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Der König stirbt nie #

Eine neue Biografie über den Historiker Ernst Kantorowicz, der vor 125 Jahren geboren wurde. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (30. April 2020)

Von

Oliver vom Hove


Ernst Kantorowicz
Schillernder Dandy. Ernst Kantorowicz, der gefeierte Mediävist mit dem turbulenten Privatleben, war zeitlebens eine charismatische Erscheinung.
Foto: Klett-Cotta

Mit nur 32 Jahren war der Historiker Ernst Kantorowicz einst schlagartig der Star am Firmament seiner Zunft. Der Grund war seine allererste Buchveröffentlichung: Mit der ebenso farbenprächtigen wie kenntnisreichen Biografie des Stauferkaisers Friedrich II. hatte der Stefan-George-Jünger 1927 auf dem Buchmarkt in Deutschland Furore gemacht.

Die Überraschung war umso größer, als der am 3. Mai 1895 in Posen geborene jüdische Fabrikantensohn bislang mit Ausnahme einer wirtschaftshistorischen Doktorarbeit als Geschichtsschreiber nicht in Erscheinung getreten war. Mit 32 Jahren ein gefeierter Star der Mediävistik zu sein war nicht nur damals eine Provokation für die angestammte Historikerzunft. Sie versuchte denn auch ausgiebig, den bunt gefiederten Dandy-Vogel, der stets hochmodisch als Bonvivant in Erscheinung trat, in die quellenkritische Mangel zu nehmen. Den positivistisch eingeschworenen deutschen Gelehrten missfiel die glanzvolle Sprache wie auch die Anbindung an das im George-Kreis vorherrschende Konzept eines „Geheimen Deutschlands“, das als ästhetisches Idealreich die Größe der geistesgeschichtlichen Vergangenheit einem geistfeindlichen „Mythos des 20. Jahrhunderts“ und proletarischen Nazitum entgegensetzen sollte. Als umfassend gebildeten, so fortschrittlichen wie fremdenfreundlichen Monarchen hat Kantorowicz den Stauferkaiser geschildert, der schon zu Lebzeiten als stupor mundi („das Staunen der Welt“) bezeichnet wurde. Indes spiegelte sich in dem Jugendwerk auch der autoritäre Zeitgeist wider, der mit elitärem Gestus über den demokratischen Verfassungsstaat hinweg sich in prunkvoller Beschwörung eines verlorenen kulturgeschichtlichen Erbes erging.

Obwohl am großen Hallenser Historikertag 1930 heftig angefeindet, wurde der Staufer-Biograf Kantorowicz noch im selben Jahr ohne Habilitation auf den Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte in Frankfurt/M. berufen. Dort holte er nach Hitlers Machtergreifung 1933 vom Katheder herab zu einer Abrechnung mit der Nazi- Ideologie aus, wie es damals außer Kantorowicz kein deutscher Professor wagte. Vor brechend vollem Hörsaal beschwor er im Sinne Georges das „‚wirkliche Deutschland‘, das sich in dem ‚geheimen Reich‘ verbirgt“. (Der Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg soll später, am 20. Juli 1944, vor dem Erschießungskommando die George-Parole „Es lebe das Geheime Deutschland!“ gerufen haben). Zwar verlor Kantorowicz seine Professur, doch das Ministerium bot ihm die Emeritierung bei vollen Bezügen an: Als 19-jähriger „national gesinnter Jude“ hatte er sich 1914 zum Kriegsdienst gemeldet, war in den Schützengräben von Verdun verwundet und später mehrfach ausgezeichnet worden.

Neuer Lebensabschnitt in Amerika #

Dennoch floh der 43-jährige Emeritus im Dezember 1938, nach der Pogromnacht, in die USA. In der voluminösen Lebensgeschichte Kantorowicz’ des amerikanischen Mediävisten Robert E. Lerner lässt sich nachlesen, welch mäanderndem Lebensweg diese deutsch-jüdische Gelehrtenexistenz im 20. Jahrhundert zu folgen hatte. Die amerikanischen Jahre zwangen ihm anfangs ein äußerst ungesichertes Leben auf. 1945 erhielt er endlich eine Professur in Berkeley, die er fünf Jahre später entschlossen verloren gab, als er den in der McCarthy-Ära geforderten antikommunistischen Loyalitätseid verweigerte. Damit setzte er sich, der als junger Kämpfer, auch wider den Spartakusaufstand 1919, dem rechten politischen Spektrum angehört hatte, aus Gründen der Lehr- und Meinungsfreiheit entschieden für die bedrohten linken Kollegen ein.

Kantorowicz wurde entlassen, doch unversehens sprang das renommierte „Institute for Advanced Study“ in Princeton ein, wo er nunmehr ungestört forschen konnte. In seiner epochalen Studie über „Die zwei Körper des Königs“ legte er 1957, wie er als Absicht in seinem Epilog vermerkt, nichts weniger als „einen Markstein christlicher politischer Theologie des Mittelalters“ frei. Exakt drei Jahrzehnte zuvor hatte er sein Lebensbild Friedrichs II. mit dem sibyllinischen Spruch „Er lebt und lebt nicht“ beendet und damit auf das Weiterwirken der politischen Gestalt des Kaisers verwiesen. Nun untersuchte er in seinem Spätwerk mit tiefgründiger Akribie die Doppelnatur des Königs im mittelalterlichen Verständnis: Der leibliche Körper des Königs ist sterblich, der politische indes, durch Gottesgnadentum, unsterblich. Der Autor zitiert einen anonymen normannischen Geschichtsschreiber des Hochmittelalters: „Wir haben im König eine doppelte Person zu erkennen; die eine kommt von der Natur, die andere von der Gnade; eine, durch die er kraft der Bedingung der Natur mit anderen Menschen übereinstimmt; eine andere, durch die er kraft der Eminenz seiner Vergöttlichung und durch die Kraft des Sakraments (der Konsekration) alle anderen überragt.“ Entscheidend für das christliche Konzept des Königtums wurde, so Kantorowicz, das paulinische Verständnis der Kirche als corpus christi, das im Wechsel vom mittelalterlichen corpus ecclesiae mysticum („mystischen Leib der Kirche“) bis zum corpus rei publicae mysticum („mystischen Leib des Staatswesens“) reicht, mit einem König, dessen Legitimität durch göttliche Würde begründet ist. Daraus wurde im Spätmittelalter, in der Rechtssprache englischer Juristen der Tudorzeit, „The King’s Two Bodies“: eine mystische Fiktion, die das christologische Bild des Königs im Sinn einer säkularen Theokratie fortsetzt. In den Königsdramen Shakespeares, namentlich in „Richard II.“, fand Kantorowicz das Konzept von der dualen Natur des Königs („Mit Größe zwiegeboren“) wieder, preisgegeben dem Verfall durch skrupellose Gewalt.

Mit dieser Arbeit über die „Mysterien des Staates“ krönte der Gelehrte sein Lebenswerk. Zeitlebens eine charismatische Erscheinung („Bel Kanto“ genannt), war er schillernd auch durch sein gegenüber Frauen wie Männern gleichermaßen aufgeschlossenes Liebesleben. 1963 starb er, von seinen Schülern verehrt, in Princeton. Eine der letzten Besucherinnen war die Zeit- Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, mit der er seit ihren Studienzeiten in Frankfurt eng verbunden war. Sie blieb die einzige Frau, mit der der notorische Junggeselle, auch gedrängt durch ihren Wunsch, je die Ehe erwogen hat.

Buchcover: Ernst Kantorowicz. Eine Biographie

Ernst Kantorowicz. Eine Biographie

Von Robert E. Lerner

Klett-Cotta 2020

554 S., geb,

€ 49,30

DIE FURCHE (30. April 2020)