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Innsbruck schlüsselfertig übergeben #

Mit der kampflosen Befreiung von den Nazis ist Innsbruck die große Ausnahme in Österreich und Deutschland. 75 Jahre danach wird nach Veröffentlichung neuer Forschungen diskutiert, ob dieser gelungene Coup dem Tiroler Widerstand oder drei US-Agenten zu verdanken ist. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (14. Mai 2020)

Von

Wolfgang Machreich


Leutnant Ludwig Steiner (re.) bei der Lagebesprechung mit US-Offizieren am 3. Mai 1945 im Gendarmerieposten Zirl
Kurier des Widerstands. Leutnant Ludwig Steiner (re.) bei der Lagebesprechung mit US-Offizieren am 3. Mai 1945 im Gendarmerieposten Zirl.
Foto: APA

Ein Schneesturm, „bei dem man nicht einmal mehr die Hand vor den Augen sah“ und ein verminter Geländestreifen trennten Leutnant Ludwig Steiner in den Nachtstunden des 3. Mai 1945 noch von den Befreiern. Doch einer der führenden Köpfe der Tiroler Widerstandsbewegung fand eine sichere Minengasse auf den Zirler Berg, gut zehn Kilometer westlich von Innsbruck: „Obwohl ich nicht wußte, wie mich die Amerikaner aufnehmen würden“, schreibt Steiner in einem im Familienbesitz befindlichen Bericht über die letzten Kriegstage, „war ich doch froh, den ersten GI zu sehen, der mir: ‚Stop, Kraut!‘ zurief.“ Steiner wurde als Unterhändler zum Kommandanten der USTruppen durchgelassen. Er informierte ihn, dass „die Stadt und auch der größte Teil Tirols“ in den Händen des Tiroler Widerstands sei, das Einrücken der US-Truppen jederzeit möglich wäre und „von der Bevölkerung erwartet“ werde. Steiner drängte die Amerikaner zu schnellem Vorgehen und hatte Erfolg: Am Abend des 3. Mai rückten die ersten US-Truppen in Innsbruck ein. Sie wurden von Teilen der Bevölkerung begeistert und von den führenden Vertretern der Widerstandsbewegung als bereits etablierte Tiroler Landesregierung empfangen.

Die Fortsetzung ist, wie es so schön heißt, Geschichte, die im Vorfeld des 75-Jahr-Jubiläums der Befreiung Tirols von Peter Pirker um einen wesentlichen Erzählstrang ergänzt wurde. Der Historiker am Institut für Zeitgeschichte der Uni Innsbruck veröffentlichte im Vorjahr das Buch „Codename Brooklyn“ (Tyrolia Verlag). Brooklyn steht für Innsbruck, und Pirker beschreibt im Buch den Ablauf der US-Geheimdienst-„Operation Greenup“, die als Inspiration für Quentin Tarantinos Film über jüdische Nazi-Jäger im Zweiten Weltkrieg, „Inglourious Basterds“, diente. Die beiden Juden Fred Mayer und Hans Wijnberg und der Wehrmachtsdeserteur Franz Weber waren im Winter 1944 mit dem Fallschirm im Ötztal gelandet und errichteten mit tatkräftiger Unterstützung einiger Frauen in Webers Heimatgemeinde Oberperfuss ein Spionagenetzwerk.

Keine Leistung schmälern #

„Erspart geblieben ist Innsbruck dadurch eine blutige Abwehrschlacht der SS unter dem Tiroler Gauleiter Franz Hofer rund um die Tage des 2. und 3. Mai“, fasste orf.at den Erfolg dieser Agentenaktion zusammen. Auch darüber hinaus stand im Verlauf des heurigen Gedenkens an das Weltkriegsende in Innsbruck die „Operation Greenup“ im Vordergrund, geriet der Tiroler Anteil an der „Selbstbefreiung“ zu sehr in den Hintergrund, kritisiert die Familie des 2015 verstorbenen Staatssekretärs, Botschafters und ÖVP-Nationalratsabgeordneten Ludwig Steiner. Für seinen Neffen Raimund Steiner konzentriert sich „Codename Brooklyn“ bei der Beschreibung der damaligen Geschehnisse „zu sehr auf die amerikanische Sicht der Ereignisse“. Im Gespräch mit der FURCHE nennt Steiner die Geheimdienstaktion „opferbereiter Juden, die ihr Leben riskierten“, eine „super Geschichte“. Gleichzeitig sei „diese Einzelaktion“ für ihn kein Grund, den Tiroler Widerstand und die Bedeutung seines Onkels und anderer maßgeblicher Tiroler Protagonisten bei der Befreiung von der Nazi-Herrschaft kleinzureden: „Nicht der US-Agent Fred Mayer hat den Widerstand nach Tirol gebracht, sondern er ist auf existierende Strukturen gestoßen. Auch Tiroler Kontakte mit dem US-Geheimdienst hat es vor der Operation Greenup schon gegeben.“

Von der FURCHE auf die Kritik der Familie Steiner angesprochen, weist Historiker Pirker diese „sehr scharf zurück“. Er schätze Ludwig Steiners Widerstand gegen den Nationalsozialismus genauso wie dessen politisches Engagement später beim Versöhnungsfonds zur Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter. Eine Niederschrift über das Kriegsende von Steiner, publiziert in der Schriftenreihe des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, „bestätigt meine Darstellung“, sagt Pirker. Im Unterschied zu anderen Berichten stelle Steiner „die Kooperation zwischen den amerikanischen Agenten und den lokalen Widerständlern sachlich und ausgewogen dar“. Pirker möchte „den Blick auf weitere wichtige Akteure erweitern und nicht die Leistung von irgendwem heruntermachen“. Deswegen betonte er in seiner Studie auch die bislang wenig beachtete wichtige Rolle der Frauen in Oberperfuss, die ihrem katholischen Selbstverständnis folgend, dem NS-Regime Paroli boten. Und in diesem Sinne versteht Pirker auch das Resümee seines Buches: „Die Planungen, Vorarbeiten und Risiken dieser Aktionen einheimischer NS-Gegner in Innsbruck sind keinesfalls geringzuschätzen, aber die günstigen Bedingungen für das erfolgreiche Auftreten der Männer der letzten Stunde auf der Bühne einer‚selbstständigen‘ Befreiung wurden vor Ort ganz wesentlich durch die beiden jüdisch-amerikanischen Agenten deutscher und holländischer Herkunft geschaffen – das sollte nicht wieder vergessen werden.“

Innsbrucker Einmaligkeit #

Wird es auch nicht, denn der Innsbrucker Historiker Horst Schreiber attestiert seinem Uni-Kollegen Pirker im FURCHE-Gespräch, ein „tolles Buch“ geschrieben und damit einen „wichtigen Verdienst“ geleistet zu haben. In seinem zum 75-Jahr-Jubiläum erschienenen Buch „Endzeit“ (Michael Wagner Verlag), das erstmals viele Alltagsgeschichten rund um das Kriegsende in Tirol beschreibt, würdigt Schreiber ebenfalls die wichtige Rolle des US-Agenten Mayer: Dessen Aktivitäten trugen viel zur Vernetzung des Widerstands bei, „motivierten die Angehörigen der Widerstandsgruppen und spornten sie an, aktiv zu werden“. Dass die Befreiung Innsbrucks aber nur den US-Agenten zu verdanken wäre, sieht Schreiber „quellenmäßig nicht gedeckt“. Sein Fazit lautet: „Die Frauen und Männer um Karl Gruber und Ludwig Steiner haben die Chance des Widerstands genutzt, die neuralgischen Punkte in Innsbruck besetzt und eine befreite Stadt den Amerikanern übergeben – das ist etwas einmaliges in ganz Österreich und Deutschland“. Womit sich der Kreis zu einem der „Helden“ des 3. Mai 1945 schließt. Auch Ludwig Steiner beschrieb seine Gesamteinschätzung ohne Allüren und Konkurrenzdenken, sondern dankbar dafür, „daß es durch die Aktionen der Widerstandsbewegung immerhin gelungen ist, in Tirol weitere größere Zerstörungen in den letzten Kriegstagen zu verhindern und noch vor Einmarsch der Amerikaner eine eigene tirolerische Verwaltung einzusetzen, die nicht von einer alliierten Entscheidung aufgezwungen wurde. Dies ist in keinem anderen österreichischen Bundesland möglich gewesen.“

DIE FURCHE (14. Mai 2020)


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