Die Explosion der kreativen Zerstörung#
Der österreichische Ökonom Joseph Alois Schumpeter setzte vor hundert Jahren eine Denkrevolution in Gang: Innovation war seine Leitidee - Internet-Boom und Erfolgsunternehmer geben ihm recht#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: Der Standard, Dienstag 1. März 2010.
Von
Lukas Sustala
Der britische Ökonom John Maynard Keynes war überzeugt von seiner Berufswahl. "Die Ideen von Ökonomen und politischen Philosophen, seien sie richtig oder falsch, sind mächtiger, als allgemein zugegeben wird. Tatsächlich wird die Welt von wenig anderem bestimmt." 1883 geboren, hat Keynes die Volkswirtschaftslehre nachhaltig verändert. Doch es ist gerade nur um wenige Monate ältere österreichische Ökonom Joseph Alois Schumpeter, der den Wirtschaftswissenschaften seinen Stempel aufgedrückt hat. Die Leitidee des österreichischen Wirtschaftswissenschafters:der Unternehmergeist.
Vor genau 100 Jahren hat Schumpeter diesen Geist in die Flasche bekommen und während seiner Professur an der Universität Czernowitz das Buch Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung verfasst. "Es ist eines der wichtigsten Bücher des 20. Jahrhunderts" , hebt Thomas McCraw, Professor für Unternehmensgeschichte an der Harvard Business School, die Relevanz hervor, denn Schumpeter habe die Rolle des Unternehmers im Kapitalismus definiert. Dieser sei es, der die Wirtschaft mit Innovationen voranbringe.
Im Zentrum seiner Betrachtung steht die Triade aus Erfindung, Innovation und Diffusion. Der Unternehmer nutzt eine neue Idee, schafft den Produktionsprozess und bringt die Innovation auf den Markt. Ein Schwerpunkt, der nicht von ungefähr kam. "Schumpeter war kein typischer Akademiker. Er war kurz Finanzminister, Bankmanager, er hat sich nicht vor der wirtschaftlichen Wirklichkeit gescheut," betont McCraw, der erst 2008 das ausführliche Werk Schumpeter:Eine Biografie veröffentlichte. Doch dabei ist Schumpeter auch grandios gescheitert. Als Finanzminister war er nur sieben Monate im Amt, als Bankier führte er die Biedermann-Bank in der Phase der großen Inflation in die Pleite.
"Eine der mächtigsten Ideen" #
Doch das Scheitern gehörte für Schumpeter zum Fortschritt dazu. Der Prozess der "kreativen Zerstörung" würde neue Technologien hervorbringen, und alte Strukturen vernichten. In seinem Buch Konjunkturzyklen dokumentierte er Zyklen, die von Innovation ausgelöst wurden, den Aufstieg und Fall ganzer Branchen. Die Entstehung der Eisenbahn und deren Kommerzialisierung veränderte das Transportwesen radikal und stürzte Postkutschen-Unternehmer in den Ruin. Der Aufstieg und Fall von Unternehmen - für Schumpeter war das die "ökonomische Evolution" . Damit unterschied er sich deutlich von seinen Kollegen:"Er dachte von der Volkswirtschaft als biologischer Organismus, nicht als Maschine" , sagt McCraw.
Auch der jüngste Zyklus technologischer Entwicklung verlief in Schumpeters Bahnen. Die Internet- und Kommunikationsbranche erlebte einen massiven Boom Ende der 1990er-Jahre, ehe der Aufschwung durch das Platzen der Aktienblase im Jahr 2000 jäh unterbrochen wurde. Was blieb, waren Glasfaserkabel und eine Handvoll Unternehmen, von Ebay bis Amazon, die auch heute noch den Alltag der Konsumenten verändert haben.
Professor Arthur Diamond von der University of Nebraska at Omaha hat die zunehmende Bedeutung Schumpeters messbar gemacht. In einem Artikel für das Journal of the History of Economic Thought kommt er zu dem Ergebnis, dass Schumpeter seit Mitte der 1990er-Jahre öfters in sozialwissenschaftlichen Journalen zitiert wird als Keynes, knapp 50 Prozent häufiger. Das ist kein Zufall. Denn große Unternehmerpersönlichkeiten hätten ihren Beitrag geleistet. "Unternehmer wie Bill Gates oder Steve Jobs rückten Schumpeters Theorie und den Fokus auf den Entrepreneur ins Rampenlicht" , so McCraw.
Das dürfte sich leicht verschoben haben. 2009 feierten die Volkswirtschaften die "Rückkehr des Meisters" . Keynes, bekannt für seine Konjunkturtheorie, war wieder in aller Munde, als sich Regierungen weltweit - seiner Theorie folgend - gegen die Krise stemmten, mit Konjunkturpaketen, neuen Schulden, niedrigeren Steuern.
Schumpeter im Weißen Haus#
Doch auch in der Wirtschaftspolitik ist die Übermacht Keynes nicht mehr so deutlich zu spüren. Larry Summers, bis 2010 ökonomischer Berater von US-Präsident Barack Obama und ehemaliger Leiter der Harvard University, bezeichnet Schumpeter als den wichtigsten Ökonomen für das21. Jahrhundert. Schumpeter habe mit seinem Fokus auf "die Macht von Innovation und unternehmerische Initiative" eine "ökonomische Wahrheit" bestätigt, schrieb Summers in einem Text für das Weiße Haus.
Werner Hölzl, Innovationsökonom am österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), betont, dass Schumpeters Thesen gerade durch die Innovationsökonomie in der Wirtschaftspolitik stärkere Beachtung finden, auch in Europa. "Man arbeitet in vielen Ländern an der Gründungsdynamik" , so Hölzl. Dabei ist die gesteigerte Produktivität ein entscheidender Punkt. "Schumpeters Theorie verlangt nicht immer mehr, mehr. Sie setzt auf den qualitativen Wandel."
Der soziale Unternehmer#
Dieser Wandel ist aber nicht zwangsläufig ökonomischer Natur. "Schumpeter wird man nicht gerecht, wenn man ihn nur als Ökonomen sieht" , meint Josef Hochgerner, Professor und wissenschaftlicher Leiter am Zentrum für Soziale Innovation (ZSI). "Auch im Sozialen gibt es immer neue Ideen und Verfahren für die Lösung von Problemen." Und was für die kommerzielle Innovation die Marktdurchdringung ist, sei eben für den sozialen Fortschritt die Institutionalisierung. Die Hürden sind dabei mitunter größer. "Nehmen wir die Schulpflicht. Das ist eine soziale Innovation, die Generationen gebraucht hat, um sich durchzusetzen."
Und auch hier kommen einzelne unternehmerische Personen immer stärker in den Mittelpunkt. So rief Muhammed Yunus, Friedensnobelpreisträger und Gründer der auf Mikrokredite spezialisierten Grameen-Bank in Bangladesch, zu mehr "sozialem Unternehmertum" auf.
Denn auch bei sozialer Innovation sei der Innovationsprozess von der Erfindung bis zur Marktreife zentral, so Hochgerner. Denn dann erst habe der soziale Unternehmer seinen "Gewinn" erzielt.
Der berufliche Weg von Joseph Alois Schumpeter (1883-1950) war kein geradliniger. Früh ging es für den am 8. Februar 1883 im mährischen Triesch geborenen Joseph nach Graz. In Wien studierte er Staatswissenschaften und war Teil der "Österreichischen Schule" , besuchte Seminare mit Nationalökonomen wie Ludwig von Mises oder dem späteren Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek.
Doch Schumpeter schwenkte von einer akademischen Laufbahn, nach Professur und Auslandsaufenthalten, auf eine politische Karriere um. 1919 war er Finanzminister einer sozialdemokratischen Regierung, musste aber nach Skandalen gehen. Sein Ausflug in die Privatwirtschaft war ebenso wenig von Erfolg gekrönt. So kehrte Schumpeter 1925 Wien den Rücken zu. Es folgten Professuren in Bonn und ab 1932 an der Harvard University.
Geldprobleme begleiteten Schumpeter lange. Nicht nur sein Lebensstil war teuer, auch die Schulden aus der Pleite der Biedermann-Bank zwangen ihn immer wieder, bezahlte Vorträge zu halten und Auftragswerke zu verfassen.
Schumpeter widmete sich in seinem Werk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie verstärkt mit der Demokratietheorie, soziologischen und politischen Fragen. Sein Einfluss geht über seine Werke hinaus, war er doch an der Harvard University Lehrer einiger der wichtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. (sulu)