Die Wissenschaft und ihre Feinde #
Von der Wiener Zeitung (19. November 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
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Die Bemerkung des Rektors der Universität Klagenfurt, dass sich impf- und wissenschaftsskeptische Studenten überlegen sollten, ob eine Universität der richtige Ort für sie sei, hat für Aufregung und Empörung gesorgt. Das Aussprechen einer Selbstverständlichkeit wird als Provokation empfunden. Dass Universitäten und alle, die in unterschiedlicher Weise mit ihnen verbunden sind, den methodischen Prinzipien der Rationalität verpflichtet sind, sollte sich eigentlich schon herumgesprochen haben. Das Unbehagen, das dennoch geäußert wird, lässt nicht nur tief blicken, sondern verweist auch darauf, dass das Selbstverständnis der Universitäten als wissenschaftliche Einrichtungen womöglich brüchig geworden ist.
Der Protest studierender Impfskeptiker gegen die Zumutung, auf einen Modus der Erkenntnis festgelegt zu werden, der in der Tradition der europäischen Aufklärung steht, ist nur die Spitze eines Eisberges. Die im Zuge der Corona-Pandemie offen zutage tretende und viel beklagte Wissenschaftsfeindlichkeit größerer Bevölkerungsgruppen ist kein österreichisches Spezifikum. An vielen amerikanischen und auch europäischen Universitäten herrscht eine Atmosphäre, in der ideologische Positionen wichtiger zu sein scheinen als triftige Argumente. Persönliche Betroffenheiten triumphieren über das Objektivitätsgebot der Forschung. Gerade im Bereich der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften machen sich ein Dogmatismus und eine Verhärtung der Standpunkte bemerkbar, die den freien Austausch von begründeten Reflexionen zunehmend erschweren. Um einen solchen geht es jedoch an akademischen Institutionen, nicht um die Artikulation von Meinungen. Die Freiheit des Denkens ist etwas anderes und hat einen anderen Stellenwert als die Propagierung von Weltanschauungen in diversen Medien.
Der aktuelle Fall der britischen Philosophin Kathleen Stock an der University of Sussex kann als Beispiel für wissenschaftsfeindliche Tendenzen im Innersten der Hochschulen gewertet werden. Stock hatte in der emotional aufgeladenen Genderdebatte die Auffassung vertreten, dass das biologisch bestimmte Geschlecht eines Menschen nicht durch einen Akt der Umbenennung einfach außer Kraft gesetzt werden kann. Obwohl Genetik und Humanbiologie diese These stärken, geriet Stock unter den Verdacht, transphob zu sein, und es begann eine medial inszenierte und aktionistisch exekutierte Hetzjagd, die dazu führte, dass die Professorin entnervt die Universität verließ. Es ging dabei nicht um einen intellektuellen Disput, der ja durchaus heftig sein darf, sondern darum, eine Hochschullehrerin, deren Thesen man nicht hören wollte, beruflich zu vernichten. Besonders verstörend: An dieser unsäglichen Kampagne beteiligten sich auch renommierte Forscher, darunter Professoren deutscher Universitäten.
Man soll sich nichts vormachen. Vor allem in politisch brisanten Disziplinen - und seit Corona gehören selbst Virologie und Epidemiologie dazu - war und ist der Grat zwischen Ideologie und Wissenschaft ziemlich schmal. Die vermeintlich gute Gesinnung gilt manchen mehr als jede empirische Evidenz oder theoretische Stringenz. Darüber hinaus ist auch die akademische Welt vor allzumenschlichen Regungen wie Eitelkeit, Neid, Rücksichtslosigkeit und Machtgier nicht gefeit. Wer am Ideal von Wissenschaft als einem wertfreien, vernunftgeleiteten, dialogischen Unternehmen festhalten will, muss an zwei Fronten kämpfen: gegen Irrationalität und Verschwörungsfantasien auf der einen, gegen die schleichende Ideologisierung und Moralisierung von Forschung und Lehre auf der anderen Seite. Doch diese beiden Formen des Ungeists haben miteinander zu tun: Forcierten zahlreiche Bildungseinrichtungen nicht den Irrglauben, dass die subjektive Empfindlichkeit das entscheidende Kriterium für Wahrheit sei, hätte sich Oliver Vitouch seine scharfen Worte wahrscheinlich sparen können.