#Amazonien-auch-bei-uns!#
Rückendeckung für mutige Bischöfe aus dem Kirchenvolk#
Von
Paul M. Zulehner
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 313/2019
Um was es geht#
Es war ein Paukenschlag. Rom hat die Errichtung von Großpfarreien in der deutschen Diözese Trier gestoppt (Vatican News vom 28.11.2019). Die Diözese wollte damit nicht nur die pastorale Zusammenarbeit in größeren Räumen befördern – was ein wichtiges Anliegen ist und bleibt. Das treibende Motiv bei der Errichtung von wenigen XXL-Pfarreien war – wie auch anderswo – faktisch die Bewältigung des dramatischen Priestermangels, und das durch die Auflösung vieler Pfarreien mit einer langen eigenen Geschichte Gottes mit ihnen – ein grimmiger Eingriff also in das Volk Gottes und eine tiefe Kränkung vieler Engagierter.
Wäre das, was die Bischöfe Amazoniens dem Papst mutig vorgeschlagen haben, auch für uns eine Alternative zu den massiven Strukturreformen, welche auch viel lebendiges Gemeindeleben offenen Auges zerstören? Dazu erklären uns derzeit Bischöfe, dass dieser Mangel an Priestern nicht so groß sei, wie eben im riesigen Gebiet Amazoniens. Sie tun das wider besseres Wissen. Man muss sich nur den Altersaufbau der derzeitigen Priesterschaft ansehen. Gar viele sterben, wöchentlich senden Diözesen Todesanzeigen aus. Es rücken auch nur wenige einheimische Priester nach. Die Folgen sind dramatisch: Ein Pfarrer der Erzdiözese Wien erzählte mir, dass eine Waldviertler Pfarrei vor 40 Jahren einen eigenen Pfarrer und zwei volle Sonntagsmessen hatte, Dazu jeden Tag eine Messe unter der Woche. Heute haben fünf Pfarreien einen Pfarrer, Eucharistiefeiern sind selten, unter der Woche bleibt die Kirchengemeinde gottesdienstfrei. Dazu kommt, dass heute schon Diözesen einen Anteil an Priestern mit anderer Muttersprache bis zu über 60 Prozent haben. Und viele, so zeigt eine Studie für die Deutsche Bischofskonferenz, sind nicht in der Lage zu „geistlicher Kommunikation“, die zum Herz heutiger Seelsorge gehört. Dazu muss man die Kultur und damit die Sprache eines Landes lieben und kennen. Nun sagen uns Bischöfe, dass viel wichtiger als der Priestermangel ein dramatischer Gläubigenmangel sei. Und für die weniger werdenden Gemeinden genügen auch weniger Priester. Aber das ist zu einfach und vor allem klerikalistisch-vorvatikanisch argumentiert. Zudem hätten die Leute, so argumentieren Bischöfe weiter, auch keinen „eucharistischen Hunger“, den Papst Franziskus in anderen Erdteilen diagnostiziert und für denen Stillung er die Hirten verantwortlich macht. Aber man kann auch Gemeinden der Eucharistie entwöhnen. Was einmal schwere Sünde war, wird schlicht dem Priestermangel geopfert. Die Leute könnten ja auch so zusammenkommen und das Wort Gottes feiern. Was freilich faktisch geschieht, so zeigen meine Studien, ist eine Art beschleunigte Entkirchlichung vieler Menschen. Man rettet die ehelose Lebensform für immer weniger Priester und opfert dafür lebendiges Gemeindeleben. Papst Franziskus hat die Bischöfe Amazoniens aufgefordert, ihm mutige Vorschläge zu machen. Das haben sie auf der Synode vor kurzem gemacht, die in Rom stattgefunden hat. Sie schlagen dem Papst vor:
„Die zuständige Autorität gemäß Lumen Gentium Kapitel 26 möge Kriterien und Voraussetzungen schaffen, um geeignete und von der Gemeinde anerkannte Männer zu Priestern zu weihen. Sie sollten bereits ein fruchtbares Diakonat und eine Ausbildung zum Priesteramt absolviert haben und sie sollten eine legitime und stabile Familie beibehalten können. Auf diese Weise sollen sie das Leben der christlichen Gemeinde durch die Verkündigung des Wortes und die Feier der Sakramente in den entlegensten Zonen des Amazonasgebiets aufrechterhalten.“ (111)
Message control#
Der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Franz Josef Bode von Osnabrück, vermerkte zur Frage einer ARD-Journalistin am 23.4.2019: „Wenn irgendwo in der Welt diese Möglichkeit gegeben ist, dann darf man sich nichts vormachen. Man wird sagen: Wenn es grundsätzlich geht, dann muss es auch in Situationen gehen, wo die Not zwar anders ist, dann wird man das nicht genau so begründen, aber dann werden wir uns danach fragen müssen. Das ist ja ganz klar. Es wird nicht ruhig bleiben.“ Nun hat in Österreich der Wiener Kardinal Christoph Schönborn in der Bischofskonferenz offenbar die „message control“ übernommen. Die Bischöfe Manfred Scheuer von Linz und Bischof Hermann Glettler von Innsbruck haben daraufhin medial zurückgerudert. Man habe, so die neue kirchenpolitische Erzählung, über die Hauptsache (die „cosa“) zu reden, also die Rettung des Regenwaldes und damit die ökologische Krise, die bedrängend sei. Innerkirchliche Themen sind vergleichsweise „cosette“ (Sächleins), über die man auch nicht reden soll. Ich ziehe mir diesen Schuh nicht an. 1990 hatte ich in meiner Pastoralen Futurologie bereits auf die ökologische Herausforderung verwiesen. Auch setzt sich die Katholische Aktion Österreich schon lange für eine ökosoziale Steuerreform ein. Mag ja sein, dass die Dringlichkeit der ökologischen Krise manchen Bischöfen erst jetzt aufgeht. Umso peinlicher ist es, mit deren Hilfe von den innerkirchlichen Hausaufgaben abzulenken.
Betroffene Gemeinden haben einen ganz anderen Zugang zum Ergebnis der Amazoniensynode. Beispiel: Pfarre Gersthof. Eine lebendige Gemeinde. Mit vielen jungen Menschen, Familien, Alleinlebenden. Ein starker Gottesdienst, Sonntag um Sonntag volle Kirche. Diese Pfarrei soll jetzt in eine Pfarre neu mit 50000 Katholiken integriert werden. Zurecht rebelliert die Gemeinde. Und nach dem Urteil zu Trier werden auch sie Recht behalten, wenn sie eigenständig bleiben wollen. Dann aber stellt sich auch bei ihnen die Frage, wer der Eucharistiefeier vorsteht. Es gibt genug „personae probatae“, die ausgebildet und ordiniert werden können. Daher sollen auch wir im deutschen Sprachraum dem Papst mutige Vorschläge machen. Noch haben wir lebendige Gemeinden und genug Personen, die für eine Leitung zur Verfügung stehen. Ein weiteres Beispiel: Helmut Schüller, Pfarrer im niederösterreichischen Probstdorf mit vier Teilgemeinden, ließ in allen vier Gemeinschaften wählen, wer als „gemeindeerfahrene Person“ in Frage käme. 110 Personen wurden nominiert. Sieben haben sich auch bereit erklärt, umgehend eine Ausbildung zu beginnen.
Die Zölibatsfalle#
Medien wie Vertreter der Kirchenleitung, aber auch Altreformer aus den nachkonziliaren Zeit tappen angesichts der Amazoniensynode und ihrer Vorschläge in die Zölibatsfalle. Sie übersehen, dass es nicht um die Beseitigung des für sie „typisch katholischen“ Modells des ehelosen, akademisch ausgebildeten männlichen Priester geht. Vielmehr soll dieser für nicht absehbare Zeit der Standardtyp bleiben. Daneben aber soll eine zweite Säule des Priesteramts aufgebaut werden. Diese Priester anderer Art kommen aus lebendigen Gemeinden (während die traditionellen Priester vom freien Berufungsmarkt kommen). Sie haben sich für die „Jesusbewegung“ entschieden und leben in Gemeinschaften des Evangeliums in lebendigen Pfarreien. Dort haben sie ehrenamtliche Dienste inne, hin bis zur Leitung. Sie sind also „personae probatae“, bewährte Personen. Bischof Fritz Lobinger, em. Bischof von North-Aliwal in Südafrika, der dieses Modell entworfen hat, spricht sich strikt gegen die automatische Weihe von Diakonen aus, wenn diese nicht von den Gemeinden gewählt sind. Auch meidet er den Begriff der „viri probati“, also die umstandslose Weihe von in Ehe und Familie bewährten Männer. Da hat Kardinal Gerhard Ludwig Müller schon Recht, dass dies ein zu oberflächliches Vorgehen wäre und die Kraft der Kirche in lebendigen Gemeinschaften des Evangeliums nicht unbedingt stärken würde. Die Kriterien für den Zugang zum neuen Priestertyp sind andere: Es sind Personen, die sich der Jesusbewegung angeschlossen haben, randvoll mit dem Evangelium sind, engagierte Mitglieder einer Gemeinschaft des Evangeliums, leitungserfahren. Zudem sollte dieses Modell nur dann erwogen werden, wenn nicht nur das Evangelium lebendig ist, sondern es auch einen „eucharistischen Hunger“ gibt: also ein Gespür dafür, dass in der Feier des Herrenmahl Gewalt in Liebe, Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi, die versammelte Gemeinde selbst in den „Leib Christi“ und mit diesen ein Stück Welt verwandelt wird: so Papst Benedikt XVI. auf dem Weltjugendtag zu Köln im Jahre 2005. Es wäre zu wenig, wie Helmut Schüller schon als Präsident der Caritas Österreichs vermerkte, wenn sich Katholiken am Sonntag lediglich „zu einem religiös verschönten Konditoreibesuch“ treffen. Da droht im Sinn von Günter Anders keine Wandlung. Aber wenn 700.000 Menschen in Österreich sich wirklich wandeln lassen, aus Angsthasen in solidarisch und politisch Liebende, dass ist am Montag das Land anders, sozial weniger kühl und menschlich weniger arm.
Und die Frauen?#
Bischof Fritz Lobinger spricht ausdrücklich von „personae probatae“ und nicht von „viri probati“. Er hält die Tür zur Ordination auch von Frauen offen. Die Amazoniensynode argumentiert in dieser Hinsicht behutsam. Sie geht davon aus, dass gewährte Gemeindeleiter aus dem normalen Weg über das Diakonat zu Priestern geweiht werden. Auf diesem Hintergrund beschreiben Sie die Wichtigkeit von Frauen im kirchlichen Leben des Amazonasgebiets so:
„In vielfältigen Beratungen in der Amazonas-Region wurde die fundamentale Rolle der Ordensfrauen und anderer Frauen in der amazonischen Kirche und ihren Gemeinden angesichts ihrer vielfältigen Dienste anerkannt und unterstrichen. In vielen der genannten Beratungen wurde ein Ständiger Diakonat für Frauen gefordert. Daher war das Thema auch bei der Synode sehr präsent. Papst Franziskus hat 2016 eine Studienkommission über das Diakonat der Frau eingesetzt. Diese Kommission kam zu einem Teilergebnis über die Realität des Frauendiakonats in den ersten Jahrhunderten der Kirche und die Implikationen für heute. Deshalb würden wir gerne unsere Erfahrungen und Überlegungen mit dieser Kommission teilen und wir erwarten ihre Ergebnisse.“ (103)
Öffnet der Papst den Frauen den Zutritt zum Diakonat, wäre ein wichtiger Schritt zur Öffnung aller ordinierten Ämter für Frauen getan. Das sehen auch jene so, die dagegen sind, und deshalb alles tun, dass eine einschlägige Kommission entsprechende negative Ergebnisse liefert. Der Papst hat aber den Handschuh aufgegriffen, den ihm die Kommission hingeworfen hat – so sagte er wörtlich in einem Gespräch nach der Synode und wird der Kommission aus dem Umkreis der Bischöfe aus Amazonien neue Mitglieder beigesellen. Aber für viele – wie dem Bischof Franz- Josef Overbeck von Osnabrück – steht fest, dass die Zukunft der Gemeinden nicht vom YChromosom abhängen kann.
Petition#
Um lebendigen Gemeinden die Möglichkeit zu geben, Priester neuer Art zu gewinnen, gegen die es theologisch wie kirchenrechtlich keinerlei Gegengründe gibt, braucht es mutige Bischöfe. Es wäre schade, wenn diese nach weiteren dreißig Jahren bekennen würden, wie es Kardinal Schönborn im Radio-Café unlängst tat: „Dreißig Jahre waren wir Bischöfe zu feig!“ Eine Petition soll ihnen dabei den Rücken starken, dem Papst auch für unsere Ortskirchen mutige Vorschläge zu machen. Diese Petition haben schon bald 5000 Personen unterzeichnet. Täglich werden es mehr. Auch schließen sich immer mehr wichtige kirchliche Organisationen an, wie beispielsweise die Katholische Aktion Österreichs, aber auch das Stadtkonzil Recklinghausen oder die Pfarre Kottingbrunn.
Wem dieser mutige Weg einleuchtet, hat die Möglichkeit, den Bischöfen im deutschsprachigen Raum den Rücken zu stärken und den Fluchtweg der Feigheit abzuschneiden. Die Möglichkeit zum Unterstützen findet sich auf www.amazonien-auch-bei-uns.com. Danke fürs Mitmachen und fürs Verbreiten.
Und als vertiefende Hintergrundlektüre lohnt sich zu lesen: Paul M. Zulehner: Naht das Ende des Priestermangels? Ein Lösungsmodell, Ostfildern 2019. Dieses Essay ist von den Bischöfen Erwin Kräutler und Fritz Lobinger gegengelesen und somit hochauthentisch.
Emer. O. Univ. Prof. Dr. DDr. h.c. Paul Michael Zulehner (* 20. Dezember 1939 in Wien) ist ein österreichischer Theologe und katholischer Priester. Er gehört zu den bekanntesten Religionssoziologen Europas.