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Am Käferfeiertag nach Mariabrunn#

Geplagte Bauern auf Wallfahrt zum Kloster an der Wien.#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 5. August 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Alfred Schiemer


Mariabrunn in der Frühneuzeit
L. ob.: Mariabrunn in der Frühneuzeit. Darunter: Zwei Blicke auf Alt-Ottakring. Daneben: Weinkenner anno dazumal.
Foto: © Wiener Zeitung

Was hat der bislang größte österreichische Korruptionsskandal mit dem seit Jahrhunderten besuchten Wallfahrtsort Mariabrunn (heute Teil des 14. Wiener Bezirks) zu tun?

Knappe Antwort fürs Erste: Mit der eigentlichen Historie der Stätte nichts, aber mit Pilgern von einst und deren Nöten sehr viel!

Ein im Bezirksmuseum Wien XVI (danke für Repro-Vorlage!) ausgestelltes Mariabrunner Votivbild, das ins Jahr 1680 führt, erzählt mehr. Es lässt spüren, was die meisten Menschen bedrückte: Sorge ums nackte Überleben. Auf dem Gemälde ziehen Bauern aus dem Dorf Ottakring (Ausschnitte mit Ortsansichten in der oberen Bildleiste) über Wienerwaldhügel zum Wallfahrtsziel. Wie die lokale Chronik berichtet, fand der Bittgang stets im Frühling am sogenannten Käferfeiertag statt: Man flehte um Schutz für die Rebenkulturen - dem Haupterwerbszweig der Alt-Ottakringer, den der Reb(en)stecher, ein Rüsselkäfer, arg bedrohte.

Am 9. April 1680, auf den die Votivtafel Bezug nimmt, quälte die Wallfahrer im Gotteshaus des am Wienfluss gelegenen Klosters der Augustiner-Barfüßer in Mariabrunn noch Schlimmeres. Etwa 200 der rund 600 Ottakringer hatte eine Pestepidemie dahingerafft; erst Wochen zuvor war die Seuche erloschen. Zum Leid um verlorene Angehörige kam die bange Frage, ob die dezimierte Gemeinde die Pflege der Riede bzw. die Lese allein schaffen würde. Für Hauerknechte (= Arbeiter) fehlten Barmittel.

Niemand griff den Bedrängten tatkräftig unter die Arme. Die unmittelbare Obrigkeit, die Stiftsherrschaft Klosterneuburg, erließ in derartigen Fällen meist gewisse (ohnehin uneinbringliche) Abgaben. Das war ein Tropfen auf den heißen Stein. Von der höchsten Stelle, der Hofburg, durfte man freilich rein gar nichts erwarten. Landesherr Kaiser Leopold I. , der ohnehin wenig fürs Volk übrig hatte, besaß keinen roten Heller in der Staatskasse!

Bauern im 19. Jh. beim Kirchgang
Bauern im 19. Jh. beim Kirchgang. Mit ähnlichem Ernst kamen wohl die Ottakringer bis 1788 nach Mariabrunn.
Foto: © Wiener Zeitung

Seit langem war darüber gemunkelt worden, 1680 wurde es Gewissheit: Der mit dem Titel eines Hofkammerpräsidenten ausgestattete Finanzminister Georg Ludwig Sinzendorf hatte Unsummen in die eigene Tasche gewirtschaftet.

Offiziell handelte es sich um ungefähr 2 Millionen Gulden - rund ein Drittel der jährlichen Einnahmen des Staates (ohne das damals großteils osmanische Ungarn) aus Abgaben.

Dieses Betrugsausmaß steht in Österreichs Geschichte einmalig da, wobei anzumerken bleibt, dass der Schaden durchaus höher ausgefallen sein kann. Der im Oktober 1680 beendete Prozess gegen Graf Sinzendorf ging in Linz hinter verschlossenen Türen über die Bühne; das Verfahren war von Wien abgezogen worden, um den Unmut des Volkes in Kaiserresidenz und Umkreis nicht weiter zu steigern. Dafür wuchs die Wut der Oberösterreicher, von denen 600 zum öffentlichen Urteil erschienen...

Dem korrupten Minister wurde formell Schadenersatz von 1,97 Millionen Gulden auferlegt, seine Güter zog man ein; der Verurteilte starb wenig später. Nach Mittätern suchte man nicht intensiv. Kein Wunder, war doch der Hauptverantwortliche der Kaiser selbst. Jahrzehnte hindurch hatte er dem Treiben seines Hofkammerpräsidenten zugeschaut und Warnungen in den Wind geschlagen. Erst als private Geldgeber dem Staat Kredite verweigern wollten, bewilligte der Monarch strafrechtliche Schritte.

Den Ottakringer Winzern brachte auch diese Wendung nichts. Sie konnten lediglich anpacken, hoffen und beten - nicht zuletzt am Käferfeiertag, der bis 1788 begangen wurde.

Damit zu Mariabrunn, das nachweislich seit 1610 Wallfahrer anzieht. Wie viele mögen es seither gewesen sein? Jedenfalls kamen bzw. kommen Pilger aus vielen Gegenden und keinesfalls allein aus dem vom Reb(en)stecher heimgesuchten Wienerwalddorf.

Landleute des Habsburgerreiches bei ihrer harten Arbeit
Landleute des Habsburgerreiches bei ihrer harten Arbeit, die man lange Zeit in der Hofburg nicht schätzte (rechts Karl VI., daneben Leopolds I. Minister G. L. Sinzendorf).
Foto: © Wiener Zeitung

Als Vorläuferin der 1639- 1655 errichteten Mariabrunner Kirche gilt eine im 11. Jh. entstandene hölzerne Kapelle, die man für eine Marienstatue zimmerte. Laut Legende fand Ungarns Königin Gisela die Skulptur bei einer Quelle unweit der Wien (die später heiliggesprochene Gisela, Gattin von Ungarnkönig Stephan und Schwester von Kaiser Heinrich II., starb 1033). Der nach Maria benannte "Brunn" gab dem Ort den Namen. Das dort 1639 gegründete Kloster, nun Forstliche Versuchsanstalt, bestand bis 1829.

Übrigens besuchten auch in der Frühneuzeit gekrönte Häupter die Gefilde - freilich nicht immer in frommer Absicht, wie eine Meldung im "Wienerischen Diarium" vom 8. Augusti 1736 beweist: Kaiser Karl VI. hatte sich demnach vier Tage zuvor in dem Gebiet mit einer Hirschen-Pirsch belustiget.

Kloster, Kirche und Marienstatue ließ er links liegen. Heilig war ihm am 4. August 1736 offensichtlich nur die Jagd, für die Dutzende Bauern ihre Feldarbeit stehen lassen mussten, um Treiberdienste zu leisten.

Wiener Zeitung, Freitag, 5. August 2011