Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Vom Bischof zum System zur Ideologie - Was aus Limburg zu lernen ist#

Von

Hermann Häring

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 104/2013


Die Diskussion um die Person Tebartz-van Elst hat ihren Höhepunkt überschritten. Seit einigen Tagen wird die Frage nach den Strukturen gestellt, die sein umstrittenes Verhalten ermöglichten. Dazu gehört auch, warum denn ein Rücktritt oder eine Amtsenthebung so schwierig sind. Wenn schon ein Papst sein Amt aufgeben kann, warum nicht der Chef einer kleinen Diözese? Und wenn sich ein Bischof schon in seinem Bistum nicht mehr sehen lassen kann, welchen Sinn macht noch sein Antichambrieren im Rom, als ob dort Ludwig XIV. das Zepter führte?

Angst vor Erosion#

Sex und Geld, so schrieb am 17. Oktober DIE ZEIT, sind die großen Systemrisiken eines Bischofs. Sie aber können nur so gefährlich werden, weil das gesamte Klerikersystem von seiner Intransparenz lebt. Die vorerst hilflosen Versuche der Bistümer, ihr Finanzgebaren offen zu legen, führen das allen vor Augen. Bis heute gibt es keine durchgreifenden Kontroll- und Revisionssysteme, die nicht wieder vom Entscheidungsträger selbst kontrolliert werden. Vor Jahren erklärte Kardinal Lehmann öffentlich, als römisch-katholischer Bischof könne er dem Papst nicht widersprechen. Warum eigentlich nicht?

Das Kernproblem liegt nicht im monarchischen System mit seinen absolutistischen Zügen, sondern in der Hartnäckigkeit, mit der die Bischöfe einhellig an ihm festhalten und ängstlich darauf achten, dass es nicht erodiert. Sie werden von einer Mentalität getragen, die aus der Zeit gefallen ist. Der unerschütterliche Corpsgeist dieses Männerclubs, der nach Möglichkeit jeden Dissens unter der Decke hält, begegnet dem Papst genau deshalb in Ergebenheit oder Dankbarkeit. Andere Spielregeln kann er sich nicht ausdenken.

Ein erster Grund dafür sind persönliche Verunsicherung und Machterhalt. Keine andere Großorganisation gesteht ihrer Führungselite so viel geistige, geistliche und technische Führungskompetenz, eine geradezu archaische Vaterrolle zu. Streng genommen kann ein Bischof seine bischöflichen Kernvollmachten nie verlieren. Das schafft Prozesse enormer Identifikation, und deren Erschütterung muss die Betroffenen in tiefste Krisen stürzen. Man erinnert sich, wie zäh Bischof Mixa 2010 an seinem Amt klebte und wir erleben, mit welch unglaublicher Energie Tebartz-van Elst gerade seine Haut retten möchte.

Nostalgie und Antimodernismus#

Ein zweiter Grund liegt in bildungsbeflissener Nostalgie und Pseudoromantik. Die katholische Führungsriege lebt aus der Vergangenheit, der vermeintlichen Reinheit der Urkirche, aus der zeitlosen Jenseitstheologie der ersten Jahrhunderte, dem machtvollen Bischofsglanz des Mittelalters und dem auftrumpfenden Barock, der den „Triumph der Gnade“ inszeniert. Dorthin gehört auch die eher hilflose Prachtentfaltung des an sich bescheidenen Ratzinger-Papstes. Unter diesen Vorzeichen werden alle Reformvorschläge als Versuch gewertet, gute christliche Traditionen abzuwürgen.

Ein dritter Grund führt zur prinzipiellen Ablehnung der Moderne, in der Kirchensprache „Antimodernismus“ genannt. Dazu gehört die Überzeugung, nur das katholische „Lehramt“ könne ihr widerstehen. Mit Unterbrechungen wird dieser Antimodernismus seit 140 Jahren propagiert, von 1910-1976 durch den „Antimodernisteneid“ aller Kleriker untermauert. In dieser Frontstellung werden Purpur und Goldbrokat, Mitra und Bischofsstab, Ring und Brustkreuz unvermerkt zum Zeichen einer überirdischen Kampfansage. Im Namen der christlichen Wahrheit wird der Relativismus der Neuzeit bekämpft. Die Würdenträger verdrängen ihren höchst irdischen Machtanspruch und die Versuchung zur Eitelkeit. Allen andern innerhalb und außerhalb der Kirche hängt der Verdacht an, dass sie vom Glauben zu wenig verstehen.

Archaische Kirchenideologie#

Der vierte Grund ist der wichtigste. Strukturen, Verhalten und Mentalität leben aus einer dogmatisch fixierten Kirchenideologie. Sie rechtfertigt das absolutistische Amtssystem mit einer vormodernen Theologie und erweckt den Eindruck, alles sei von der Schrift und der frühen Geschichte her begründet. Nach ihr sind die Bischöfe Mitglieder einer überirdischen, apostolisch begründeten „Nachfolge“. Sie handeln unmittelbar im Namen Christi, belehren und schützen so auch die „Laien“ vor den weltlichen Verführungen. Deshalb können sie nicht zulassen, dass man ihnen auf Augenhöhe gegenübertritt. So gesehen erhält der Aufruf Papst Benedikts zur „Entweltlichung“, also zu Bescheidenheit und Weltdistanz, eine pikante Note. Diese Entweltlichung gilt natürlich für alle Christen, nicht aber für die Fälle, in denen die Hierarchie die weltliche Pracht für göttliche Aufgaben in Dienst nimmt. Warum also zur Ehre Gottes, d.h. zur Verfügung eines Bischofs, keine Prunkresidenz bauen, wie Giovanni de‘ Medici, genannt Leo X., den Petersdom mit Ablässen finanziert hat? Auch mancher Bischof mag dieser Argumentation wohl nicht zustimmen, er kann aber nicht leugnen, dass die Ideologie dieser Tendenz entspricht.

Damit berühren wir den wunden Punkt des letzten Reformkonzils (1962-1965) und der nachkonziliaren Zeit. Damals wurden zwar wichtige Leitlinien erweitert und Akzente gesetzt. Doch die alten theologischen Grundlagen wurden kaum korrigiert. Der heutige Glaubenspräfekt Gerhard L. Müller verteidigt sie noch bis aufs Messer, und Kardinal Kasper hält trotz liberaler Attitüde in seinem letzten Kirchenbuch (2011) ungeniert an diesen alten Betonpfeilern fest. Kardinal Lehmann war zwar immer um Öffnungen bemüht, scheute aber immer die offene Kritik. Die unnachgiebigen Kritiker (etwa H. Halbfas, H. Küng, L. Boff, E. Drewermann, G. Hasenhüttl und feministische Theologinnen) wurden systematisch an den Rand gedrängt und von ihren Kollegen im Stich gelassen. Zu allem Elend haben die protestantischen Fachleute das Protestieren schon lange verlernt.

Den Reaktionären widerstehen#

Die Situation verändert sich, wir stehen aber am Beginn eines dornigen Weges. Der Papst äußert sich zwar als geistlicher Lehrer; er versieht aber ein hervorragendes Amt. Zwischen diesem Amt und seiner sympathischen Spiritualität klafft eine gefährliche Lücke. Schon jetzt scheinen sich reaktionäre Kräfte zu formieren, die zum Gegenangriff blasen. Deshalb gilt nach wie vor die Frage, die sein Vorgänger provoziert hat: Ist diese Kirche noch zu retten oder schafft sie sich selber ab? Von den Schriftzeugnissen und einer gegenwartsbewussten Theologie her ist die Legitimation des aktuellen Herrschaftssystems nicht nur Unsinn, sondern auch verwerflich, antibiblisch und gegen die große, ökumenisch kirchliche Tradition. Diesem ideologischen Theoriegebäude ist in aller Form und im Namen urkatholischer Wahrheitsprinzipien zu widersprechen. Bischöfliches Lehrmonopol und amtliche Traditionen, hierarchische Unfehlbarkeit und päpstlicher Rechtsprimat, Privilegierung des Zölibats und Deklassierung von Frauen, der Wesensunterschied zwischen Getauften und den Priestern in ihrer Reihe, dies alles hat mit der christlichen Botschaft wenig zu tun. Auch die Verfasser des aktuellen „katholischen Katechismus“ hätten dies alles besser wissen können.

Die Suppe aber löffeln jetzt alle aus. Ähnliches gilt von zahllosen Professorinnen und Professoren katholischer Theologie, die tapfer ihre Lehrstühle verteidigen und dafür manches Auge zudrücken. Ich kann nur raten, wenigstens die Unfehlbarkeitslehre, diese Superideologie der Rechthaberei, kritisch ins Visier zu nehmen. Solange ihr nicht die Zähne gezogen sind, können wir auf keine Verbesserung der Strukturen und der Mentalitäten hoffen. Bis 2017 müsste klar sein, dass die hochaktuellen Impulse eines Martin Luther auch bei uns angekommen sind. Sonst ist eine Schlacht wieder einmal verloren.

Em. Prof. Dr. Hermann Häring lehrte katholische Systematische Theologie an der Universität Nijmegen. Diese Professur wurde 1999 nach Konflikten mit dem Vatikan in eine für Wissenschaftstheorie und Theologie umgewandelt. Hier baute er das interdisziplinäre Institut für Theologie, Wissenschaft und Kultur auf. Er wurde 2005 emeritiert und blieb wissenschaftlicher Berater beim Küngschen „Projekt Weltethos“. Er erhielt den Herbert-Haag-Preis.


Bild 'sim-link'
Austria-Forum Beiträge in ähnlichen Gebieten