Angela Merkel und der Zölibat#
Von
Herbert Kohlmaier
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 135/2014
Wer diese Überschrift liest, wird sich sogleich fragen, was denn die Deutsche Bundeskanzlerin mit der priesterlichen Ehelosigkeit zu tun habe? Dennoch ist es so. Ihr Vater war bekanntlich evangelischer Theologe und Geistlicher. Wäre er katholischer Priester gewesen, gäbe es Frau Merkel nicht. Es wäre dann also, egal wie man zu ihrer Politik steht, durch den Zölibat ein sehr bedeutsames Leben verhindert worden. Man könnte vielleicht sogar sagen, eines, das die Menschheit irgendwie braucht – etwa als eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Frauen den Männern in nichts nachstehen!
Ist Gott nicht der Gott des Lebens, wie uns zu Recht immer gesagt wird? Also kann er kein Gott der Lebensverhinderung sein. Der zur Ehre der Altäre erhobene Papst Johannes Paul II. ging sogar so weit, nicht nur Abtreibung sondern auch Empfängnisverhütung als „Kultur des Todes“ zu bezeichnen. Doch da sollte sich man sich schon fragen: welcher moralische Unterschied besteht eigentlich zwischen Lebensverhinderung durch Verhütung oder durch ein Zeugungsverbot als Konsequenz des Zölibats? Das Ergebnis ist genau das gleiche, nur das angewandte Mittel eine anderes.
Papst Paul VI. schreibt in der Enzyklika Humanae vitae: „Ebenso ist jede Handlung verwerflich, die ... darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel.“ Der Zölibat verhindert den „ehelichen Akt“ allerdings überhaupt, obwohl dieser, wie wir belehrt werden, einen „natürlichen Ablauf“ haben soll! Eine Vorschrift, dass er gar nicht stattfinden darf, erscheint wohl kaum als „natürlich“, sondern eher als „verwerflich“!
Gegen den Zölibat gibt es viele und berechtigte Einwände. Hier geht es darum, dass er die Schöpfungsordnung der Bibel geradezu ins Gegenteil verkehrt. Da sollen sich ja die Menschen vermehren. So war es für Rabbiner selbstverständlich, verheiratet zu sein. Zacharias, der bekanntlich zur Priesterklasse Abija gehörte, war bei der Darbringung des Opfers im Tempel, als ihm die Geburt des Johannes angekündigt wurde. Seltsam, dass dieser Inhalt der Offenbarung, wir sollten Leben hervorbringen, heute nicht für Priester gelten soll! Obwohl man annehmen kann, dass gerade sie wertvolles Leben auf geradezu ideale Weise weitergeben und ihre Kinder in einer christlichen Familie vorbildhaft erziehen würden.
Franziskus bezeichnete bei seiner sehr bemerkenswerten Rede vor dem Europaparlament die Familie als die grundlegende Zelle und als kostbaren Bestandteil jeder Gesellschaft. Schließlich diene sie nicht nur dazu, „künftigen Generationen Hoffnung zu vermitteln, sondern auch den vielen alten Menschen, die heute oft in Situationen der Einsamkeit und der Verlassenheit lebten“. Goldene Worte! Doch es ist unbegreiflich: Wenn die Familie für das Wohl der Menschen unverzichtbar ist, warum verbietet man sie gerade der eigenen Mannschaft? Und warum denkt man nicht daran, dass es gerade Priestern droht, im Alter einsam und verlassen zu sein?
Was für ein System ist das, das Ideale predigt, aber sich selbst nicht daran hält? Die Rede des Papstes wurde derart kommentiert, dass er den Abgeordneten „die Leviten gelesen“ habe. Nun kann das durchaus berechtigt und nützlich sein! Die Warnung, Europa laufe Gefahr, seine Seele zu verlieren, ist sehr ernst zu nehmen. So begrüßte der Präsident der Europäischen Volksvertretung den Papst äußerst höflich als den Repräsentanten einer ganz wichtigen Institution. Aber warum hat Martin Schulz zugelassen, dass die Mahnungen nur in eine Richtung gingen? Warum hielt er es nicht für angebracht, das Oberhaupt der Kirche ebenso taktvoll wie deutlich darauf hinzuweisen, dass man Menschenrechte und Demokratie nicht einmahnen sollte, wenn es daran im eigenen Haus mangelt?
Nochmals zum Wert der Familie. Eigentlich ist es geradezu grotesk, dass zu dieser wichtigen Frage unserer Gesellschaft die Bischofssynode als ein Gremium entscheiden soll, das im Gegensatz zum Europaparlament nicht vom Volk gewählt ist. Eine Versammlung von Männern, die allesamt allein leben müssen und keine Väter sind, auch wenn sich manche von ihnen gern so anreden lassen (was Jesus bekanntlich nicht wollte). Ganz zu schweigen davon, dass Frauen da nichts zu bestimmen haben, obwohl sie in der Familie von gleicher Bedeutung sind! Fordert nicht die Heilige Schrift in den Pastoralbriefen von Bischöfen, dass sie gute Familienväter sein sollen? Das wird mehr oder weniger elegant verschwiegen, während man sich fest an Aussagen Jesu zur Frage klammert, ob ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen dürfe.
Seine Antwort war, dass man die Ehefrau nicht einfach weggeben solle, also gleich einem Gegenstand oder wie damals Sklaven. Er sieht vielmehr in der Ehe eine Verbindung zweier gleichwertiger Menschen, die gottgewollt ist. (Wiederum: Wieso nicht auch für Priester?) Bekanntlich hat er stets in Gleichnissen gesprochen, um die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Er erließ keine Vorschriften, das blieb der Kirche vorbehalten. Es ist höchst problematisch, aus dem Umstand, dass sich Jesus auf die Seite der Frauen und gegen männliche Willkür stellte, das „Gebot“ unauflöslicher Ehe abzuleiten. Hier sollte man mit dem Herrn fragen: ist die Ehe für die Menschen da oder der Mensch für diese Rechtsinstitution?
All das zeigt in seiner Gesamtheit ein krauses Denken. Ich habe längst die Überzeugung gewonnen, dass dieses autoritäre Kirchensystem wie alle anderen derartigen Regime die Absicht und die Wirkung hat, die intellektuelle Fähigkeit der ihm Unterstellten zu beeinträchtigen. Anders ist manche geradezu haarsträubende Unlogik im Verhalten der Kirchenleitung nicht zu erklären. (Kirchenpathologie und Heilung? in „Conturen“ Nr. 2/2011 – ich sende das Manuskript auf Wunsch gern zu). Wer als Voraussetzung für sein Amt bedingungslosen Gehorsam schwören muss (wiederum gegen das Wort Jesu!), von dem kann man wohl nicht erwarten, dass er dann seinen Verstand auf „natürliche“ und nicht „verwerfliche“ Art gebraucht.
Mit Franziskus ist ein Mann an die Spitze der Kirche berufen worden, der zuvor weit weg vom vatikanischen System und sehr nahe bei den Menschen wirkte. Das spürt man bei seinem Auftreten schon sehr und es wirkt auch! Gebe Gott, dass er es schafft, die Dinge endlich zum Besseren zu wenden!