Des Kaisers eiserne Faust #
Weltweit kennt man den Radetzkymarsch, aber Radetzky selbst gerät in Vergessenheit. Vor 250 Jahren wurde Kaiser Franz Josephs berühmtester Feldherr geboren. Eine Erinnerung. #
Mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von der Kleinen Zeitung (Sonntag, 30. Oktober 2016)
Von
Christian Weniger
Das war ein Adeliger aus der Monarchie, oder?“ – „Ein österreichischer General, aber was hat der gemacht?“ – „Hat der nicht irgendetwas mit diesem Radetzkymarsch zu tun?“ Ein echter Begriff ist dieser Radetzky jungen Leuten nicht mehr. Wenngleich ihnen der Name nicht ganz unbekannt ist – denn: Ja, Radetzky hat tatsächlich etwas mit dem Radetzkymarsch zu tun.
Im Sommer 1848 feiert die von Revolution gebeutelte Habsburgermonarchie ihren Helden, den Feldmarschall Johann Joseph Wenzel Graf von Radetzky von Radetz. Der Heerführer schlägt den Aufstand in der Lombardei nieder, er vernichtet die Armee der Piemontesen, die das zerstückelte Italien unter ihre Krone bringen und sich dieses noch habsburgische Königreich einverleiben wollen. Radetzky siegt bei Santa Lucia, bei Vincenza, bei Custozza. Franz Grillparzer, Hofrat und Dichter, jubelt schwülstig in seiner Hymne auf den siegreichen Feldmarschall: „In deinem Lager ist Österreich.“
Und Johann Strauß Vater komponiert einen Marsch, der schon wenige Tage nach den Siegen in Wien bei einer Feldmesse zum Gedenken an die Opfer des italienischen Feldzugs erklingt. Jahrzehnte später wird Joseph Roth seinen großartigen literarischen Abgesang auf die untergegangene österreichisch- ungarische Monarchie danach benennen: „Radetzkymarsch“.
Dieser Radetzky entstammt einer untergegangenen Zeit. Er kam am 2. November 1766 in Böhmen zur Welt, da regierte noch Maria Theresia. Der böhmische Graf wird fünf Kaisern dienen, Joseph I., Leopold II., Franz I., Ferdinand I. und schließlich Franz Joseph. Er kämpft gegen die Türken, gegen die Revolutionsarmeen der Franzosen, er kämpft gegen Napoleon, zuletzt gegen Aufständische in der Lombardei und gegen die Armee des Königreichs Sardinien-Piemont.
In Kriegszeiten avancieren Offiziere schnell. 1805 Generalmajor, 1809 Feldmarschallleutnant, 1836 Feldmarschall. Als Truppenkommandeur, dann als Generalstabschef nimmt er an den großen Schlachten der Kriege gegen Bonaparte teil – bei Aspern, bei Wagram. Von ihm stammt der siegreiche Plan für die Völkerschlacht bei Leipzig, die den Untergang des Kaisers der Franzosen einläutet.
Im ganzen Reich aber wird er berühmt als Generalkommandant des lombardo-venezianischen Königreichs, dessen Krone zum Konvolut der Habsburgerkaiser gehören. Radetzky residiert in Mailand, gegen Aufständische geht er mit aller Härte vor, besonders auf abtrünnige Adelige hat er es abgesehen. Kein Wunder, dass 1848 die Revolution in Mailand beginnt, zuerst auch siegreich ist, bis Radetzky, der Mailand lassen muss, sich und seine Armee sammelt und zurückschlägt. Und die zahlenmäßig überlegene Armee der Piemontesen vernichtend schlägt. Der junge Erzherzog Franz Joseph darf in die Lombardei reisen, um am Ruhm des Feldmarschalls mitzunaschen. Franz Joseph gefällt, was er sieht: „Hier wird etwas energischer regiert als in Wien.“
Wenige Monate später herrscht in der Lombardei Totenstille, in Olmütz dankt Ferdinand ab und übergibt die Krone an Franz Joseph. Ein heroisches Gemälde zeigt einen Radetzky, der dem 18-Jährigen den Weg zum Thron weist. Nur, der Graf ist gar nicht in Olmütz dabei, er weilt am Krisenherd Lombardei. Bis 1856 hält er mit Standrecht und Todesurteilen die ungeliebte Herrschaft der Habsburger aufrecht. Auf Wunsch des Kaisers, der bei einem Besuch in Mailand einen senilen Radetzky vorfindet, bittet der 90-jährige Feldmarschall um seinen Abschied. Zwei Jahre später stirbt der berühmteste österreichische Feldherr des 19. Jahrhunderts, in Mailand. Der Wunsch des Monarchen, Radetzky in der Kapuzinergruft in Wien beizusetzen, geht nicht in Erfüllung. Der alte Krieger vermachte seine sterblichen Überreste einem gewissen Johann Gottfried Pargfrieder. Der Armeelieferant beglich über Jahre die beträchtlichen Schulden Radetzkys und dessen Frau, obwohl Kaiser Franz Joseph seinem Paladin mit beträchtlichen Summen unter die Arme griff. Der Sarg mit dem Feldmarschall sollte das Kleinod von Pargfrieders Heldenberg im niederösterreichischen Kleinwetz werden, für den auch andere ranghohe Offiziere ihre sterblichen Überreste zur Verfügung stellten. Entgeltlich. Österreichische Offiziere litten immer unter Geldnot.
Ein Jahr nach Radetzkys Tod mündet die Schlacht von Solferino, in der Kaiser Franz Joseph selbst seine Truppen gegen die Armeen von Sardinien-Piemont und Frankreich kommandiert, in einem Fiasko. Mit Sol ferino verlieren die Habsburger auch die Lombardei.
Noch einmal dient Radetzky einem militärischen Zweck. Angesichts der heranrückenden sowjetischen Armee versucht im April 1945 eine Gruppe von Nazi-Gegnern und Wehrmachtsoffizieren Wien vor einer Schlacht zu bewahren. Der Plan für eine kampflose Übergabe trägt die Bezeichnung „Operation Radetzky“. Der Plan fliegt auf und scheitert.
Radetzky heute. In Mailand findet sich ein schickes Café, das sich nach dem einst verhassten österreichischen Kommandanten nennt. In Wien, Klagenfurt und Graz tragen Straßen seinen Namen. Und Jahr für Jahr klatschen am Neujahrstag begeistert Zuhörer mit, wenn die Wiener Philharmoniker beim Neujahrskonzert als Zugabe den Radetzkymarsch spielen. Die wenigsten kennen den blutigen Hintergrund dieses Marsches.
Lexikon #
Lombardo-Venetien: Ein Königreich aus dem Nachlass Napoleons, das beim Wiener Kongress dann an die Habsburger fiel. Mailand wurde übrigens schon 1714 österreichisch. Sardinien-Piemont: Das Königreich Sardinien-Piemont unter dem Haus Savoyen spielte bei der Einigung Italiens eine bedeutende Rolle. 1861 wurde Viktor Emanuel I. von Sardinien zum ersten König von Italien gekrönt. Venedig: Gehörte bis 1866 zur Habsburger-Monarchie. Nach der Schlacht von Königgrätz kam die Lagunenstadt an Italien.