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Gut für Österreich - schlecht für den Kanzler#

Wie vor 100 Jahren der Vertrag von Lana mit der Tschechoslowakei abgeschlossen wurde und welche Folgen er in Österreich hatte.#


Von der Wiener Zeitung (20. Dezember 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Franz Schausberger


Franz Schausberger ist Vorsitzender des Instituts der Regionen Europas (IRE). Im Europäischen Ausschuss der Regionen liegt sein Schwerpunkt auf den Staaten des Westbalkans. Er war 1996 bis 2004 Landeshauptmann von Salzburg.
Franz Schausberger ist Vorsitzender des Instituts der Regionen Europas (IRE). Im Europäischen Ausschuss der Regionen liegt sein Schwerpunkt auf den Staaten des Westbalkans. Er war 1996 bis 2004 Landeshauptmann von Salzburg.
Foto: © apa / Pfarrhofer

Vor 100 Jahren wurde der Vertrag von Lana zwischen Österreich und der Tschechoslowakei abgeschlossen. Er bereitete am 16. Dezember 1921 nicht nur die 1922 erfolgte Genfer Sanierung auf, sondern hatte eine schwere Regierungskrise zur Folge und gab auch dem damals noch weitgehend unbekannten Adolf Hitler die Möglichkeit, sein judenfeindliches Gedankengut in Wien zu propagieren.

Die Siegermächte waren aufgebracht wegen der Anschlussabstimmungen in einigen österreichischen Bundesländern und beobachteten beunruhigt die Rückkehrversuche Kaiser Karls in Ungarn. In Österreich fehlten Lebensmittel, Wirtschaft und Währung mussten saniert werden. Kanzler Johann Schober wusste, dass dazu umfangreiche ausländische Kredite nötig waren. Österreich brauchte glaubhafte Zeugen, die bestätigten, dass es die Verpflichtungen des Vertrags von Saint-Germain einhalten werde.

Ein solcher Zeuge war die Tschechoslowakei. Dort fanden die Österreicher nach dem zweiten und letzten gescheiterten Restaurationsversuch Kaiser Karls in Ungarn offene Türen. Für die Tschechoslowakei war eine Restauration der Habsburger ebenso gefährlich wie ein Anschluss Österreichs an Deutschland. Schober schlug ein Treffen mit seinem Amtskollegen Edvard Bene vor und hoffte, dass dadurch in Paris und London endlich die versprochenen Kredite flüssig gemacht würden. Eine engere Bindung an die Kleine Entente (Tschechoslowakei, Rumänien, Jugoslawien) lehnte er allerdings mit Hinweis auf Saint-Germain klar ab. Österreich musste neutral bleiben.

Schon am 10. August 1921 trafen sich der tschechoslowakische Staatspräsident Thomas Masaryk und Außenminister Bene mit Österreichs Bundespräsidenten Michael Hainisch und Kanzler Schober in Hallstatt. Nach einem ersten ausführlichen Gespräch in Selzthal trafen sie zu Mittag mit dem Zug in der Station Hallstatt ein, wurden dort von Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Schlegel empfangen und fuhren dann mit dem Raddampfer in den Ort, wo sie im Hotel Kainz tagten und sich um etwa 17 Uhr auf weitere Verhandlungen für einen Vertrag über die künftige Zusammenarbeit der beiden Staaten einigten. Fachkommissionen bereiteten in der Folge den Gegenbesuch der Österreicher in der Tschechoslowakei vor.

Deutsch-tschechische Versöhnung#

Das Verhältnis zur Tschechoslowakei hatte sich durch einen zwischen Staatskanzler Karl Renner und Bene am 12. Jänner 1920 abgeschlossenen Geheimvertrag recht positiv entwickelt. Schon zu Beginn der Auseinandersetzungen mit Ungarn um Westungarn (später Burgenland) gab es Verhandlungen zwischen Wien und Prag. Hainisch, Schober und Bene (nunmehr Premier) kamen am 15. Dezember 1921 mit dem Zug auf dem kleinen Dorfbahnhof in Lana bei Prag an. Die beiden Staatspräsidenten waren schon seit Studienzeiten freundschaftlich verbunden. Nach dem Empfang wurden die Gäste in die Sommerresidenz des tschechoslowakischen Präsidenten, das Barockschloss Lana, gebracht. Die tschechische Presse war skeptisch, aber nicht unhöflich. Zuerst wurde über die Restaurationsversuche Kaiser Karls und die Habsburger-Frage generell diskutiert - die Meinungen dazu deckten sich in Prag und Wien - danach über die Fixierung des provisorischen Handelsvertrags, den Abbau der Ein- und Ausfuhrverbote, die Verhinderung von Doppelbesteuerungen, die Regelung des Transitverkehrs und den Abschluss der Schiedsgerichtsverträge.

Masaryk betonte ausdrücklich, er sehe es geradezu als seine Lebensaufgabe, die Deutschen mit den Tschechen zu versöhnen, den Frieden im Inneren und in Mitteleuropa zu finden. Die Gespräche führten vor allem Bene und Schober, während Hainisch im Wildpark von Lana drei Damhirsche jagte. Danach antwortete er auf die Frage nach einem Bündnis mit der Tschechoslowakei: "Wir Österreicher können überhaupt keine aktive Außenpolitik machen. Wir müssen uns vor allem einmal wirtschaftlich zusammennehmen. Wenn die Ödenburger Angelegenheit beendigt ist, wird eigentlich jede aktive Politik für uns aufgehört haben. Wir können weder eine Politik des Bündnisses mit Frankreich noch eine solche mit Italien gegen Frankreich machen. Wir wollen mit allen unseren Nachbarn auf gutem Fuß leben, und da scheint mir, dass nächst Deutschland die Tschechoslowakei unser wichtigster Nachbar ist." Ein Bündnis - mit Ausnahme eines Handelsvertrages - lehnte er entschieden ab.

Am Abend des ersten Tages gab es ein großes Diner zu Ehren der Gäste, die dann im Schloss nächtigten. Am 16. Dezember 1921 kehrte Hainisch am Vormittag wieder nach Wien zurück. Schober schloss in Prag mit den tschechoslowakischen Partnern den Vertrag von Lana ab, der die im Friedensvertrag von St. Germain 1919 und im Vertrag von Trianon 1920 vereinbarten Bestimmungen bekräftigte. Beide Staaten garantierten einander wechselseitig ihre Gebiete und die Neutralität, sollte einer der beiden angegriffen werden. Zudem verpflichtete man sich, auf dem jeweiligen Staatsgebiet keine politischen oder militärischen Organisationen zu dulden, die sich gegen den Bestand des anderen richteten. Schober unterschrieb damit eigentlich nur etwas, wozu Österreich ohnehin durch die Friedensverträge verpflichtet war, insbesondere bekräftigte er das Anschlussverbot an Deutschland und anerkannte die tschechische Annexion von Sudetenland, Böhmerwald und Südmähren.

Auslöser einer schweren Regierungskrise#

Er war überzeugt, nichts herzugeben, was nicht bereits verloren war. Und er erhielt dafür viel: Die Tschechoslowakei erklärte sich bereit, mehr Kohle und Zucker nach Österreich zu liefern und einen Kredit von 500 Millionen tschechischen Kronen zu gewähren. Bene sagte auch zu, sich bei Frankreich und Großbritannien für weitere Kredite an Österreich einzusetzen. Damit ersetzte Österreich das bestehende Geheimabkommen von 1920 durch ein besseres. Schober - selbst kaisertreu und deutschnational - hatte erkannt, dass er nicht seinen Emotionen folgen dürfe, sondern nur Realpolitik betreiben könne. Laut "Wiener Zeitung" erklärte Schober in Prag, das Abkommen sei der beste Beweis dafür, dass beide Staaten friedlich nebeneinander leben und ihr gutes Verhältnis noch vertiefen wollten. Das Ergebnis seines Besuches bezeichnete er als "höchst erfreulich".

Doch die Besiegelung des Vertrages, der am 15. März 1922 in Kraft trat, löste eine schwere Regierungskrise aus, die letztlich zu Schobers Rücktritt führte. Gegen den Vertrag liefen die Großdeutschen, die Innenminister Leopold Waber in der Regierung vertrat, sämtliche völkischen Verbände, aber vor allem die Nationalsozialisten Sturm. Sie alle warfen Schober, der ihnen ideologisch eigentlich nahestand, "Verrat an den Sudetendeutschen" vor.

Für ihre zahlreichen Versammlungen gegen Lana holten sich die Nazis auch Redner aus Bayern, so auch einen gewissen Adolf Hitler. Er trat am 28. Dezember 1921 in einer Versammlung des NS-Vereines für Deutsch-Österreich im Alten Rathaus in Wien auf. Laut einem Polizeibericht meinte er, in Deutschland stehe es ähnlich wie in Österreich, auch dort gebe die Regierung Schritt für Schritt den Feinden Deutschlands, vor allem den Franzosen, nach. Er bezeichnete es als dringend notwendig, die Judenfrage zu lösen, und sah im Vertrag von Lana eine Einkreisungsbestrebung der Siegermächte gegen Deutschland.

Den Verlust Ödenburgs hatten die Großdeutschen dem Kanzler gerade noch verziehen. Dass sich Schober aber nicht nur auf die Italiener stützte, die Südtirol besetzt hielten, sondern nun auch noch auf die Tschechen, die das Sudetenland nicht hergaben, war für sie zu viel. Sie zogen ihren Minister aus der Regierung ab, die am 26. Jänner 1922 zurücktrat. Der Vertrag von Lana wurde mit den Stimmen der Christlichsozialen und der oppositionellen Sozialdemokraten gegen jene der Großdeutschen beschlossen.

Am 27. Jänner - nach eintägiger Kanzlerschaft Walter Breiskys - war Schober freilich wieder im Amt, nun ohne großdeutschen Minister, aber mit Unterstützung der Großdeutschen im Parlament. Den Vertrag von Lana verziehen sie ihm jedoch nie. Am 10. April 1922 - gerade auf dem Rückweg von einer erfolgreichen Weltwirtschaftskonferenz in Genua - erfuhr Schober, dass die Großdeutschen seine Regierung erneut gestürzt hatten. Ignaz Seipel, der Parteichef der Christlichsozialen, übernahm nun selbst die Kanzlerschaft und erreichte noch im selben Jahr die "Genfer Sanierung" Österreichs.

Wiener Zeitung, 20. Dezember 2021