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Politik am Ring: Wie wird der Wirtschaftsstandort Österreich krisensicher?#

Parlamentsfraktionen diskutierten über Wege aus der Krise und notwendige Veränderungen für Österreichs Wirtschaft#

Wie wird der Wirtschaftsstandort Österreich krisensicher?
Video: Parlamentsdirektion (21.6.2022)

Wien (PK) - Wien (PK) - Der Krieg in der Ukraine und die Pandemie führen uns die Schattenseiten der Globalisierung vor Augen. Die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen und die Auslagerung von wichtigen Produktionszweigen machen das österreichische Wirtschaftssystem krisenanfällig. Wie kann der Standort Österreich unabhängiger werden und wettbewerbsfähig bleiben? Darüber diskutierten gestern, 20. Juni 2022, in der von Gerald Groß moderierten Internet-TV-Sendung des Parlaments Politik am Ring Vertreter:innen der fünf Parlamentsfraktionen mit Iris Frey von Attac und Michael Löwy von der Industriellenvereinigung.

Österreichs Wirtschaft im Spannungsfeld von Corona-, Energie- und Klimakrise#

Österreich ist im europäischen Vergleich nur mehr Mittelmaß, andere Volkswirtschaften wie Schweden, Dänemark oder Finnland liegen hinsichtlich Innovationskraft, Wachstumsraten und Wettbewerbsfähigkeit deutlich vorn. Dies resultiert laut Karin Doppelbauer, Finanzsprecherin der NEOS, aus einer Vielzahl von Faktoren. Mit der beginnenden Transformation zu Zukunftsindustrien müssten insbesondere die großen Blöcke Entbürokratisierung, Lohnnebenkosten und Bildung endlich aufgearbeitet werden, Innovation und Wettbewerb fehlten in Österreich.

Walter Rauch, Umweltsprecher der FPÖ, machte unter anderem die "verfehlte" Corona- und Sanktionspolitik für die wirtschaftlichen Defizite verantwortlich. In Österreich mangle es an "Leadership", an Planbarkeit und Sicherheit für die Unternehmer:innen. Wirtschaft sei Emotion und diese sei im Moment nicht vorhanden.

Österreich sei jahrzehntelang auf der Überholspur gewesen und habe eine Erfolgsstory hinter sich, analysierte SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter, insbesondere aufgrund der Exportorientiertheit des Landes. Daraus resultierten "intensive Verflechtungen", die berücksichtigt werde müssten, doch das Niveau der Krisenbewältigung durch die derzeitige Bundesregierung sei "unterirdisch".

Das Problem, hielt Elisabeth Götze, Wirtschaftssprecherin der Grünen, fest, sei die hohe Abhängigkeit Österreichs von russischem Öl und Gas. Sehr lange habe man davon profitiert und auf Diversifizierung verzichtet, wodurch es zu einer einseitigen Abhängigkeit kam. Die notwendige Transformation sei aufwendig und teuer. Viel Geld werde in den Ausbau der erneuerbaren Energien gesteckt, diese seien eine Chance für den Standort und die Industrie. Der aktuelle Zusammenfall vieler Krisen sei einzigartig, erklärte Maria Theresia Niss, Forschungssprecherin der ÖVP. Die Industrie sei bisher sehr gut durch die Krise gekommen. Aktuell gebe es viele Notwendigkeiten, die zu beachten seien, vor allem betreffend die Themen Energie, Fachkräfte und Besteuerung. Entscheidende Schritte - Anpassung der Rot-Weiß-Rot-Karte, Abschaffung der kalten Progression, Senkung der Lohnnebenkosten - seien bereits von der Regierung gesetzt worden.

Globalisierung: Wohlstand für alle?#

Iris Frey von der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation Attac führte aus, dass die aktuellen Krisen nicht nur die Schattenseiten der Globalisierung, sondern systemische Fehler im kapitalistischen Wirtschaftssystem aufzeigten. Der ständige Ruf nach mehr Standortwettbewerb sei Teil des Problems, denn dies sei ein "Race to the Bottom" und führe dazu, dass Standards gesenkt würden. Notwendig sei ein grundlegender Umbau der Wirtschaft orientiert an den Bedürfnissen der Menschen, mit Rücksichtnahme auf Umwelt und Klima.

56% des BIPs und somit jeder zweite Euro hingen am Export und an der Globalisierung, erläuterte Michael Löwy von der Industriellenvereinigung. Globalisierung bedeute Interaktion zwischen Völkern, Tourismus, der Austausch von Waren, von Kultur, das Handeln mit Dienstleistungen und Investitionen. Die Globalisierung sei, so Löwy, unumkehrbar und die Zukunft.

Es gehe nicht darum, entgegnete Frey, ob die Globalisierung jemandem genützt habe, sondern darum, wem sie genützt habe, und dies sei der globale Norden und nicht der globale Süden. Die Globalisierung habe Wohlstand in dieses Land gebracht, aber die Frage sei, auf welcher Grundlage - Stichwort seltene Erden, Kinderarbeit. Die EU verbreite mittels Handelsabkommen Werte in Bezug auf Standards und Menschrechte, doch seien diese nicht durchsetzbar; auch im Lieferkettengesetz habe man massive Lücken gefunden.

Die Globalisierung habe Milliarden von Menschen aus extremer Armut gebracht, erinnerte Niss. Im Jahr 1990 hätten noch 1,9 Mrd. Menschen in extremer Armut gelebt, heute seien es 700 Mio., obwohl die Zahl der Weltbevölkerung gestiegen sei. Der "böse Norden" investiere und sorge dafür, dass soziale und ökologische Standards - Stichwort Lieferketten - geschaffen und umgesetzt würden.

SPÖ-Abgeordneter Matznetter gab Iris Frey recht: "So, wie es jetzt geht, geht es nicht weiter." Wie wolle man Resilienz in der Europäischen Union herstellen? Mit rein marktwirtschaftlichen Mitteln werde es nicht funktionieren, denn warum sollte jemand ein Produkt in der EU kaufen, wenn es dieses woanders billiger gebe? Eine vernünftige Planung sei vonnöten. Das Gleiche gelte für den Klimaschutz, auch dort werde es notwendig sein, dirigistische Maßnahmen zu setzen und sich von der "Laissez-faire-Form" zu verabschieden.

Was die Globalisierung angeht, wäre es wichtig, so Walter Rauch, Produktionen wie jene im Bereich Gesundheitsversorgung nach Österreich zu holen und auf regionale Entwicklung zu setzen. Von der Sanktionspolitik gegenüber Russland hätten weder Österreich noch Europa Vorteile gehabt. Österreich sei einst Weltmeister in Sachen Diplomatie gewesen, Wien Zentrum von Ost und West - dies habe man in der jetzigen Situation verabsäumt.

Elisabeth Götze betonte, dass die Globalisierung nicht per se schlecht sei, aber die Art und Weise, wie sie über Jahrzehnte gelebt wurde, nicht optimal - etwa betreffend die Ausbeutung des globalen Südens. Daher gebe es jetzt auch das Bekenntnis der EU, Verantwortung dafür zu übernehmen, wie produziert werde, wie soziale Standards und Umweltstandards ausgestaltet seien, etwa mit dem Lieferkettengesetz.

In Europa und Österreich müsse man sich von diesem kapitalismuskritischen Ansatz lösen, diagnostizierte Doppelbauer, weil Kapitalismus über Jahrzehnte Wohlstand gebracht habe. Diese "Dämonisierung" von Unternehmer:innen müsse sehr ernsthaft diskutiert werden, denn wirtschaftliche Prosperität, Innovationsfähigkeit und soziale Sicherungssysteme gingen Hand in Hand. Wenn man die Wirtschaft nicht unterstütze und in die Zukunft bringe, dann werde es die sozialen Standards und Leistungen, wie sie im Augenblick existierten, nicht mehr geben. Faktum sei: Globalisierung habe Wohlstand gebracht.

Von der Energiekrise zur Energiewende#

Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen sei Common Sense in Österreich und Europa, nur gebe es unterschiedliche Vorstellungen, wie dieser vonstattengehen solle, so Löwy. Es brauche Maßnahmen, um die Energiequellen zu diversifizieren; Verfahren im Zuge der Energiewende, der Energietransformation gehörten beschleunigt. Einen Preisdeckel erachtete er nicht als sinnvoll, das marktwirtschaftliche System aus Angebot und Nachfrage sei der Motor aller Dinge.

Damit stimmte Abgeordnete Niss (ÖVP) überein: Es brauche schnellere UVP-Verfahren, schnellere Genehmigungen für den Ausbau, dann habe die Industrie gute Chancen. Wichtig sei eine rasch voranschreitende Diversifizierung, was Energiequellen, zum Beispiel LNG, also Flüssigerdgas, angehe.

Doppelbauer kritisierte, dass die Energieabhängigkeit von Russland hausgemacht sei: durch "russlandfreundliche Manager" in der OMV, "willfährige Politiker", die dies unterstützten, und weil die Wirtschaftskammer dahinter gewesen sei. Kurzfristige Veränderungen seien sehr schwierig umzusetzen, Österreich habe es auch verabsäumt, Infrastrukturen, die zur Verfügung gestanden wären, zu nutzen.

In den vergangenen Monaten sei bereits viel umgesetzt worden, erläutert Götze: das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das Erneuerbare-Wärme-Gesetz. Auch mit dem Klimaschutzgesetz müsse man - das sage sie auch in Richtung Koalitionspartner - rasch ins Tun kommen. Es gehe darum, die Industrie zu unterstützen, auf Strom umzusteigen, aber auch darum, Energie einzusparen. Das gehe aber nicht von heute auf morgen.

Die erneuerbare Energieträger seien wichtig, so Walter Rauch, aber sie seien "nicht der Weisheit letzter Schluss" - da müsse man realistisch sein und dies den Menschen auch sagen. Im März oder April sei hinsichtlich der Buchung von Gasreserven noch viel möglich gewesen, nun, Mitte Juni, seien alle Kapazitäten erschöpft und man müsse sich jetzt darauf verlassen, dass sich die Europäische Union solidarisch verhalte.

Abgeordneter Matznetter betonte, es sei geradezu absurd, zu sagen, dass in den nächsten fünf Jahren umgestiegen werden könne. Die Gesamtanstrengung für die Klimapolitik sei allein nicht zu schaffen, sondern müsse eine globale und gemeinschaftliche sein. LNG-Terminals seien nicht in ein bis zwei Jahren herzustellen. Würde das Gas jetzt abgedreht werden, befinde man sich in einer echten Krisensituation.

Österreich spiele in vielen Bereichen industrieller Fertigung weltweit in den obersten Ligen mit, erläuterte Löwy. Um diese Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, seien drei Faktoren entscheidend: Ausbildung und Fachkräfte; Forschung und Entwicklung; Steuerpolitik und Lohnabgaben - Österreich sei jedoch ein Hochsteuerland.

Dem widersprach Frey: Österreich sei kein Hochsteuerland, die Steuern seien in der Vergangenheit kontinuierlich gesunken. Im öffentlichen Interesse sei die Versorgung der Menschen mit Wohnraum, Lebensmitteln und Energie; zahlen sollten für die notwendige Transformation die Konzerne und die Reichen. In Österreich gebe es viel Spielraum für Vermögens- und Unternehmenssteuern, aber die Maßnahmen der Politik blieben aus.

Was tun gegen die Inflation?#

Laut Löwy habe die Inflation viele Ursachen, neben dem Russlandkonflikt und der Corona-Pandemie seien viele Ökonom:innen der Meinung, dass die EZB die Zinsen hätte früher erhöhen müssen. Ein vernünftiges Paket sei von der Bundesregierung umgesetzt worden, nun gelte es, kühlen Kopf zu bewahren und abzuwarten.

Christoph Matznetter kritisierte das Entlastungspaket der Regierung dahin gehend, dass von den 28 Mrd. € keine einzige Maßnahme inflationssenkend sei, stattdessen sei eine "Almosenschiene" gewählt worden, vieles basiere auf Einmalzahlungen. Betreffend die EZB wisse man zudem, dass die Hebel der Zentralbanken nicht mehr greifen würden.

Verantwortlich für die Inflation sei die verfehlte Geldpolitik der EZB in den vergangenen Jahren, so Walter Rauch. Der Überfluss an Geld habe nun zu diesem Ergebnis geführt. Was die 28 Mrd. € betreffe, so sei dies "ein Tropfen auf den heißen Stein".

Geht es nach NEOS-Abgeordneter Doppelbauer, hätten die Banken früher reagieren müssen. Von den 28 Mrd. € lägen lediglich 6 Mrd. € in Form von Maßnahmen auf dem Tisch, und diese würden nach dem Prinzip Gießkanne verteilt - Stichwort Klimabonus. Interessant würde in diesem Zusammenhang auch die Umsetzung der "teilweisen Abschaffung" der kalten Progression.

Arbeitskräftemangel: eine Frage des Angebots?#

Der Arbeitskräftemangel sei ein Problem für die Industrie und den gesamten Standort, nicht nur was Fachkräfte betrifft, so Löwy. Wesentlich sei auch, mit dem Einkommen auskommen zu können, hielt FPÖ-Abgeordneter Rauch fest. Christoph Matznetter erklärte, dass junge Menschen eine veränderte Work-Life-Balance lebten, man müsse ihnen gute Angebote machen, und sprach sich für eine Viertagewoche aus. Für Karin Doppelbauer werde den Jungen mit dieser Aussage Unrecht getan; es gehe ihnen vielmehr um "Meaning and Sense in Life", um den "Impact", den sie hätten. Wesentlich seien zudem gezielte Zuwanderung und lebenslanges Lernen.

Frey diagnostizierte, dass sie und Menschen in ihrem Alter sich weniger Gedanken über die Arbeit machten als über die Vielfachkrise und darüber, froh zu sein, wenn sie und nachfolgende Generationen noch leben könnten. Sie würde sich für die zukünftigen Generationen auch ein so "nettes Leben", wie es die anderen Diskussionsteilnehmer:innen gehabt hätten, wünschen.

Grünen-Abgeordnete Götze betonte, dass man bei den Arbeitskräften vor allem Frauen, die arbeiten wollten, aber aufgrund der Rahmenbedingungen nicht könnten, unterstützen wolle; gerade im Tourismus seien die Bedingungen familienfeindlich. Die bestehenden Probleme könnten nur durch Technologie, Innovation und Forschung gelöst werden, hob ÖVP-Abgeordnete Niss hervor, und nicht durch Verzicht. Ein ganz wesentlicher Punkt zum Thema Fach- und Arbeitskräfte sei, dass man den Anreiz, zu arbeiten, erhöhen müsse; eine Viertagewoche gehe sich nicht aus, resümiert Niss.

Die nächste Sendung von Politik am Ring findet am Montag, dem 19. September 2022, statt. Sie wird wieder live ab 21 Uhr in der Mediathek des Parlaments übertragen. Alle Folgen von Politik am Ring sind dort dauerhaft abrufbar. (Schluss) abe

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