Eigenverantwortetes Christentum#
Statement bei der Präsentation des Buches „Die Neue Kirche – Was Christen heute glauben; NEWCAT“ #
am 31. 5. 21, Club stephansplatz 4#
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 382/2021
Von
Herbert Kohlmaier
Auch in unseren fortgeschrittenen Gesellschaften hat Kirche unverzichtbare Aufgaben. Die Mehrheit der Menschen will nach Ergebnissen der Sozialforschung, dass unsere Kultur christlich geprägt sein soll. Doch die Kirche befindet sich in einer existenziellen Krise. Immer mehr haben kein Interesse mehr an ihr, viele verlassen sie. Der Kirchenglaube gerät in Vergessenheit. Wie soll da das Christliche bewahrt werden?
Die Überwindung jeder Krise erfordert drei Schritte: Die Ursachen müssen erforscht und ein nüchterner, objektiver Befund ist zu erstellen. Dann sind Überlegungen anzustellen, welche Maßnahmen erforderlich sind. Diese sind schließlich umzusetzen. In diesem Sinn:
1. Erneuerung als Überlebensfrage
Die Ursache dafür, dass die Kirche Glaubwürdigkeit und Bedeutung verloren hat, liegt nicht in einem allgemeinen Glaubensverlust, sondern ist im Wesentlichen auf zwei Tatsachen zurückzuführen:
- Das System Kirche wurde nach strikt autoritären und zentralistischen Prinzipien errichtet. Die Gläubigen sind ohne Mitwirkungsmöglichkeiten einem elitärautokratischen Regime unterstellt, das heutigen Auffassungen über die Gestaltung von Gemeinwesen widerspricht. Es wurde und wird aber beibehalten.
- Die Glaubenslehre der Kirche beruht auf überholten religiösen Vorstellungen längst vergangener Zeiten. Ihre Umsetzung in der Liturgie sowie die Sprache der Verkündigung wirken auf Menschen von heute antiquiert und unverständlich, vor allem die Jugend.
2. Welche Ziele sind angesichts dessen zu verfolgen?
Es wäre notwendig und selbstverständlich, dass die Kirchenleitung des Vatikans angesichts dieser Situation Schritte der Erneuerung setzt. Sie ist aber dazu weder gewillt noch imstande. Man verharrt in der Annahme, eine heilige und göttlich zugeteilte Aufgabe zu erfüllen, deren Handhabung von niemandem in Frage gestellt werden darf.
Damit ist eine verhängnisvolle Situation eingetreten: Eine Institution, die von argem Vertrauensverlust betroffen ist, reagiert nicht darauf. Sie stellt damit ihre Mitglieder vor die Alternative, entweder die bestehende Situation nolens volens zu akzeptieren (was manche auch tun) oder die Gemeinschaft zu verlassen. Damit ist die Kirche vom Schrumpfen auf eine kleine Schar der Ergebenen bedroht.
Um Kirche und Glauben in geeigneter Form zu erhalten, muss zweierlei geschehen:
- Wesen und unverzichtbarer Wert des Christentums müssen unabhängig von überholten religiösen Vorstellungen wieder ins Bewusstsein gerufen werden. Dies darzulegen ist die eigentliche Absicht meines Buches.
- Das klerikale Kirchensystem muss unter Beibehaltung der kirchlichen Gemeinschaft außer Wirksamkeit gesetzt werden.
3. Wie kann gehandelt werden?
Das Wesen des Christentums besteht nicht aus Kult, Ritualen und vielen Vorschriften; Jesus hat das stets betont. Entscheidend ist daher, ein neues Verständnis des Glaubens zu gewinnen. Christentum bedeutet in Wahrheit eine Gesinnung und eine Haltung menschlicher Begegnung.
Rechtes Verständnis dessen, was christlich ist, kann man nicht anordnen, sondern es muss durch vorbildhaftes Handeln und überzeugende Darlegung, auch in der Erziehung, gebildet werden.
- Wer den Glauben erst nimmt, sollte sich diese Aufgaben stellen.
Neukirchlich orientierte Kirchenangehörige sollten nach wie vor überall dort dabei sein und mitmachen, wo die Kirche Gutes tut und inspirierende Feiern anbietet. Es sollten nicht Auseinandersetzungen mit Gegenpositionen geführt, sondern Ungeeignetes vermieden und versucht werden, Geeignetes auf konstruktive Weise einzumahnen. (Das Aufsagen des sog. „Apostolischen Glaubensbekenntnisses“ ist längst unzumutbar geworden.)
Darüber hinaus sollten, wo immer es im Sinn eines gelebten Glaubens sinnvoll ist, in Eigenverantwortung besser geeignete Feiern gestaltet werden. Da die gängige Messe das so bedeutsame Vermächtnis Jesu verfremdet, sind bis zu einer Korrektur authentische Gedächtnisfeiern angebracht. Bereits jetzt versammeln sich immer öfter Glaubende zum gemeinsamen Brotbrechen. Solche Zusammenkünfte erweisen sich in der Praxis als beglückende Erlebnisse.
Die Kirche wird nicht als altertümliche Zwangsveranstaltung überleben, sondern als kreative Gemeinschaft, die lebendig und entsprechend heutigem demokratischem Verständnis vielfältig im Gemeinsamen ist. Das kann durch unser Verhalten erreicht werden!
In der Schlussfolgerung meines Buches schreibe ich:
„Zunehmend wird ignoriert, was nach Kirchenrecht oder Katechismus verbindlich wäre. In dieser Situation brauchen nicht wir die kirchlichen Amtsträger, sondern sie uns. Irgendwann werden sie, wenn es keine Umkehr gibt, Macht und Bedeutung ganz verloren haben. Bis dahin darf die Kirche aber nicht bereits entvölkert sein, sondern es sollten in ihr nach wie vor Frauen und Männer wirken, die gemeinsam und bewusst ihre Kirche gestalten wollen.“
Und weiters:
„Wenn es für uns ein Idealbild von Kirche gibt, dann müssen wir versuchen, es durch unser eigenes Tun zu verwirklichen Wer sollte uns daran hindern, und mit welchem Recht? Die Zeit für ein eigenverantwortetes Christentum ohne die Bürde des Klerikalismus ist gekommen. Der Glaube stellt uns immer vor Aufgaben. Jetzt gilt es, die Kirche aus einer existenziellen Gefahr zu befreien, in die sie durch Uneinsichtigkeit geraten ist. Sie würde, wollte sie dem Wort Jesu getreulich folgen, gerade in unserer Zeit sehr gebraucht!“