Bedenken wir: Es geht immer auch um die Lehre#
Von
Herbert Kohlmaier
Von: Gedanken zu Glaube und Zeit, Nr. 22/2011
Jene Neuerungen, welche die Reformbewegungen anstreben, betreffen Ordnung und Regeln der Kirche. Was eigentliche Substanz des katholischen Glaubens ist, soll da möglichst ausgespart bleiben und das sicher aus gutem Grund! Stehen doch die fortschrittlichen Kräfte ohnedies unter dem Generalverdacht der Abweichlerei und Spaltung. So müssen sie bedenken, dass der Widerstand gegen Veränderungen noch viel größer würde, ginge es ihnen vordergründig um die Plausibilität tradierter „Glaubenswahrheiten“ in unserer heutigen Gesellschaft.
Kann man aber bestimmte Konsequenzen und Ausdrucksformen des Glaubens wirklich von seinen Inhalten trennen? Zu Recht wird etwa immer wieder festgestellt, dass der Pflichtzölibat eine Ordnungsvorschrift sei, die jederzeit vom Papst geändert werden könnte. Betrachtet man aber die von der Hierarchie ins Treffen geführten Begründung dieser Vorschrift, geht es sehr wohl um Theologisches. Soll für die anzustrebende Nachfolge Jesu seine vermutete persönliche Lebensweise Vorbild sein oder wäre das nicht vielmehr die seiner Jünger? Die waren ja, wie man insbesondere von Petrus weiß, verheiratet. Auch die Auseinandersetzungen über die Rolle der Frauen im Heilsgeschehen berühren sehr wohl Fragen der Glaubenssubstanz, ebenso der Exegese. Wo lehrt uns die Bibel die Gleichwertigkeit der Geschlechter und wo sollte sie Unterschiedlichkeit vor den Augen Gottes nahelegen? Warum hat Jesus die Zwölf nur als Männer berufen? Da ist wohl ins Treffen zu führen, dass es ihm um eine in der damaligen patriarchalischen Gesellschaft gar nicht anders mögliche Darstellung des ganzen Volkes Israels ging. Kann daraus eine Richtlinie für die Ämter der später entstandenen Kirche abgeleitet werden? Zeigte der Herr doch einen ganz unbefangenen Umgang mit den Frauen, die er offenbar hoch schätzte und mit denen er auch bedeutsame Glaubensgespräche führte.
Wir müssen also davon ausgehen, dass die Leitung der Kirche Erneuerungen aller Art und auch solche, die scheinbar nur an der Oberfläche bleiben, deswegen scheut, weil damit ihre gesamte Lehre in Frage gestellt würde. Offenbar fürchtet man, es könnte wirklich alles ins Gleiten kommen, ginge man auf die zur Diskussion stehenden Anliegen der Erneuerung ein. Das führt dann natürlich auch zu der von den Reformbewegungen beklagten Dialogverweigerung.
Ist die Lehre wirklich sakrosankt?#
Otto Herrmann Pesch hat neulich festgestellt, es müsse einem „der kalte Schweiß ausbrechen“, wenn man sähe, wie etwa der Weltkatechismus mit den Forschungsergebnissen über die Heilige Schrift umgehe. Er stellt diese Betrachtung im Zusammenhang mit den Fragen des Kirchenverständnisses und der Rolle der Laien an. Da werde offenbar nach dem Konzil das Ruder wieder herumgerissen.
Nun gibt es keine Kunst, keine Wissenschaft und keine Fertigkeit, die heute noch genau so ausgeübt werden könnte, wie in früheren Jahrhunderten. Die Tatsache, dass sich die Kirche den Erkenntnissen der Theologie und überhaupt dem Fortschritt der Gesellschaft verschließt, hat freilich in der Lehre selbst ihre Ursache. Wenn man glaubt, von Gott eingesetzt zu sein und ihn sogar stellvertretend zu repräsentieren, bedeutet jede Korrektur das indirekte Zugeben bisheriger Irrtümer oder Fehlansichten. Und das würde die in Anspruch genommene „heilige“ Vollkommenheit ebenso erschüttern, wie das Deutungsmonopol hinsichtlich göttlicher Offenbarung.
Doch der Standpunkt, Erneuerungen des Glaubens wären daher gefährlich oder gar unmöglich, ist falsch. Es würde der Kirche vielmehr Hochachtung einbringen, wollte sie in redlichem und behutsamen Bemühen der immer sich weiter entwickelnden Erkenntnis die gebührende Bedeutung einräumen. Da und dort ist das ja auch schon gelungen! Der Limbus als mildere Hölle, in die ungetaufte Kinder angeblich geraten, wurde abgeschafft. Niemand hat der überwundenen Judenfeindlichkeit nachgeklagt (außer ein Paar Ewiggestrige, die getrost unbeachtet bleiben können). Auch wurde keine ernst zu nehmende Kritik bekannt, als sich das letzte Konzil zur Anerkennung der Glaubensfreiheit und zur Achtung anderer Religionen durchrang.
Solche Schritte der Einsicht wären klug, mutig und konsequent fortzusetzen und viel besser, als zusehen zu müssen, wie sich das Kirchenvolk selbst immer mehr von altertümlichen Ansichten verabschiedet. Die Menschen verlieren ja nicht den Glauben an sich, aber haben kein Vertrauen mehr zu dem, was die Kirche lehrt. Das gilt vor allem für die Jugend. Religionspädagogen stehen heute vor einer schweren Aufgabe. Nicht Wenige meistern sie so. dass sie im Unterricht nicht mehr einzubläuende „Glaubenswahrheiten“ in den Vordergrund stellen sondern anhand religiöser Grundsubstanz ethische und moralische Werte.
Den Reformkräften wird oft entgegengehalten, dass es keine wirkliche Verbesserung für die Situation der Kirche bedeuten würde, wollte man allen ihren Wünschen entsprechen. Darüber lässt sich trefflich streiten, denn eine personell viel breiter angelegte Seelsorge könnte keinesfalls wirkungslos bleiben. Aber hinter diesem Einwand steht eine wohl nicht beabsichtigt ins Spiel gebrachte Wahrheit. Was die Menschen an der Kirche tatsächlich stört, mag in den heute diskutierten Problemen seinen Ausdruck finden, geht aber weit darüber hinaus. Der weltfremde Katechismus hat in ihren Augen seine Plausibilität längst verloren.
Welch Fortschritt wäre möglich!#
Derzeit gibt es nicht nur seitens der Reformbewegungen sehr ernsthafte Bestrebungen, den unbedingten Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener vom Empfang der Sakramente zu revidieren. Auch dieses Bemühen wird an der päpstlichen Sturheit scheitern. An der von Gott bestimmten „Unauflöslichkeit der Ehe“ sei – wie man immer wieder hört – nicht zu rütteln. Doch auch hier ist die Kirche auf einen Irrweg geraten. Sie bezieht sich dabei auf das im Evangelium überlieferte Wort Jesu, dass der Mensch nicht trennen dürfe, was Gott verbunden habe. An wen richtete sich dieses aber? Ganz eindeutig an die Männer, die nach dem alten jüdischen Gesetz das Recht hatten, die Frau nach eigenem Belieben aus der Ehe zu entlassen. Das empfand Jesus ganz offensichtlich als arges Unrecht. Er stellte sich mit seiner Mahnung an die Seite der Frauen, an denen dieses begangen wurde und die damit oft in eine elende Situation gerieten. Fehlte ihnen doch damals die Möglichkeit eigenständiger Behauptung!
Es ging Jesus also um die Erinnerung an Verpflichtungen göttlichen Ursprungs und um die Vermeidung von Unmenschlichkeit. Er heiligte damit auch jene Ehe, die so eifrig hochgehalten, aber Priestern verboten wird. Die Liebe der Eheleute zueinander wird ja zu Recht auch als Abbild der Liebe Gottes zu den Menschen angesehen. Aber daraus eine „Unauflöslichkeit“ der damit verbundenen rechtlichen Bindung abzuleiten, erscheint verfehlt.
Jede menschliche Beziehung (auch die zwischen Kirchen!) kann scheitern und dafür gibt es oft gute und gewichtige Gründe. Es kommt ja auch vor, dass eine Frau ihren Mann verlässt. Vieles kann sich ereignen, das die Fortsetzung einer in Wahrheit verloren gegangenen Beziehung in Achtung und Zuneigung als sinnlos und sogar unmenschlich erscheinen lässt. Manche Ehe kann nicht halten, was sich die Liebenden bei ihrem Eingehen erwarteten – oder eben auch nicht. Und da setzt sogar die Kirche mit ihren Rechtsvorschriften an!
Bekanntlich hat sie das Recht für sich in Anspruch genommen, eine Ehe gerichtlich zu „annullieren“, wenn es einem der Partner an der rechten Absicht gemangelt hätte. Bekannt ist, dass es immer wieder gelingt, auf diese Weise der feierlich eingegangenen Verpflichtung wieder zu entschlüpfen. Es ist sicher nicht nur böswillige Kritik an der Kirche, wenn man den deutlichen Eindruck hat, dabei spiele der Einsatz entsprechender Mittel aller Art eine Rolle. Und wer darüber nicht verfügt, bleibt eben unter dem Joch des Gebotes.
Dass bei diesem Austricksen Jesu eine arge Verlogenheit beklagt wird, hat wohl seinen Grund. Es kommt hier aber auch jener Hochmut zum Ausdruck, der uns immer wieder entgegentritt. Was Gott will oder heiligen wollte, meint man kraft Amtes entscheiden zu können. Noch dazu von Menschen, denen die Herausforderung einer auf Dauer angelegten Beziehung zwischen Mann und Frau gar nicht vertraut ist. Sei es, weil für sie eine solche aus durchaus achtbarer Überzeugung (oder aber auch aus Gründen hohen Alters oder der Veranlagung) nicht in Frage kommt, sei es, dass ihnen ein unmenschliches Gesetz das Leben ohne den Segen eines geglückten Familienlebens aufgezwungen hat.
Um es nochmals zu betonen: Würde der Vatikan hier menschlicher und damit im Sinne Jesu entscheiden, wäre für die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Lehre sehr viel gewonnen. Jene, die darauf drängen, ja das geradezu flehentlich einmahnen, zeigen damit, dass es ihnen nicht nur um das eigene sondern um das Wohl der Glaubensgemeinschaft geht. Doch dieser Erkenntnis verweigert man sich auf unbegreifliche Weise. Wann werden sich die Dinge endlich zum Besseren wenden?