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Von Kirchenreform, Kirchenspaltung und „katholischer Weite“#


Von

Heribert Franz Köck

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 226/2017


Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) hat in ihrer Ausgabe vom 12. Juni 2017 eine Leserdebatte zum Thema „Wie gelingt eine Modernisierung der katholischen Kirche, ohne dass sie daran zerbricht?“ angestoßen. Da diese Leserdebatten nach den NZZ-internen Regeln („Netiquette“) mit 24 Stunden begrenzt sind, kommen nur jene zu Wort, die sich sofort hinsetzen und ihren Beitrag aus dem Ärmel schütteln können. Überdies gelten Beiträge von mehr als 1.500 Zeichen als einer strukturierten Debatte abträglich und werden daher abgelehnt. Ob die eingegangenen Beiträge tatsächlich eine strukturierte Debatte widerspiegeln, darüber kann sich jeder unter der hier angegebenen Web-Adresse[1] selbst ein Bild machen. Dass man aber auf einer halben Seite keine fundierte Aussage zu einem so komplexen Thema machen kann, liegt auf der Hand.

Das Thema selbst freilich ist von hohem Interesse, betrifft es doch zwei wichtige Fragen der Kirchenreformdebatte. Droht bei einer „Modernisierung“ der Katholischen Kirche[2] eine Kirdernisierung“ der Katholischen Kirche unterbleiben?

Vorweg ist festzuhalten, dass „Modernisierung“ ein Schlagwort ist, das ihren Gegnern Gelegenheit gibt, ebenfalls mit Schlagworten wie „Kein Anpassen an den Zeitgeist!“ und „Ewige Wahrheiten kann man nicht ‚modernisieren‘!“ zu kontern, und daher von den innerkirchlichen Reformbewegungen ungern verwendet wird. Natürlich birgt jede Kirchenreform auch eine „Modernisierung“ in sich; diese besteht aber darin, die kirchliche Lehre und das kirchliche Recht, die sich vor einem früheren Erkenntnis- und Verstehenshorizont herausgebildet haben, unter dem jeweils aktuellen Horizont neu zu interpretieren und in ihrer Aussage bzw. Regelung der neuen Situation anzupassen.

Dabei kann dieses Neue auch ein Rückgriff auf etwas Altes, aber mittlerweile Verschüttetes sein, wie jede gelungene Renovierung durch den Einsatz von Neuem (Werkstoffe, Methoden) das wertvolle Alte zu besserer Geltung bringt. Im Übrigen hört die Notwendigkeit einer „Modernisierung“ niemals auf, weil sich der Erkenntnis- und Verstehenshorizont laufend erweitert und damit verändert, sodass Neu-Interpretation und Neu-Regelung jeder Generation (und in Wahrheit: jedem Einzelnen) aufgegeben sind, wie es ja auch die Maxime ecclesia semper reformanda zum Ausdruck bringt.

Die erste Frage – Droht bei einer „Modernisierung“ der Katholischen Kirche eine Kirchenspaltung? – könnte nur in Form einer Prognose beantwortet werden. Die Kirchengeschichte hat gezeigt, dass sich einzelne Gruppierungen, die mit der Kirche – d.h. aber: mit der Amtskirche und insbesondere mit der Kirchenleitung in Rom – unzufrieden waren, von ihr getrennt haben. Das war so mit den Protestanten im 16. Jh. und mit den Altkatholiken in 19. Jh. Beide müssen wir zu den Kirchenreformern zählen, für die aber zu ihrer Zeit ein „widerständiges“ Verbleiben in der Katholischen Kirche vor allem wegen der engen Verflechtung von Staat und Kirche („Thron und Altar“) nicht möglich oder doch nicht zumutbar war.

Erst seit die Anerkennung des Pluralismus in der Gesellschaft zu den Grundsätzen des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates und entsprechender überstaatlicher Gemeinschaften gehört[3], müssen „Reformer“ in der Katholischen Kirche nicht mehr befürchten, vom Staat drangsaliert zu werden, selbst wenn sie Rom als „Abweichler“ betrachtet. Und da die Katholische Kirche selbst, nach ihrem eigenen Selbstverständnis, diese „Abweichler“ auch nicht ausschließen kann, überdies als ungerechtfertigt angesehene Exkommunikationen – wie schon Thomas von Aquin festgestellt hat – im Gewissen nicht verbindlich sind, ist es heute für Kirchenreformer, die ihre Kirche lieben und sich gleichzeitig als Reformer ernstnehmen, nach der Maxime „Nicht austreten, sondern auftreten!“ möglich, als aktive Katholiken in dieser ihrer Kirche zu verbleiben.

Von dieser Seite ist also keine Kirchenspaltung zu befürchten, nicht einmal dann, wenn die „Modernisierung“ der Kirche noch länger auf sich warten lassen sollte. Das hat sich selbst unter den prononciert „anti-reformerischen“ Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gezeigt. Anders ist es bei den Gegnern der „Modernisierung“! Nach dem von Johannes XXIII. angestoßenen und mit dem Zweiten Vatikanum auf den Weg gebrachten aggiornamento, das freilich in der Folge von der Kirchenleitung in Rom immer mehr sabotiert wurde, hat sich eine ganze Reihe von traditionalistischen Gruppen von der Katholischen Kirche abgespalten, von denen die Pius-Bruderschaft nur die bekannteste ist. Es ist daher nicht auszuschließen, dass bei einer „Modernisierung“ der Kirche weitere Abspaltungen derartiger Gruppen drohen. Über dessen Ausmaß zu spekulieren ist müßig; wenn man seriösen Erhebungen unter den Gläubigen zur Frage der Kirchenreform glauben darf, werden sie wohl keinen größeren Zulauf haben. Für die Beantwortung der zweiten Frage – Müsste wegen einer drohenden Kirchenspaltung die angestrebte „Modernisierung“ der Katholischen Kirche unterbleiben? – darf das auch gar nicht entscheidend sein.

Entscheidend ist vielmehr, ob die angestrebte „Modernisierung“ unumgänglich ist. Nun wurde – auch von der theologischen Wissenschaft – schon lange gezeigt, dass und warum eine solche Modernisierung absolut notwendig ist[4]. Die derzeitige kirchliche Ordnung verstößt in den zentralen Punkten nötiger Reform – insbesondere Pflichtzölibat und Diskriminierung der Frauen durch Ausschluss vom Weiheamt – gegen die Menschenrechte und damit, weil diese naturrechtlich verankert sind, gegen das natürliche göttliche Recht. In solchen Punkten kann es auch keinen Kompromiss (etwa: kein Pflichtzölibat, aber nur für viri probati; Weihe für Frauen, aber nur zum Diakonat) geben; die bestehenden Regelungen stellen ein schreiendes Unrecht dar, das sofort und ohne Wenn und Aber abgestellt gehört.

In diesem Zusammenhang kommt gelegentlich der Einwand, man müsse doch „tolerant“ sein und auch auf die Traditionalisten Rücksicht nehmen; sogar die „katholische Weite“ wird da gerne bemüht. Aber abgesehen davon, dass die Abstellung von Unrecht niemals als „intolerant“ angesehen werde kann, muss man sich einmal die gegensätzlichen Standpunkte der Reformer und der Traditionalisten vor Augen halten, um zu erkennen, dass da eine missverstandene Toleranz zu einer fortdauernden Schieflage führen würde. Ich gebe nur ein paar Beispiele, die auch zeigen, dass die traditionalistische Position schon per se intolerant ist.

Die Reformer wollen keine Abschaffung des Zölibats; jeder, der sich dazu berufen fühlt, soll diese Lebensform wählen können. Niemand wird also verpflichtet zu heiraten. Die Reformer wollen nur die Abschaffung des Pflichtzölibats. Jeder, der sich zum Priesteramt berufen fühlt, soll seinen Familienstand – wieder nach seiner Berufung – frei wählen können. Die Traditionalisten wollen dagegen alle, die Priester werden wollen, zum Zölibat verpflichten. Keiner von ihnen soll frei wählen dürfen.

Die Reformer wollen keine Ersetzung der männlichen Priester durch weibliche. Aber jede/r, der/die sich berufen fühlt, soll zum Priesteramt zugelassen werden, gleichgültig, ob Mann oder Frau. Die Traditionalisten wollen hingegen Frauen vom Priesteramt weiter ausschließen. Frauen, die sich zum Priesteramt berufen fühlen, sollen es nicht wählen dürfen. Nur Männer dürfen zum Priesteramt zugelassen werden.

Die Reformer wollen, dass Eucharistiefeiern in der Kirche nach allen Riten zulässig sind. Das einzige Kriterium für die jeweilige Eucharistiefeier muss sein, dass den Teilnehmern ein lebendiges Mitfeiern möglich ist. Die Traditionalisten möchten nur die tridentinische Messe, möglichst in lateinischer Sprache, zulassen. Selbst die von der Kirche nach dem Zweiten Vatikanum vorgenommene Liturgiereform lehnen sie ab, wobei die dafür angeführten Argumente von „unfromm“ bis „ungültig“ reichen.

Die Reformer wollen, dass jeder die Kommunion in jener Form empfangen kann, die ihm am würdigsten erscheint. Wer glaubt, dass dies nur für die Mundkommunion zutreffe, soll sich „füttern“ lassen dürfen. Wer aber meint, dass „gefüttert werden“ eine ganz und gar unwürdige Form der Kommunion ist, soll auch eine andere Form (Handkommunion) wählen dürfen.

Die Reformer wollen, dass in der Kirche alle das tun können sollen, wozu sie befähigt sind. So sollen Laien das Predigtamt ausüben dürfen, wenn sie eine entsprechende Befähigung haben. Die Traditionalisten wollen, dass Laien das Predigtamt nicht ausüben dürfen, weil sie dieses den geweihten Amtsträgern vorbehalten wollen, obwohl die Eignung zur Predigt nicht von der Weihe, sondern bloß von der Befähigung abhängt, die nicht automatisch mit der Weihe mitgegeben wird und nicht automatisch bei Fehlen der Weihe abgeht.

Die Liste dieser Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Es sind also nicht die Reformer, die anderen gegenüber intolerant sind, sondern die Traditionalisten! Für diese aber gilt mutatis mutandis, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon ziemlich am Anfang seiner Rechtsprechung erklärt hat: Niemand kann sich auf eine der in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Freiheiten berufen, der selbst an der Untergrabung dieser Freiheiten arbeitet: Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit! Auf die Toleranz abgewandelt heißt das: Keine Toleranz für die Feinde der Toleranz!

Wobei die Reformer sogar hier nochmals tolerant sind: Die Feinde der Toleranz sollen das durchaus bleiben dürfen; man muss ihnen nur die Möglichkeit nehmen, in intoleranter Weise andere zu bevormunden oder zu behindern. Für aktive Intoleranz ist auch innerhalb des breiten Spektrums der „katholischen Weite“ kein Platz!


Fußnoten#

[1] https://www.nzz.ch/leserdebatte/leserdebatte-wie-gelingt-eine-modernisierung-der-katholischen-kirche-ohnedass- sie-daran-zerbricht-ld.1300368
[2] Im Gegensatz zur NZZ schreibe ich das „Katholische“ groß, weil es sich hier um den offiziellen Namen einer Religionsgemeinschaft handelt, neben der auch andere Kirchen in Anspruch nehmen, im ursprünglichen Sinn „katholisch“, also legitimer Teil der einen Kirche zu sein.
[3] Heute am besten in Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union zum Ausdruck gebracht, welcher die „europäischen Werte“ aufzählt: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“
[4] Hervorzuheben ist hier das Memorandum von Theologieprofessoren und -professorinnen zur Krise der katholischen Kirche „Kirche 2011 – ein notwendiger Aufbruch“, unterzeichnet von 311 katholischen Theologen (darunter über 200 aktive Professoren), Religionspädagogen und anderen Wissenschaftlern.