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Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen#

Von

Thomas Olechowski

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 174/2016


„Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen“ (Joh 14,2). Von allen Verheißungen Christi ist diese eine der schönsten. Sie kann zunächst dahin verstanden werden, dass Gottes Heil nicht auf einige wenige Menschen eingeschränkt ist, sondern vielen offen steht. Aber wer genau liest, dem wird auffallen, dass es nicht heißt: es gibt eine große Wohnung. Es heißt vielmehr: es gibt viele Wohnungen. Darf dies auch so verstanden werden, dass das Haus des Vaters Wohnungen hat für sehr unterschiedliche Menschen, und dass es nicht einen Wohnungsschlüssel gibt, sondern deren viele?

Das, glaube ich, darf ebenfalls in dieses Bibelwort hineingelesen werden, wenn auch mit dem Zusatz, den der Heiland selbst seinen Worten hinzufügt: „niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Aber es gibt eine Wohnung für den verlorenen Sohn, der das Erbteil seines Vaters verprasst hat, später Reue gezeigt hat und zurückgekehrt ist, genauso wie für den Sohn, der immer beim Vater geblieben ist und ihm treu gedient hat. Es gibt eine Wohnung für den sündigen Zollpächter Zachäus und eine für den frommen Rabbi Nikodemus. Es gibt eine Wohnung für den Heiligen Augustinus, der sich erst spät zum Christentum bekehrte, eine für den Heiligen Paulus, der sogar Christen verfolgte, bevor er sein Damaskuserlebnis hatte, und eine für die Heilige Maria, die nie widersprach, sondern in dem Moment, als ihr ihr Schicksal eröffnet wurde, dem Boten Gottes nur zur Antwort gab, dass sie die Magd des Herrn sei und ihr nach seinem Wort geschehen solle.

„Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen“. Dies war der Titel eines 2010 erschienenen Dokumentationsfilms über die Grabeskirche in Jerusalem, die in der Hand von sechs verschiedenen christlichen Konfessionen ist, zwischen denen es immer wieder zu Streit kommt, weshalb die Verwahrung der Schlüssel und der Pförtnerdienst von zwei muslimischen Familien besorgt wird. Muss es immer dort, wo ein Haus viele Wohnungen birgt, zu Streit unter den Nachbarn kommen?

Heute fühlen sich viele Christen in keiner Kirche beheimatet, gerade auch in Österreich. Manche von ihnen sind mit den Lehren der Kirche nicht einverstanden. Viele aber wollen sehr wohl teilhaben an der eucharistischen Gemeinschaft, dürfen es aber nicht, sei es, weil sie erneut geheiratet haben, sei es, weil sie den von ihnen verlangten Zölibat nicht mehr einhalten können, sei es, weil sie den gleichgeschlechtlichen Partner, den sie lieben, nicht verleugnen wollen, sei es aus anderen Gründen. Das Dilemma, in dem sich diese Menschen befinden, war einer der wesentlichen Gründe dafür, dass die Laieninitiative gegründet wurde. Die Laieninitiative (im Folgenden: LI) will diesen Menschen wieder Halt geben und ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind; sie setzt sich dafür ein, dass diese Menschen nicht mehr länger ausgegrenzt werden. Eingrenzen statt Ausgrenzen – das ist, das muss die Devise der LI sein.

Für die LI ergeben sich aus dieser Aufgabe schwierige Probleme: Ihr muss willkommen sein, wer immer sich zu ihren Zielen bekennt, auch wenn er/sie in manchen Punkten eine abweichende Ansicht von der der Mehrzahl der übrigen Mitglieder hat. Das bedeutet, dass eine gewisse Heterogenität der Meinungen notwendigerweise zur LI gehört; dieses Wesensmerkmal sollte allerdings nicht als Manko, sondern im Gegenteil als Stärke gesehen werden, denn nur dort, wo viele Meinungen aufeinander treffen, kann es zu fruchtbringenden Dialogen kommen. Es muss möglich sein, innerhalb der LI auch radikal abweichende Ansichten äußern zu können, es muss eine offene Diskussionskultur geben. Doch dürfen diese Diskussionen nicht damit enden, dass man versucht, Kompromissformeln zu finden, die dann wieder Verbindlichkeit für alle beanspruchen.

Von solchen Versuchen ist die Kirchengeschichte voll, und bekanntlich hat jede neue Versuch, einen Glaubenssatz zu definieren (finis – Grenze) zu einer neuen Kirchenspaltung geführt. Nur ein Beispiel sei als besonders tragisch hervorgehoben, nämlich die Bemühungen der Konzilien des 5. Jh., eine vermittelnde Formel zwischen der Ein- und der Zweinaturenlehre Christi zu finden, was letztlich zum Bruch der Römischen Reichskirche sowohl mit den Vertretern der Einnaturenlehre (den Miaphysiten, wie v.a. den Kopten) als auch mit ihren Gegner (den sog. Nestorianern) geführt hat. Daher: keine neuen Definitionen! Vielmehr: „Ertragt einander!“ (Kol 3,13).

Verliert die Laieninitiative damit Kontur? Vielleicht ein wenig. Doch dieses Risiko muss eingegangen werden, damit die Laieninitiative nicht denselben Fehler macht wie die Amtskirche jahrhundertelang zuvor. Allzu groß werden die Verwerfungen meines Erachtens auch nicht sein, zumal sich die LI ausdrücklich als Vereinigung der Katholischen Kirche nach can 215 Codex Iuris Canonici begreift und zum Ziel hat, die Kirche nicht von außen, sondern von innen her zu erneuern. Wer Mitglied oder Sympathisant der LI ist, ist daher notwendigerweise auch Mitglied oder Sympathisant der Katholischen Kirche samt ihrer Lehren. Und auch diese muss eine Vielfalt der Meinungen aushalten können.

A.o. Univ. Prof. Dr. Thomas G. Olechowski ist Vorstandsmitglied der Laieninitiative. Er lehrt Rechts- und Verfassungsgeschichte an der Universität Wien, ist wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Geschäftsführer der Bundesstiftung "Hans Kelsen-Institut".


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