Die Regentin und ihr Leibarzt#
Als "Protomedikus" am Hof, als Professor der medizinischen Fakultät und Präfekt der Hofbibliothek gehörte der Holländer Gerard van Swieten zu den wichtigsten Männern im Umfeld Maria Theresias.#
Von der Wiener Zeitung (Samstag, 29. April 2017) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Brigitte Biwald
Als die 23-jährige Maria Theresia im Jahr 1740 an die Regierung gelangte, erkannte sie bald, dass es um die medizinische Fakultät in Wien schlecht bestellt war. Diese agierte eher als lokale Gesundheitsbehörde und wachte eifersüchtig über ihre mittelalterlichen Privilegien. Im holländischen Leiden war man auf dem Gebiet der Medizin bereits viel fortschrittlicher. Diese Erkenntnis wollte Maria Theresia vor allem für ihre ständig wachsende Kinderschar nützen. So lag es nahe, einen besonders gut ausgebildeten holländischen Arzt an der Seite zu haben: Gerard van Swieten, der 1745 nach Wien geholt wurde. Zu dieser Zeit hatte Maria Theresia bereits sieben Kinder auf die Welt gebracht. Zwei Töchter waren als Kleinkinder gestorben. Weitere Kinder folgten, übernahmen die Vornamen der Verstorbenen. Eine ständige Gefahr drohte von der Pockenkrankheit, den Blattern. Überlebende waren entstellt, wie dies bei Maria Theresias Tochter Maria Elisabeth der Fall war. Von den elf Töchtern und fünf Söhnen Maria Theresias und Franz Stephans erreichten zehn das Erwachsenenalter.
Gerard van Swieten wurde 1700 als Sohn eines Notars in Leiden geboren und katholisch getauft. Er studierte an der Hochschule im belgischen Löwen zunächst Philosophie und dann Medizin. In Leiden schloss van Swieten im Alter von 25 Jahren bei Herman Boerhaave, einem der berühmtesten Ärzte seiner Zeit, das Medizinstudium ab. Der Tod seines Förderers Boerhaave im Jahr 1738 verhinderte eine weitere Karriere van Swietens.
Der Weg nach Wien#
In Leiden bestanden für Katholiken kaum Aufstiegsmöglichkeiten. Galten doch diese in der protestantischen Republik der "Sieben Vereinten Provinzen" (Holland war eine davon) als zweitrangige Bürger. Van Swieten begann trotzdem, in lateinischer Sprache ein umfangreiches Werk über die Behandlung verschiedener Krankheiten zu verfassen. Das Werk erregte Interesse.
Über den Staatskanzler Graf Wenzel Anton Kaunitz, der anerkennende Berichte über van Swieten aus Brüssel sandte, wurde Maria Theresia auf den holländischen Arzt aufmerksam. Kaunitz war es auch, der 1744 van Swieten nach Brüssel an das Wochenbett von Maria Theresias einziger Schwester Maria Anna zu einem Konsilium berufen hatte. Maria Anna war die Gemahlin Prinz Karls von Lothringen, des Statthalters der österreichischen Niederlande. Doch van Swieten konnte den Tod der Kranken nicht verhindern. Sie starb am 16. Dezember 1744. Maria Theresia dankte dennoch dem Arzt brieflich für seine Bemühungen und versicherte ihm ihr Vertrauen und ihre Freundschaft.
Dieses Entgegenkommen gab wohl den letzten Anstoß für den noch zögernden van Swieten, mit seiner Familie nach Wien zu übersiedeln. Er bezog eine Amtswohnung im Hofburgkomplex am Josefsplatz 1. Auch in Schönbrunn wollte Maria Theresia täglich mit ihrem Lieblingsarzt konferieren. Sie stellte ihm daher ein Palais am Rande des Schönbrunner Parks zur Verfügung. (Hietzinger Hauptstraße 1, heute Postamt)
Van Swieten saß nicht nur nächtelang am Krankenbett der kaiserlichen Kinder, er arbeitete auch eine Diät für die gesamte Familie der Monarchin aus. Nicht in allen Bereichen stimmte er mit Maria Theresia überein: Van Swieten hatte eine Abneigung gegen höfischen Prunk und starre Rangordnung. "Doe maar gewoon, dan doe je al gek genoeg" ("Verhalte dich normal, das ist schon verrückt genug") war seine typisch holländische Devise - die bis heute in den Niederlanden gilt.
Van Swieten war nicht nur Leibarzt, sondern gleichzeitig auch Präfekt der Hofbibliothek, Präses der medizinischen Fakultät, oberster ziviler und militärischer Sanitätschef der Erblande, Präsident der Zensur- und der Studienhofkommission.
Als staatliches Aufsichtsorgan, als Präses facultatis, reformierte van Swieten die medizinische Fakultät, beaufsichtigte Prüfungen und stellte das bisher übliche, um teures Geld im Ausland absolvierte Medizinstudium ab. Nur im Inland promovierte Ärzte, von deren fachlicher Eignung sich van Swieten persönlich überzeugt hatte, erhielten eine Anstellung. Es war ein weiterer Eingriff in die Privilegien der medizinischen Fakultät, als ihr van Swieten das Recht der Ernennung der Professoren entzog, eine straffe Prüfungsordnung aufstellte und neue Professoren berief. Ein Sturm der Entrüstung gegen den Ausländer brach aus, doch van Swieten ließ sich nicht beirren. 1752 reformierte er auch die übrigen Fakultäten und versuchte in Übereinstimmung mit Maria Theresia den Einfluss des Jesuitenordens im universitären Bereich zurückzudrängen. So entstand 1755 an Stelle des alten, im Kern noch aus der Gotik stammenden Gebäudes der Jesuiten jenes barocke Bauwerk, das heute als "Alte Universität" bekannt und Sitz der Akademie der Wissenschaften ist.
Praxisnahe Lehre#
Für die medizinische Fakultät bedeuteten diese Reformen den Übergang zum praxisnahen Unterricht im Fach Chirurgie. Im Bürgerspital (zwischen Kärntnerstraße und Lobkowitzplatz) fand der Unterricht erstmals am Krankenbett statt. Im Spital zu St. Marx an der Landstraße richtete van Swieten eine Schule für Hebammen ein. Ferner entstanden Lehrkanzeln für Chemie und Botanik. Auch den k.k. Botanischem Garten am Rennweg ließ Maria Theresia 1754 auf Anraten van Swietens anlegen. All dies und noch mehr entstand in nur fünf Jahren, zwischen 1749 und 1754.
Die Regentin war für van Swieten die Autorität. Er fügte sich ihren Weisungen auch dann, wenn er anderer Meinung war.
Als äußerst aufreibend stellte sich seine Tätigkeit als Vorsitzender der 1751 von Maria Theresia neu eingerichteten "Bücherzensur-Hofkommission" heraus. Diese sollte eine staatlich gelenkte Zensur ermöglichen und dabei den bisherigen Einfluss der Kirche, besonders den der Jesuiten, zurückdrängen.
Entscheidungen der Zensurkommission erfolgten zu keinem Zeitpunkt eigenmächtig, sondern passierten mehrere Instanzen, bis hin zur letztgültigen Entscheidung durch die Regentin. Es war schwierig, einheitliche Kriterien für die Zensur zu entwickeln. Mitunter hob die Monarchin bereits gefällte Beschlüsse aufgrund kirchlichen Drucks auf. Sie ließ auch Werke, für die sich van Swieten eingesetzt hatte, verbieten. 1764 erklärte van Swieten der Kaiserin erbittert, "dass er die harte Last der Zensur nun durch dreizehn Jahre schleppe". Persönlich betroffen war er jedoch von Maria Theresias Kritik an der Arbeit der Zensurkommission. Daraufhin bat er um seine Entlassung. Maria Theresia konnte ihn aber wieder beruhigen.
Erst 1771 zog sich van Swieten alters- und gesundheitsbedingt schrittweise aus der Zensurkommission zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt führte er für die von ihm persönlich geprüften Werke einen eigenen handschriftlichen Katalog. In diesem Verzeichnis, das sich heute in der Österreichischen Nationalbibliothek befindet, vermerkte van Swieten die bibliografischen Daten der geprüften Werke und ergänzte diese mit stenographischen Notizen. Dazu verwendete er die "Tacheographia" von Charles Aloysius Ramsay. Da der Katalog der verbotenen Bücher das Verbotene besonders hervorhob und es somit interessant machte, wurde 1777 sogar der Katalog verboten.
Van Swietens älterer Sohn Gottfried war zunächst Gesandter in Berlin, dann Hofbibliothekar und anschließend Präses der Studienhofkommission. Er wurde auch als Musikkenner und Förderer Haydns, Mozarts und Beethovens bekannt. Van Swietens jüngerer Sohn Gilbert wirkte als Auditor (Prüfer) an der Rechnungskammer in Brüssel.
Der Wiener Hof beschäftigte an die 30 Heilpersonen: Leibmedici, Hofmedici, Leibchirurgen, Hofchirurgen, ja sogar einen eigenen Jagd- und einen eigenen Zahnchirurgen sowie einen Hofapotheker in der Hofapotheke. Über alle diese Personen gab Maria Theresia ihrem Protomedikus volle Autorität. Diese hatte van Swieten auch bei Maria Theresias zahlreichen Entbindungen, die er allein, unter Assistenz einer Hebamme, leitete. Eifersüchtige Höflinge kritisierten, dass man "die Kaiserin der bloßen Willkühr der Hebamme und des Protomedici van Swieten überlassen habe". Dabei bedeutete gerade dies für Maria Theresia eine enorme Erleichterung. Waren doch bis zum Eintreffen des Holländers Entbindungen höfisch inszeniert. Diese Tradition des "Zuschauens" schaffte van Swieten ab.
Van Swietens Fähigkeiten lagen vor allem im Organisatorischen. Der bekannte Wiener Chirurg und Medizinhistoriker Leopold Schönbauer sah in dem Holländer mehr "einen Diätetiker als einen erfolgreichen Therapeutiker" und meinte, man könne "bei van Swieten kaum von besonderen Erfolgen seiner Behandlung in der kaiserlichen Familie sprechen". Fest steht jedoch, dass van Swieten die Bedeutung der Impfungen erkannte und sich gegen Impfgegner behaupten musste. Mit Hilfe eines holländischen Kollegen und der Zustimmung der Regentin hat van Swieten im September 1768 der Einimpfung von Pocken den Weg geebnet. Maria Theresia förderte die Impfungen nachdrücklich und es entstanden Impfanstalten auch für die Mittellosen.
Versäumnisse#
Aber selbst ein so gewissenhafter Arzt und Gelehrter wie van Swieten zeigte Schwächen. Merkwürdigerweise übersah er die bedeutende Begabung seines Schülers Leopold Auenbrugger, dem Begründer der physikalischen Diagnostik durch Perkussion (Beklopfung der Brust). Auenbrugger, Primarius am damaligen "Spanischen Spital", musste bis an sein Lebensende auf Anerkennung warten. Behandelte doch van Swieten in seinen zwischen 1764 und 1772 verfassten berühmten "Kommentaren" unter anderem die Lungenschwindsucht, ohne die Perkussion auch nur zu erwähnen.
Ähnlich erging es dem Luxemburger Arzt Adam Chenot (promoviert in Wien 1759, gestorben 1789), der als Pestarzt in Siebenbürgen wirkte und 1766 seinen "Tractatus de Peste" veröffentlichte. Van Swieten und die Fakultät, die von der Pest nicht viel wussten, ignorierten Chenots Warnungen und Erkenntnisse. Erst Joseph II. erkannte die Bedeutung von Chenots Forschungen.
Maria Theresia besuchte van Swieten bis zu seiner letzten Stunde. Am 19. Juni 1772 starb Gerard van Swieten 72-jährig im Schloss Schönbrunn. Maria Theresia ließ nach seinem Tod unter anderem eine Medaille zu seinem Andenken prägen und ein Grabmal in der Georgskapelle der Augustinerkirche errichten.
Seit Mai 1888 kann man die einflussreichsten Berater der Kaiserin lebensgroß auf dem Maria-Theresien-Denkmal in Wien am gleichnamigen Platz bewundern. Neben Graf Haugwitz, Fürst Kaunitz, Freiherr von Sonnenfels repräsentiert Gerard van Swieten dort bis heute die Wissenschaft seiner Zeit.
Literatur#
- Karin Jilek, Die Theresianische Zensur unter Gerard van Swieten. In: Maria Theresia, Habsburgs Mächtigste Frau, (= Ausstellungskatalog Wien 2017), S. 60-70.
- Irene Kubiska-Scharl, Maria Theresia und ihr Hof. In: ebenda, S. 78-88.
- Erna Lesky, Meilensteine der Medizin, Wien 1981.
- Leopold Schönbauer, Das Medizinische Wien, Wien 1954.
Brigitte Biwald, geboren 1951, ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Medizingeschichte. Sie lebt in Perchtolsdorf.