits über Konzepte verfügen und man kleine Vereine nicht unter Druck setzen wollte, ein solches erstellen zu müssen. Diese sollen vielmehr mit verschiedenen Maßnahmen, darunter einem Gütesiegel für Betreuungseinrichtungen, unterstützt werden. So wolle man zum gleichen Ergebnis kommen.

Sie sehe in den Kinderschutzkonzepten - die vorerst nur an Schulen, langfristig aber an allen Einrichtungen, in denen mit Kindern gearbeitet wird, verpflichtend sein sollen - einen enorm wichtigen ersten Schritt, so Expertin Neudecker. Es sei aber mit einem Schutzkonzept alleine nicht getan, dieses müsse umgesetzt werden und dafür seien weit mehr Ressourcen notwendig. Es reiche nicht - analog zu einem Brandschutzkonzept -, einen Plan auszuteilen, sondern das Konzept müsse flächendeckend ausgerollt und gelebt werden. Zur Diskussion des komplexen Themas Prävention gehöre auch der Aspekt, dass Kindern vermittelt werden müsse, dass sie auf ihr Gefühl hören sollen, dass sie Rechte haben und dass sie sich mit ihren Sorgen an jemanden wenden können . Expertin Wölfl bestätigte, dass es durch die verpflichtenden Kinderschutzkonzepte gelungen sei, Prävention als zentrales Thema zu positionieren. Wesentlich sei aber weiterhin, dass diese gelebt würden. Kinderschutz gelinge nur gemeinsam, zuvorderst aber seien Erwachsene dafür verantwortlich. Dennoch müssen auch Kinder sich insoweit auskennen, als sie wissen müssen, an wen sie sich wenden können, räumte die Expertin ein.

Grünen-Abgeordnete Neßler hakte ein und ergänzte, dass dazu die im Kinderschutzpaket vorgesehene bundesweite Kinderrechtekampagne - die erste ihrer Art - beitragen werde: Kinder und Jugendliche sollen in einer ihrem Alter gerechten Sprache und auf allen Kanälen, die sie bevorzugt nutzen, über ihre Rechte informiert werden, sie sollen darüber aufgeklärt werden, welche Formen von Gewalt es gibt und was sie dagegen tun und wohin sie sich wenden können. Die Kampagne werde zu einer Enttabuisierung beitragen, zeigte sich auch ÖVP-Mandatarin Pfurtscheller überzeugt. Der Gesellschaft müsse laufend der Spiegel vorgehalten werden, indem immer wieder thematisiert werde, dass es zu viele Kinder gebe, die auf die eine oder andere Art Gewalt erfahren, so die Abgeordnete abschließend.