Der Katechismus-Glaube – ein Circulus vitiosus der Kirche?#
Prolog: Innerkirchliche Kritik ist notwendig#
Von
Theodor Gams
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 229/2017
Die Aussage, wonach innerkirchliche Kritik notwendig ist, übernehme ich von dem weithin bekannten und kirchlich anerkannten deutschen Theologieprofessor Eugen Biser (1918 – 2014), dessen Wirken der Münchener Erzbischof Reinhard Kardinal Marx in einem Nachruf ehrend gedachte (Zitat zu Fußnote 7). Kritik ist mir auch wichtig angesichts der großen Zahl von Sorgen und Leid an der Kirche, welche mir in über 33 Diakons-Jahren Gläubige und „Fernstehende“ mitteilten. Die Krise der Kirche – ein Syndrom?
Das Fremdwörterbuch des Dudens definiert für den medizinischen Bereich den circulum vitiosum als „gleichzeitig bestehende Krankheitsprozesse, die sich gegenseitig ungünstig beeinflussen“. Ein Syndrom bezeichnet eine Kombination von verschiedenen Krankheitszeichen (Symptomen), die typischerweise gleichzeitig und gemeinsam auftreten.
Dass es um die r.-k. Kirche in der „westlichen Welt“ schlecht bestellt ist, wird weithin so gesehen. Als Ursachen dafür nennen die Gegner von Reformen u. a. die Säkularisation der westlichen Gesellschaften und die Verwässerung der reinen Lehre: die Menschen hörten nicht mehr auf die Kirche. Die Befürworter von Reformen aber benennen als Ursachen u. a. die hierarchische Struktur der Kirche, das starre Festhalten an überkommenen Glaubensinhalten und das damit verbundene Auseinanderdriften von Welt und Kirche, von Lehrsätzen und Lebenserfahrung: die Kirche hörte nicht mehr auf die Menschen.
Die unterschiedlichen Meinungen zum Krankheitssyndrom der Kirche verbreiten sich mittlerweile auch vom Vatikan aus in die Öffentlichkeit und werden dabei noch überboten von unzähligen Fällen körperlicher Gewalt und sexuellen „Missbrauches“ an Kindern, zuletzt in über 500 „Fällen“ bei den Regensburger Domspatzen[1] unter Georg Ratzinger und von der achtlosen und anonymen „Entsorgung“ von 800 Kinderleichen in eine ehemalige Klärgrube, was zwischen 1925 und 1961 durch irische Schwestern des Bon-Secour-Ordens geschah[2].
Die Entwicklung der Lehre bis zum Katechismus der Katholischen Kirche (KKK)#
Im Kapitel 20 des Buches Exodus findet sich der Text als Grundlage für die zehn Gebote. Darin findet sich in Vers 4 auch der Text „ Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben“. Trotz dieses Gebotes haben Menschen, die in ihrer Sprache über Gott kaum ohne Bilder auskommen, sich schon immer einer Bildersprache bedient; so auch Jesus, wenn er von Gott als seinem Vater spricht. Auch Paulus und die Evangelisten haben, bedingt durch ihre jeweils eigene Glaubens- und Welterfahrung Bilder verwendet, um von Gott zu ihren Lesern, den Menschen einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Erfahrungshorizontes in jeweils unterschiedlichen Bildern zu sprechen. Das ist verständlich, bedarf aber immer der Einsicht, dass es sich bei allen Aussagen über Gott immer nur um Bilder, nicht um absolute Wahrheiten handeln kann.
Nach Ende der Verschriftlichung von Glaubensaussagen im Neuen Testament entwickelten sich Glaubensaussagen, bedingt u. a. durch Einflüsse der griechischen Philosophie weiter; sie wurden zunächst durch Kirchenväter entfaltet und später, bedingt durch die konstantinische Wende von der römischen Religionspolitik gravierend beeinflusst und in Kirchenversammlungen (Konzilien) seit 325 in Nizäa auch zu Dogmen erhoben, wobei diese bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht selten historisch veranlasste Reaktionen (z. B. das Unfehlbarkeitsdogma als Reaktion auf den Fall des Kirchenstaates) darstellten. Glaubensaussagen und -verständnis haben sich, historisch bedingt, immer, gelegentlich auch offiziell geändert. So galt z. B. die Lehre des Monogenismus lehramtlich nur bis zum 2. Vatikani-schen Konzil. Vielleicht deshalb wollte Papst Johannes Paul II. im Lehrsystem Ordnung schaffen und berief 1986 eine Kommission aus zwölf Kardinälen und Bischöfen unter Vorsitz von Joseph Kardinal Ratzinger ein, die in sechs Jahren einen Entwurf für den Katechismus vorbereitete und von Diözesanbischöfen und Fachleuten für Theologie und Katechese bei der Redaktion unter-stützt wurde. Sekretär der Katechismus-Kommission war Christoph Schönborn, damals Profes-sor für Dogmatik in Fribourg[3].
Der KKK ist in vier Abschnitten mit insgesamt 2865 Absätzen gegliedert. Die vier Abschnitte befassen sich mit dem Glaubensbekenntnis (dem Glauben), der Feier des christlichen Mysteriums (den Sakramenten), 3. dem Leben in Christus (der Moral) und dem christlichen Gebet (dem Ge-betsleben). Im Vergleich dazu gelten im jüdisch-orthodoxen Glauben neben den 10 Geboten in der Thora weitere 613 jüdische Vorschriften, 365 Verbote und 248 Gebote. Eine Kurzfassung des KKK – ein Kompendium des KKK - erschien am 28.06.2005 mit einem „Motu Proprio“ Schreiben von Papst Benedikt XVI, umfasst nur ca. 250 Seiten und kostet als Taschenbuch im Versand nur ca. 10 €.
Beispiele neuerer fragwürdiger Glaubens- und Lehraussagen#
Da an dieser Stelle weder auf Aussagen des KKK noch auf andere Dokumente der Lehrverkündigung[4] eingegangen werden kann, sollen hier einige Aussagen vorgetragen werden, die nach Meinung des Autors die Ursache für den o. a. Circulum vitiosum darstellen, in welchem sich Kirche bewegt.
Beispiel 1 ist das Schreiben von Papst Benedikt XVI, welches er am 16. 06. 2009 an alle Priester der Welt richtete. Darin schreibt er über das Sakrament der Priesterweihe, wobei er häufig Johannes Maria Vianney, den heiligen Pfarrer von Ars zitiert: Die bewegende Formulierung „Das Priestertum ist die Liebe des Herzens Jesu“ veranlasst uns dazu, dankbar bewusst zu werden „welch unermessliches Geschenk die Priester... für die Kirche (und) auch für die Menschheit... sind.“ Und: „Oh wie groß ist der Priester!... Wenn er sich selbst verstünde, würde er sterben… Gott gehorcht ihm: Er spricht nur zwei Sätze aus, und auf sein Wort steigt der Herr... herab und schließt sich in eine kleine Hostie ein. ...Ohne das Sakrament der Weihe hätten wir den Herrn nicht“ Weiter: „Alle guten Werke zusammen wiegen das Messopfer nicht auf...“ Beispiel 2 sind Schreiben von vier Kardinälen vom September 2016 und April 2017 [5], in denen diese sich mit Fragen zur konkreten Auslegung des päpstlichen Schreibens "Amoris Laetitia" an Papst Franziskus wandten und dessen Wunsch, dass wiederverheirateten Geschiedenen Zulassung zur Eucharistie gewährt werde, als Gefahr für die reine Lehre der Kirche bezeichnen. Durch die "Interpretationen einiger sachlich zweideutiger Passagen" hätten Bischöfe, Kardinäle und sogar Bischofskonferenzen das gebilligt, "was das Lehramt der Kirche niemals gebilligt hat", nämlich die Zulassung zur Eucharistie für alle, "die sachlich und öffentlich in einer Situation der schweren Sünde leben" und nichts an ihrer Situation verändern wollen. Die vom Papst vorge-schlagene (jesuanische) Barmherzigkeit wollten sie nicht gelten lassen. Beispiele 3 und 4 sind Aussagen des früheren Sekretärs der Katechismus-Kommission, des jetzigen Erzbischofs von Wien, Christoph Kardinal Schönborn. In einem Zeitungsartikel zu Ostern vor einigen Jahren wird der Erzbischof zur Osterbotschaft und Auferstehung Jesu zitiert: „... und wenn das Grab nicht leer war, dann ist das alles (der Glaube) Pfaffengewäsch“. Das deckt sich mit dem KKK Kompendium, wo unter Nr. 132 steht: „Christus... fährt in den Himmel auf“. In einer vom Autor mitgehörten Predigt vor Jugendlichen in Mariazell vor dem Papstbesuch im Jahr 2007 behauptete Schönborn in einer Predigt, dass das Wandeln Jesu über den See Genezareth ein historisches Faktum sei. Dies, die leibliche Himmelfahrt Jesu und die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel sind nach aufgeklärtem Glaubensverständnis und historisch-kritischer Bibelauslegung (Exegese) Glaubensaussagen, keine historischen Fakten, auch wenn sie für Menschen mit traditionellem Glaubensverständnis durchaus von Bedeutung und akzeptabel sein mögen.
Das theistische Gottesbild und das der Mystik#
Die Lehre von einem personalen, transzendenten, über alles herrschenden Schöpfergott und Lenker der Welt wird als Theismus bezeichnet. Gott wirkt zwar in der Welt (etwa durch Wunder und Offenbarungen); er erhält die Welt und greift lenkend in sie ein, ist jedoch in der Substanz komplett von ihr verschieden. Dieses Gottesbild ist die Basis des KKK. Mit eben diesem Gottesbild haben viele Menschen aber heute große Verständnisschwierigkeiten. Nur zehn Prozent aller in einer Studie der Düsseldorfer Identity Foundation Befragten stimmten noch weitgehend
der Kirche amtlichen Verkündigung zu. Die große Mehrheit versteht einen Gott nicht, der ungerechtes Leiden von Menschen (Auschwitz, Shoa, u.v.a.) zulässt, der manche Gebetsbitten (angeblich) erhört, andere aber nicht, der Marien-Erscheinungen und Wunder zulässt, diese aber nur wenigen zugänglich werden. Ja selbst die Kirche hat für das Theodizee genannte Problem des ungerechten Leidens keine wirkliche Erklärung und bezeichnet es als Geheimnis. Die große Mehrheit der Christen kann mit den mythischen und theistischen Glaubensaussagen zu Trinität, Gottessohnschaft Jesu, Jungfrauengeburt, Opfertod, Erbsünde, Transsubstantiation (Wandlung), Leben nach dem Tode etc. nichts mehr anfangen. In nicht wenigen Gemeinden wird deshalb das Apostolische Glaubensbekenntnis nicht mehr oder nur mehr selten gesprochen, und an eine „heilsnotwendige“ Gnadenvermittlung durch den Vollzug sakramentaler (kultischer) Handlungen und Worte zu glauben, stellt eine Herausforderung für viele Menschen dar.
Ein anderes Gottesbild ist das der Mystik: Sie ist die Erfahrung einer unmittelbaren Anwesenheit des verborgenen Gottes, die den ganzen Menschen ergreift. Die christliche Spiritualitätsgeschichte ist reich an Frauen und Männern, die solche Erfahrungen gemacht haben. Gerade auch die dominikanische Tradition des Mittelalters kennt viele Gestalten, die mystische Erfahrungen gemacht haben und diese weitergegeben haben. Besonders bekannt ist die sogenannte „deutsche Mystik“. Ihre prägenden Gestalten waren die Dominikaner Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse, die beide Schüler Eckharts waren. Sie prägten wichtige mystische Grundworte wie Abgeschiedenheit, Gelassenheit, die Gottesgeburt im Seelengrund. Den Menschen ihrer Zeit Wege zur Erfahrung dieser Gottesgeburt im Innersten des Menschen, im Grund seiner Seele zu weisen, war ein wesentliches Anliegen dieser Mystiker.[6]
Eine zentrale Aussage des weltbekannten Theologen Karl Rahner ist seine immer wieder zitierte These „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein“, und Mystik ist eben nur denkbar als eine INDIVIDUELLE Interpretation des Glaubens. Vertreter dieser Theologie, die unter (dem heiligen) Papst Pius X, einem entfernten Verwandten des Autors, wegen „ Modernismus“ angezeigt wurden, hatten ja das Ziel, sozusagen eine liberale katholische Theologie zu schaffen, in der das religiöse Bewusstsein des einzelnen Katholiken (endlich einmal) aufgewertet in den Mittelpunkt gestellt werden sollte. Langsam scheint da und dort die Saat Rahners aufzugehen: Wer nämlich heute in christlichen Bildungshäusern an Meditationsübungen (z. B. Zen Buddhismus) teilnimmt, wird mit Erstaunen feststellen, dass dort der Anteil an Menschen der mittleren Generation deutlich größer ist als in den meisten katholischen Gemeinden. Junge Erwachsene suchen dort Antworten auf ihre Fragen nach dem Sinn des Lebens und finden sie hier eher als im KKK.
Der Circulus vitiosus des Katechismus-Glaubens#
Das Problem des Amtes:#
Der KKK beansprucht für sich, auf der Offenbarung Gottes zu beruhen und fordert als Lehrgebäude von Amtsträgern wie Gläubigen den Glaubensgehorsam, den sie aber oft kaum noch leisten können oder wollen. Wenn darüber hinaus neben dem Glaubens-Gehorsam von Amtsträgern noch der Gehorsam in disziplinären Fragen (Gehorsamseid, Zwangszölibat) gefordert wird, ist es nur verständlich, wenn sich immer weniger selbstständig denkende Menschen für den Dienst in der Kirche entscheiden, zumal auch das Ansehen des Priesterberufes an dem katastrophalen Kirchenbild gelitten hat. Da hilft auch die Lehre des KKK in Abs. 1121 nichts, wonach ordinierten Amtsträgern (Diakonen, Priestern und Bischöfen) mit ihrer „Weihe“ ein „unauslöschliches Siegel und göttlicher Schutz verliehen“ wird.
Diese Ansicht verleitet mache Amtsträger zur Ansicht, sie hätten eine besondere Stellung, was aber bei Gläubigen kaum noch Verständnis findet. Statt junge Menschen, welche die menschlichen, psychischen und spirituellen Voraussetzungen mitbringen, in einer soliden zeitgemäßen, theologischen und sozialen Ausbildung für ihren verantwortungsvollen Dienst in Kirche und Gesellschaft ohne Zölibats- und Gehorsamszwang vorzubereiten, werden häufig Aushilfspersonen aus anderen Kulturkreisen, oft mit völlig anderem Erfahrungshorizont eingesetzt, die theologisch, menschlich, sprachlich und spirituell nicht immer ein passender Ersatz sind. Daher führen eine fragwürdige Glaubenslehre, ein hierarchisches Kirchensystem und die Gehorsamsforderung zu einem Mangel an glaubwürdigen Verkündern und Verbreitern der Frohen Botschaft des Jesus von Nazareth. Die wenigen Verbliebenen aber sind durch mangelnde Anerkennung, durch administrative Aufgaben und durch ein Übermaß an kultischen Handlungen verunsichert: ein Circulus vitiosus.
Das Problem der sakramentalen Feiern:#
In ihnen, insbesondere in den Eucharistiefeiern finden sich nicht nur die schon erwähnten vielfach missverständlichen Glaubensaussagen. Auch in Aufbau, Texten und Liedern beruhen sie auf dem theistischen Gottesbild. Da wird statt eines Gedächtnisses des Liebesmahles Jesu noch immer das Kreuzesopfer „vergegenwärtigt“; in den Fürbitten wird um ein äußeres Eingreifen Gottes in das persönliche und gesellschaftliche Leben gebetet und wiederholt die Vergebung der Sünden erbeten, auch in einer weltfremden Sprache („ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach (?)“. Vernünftig denkenden Menschen wundern sich nicht, wenn Menschen, insbesondere Jugendliche, kaum noch Zugang zu solchen Feiern finden. Die Beteiligung nimmt ab und die wenigen Verbliebenen und die Vorsteher sind demotiviert: ein Circulus vitiosus.
Das Problem in der Verkündigung: Das monarchisch-hierarchische System der Kirche wider-spricht dem unserer westlichen Gesellschaft und dem einer Theologie vom Volk Gottes. Die Disparität der gesellschaftlichen Struktur in Kirche und Gesellschaft und die zwischen Glaubens-lehre und aufgeklärtem Wissen sind Ursachen, dass katholische Meinungsträger abwandern, auch weil Kritik (s.u.) unerwünscht ist. Darüber hinaus ist die Verkündigung oft individuell, moralisierend, zu wenig glaubwürdig und orientiert sich zu wenig an der Botschaft Jesu und deren gesellschaftlichen Aspekten: ein Versehen und Versagen der Kirche am Missionsauftrag heute; ein Absinken der Kirche in den Staus einer Sekte: ein Circulus vitiosus.
Das Problem mangelnder Kritik-Akzeptanz#
Eine Kirche, in der Kritik verpönt ist und nicht gehört wird, in der Theologieprofessoren in großer Zahl mit Lehr- und Schreibverbot belegt werden, missachtet das kritische Auftreten Jesu in seiner Zeit und die Bedeutung von Kritik, welche in der Neuzeit Immanuel Kant anmahnte, wenn er 1784 den Wahlspruch der Aufklärung definierte als den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, da er forderte: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Die kirchenamtliche Forderung, den vermeintlich göttlichen Lehrsätzen absoluten Glauben zu schenken, schließt kritisch Denkende aus und läuft letztlich auf deren intellektuelle Entmündigung hinaus: ein Circulus vitiosus. Wichtig wäre aber ein Verständnis dafür, dass der verstehende Glaube einem kritischen Bewusstsein nicht ausweichen kann. „Vielmehr nimmt er selbst kritisches Denken in sich auf, weil er als wissender Glaube notwendig kritisch und nur als kritischer wahrhaft wissend ist.“[7]
Der niederländische Theologe Harry M. Kuitert[8] stellt - so meine Zusammenfassung - fest:
„ Alles sieht ... danach aus, als wenn sich das Überflüssigwerden der konfessionellen Theologie ...durch fortschreitendes Nicht mehr verstanden-Werden als sanftes Verschwinden aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein vollzieht“.
Den circulum vitiosum durchbrechen – ein möglicher Ausweg aus der Krise?#
Ein Ausbruch aus dem circulo vitioso scheint nach Ansicht nicht weniger Theologen darin zu bestehen, das bestehende Lehrgebäude zu entrümpeln und es mit Glaubensaussagen am individuellen Erfahrungshorizont[9] der Gott suchenden Menschen neu einzurichten. Ein Gottesbild, das sich an der Mystik orientiert, kann dabei hilfreich sein, denn wenn beispielsweise ein Prediger lehrhaft behauptet: „Gott ist die Liebe“, dann entfacht er Fragen, wenn er aber sagt: „Wo die Liebe ist, da ist Gott“, dann gibt er eine glaubwürdige Antwort aus dem Glauben.
Ein an der Mystik orientiertes Gottesbild wird und muss wohl ebenso vielfältig und individuell sein, wie menschliche Erfahrungen eben individuell sind. Eine solche Mystik will Durchbuch sein, die nach Gott Suchenden zu stärken und sie zum Dienst an den Menschen herauszufordern. Diesem Gottesbild entspricht der Text von Desmond Tutu, Bischof und Friedensnobelpreisträger aus Südafrika. Er schrieb: «Ohne uns hat Gott keine Augen; ohne uns hat Gott keine Ohren; ohne uns hat Gott keine Arme und keine Hände. Gott braucht uns.»
Deshalb scheint mir als wichtigster Ausbruch aus dem circulo vitioso die Besinnung auf die diakonische Botschaft Jesu in den Gemeinden vor Ort. Der Dienst an den Menschen darf nicht auf die vorbildlichen Dienste der „organisierten“ Caritas transferiert werden, was leider nicht selten geschieht. Vernachlässigt wird ja häufig: Jesus gründete keine Kirche, hinterließ keine Glaubens-lehre, zelebrierte keine feierliche Liturgie und wandte sich gegen klerikale Kleidung. Er verkündete das anbrechende Reich Gottes auf Erden, wo sich seine Jünger - wir, die Christen - in seinem Sinne einsetzen sollen.
Das ist unsere Aufgabe, und dafür bräuchten wir heute die Unterstützung von Gemeindeleitern, Frauen und Männern, auch verheirateten, mit theologischen, spirituellen und menschlichen Qualifikationen, um die Menschen zu stärken für den gemeinsamen Dienst in unserer Gesellschaft und in der Welt.
Dipl. Ing. Theodor Gams, Gießhübl bei Wien, ist Unternehmer im Bereich Biotechnologie, seit 1983 Diakon der Erzdiözese München-Freising und (nur) als solcher im Ruhestand.
Fußnoten#
[1] ZEIT ONLINE, 18.07.2017 und SZ vom 19.07.2017[2] Christ in der Gegenwart, 30.07.2017
[3] wikipedia.org/wiki/Katechismus_der_Katholischen_Kirche
[4] Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, Neuner-Ross, bearbeitet von Rahner u. Weger, 10. Aufl. 1979 Verlag F. Pustet, Regensburg
[5] Neuer Brief der Dubia-Kardinäle an den Papst, katholisch.de vom 20.06.2017
[6] http://www.dominikaner.org/orden/mystik-und-spiritualitaet.html
[7] Theologie im Fernkurs, Domschule e.V. Würzburg, Aufbaukurs, Lehrbrief 1, 3.3. nach Eugen Biser, ca. 1983
[8] Harry M. Kuitert, „Kein zweiter Gott – Jesus und das Ende des kirchlichen Dogmas“, Patmos 2004
[9] Peter Rosien, „Mein Gott, mein Glück“ Ansichten eines frommen Ketzers, Publik Forum VerlagsgbH, 2007