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Die Gräber der Gruppe 40#

Der Historiker Willi Weinert hat die Schicksale der österreichischen Widerstandskämpfer dokumentiert, die in Wien während der NS-Zeit hingerichtet worden sind.#


Von der Wiener Zeitung (8. Juni 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Arthur Fürnhammer


Gräber der Gruppe 40
Einst waren die Gräber der Opfer anonym, heute liegen sie in einem Ehrenhain.
© Fürnhammer

„Mit einer 1 Meter langen Stahlkette am linken Fuß und an der rechten Hand mit einer langen Stahlkette gefesselt, schreibe ich diesen meinen letzten Brief, denn ich weiß, es geht mit mir zu Ende. Nur weil ich für den Sozialismus bin und für die Armen, für ein schöneres Leben, für Recht und Freiheit stets mein kleines Opfer gebracht habe, werde ich bald nicht mehr sein. Ich will und werde aufrecht sterben, so wie ich gelebt habe."

Robert Kurz, Mitglied der verbotenen KPÖ und von Beruf Schneider, schrieb diese Zeilen in seinem Abschiedsbrief, bevor er am 28. 1. 1943 am Wiener Landesgericht hingerichtet wurde.

Kurz war einer von rund 600 Widerstandskämpfern, die von der NS-Justiz wegen Hochverrat und wehrkraftzersetzender Tätigkeiten guillotiniert wurden. An ihren Mut, ihre Opferbereitschaft erinnert heute, 70 Jahre später, nur wenig. Manche erhielten von ihrer Partei eine Gedenktafel. Welche bleibende Spuren ihr Kampf für die Freiheit Österreichs aber im kollektiven Gedächtnis der Republik hinterlassen hat, bleibt fraglich. Nicht nur ihre Namen und Biographien sind der Allgemeinheit weitgehend unbekannt, sondern auch, wo sie begraben sind - nämlich in der Gruppe 40 des Zentralfriedhofs.

Dem Historiker Willi Weinert gebührt das Verdienst, das Schicksal dieser NS-Opfer ans Tageslicht geholt und einen Führer durch den Ehrenhain der Gruppe 40 verfasst zu haben. Das Buch gibt Auskunft über Lage der Gräber und persönliche Daten der Widerstandskämpfer, beleuchtet in einem einleitenden Kapitel den tristen Gefängnisalltag und die von Hoffen und bangem Warten erfüllte Zeit zwischen Verhaftung und Hinrichtung. Ein weiteres Kapitel ist der Tatsache gewidmet, dass die Leichen der Hingerichteten geheim an das Anatomische Institut der Uni Wien geliefert wurden.

Der Zukunftsfonds#

Weinerts Buch ist eine von zahlreichen Publikationen, die vom "Zukunftsfonds der Republik" gefördert werden. 2004 gegründet, hat der Zukunftsfonds das Ziel, Projekte zu unterstützen, die "den Interessen und dem Gedenken der Opfer des nationalsozialistischen Regimes, der Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Systeme und Gewaltherrschaft, sowie der internationalen Zusammenarbeit dienen und zu einer Förderung der Achtung der Menschenrechte und der gegenseitigen Toleranz auf diesen Gebieten beitragen." In laufenden "Werkstattgesprächen", die der Zukunftsfonds gemeinsam mit der Diplomatischen Akademie in deren Räumlichkeiten durchführt, werden ausgewählte Projekte vorgestellt, so kürzlich auch das aktuelle Projekt Weinerts.

Dem Historiker war durch die Unterstützung die Drucklegung der dritten Auflage möglich, zudem ausführliche Recherchen im Berliner Bundesarchiv, womit er die schon bisher erfassten Biographien erweitern, um Fotos ergänzen und ihnen dadurch "ein Gesicht geben" konnte. In seinem Vortrag behandelte Weinert die Zeit zwischen Verhaftung und Hinrichtung und gab einen Einblick in die Unmenschlichkeit der NS-Justiz. Am Beginn standen die oft tagelangen Verhöre durch die Gestapo.

Vom Morzinplatz, dem Hauptquartier der Gestapo, wurden die Verdächtigen dem Haftrichter vorgeführt, der die Untersuchungshaft verhängte. Monate vergingen, bis die Anklageschrift übermittelt wurde; bis manche zum ersten Mal mit Familienangehörigen sprechen durften, vergingen Monate in quälender Einzelhaft. In der Untersuchungshaft bestand Lese- und Schreibverbot. Das umgingen viele aber, indem sie Geheimbriefe, Kassiber genannt, verfassten. Diese Kassiber - einige davon sind in Weinerts Publikation abgedruckt - sind berührende Dokumente, die Einblick in den tristen Gefängnisalltag geben, aber auch von der Hoffnung getragen sind, dass das Regime bald zu Ende und der Kampf nicht umsonst gewesen sei.

Bemerkenswert ist, wie diese Kassiber entstanden; dazu schreibt Weinert in seinem Buch: "Der Bleistift war eine dünne Mine, die man sich im Gefängnis beschaffte oder mit der Wäsche ins Gefängnis einschmuggeln ließ. Die Schreibunterlage bestand aus Papier, das man sich im Gefängnis durch Beziehungen organisiert, aus Zigarettenpapier, oder aus dünnem Stoff (z. B. einem Taschentuch), auf dem man (. . . ) schrieb und der dann im Kragen eines Hemdes eingenäht und mit der Schmutzwäsche, die von den nächsten Angehörigen abgeholt werden musste, aus dem Gefängnis gelangte."

Die Untersuchungshaft endete mit der Hauptverhandlung, bei der das Todesurteil verhängt wurde. Danach begann zwar ein Gnadenverfahren, zu einer Begnadigung kam es aber nur in den seltensten Fällen. Per Erlass wurde vom Reichsjustizminister die Vollstreckbarkeit des Todesurteils ausgesprochen. Daraufhin wurden die Häftlinge in die Abgangszellen - auch "Armesünderzellen" genannt - gebracht, wo es ihnen erlaubt war, Abschiedsbriefe zu schreiben. Täglich um 18 Uhr begannen die Hinrichtungen, die im Drei-Minuten-Takt ausgeführt wurden. An manchen Tagen wurden 30 Personen exekutiert.

"Bleibe fest und stark"#

Berührender "Höhepunkt" von Weinerts Schilderungen war der Abschiedsbrief eines KP-Funktionärs, der dem Historiker während seiner aktuellen Recherchen in die Hände fiel und den er in Auszügen vorlas: "Liebe Hanni (Namen geändert)! Nur noch wenige Stunden und ich sterbe in dem Bewusstsein, seit meiner frühesten Jugend meine Pflicht erfüllt zu haben. In meinen letzten Stunden bin ich im Geiste noch bei dir und Heinz und nehme von euch im Geiste herzlichen Abschied. Bleibe fest und stark und nehme Heinz als mein heiliges Vermächtnis von mir und erziehe ihn so, dass auch er in Erfüllung der Pflicht für die Menschlichkeit seine höchste Lebensaufgabe sieht. Ich bemühe mich, bis zur letzten Sekunde stark und fest zu sein, und sage der Regierung meines Landes, dass ich mir keine Schande gemacht habe. (. . .) "

Der KP-Funktionär hatte neben dem Abschiedsbrief an seine Frau auch je einen an seine Geschwister und an seinen Sohn geschrieben. Keiner der drei Briefe wurde aber jemals zugestellt, wie Weinert betonte - sie lagen im Berliner Bundesarchiv.

Um äußerste Geheimhaltung bemüht war die NS-Justiz nicht nur, was das Datum der Hinrichtungen betraf, sondern auch im Zusammenhang mit dem Umgang der Leichen. Wie eingangs erwähnt, mussten die Leichen der Hingerichteten, einem Erlass des Reichsjustizministers zufolge, an das nächstgelegene Anatomische Institut geliefert werden. Noch heute sind Listen vorhanden, aus denen hervorgeht, welcher Anatom - je nach Bedarf - den Kopf und welcher den Rumpf bekommen sollte.

Nach ihrer "Verwertung" wurden die Leichen unter der Auflage strengster Geheimhaltung an den Zentralfriedhof geliefert. Bemerkenswert dabei ist, dass es einigen Hinterbliebenen nicht nur gelang, in Erfahrung zu bringen, dass die Leichen ihrer Verwandten ins Anatomische Institut kamen, sondern auch, dass sie in der Gruppe 40 beerdigt wurden.

In Ausnahmefällen gelang es Angehörigen sogar noch vor der Befreiung Wiens, die Grabstelle ausfindig zu machen und, trotz aller damit verbundenen Gefahren, bereits zu diesem Zeitpunkt einen kleinen Grabstein aufzustellen. Es gab jedoch auch Fälle, in denen Angehörige erst Jahrzehnte später von der Begräbnisstätte ihrer hingerichteten Verwandten Kenntnis erlangten. Noch bis ans Ende der 1950er Jahre wurden, ohne die Angehörigen zu informieren, Leichen von Widerstandskämpfern vom Anatomischen Institut auf den Zentralfriedhof gebracht und in der Gruppe 40 beerdigt.

Das Gräberfeld selbst war nach dem Krieg verwildert, Hoffnungen von Seiten der Angehörigen auf eine würdevolle Gestaltung blieben lange unerfüllt. Erst in den 50er Jahren beschloss die Gemeinde Wien, das Gräberfeld in einen Ehrenhain umzuwandeln. Kurz darauf wurden die Gräber saniert und die bis dahin bestehenden Holzkreuze durch einheitliche kleine Grabsteine ersetzt.

Diese mangelnde Sensibilität im Umgang mit der Gruppe 40 ist für Weinert "beredtes Zeugnis von der in Österreich herrschenden Gedenkkultur". Eine Gedenkkultur, für die es, wie die Diskussion im Anschluss an den Vortrag des Historikers ergab, in den Jahren nach dem Krieg in Österreich auch gar keine Bereitschaft gab: Zu sehr war das innenpolitische Klima von den Weltkriegsteilnehmern und ehemaligen NS-Anhängern geprägt, anstatt, wie in Frankreich, von Verfolgten, Vertriebenen und Antifaschisten.

Große Teile der Bevölkerung standen dem österreichischen Widerstand skeptisch bis feindselig gegenüber; Widerstandskämpfer wurden als "Eidbrecher", "Feiglinge" und "Mörder" beschimpft.

Neue Gedenkkultur#

In den 60er Jahren passte eine von Opferangehörigen und solidarischen Stimmen geforderte Gedenkkultur nicht ins Selbstbild einer endlich freien und durch ein Wirtschaftswunder erstarkten jungen Republik. Erst 18 Jahre nach Kriegsende kam es zur Gründung des "Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes" (DÖW). Gegen Ende der 70er Jahre begann die "Opfertheorie" offiziell hinterfragt, und in den 80ern anlässlich der Waldheimaffäre auch öffentlich diskutiert zu werden. Die Einrichtung des "Zukunftsfonds der Republik" im neuen Jahrtausend kann als klarer Auftrag zur Aufarbeitung der Rolle Österreichs in der NS-Zeit gesehen werden. Im Zentrum steht der Gedanke, dass die Erinnerung an Menschen, die ihr Leben für Freiheit und Gerechtigkeit geopfert haben, unabdingbare Basis für die Zukunft sein soll.

Wenigstens in diesem Sinne dürfte, dank Willi Weinerts Bemühungen, der Wunsch des eingangs zitierten Robert Kurz nicht unerfüllt bleiben. Dieser schrieb in seinem Abschiedsbrief: "Was man mit uns macht, ist nackter Mord. Man wird euch einmal erzählen, wie es hier zugegangen ist, wie man gewütet hat ohne Erbarmen, wie man uns hingeschlachtet und gemartert hat. Ich will, dass ihr euch dies merkt und später einmal nicht vergesst."

Information#

Willi Weinert: "Mich könnt ihr löschen, aber nicht das Feuer". Ein Führer durch den Ehrenhain der Gruppe 40 am Wiener Zentralfriedhof. Stern-Verlag Wien 2012, 192 Seiten, 24,- Euro.

Arthur Fürnhammer, geboren 1972, lebt als freier Autor und Journalist in Wien.

Wiener Zeitung, 8. Juni 2012