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Helga Maria Wolf

Fronleichnam#

Fronleichnamsprozession beim Palais Liechtenstein, Wien 9, 1879, Foto: Josef Mutterer
Fronleichnamsprozession beim Palais Liechtenstein, Wien 9, 1879, Foto: Josef Mutterer

Seit mehr als 750 Jahren (1264) feiern Katholiken Fronleichnam. Der Termin des Hochfestes war seit Beginn der Donnerstag nach dem Dreifaltigkeitssonntag, der 60. Tag nach dem Ostersonntag, zwischen 21. Mai und 24. Juni. Im konfessionellen Zeitalter war der wegen seiner demonstrativen Schaubräuche populäre "Prangtag" umstritten. Die evangelischen Christen lehnten ihn strikt ab, die katholischen feierten ihn umso prächtiger. Die deutsche Wort Fronleichnam (Fron - Herr, Lichnam - lebendiger Leib) bezeichnete ursprünglich das Allerheiligste, den Herrenleib (mhd. fronlichnam). Dies bezeugt beispielsweise eine Urkunde aus dem Jahr 1288. Damals stiftete die spätere römisch-deutsche Königin Elisabeth (um 1262-1313), die Gemahlin Herzog Albrechts von Habsburg, im Kapitelsaal des Stiftes Klosterneuburg einen Altar zu Ehren des Gottsleichnams.

Das fromme Volk sah das (seit 1969 so genannte) "Hochfest des Leibes und Blutes Christi" als wichtigstes im Kirchenjahr an. Das Ideenfest hat keine biblische Grundlage, es geht auf Visionen der Klosterfrau Juliana von Lüttich (ab 1209) zurück. Die Prozession kam etwas später dazu. Die hl. Juliana (um 1193 - 1258) stammte aus Retinne bei Lüttich (Belgien). Ihre Eltern, angesehene Bürger, blieben lange kinderlos, ehe sie ihre Töchter Agnes und Juliana bekamen, und sie starben, als diese noch Kinder waren. Der Vormund übergab die Vollwaisen dem Kloster der Augustiner-Chorfrauen von Mont Cornillon (Kornelienberg) zur Erziehung, wo Juliana mit 13 Jahren die Profess ablegte. Drei Jahre nach dem Klostereintritt begannen ihre Visionen: Es erschien ihr die glänzende Mondscheibe mit einer dunklen Stelle, die sie als Fehlen eines besonderen Festes zu Ehren der Eucharistie interpretierte. Juliana wurde 1225 Priorin, 1230 Oberin des Konvents, den sie streng führte. Bei ihren Mitschwestern war Juliana unbeliebt, sie vertrieben sie zweimal aus dem Kloster. 1248 kehrte sie nicht mehr zurück. Der Bischof von Lüttich unterstützte sie, half ihr bei den Konvents-Konflikten und führte 1246 das Fronleichnamsfest in seiner Diözese ein. 1264 veröffentlichte Papst Urban VI. die Bulle "Transiturus de hoc mundo". Damit ist Fronleichnam das erste von einem Papst allgemein dekretierte Fest. Da er aber kaum zwei Monate später starb, begingen es nur wenige Diözesen und Orden. Erst das Konzil von Vienne (Frankreich) 1311/12 und die neuerliche Publikation unter Papst Johannes XXII. (1317) führten zur weiteren Ausbreitung. Nach der Überlieferung schrieb der Dominikaner Thomas von Aquin (um 1225 - 1274), einer der einflussreichsten Philosophen und Theologen der Geschichte und Kirchenlehrer, die Messtexte und Gesänge.

Das neue Fest lag im Zeitgeist. Die Priester feierten "Privatmessen". Für die Gläubigen blieb der Gottesdienst mit seinen lateinischen Gesängen eine geheimnisvolle Zeremonie. Sie betrachteten die Messe als heiliges Schauspiel, das sich vor ihren Augen vollzog. Um an den Gnaden Gottes Anteil zu haben, fanden sie sich - auch mehrmals täglich - vor dem Altar ein. Das um die Wende zum 12. Jahrhundert üblich gewordene "Emporheben der Gestalten bei der Wandlung" (Elevation) entsprach dem Schauverlangen der mittelalterlichen Menschen. Der Anblick der konsekrierten Hostie ersetzte die sakramentale Kommunion, die den einfachen Gläubigen nur selten gestattet war. Wenn man den Leib des Herrn bei der Wandlung gesehen hatte, war man befriedigt. In den Städten lief man von Kirche zu Kirche, um möglichst oft die erhobene Hostie zu sehen, weil man davon geistlichen Gewinn erhoffte. Prozesse wurden geführt, um sich in der Kirche einen günstigen Ausblick auf den Altar zu sichern. Es wird auch von Gemeinden berichtet, in denen ein Großteil der Gläubigen erst beim Zeichen der Wandlung in die Kirche eintrat und sie dann wieder fluchtartig verließ.

Dem zur Schau stellen des Allerheiligsten außerhalb der liturgischen Handlung diente die Monstranz. Die "Aussetzung" erfolgte bei Hochämtern, Messen und beim Chorgebet, zu Fronleichnam und anderen Festtagen. Die Monstranz mit dem "hochwürdigsten Gut" galt als das wirksamste Mittel zur Abwehr von Gewittern, bösen Geistern oder realer Feinde. Die hl. Klara (1193-1253) soll damit die Sarazenen aus ihrem Kloster in Assisi vertrieben haben. Im Mittelalter und in der Barockzeit entstanden Schaugefäße aus Gold und Silber, mit Figuren und Edelsteinen. Die um 1470 entstandene Messerermonstranz von Waidhofen/Ybbs ist mehr als einen Meter hoch. Auftraggeber war die der Zunft der Messerschmiede (Messerer), die sie der Stadtpfarrkirche schenkte. Die Klosterneuburger Schleiermonstranz ist 80 cm hoch und 52 cm breit. Sie stellt die Gründungslegende des Stiftes dar: Die Monstranz ist der Holunderbaum, auf dem der heilige Leopold den verlorenen Schleier seiner Frau Agnes gefunden haben soll. 1714, zur 600. Wiederkehr der Grundsteinlegung der Stiftskirche entstanden, zählt sie zu den am meisten bewunderten Werken der europäischen Goldschmiedekunst.

Eine besondere Rolle spielt die Monstranz am Fronleichnamstag, wenn der Priester darin die Hostie unter einem Baldachin ("Himmel"), von einer Prozession festlich gekleideter Gläubiger begleitet, durch den Ort trägt. In den Städten waren die Mitglieder der Handwerkerzünfte bei Strafe verpflichtet, mit Fahnen und Lichtern am Umgang teilzunehmen. 1458 hieß es in der Schneiderordnung von St. Pölten: "Auch Ist der gesellen und der junger aller guter willen und aufsacz, daß sie jährlich am goczleichnamstag in die process umgehen und gehorsam sein sullen. Wer das nit tet der soll verfallen sein in die puchsen ain vierdung wachs zu geben ohn all aufczug." In der Ordnung der Hackenschmiede von Ybbsitz gab es 1670 die Bestimmung: "Also auch und nit weniger am fest des hochheiligen fronleichnams Christi ein jeder meister und gesell bei der gewöhnlichen procession sich gehorsamlich einstellen, derselben mit ihren fahnen, seitenspiel, kertzen und windliechtern andächtig beiwohnen und das heilige sacrament in feiner ordnung beglaiten helfen."

Über die "Vielzahl der Möglichkeiten der engeren oder weiteren Bindung" an das Festgeschehen schrieb Leopold Schmidt: "Der Pfarrer, der in der Fronleichnamsprozession das Allerheiligste trägt, hat nicht die gleiche Einstellung zu dem Fest wie die gläubige Bäuerin, die am Straßenrand niedergekniet ist. Die Burschen haben am Vorabend die Birkenbäumchen im Holz geschlagen und freuen sich nun, dass die Hausväter die schmalen, kaum begrünten Besen richtig aufgestellt haben. Die Hausmütter aber warten schon mit Ungeduld darauf, sich gleich nach dem Vorbeizug des Allerheiligsten, nach dem Verklingen des Evangeliums am Hausaltar, auf diese grünen Reiser stürzen zu können. Sie tragen die handfeste Besegnung mit ihnen ins Haus hinein, und das grüne Birkenreis hinterm Heiligenbild wird das kommende Jahr über das Haus vor Gewitter schützen. Welche Vielheit der verschiedenen Bindungen, welche oft durch keinerlei Brücke verbundenen Unterschiede, ja Gegensätze im komplexen Ganzen eines einzigen derartigen Brauches." In seinem Standardwerk "Volkskunde von Niederösterreich" widmet sich Schmidt ausgiebig dem Fronleichnamsgrün. Er zitiert einen Prediger namens Arpagaus (1706): "Jede Blum dann an eweren Kräntzlein, jeder Ehrenbaum durch die Gassen und vor den Häusern, alles Gewand und was sonst Schönes jedes Haus hat, vor den Fenstern, alles Geläut in den Türmen … gereichet zur Vermehrung der Heiligkeit Seines Namens." Das Bestreuen der Straßen mit Gras, Laub und Reisig konstatiert Schmidt schon für das Mittelalter, ebenso das Aufstellen von (Birken-)bäumchen entlang des Prozessionsweges. In Perchtoldsdorf schaffte man ganze Wagenladungen Reisig zum Schmuck der Kirche, Altäre und Straßen herbei. In St. Pölten beklagte man zur Reformationszeit, dass in der protestantisch gewordenen Stadt weder "grünes Gezweige" aufgestellt noch, wie es früher der Brauch war, die Straßen mit Gras bestreut wurden. Es waren wohl Salzburger Holzknechte, die den Brauch der mehrere Meter langen mit Blumengirlanden umwickelten Prangstangen nach Rohr im Gebirge brachten. Die Stangen werden bei der Prozession mitgetragen und nach dem Umgang abgeräumt, um die Blumen als geweihten Grünschmuck im Sinn eines Gewitterschutzes für Haus und Hof zu verwenden.

Erschienen in der Zeitschrift "Schaufenster Kulturregion", Juni 2015


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