Sehr geehrter Herr Bischof Dr. Kapellari!#
Von
Herbert Kohlmaier
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit, Nr. 34/2012
In Ihrem über Ihre Diözese hinaus verbreiteten Hirtenbrief zur Fastenzeit weisen Sie die Reformbewegungen in unserer Kirche zurecht. Dies bedarf energischen Widerspruchs, zu dem ich mich als Mitbegründer der Laieninitiative und deren Vorstandsmitglied sehr persönlich gedrängt fühle. Ich will in diesem offenen Brief an Sie meine Einwände auf Ihre Behauptungen so vorbringen, dass ich darauf im Einzelnen eingehe:
1. Die Reformbewegungen setzen in ihrer Überzeugung einer historischen Sendung die Einheit der Kirche aufs Spiel und wollen eigenmächtig deren Steuerrad ergreifen.#
Keiner von uns will die Leitung der Kirche an sich ziehen, wir anerkennen deren notwendige Ordnung. Allerdings kann niemand übersehen, dass der von der Hierarchie eingeschlagene Kurs gefährlichen Untiefen zusteuert. Nicht ohne Grund verlassen Viele – um bei Ihrem Bild zu bleiben – das Schiff. In so einer Situation ist es Pflicht verantwortlicher Katholiken, eindringlich zu warnen und notfalls auch „einzugreifen“, um eine Richtungskorrektur herbeizuführen, nicht aber das Steuer zu „ergreifen“. Wir sind tatsächlich davon überzeugt, dass dies eine „historische Sendung“ bedeutet!
Ja, die Einheit ist ein kostbares Gut und Sie stellen richtigerweise fest, dass es im Gegensatz dazu bereits eine Spaltung gibt. Haben Sie über deren Ursache wirklich nachgedacht? Alle Lebensweisheit und die Wissenschaft vom Menschen erkennen, dass bei einem Auseinandergehen nie ein Teil allein die Schuld trägt. Die überwiegende Zahl der Kirchenmitglieder kann sich nicht mehr mit dem identifizieren, was die Kirchenleitung tut und vor allem unterlässt. Eine der Quellen des spirituellen Reichtums der Kirche ist der Sensus fidelium, doch er ist heute nicht mehr ein Consensus mit der Hierarchie. Das bedeutet eine ganz große Gefahr für die Zukunft unserer Glaubensgemeinschaft!
Eindeutige demoskopische Ergebnisse zeigen, dass gerade über die von Ihnen erwähnten „heißen Eisen“ die Menschen anders denken, als die Kirchenleitung. Ist da nur „Glaubensverlust“ die Ursache, wie immer wieder unintelligent und ideenlos behauptet wird? Sie sehen sich als Hirte. Als solcher müssten Sie wahrnehmen, dass die „Schafe“ die fruchtbaren Weiden des Evangeliums keineswegs verlassen, sondern immer mehr den dürr gewordenen Boden eines unfruchtbaren Klerikalismus meiden. Wo sind heute die „Lebenskeime“ des Glaubens zu finden, die Sie zu Recht erwähnen? Bei den Menschen, die sich noch für ihre Glaubensgemeinschaft engagieren, Männer und Frauen! Und genau das tun auch die Reformbewegungen.
2. Die Forderung nach einer Eucharistiefeier ohne Priester läuft auf einen offenen Bruch mit dem Kern der verbindlichen katholischen Lehre über die Kirche und deren Sakramenten hinaus.#
Sehr geehrter Herr Bischof, es gibt tatsächlich einen Bruch, einen tiefen und verhängnisvollen, den allerdings jene Regeln der Kirche herbeigeführt haben, an denen Sie sich festklammern. Es ist ein Bruch mit Jesus, der in unüberbietbarer Offenheit zu allen Menschen ging und uns seine Anwesenheit zusagte, wenn wir in seinem Namen zusammenkommen. Davon, dass dies von der Zwischenschaltung eines Kirchenfunktionärs abhängig sei, ist bei ihm keine Rede.
Wir wären sehr dankbar, wenn es Geweihte ausreichend gäbe, die mit allen Gemeinden feiern! Wäre dies der Fall, würde niemand von „priesterlosen Eucharistiefeiern“ reden. Aber Sie sind wie alle Bischöfe der „Weltkirche“ – und in der mitzureden wäre sehr wohl auch Ihre Pflicht! – nicht in der Lage, uns genug Priester zur Verfügung zu stellen. Wiederum nicht, weil es einen Glaubensverlust gäbe, sondern weil die Kirche mit ihren unbiblischen Zulassungsbestimmungen zahlreiche Berufungen abweist und vernichtet. Sie lädt damit eine historische Schuld auf sich, ja sie begeht eine Sünde gegen Christus. Da sind wir zum Widerstand aus unserem Gewissen berechtigt und verpflichtet!
3. Die Kirche hat von Christus her nicht die Vollmacht, Frauen das Weihesakrament zu spenden.#
Angesichts dieser Behauptung kann ich bei Ihnen – verzeihen Sie mir das! – entweder nur mangelndes theologisches und kirchenhistorisches Wissen oder ein Sacrificium intellectus auf dem päpstlichen Altar erkennen. Wer auch nur oberflächlich im Glauben gebildet ist, weiß, dass Jesus weder Priester weihte, noch den Auftrag oder die „Vollmacht“ dazu gab. Er wurde von der jungen Kirche bekanntlich als der einzige Priester angesehen und wir erfahren dabei, dass alle Getauften seines Priestertums teilhaftig sind. Dass man in der Folge ein gesondertes und über die Gläubigen erhöhtes Amt wieder einführte, entsprach angenommener Zweckmäßigkeit und einem empfundenen Bedürfnis der Obrigkeit; wohl auch des damals noch ungebildeten Kirchenvolkes.
Das Amt wurde so ausgestattet, wie man es in der immer mächtiger werdenden Kirche für angebracht hielt. Menschenwerk zeigt sich uns da, nicht aber gewissenhafte Nachfolge Jesu. Daher kann die Kirche die Gestaltung des Dienstes nicht nur ändern, sondern sie muss es auch. Hier und jetzt, will sie der Seelsorge keinen unwiederbringlichen Schaden zufügen!
4. Betreffend die Frauen bedeutet nicht jede Unterscheidung – wie der Ausschluss vom priesterlichen Dienst – eine „Diskriminierung“.#
Bei allem Respekt – wodurch sich Frauen diskriminiert zu fühlen haben, und wo nicht, obliegt nicht Ihrem Urteil. Noch immer schließen einige Ihrer Amtsbrüder Mädchen sogar vom Dienst am Altar als Ministrantin aus. Wird „gleiche Würde“ schon deswegen hergestellt, weil man Frauen administrative Leitungsaufgaben (gnädig) überträgt und es weibliche Heilige gibt?
Sehr geehrter Herr Diözesanbischof! Ich will keineswegs übersehen, dass Sie in Ihrem Hirtenbrief auch positive Aspekte erwähnen. Aber Ihr Hauptmotiv scheint zu sein, die Reformbewegungen als Gefahr für die Kirche abzumahnen. Sie fühlen sich offenbar verpflichtet, mit dem betonten Beharren auf dem Standpunkt Roms in schwierig gewordenen Zeiten ein bestimmtes Signal zu setzen. Es ist freilich ein falsches. Wir vernehmen es, aber weder beeindruckt das die Erneuerungskräfte, noch kann es diese entmutigen.
Warum tun Sie das überhaupt in einer zugegebenermaßen für die Bischöfe schwierigen Situation, die sich ja vatikanischem Druck einerseits und dem der Reformkräfte andererseits ausgesetzt sehen? Wir sollen also nach Anhören Ihres Hirtenbriefes keine Aussicht haben, dass sich etwas zum Besseren ändern könnte. Diese Hoffnung wollen Sie uns offenbar austreiben, ein für allemal. Passt dies zu dem angeblich angestrebten und allseits verkündeten „Dialog“? Man könnte das vielmehr als Verhöhnung empfinden.
In Ihrem Hirtenbrief ist eine prinzipielle Fehlhaltung spürbar, die zu erkennen und abzulegen Sie wohl nicht in der Lage sind. Offenbar meinen Sie, das Schicksal und die Zukunft der Kirche lägen in der Hand der Hierarchie. Das wäre nur dann so, wenn die Bischöfe und das „Oberhaupt“ der Kirche (gemeint ist da von Ihresgleichen der „Heilige Vater“, nicht aber Jesus) im Einklang mit dem Kirchenvolk handeln wollten. Doch die in der Vergangenheit errichteten Barrieren werden nicht weggeräumt, sondern von Ihnen neuerlich und ganz bewusst befestigt.
Wir sind auch als mündige Christen sehr wohl bereit, Autorität anzuerkennen. Doch diese wird keineswegs allein durch ein Amt hergestellt, sondern muss durch rechtes und mutiges Handeln erworben werden. Nicht aber nur durch blinden „Gehorsam“ gegenüber einem antiquierten und untauglich gewordenen Regelwerk! Rechte Autorität, die sich nicht nur auf Würden und Titel stützt, wird verspielt, wenn man nicht auf Volkes Stimme hört. Denn damit bewirkt man, dass auch dieses umgekehrt nicht mehr zuhört!
Paulus sagt, in Christus würden Unterschiede aller Art überwunden, auch die zwischen Männern und Frauen. Hätte es damals schon Bischöfe („Exzellenzen“), Monsignori und Prälaten gegeben, hätte er wohl hinzugefügt: Es gibt nicht mehr geistliche Obrigkeit und deren Untergebene. Absurd ist also, was Papst Gregor XVI. – einer der angeblichen „Stellvertreter Christi“ – sagte und was als Gift im Leib der Kirche fortwirkt: „Es kann niemandem verborgen sein, dass die Kirche eine ungleiche Gesellschaft ist, in der die einen zum Herrschen, die anderen zum Gehorchen bestimmt sind.“ Bildet das gar für Sie noch immer den Hintergrund Ihrer Belehrungen und Verurteilungen?
Ist Ihnen und Ihren Amtsbrüdern nicht erkennbar, dass die Kirche ihre Lebenskraft und ihre Zukunft verspielt, wenn die unaufhaltsamen Entwicklungen in einer frei und selbstbewusst gewordenen Gesellschaft als „Zeitgeist“ abgetan werden, wie es ständig geschieht? Wenn Bischöfe uneinsichtig und in ängstlicher Abwehr stehen bleiben, wo die Menschen voranschreiten? Diese Menschen unserer Zeit haben nach wie vor ein Bedürfnis nach dem Glauben. Aber ganz und gar nicht, bloß vorgefertigte und unverständlich gewordene Vorschriften zu hören. Sie wollen motiviert und überzeugt werden. Glauben Sie wirklich, dass Ihr Hirtenbrief das bewirkt? Das durch die Zeiten wandernde Volk Gottes braucht Verständnis, Vertrauen und befruchtendes Tun in Einmütigkeit.
Sehr geehrter Herr Bischof, Sie stehen so wie ich am Abend Ihres Lebens und Wirkens. Da muss ein selbstkritischer Rückblick erfolgen. Bei einem Geistlichen hat dieser wohl in erster Linie unter dem Gesichtspunkt zu erfolgen, ob man dem Willen Jesu entsprochen hat. Der Nachweis dafür, dass man von Menschen erfundene Regeln hartnäckig verteidigt hat, obwohl sich diese längst als unzureichend und sogar schädlich erwiesen haben, wird da wohl nicht zur Rechtfertigung genügen.
Der christliche Umgang miteinander erfordert offene Worte. Die werden Sie also, wie ich hoffe, verstehen, denn uns allen geht es trotz unterschiedlicher Sichtweisen um das Wohl der Kirche.
Mit meinen besten Grüßen