Eine Nachbetrachtung zum Fest der hl. Familie#
Von
Heribert Franz Köck
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 283/2019
Ich darf zu dieser Nachbetrachtung eine Vorbemerkung machen. Bevor mich jemand darauf hinweist, dass das „h“ in der „hl. Familie“ offiziell groß geschrieben wird, liefere ich für meine Kleinschreibung vorweg die Erklärung. Es geht hier, was ich aufzeigen will, nur scheinbar um eine Nebensächlichkeit.
Alle Heiligen werden mit einem kleinen „h“ geschrieben (z.B. hl. Josef, hl. Petrus, hl. Paulus); selbst bei Maria ist das im Heiligenkalender so: hl. Maria. Dies, obwohl ihr die Kirche wegen ihrer Mutterschaft Jesu eine besondere Verehrung zubilligt (Hyperdulie, seit dem Zweiten Vatikanum – auch im Kirchenrecht und der lateinischen Ausgabe des Katechismus der Katholischen Kirche – besser cultus specialis genannt). Das große „H“ ist den göttlichen Personen, z.B. Heiliger (abgekürzt: Hl.) Geist, vorbehalten.
Der Umstand, dass auch Jesus zur hl. Familie gehört, reicht daher nicht aus, um gleich die ganze Familie mit einem großen „H“ zu versehen. Großgeschrieben wird das „H“ allerdings auch bei den bestehenden kirchlichen Titeln und Floskeln, z.B. Heiliger Stuhl,[1] Heilige Kongregation (für…) oder Heiliger Vater, verweist damit aber gerade nicht auf eine tatsächliche Heiligkeit der betreffenden Person oder Institution. Durch das große „H“ wie bei der kirchlich gebräuchlichen Titulatur würde die „Heilige Familie“ daher sogar zu einer bloß „sogenannten“ degradiert. Dies kann aber wohl nicht die Intention sein.
Aber jetzt zur Sache. Das Fest der hl. Familien hat in der Katholischen Kirche keine lange Tradition. Sie setzte erst in der Neuzeit und verstärkt im 17. Jahrhundert ein und nahm dann im 19. Jahrhundert ihren Aufschwung. Dieser ging von der Neuen Welt, besonders von Kanada aus, wurde aber bald auch in der Alten Welt durch die Gründung von Bruderschaften (Lüttich 1844) und Vereinen (Lyon 1861) populär. Das Fest wurde von den Päpsten, besonders durch Leo XIII. (1878-1903), gefördert.
Allerdings scheint man sich nicht recht klar darüber gewesen zu sein, wo das Fest liturgisch am besten „untergebracht“ werden sollte. Leo XIII. legte es für den Römischen Generalkalender auf den dritten Sonntag nach dem Fest der Erscheinung des Herrn (6. Jänner). Pius X. (1903-1914) setzte das Fest im Zuge seiner Absicht zur Aufwertung des „normalen“ Sonntags wieder aus. Erst 1921 wurde es durch Benedikt XV. wieder eingeführt und auf den ersten Sonntag nach Erscheinung des Herrn gelegt.
Seit der durch das Zweite Vatikanum angestoßenen, 1969 in Kraft getretenen Liturgiereform wird das Fest der hl. Familie am Sonntag in der Weihnachtsoktav begangen, während der erste Sonntag nach Epiphanie jetzt im Zeichen der Taufe Jesu steht.[2] Es hat kein fixes Evangelium; vielmehr ändert sich dieses samt den vorangehenden Lesungen nach dem jeweiligen Lesejahr. Im Lesejahr A bringt es die Geschichte von der Flucht Josephs und Marias mit Jesus nach Ägypten,[3] im Lesejahr B die Darstellung Jesu im Tempel[4] und im Lesejahr C die Wallfahrt der Familie mit dem zwölfjährigen Jesus zum jüdischen Pascha-(Oster-)-Fest nach Jerusalem mit der Suche nach Jesu und dessen Auffindung im Tempel.[5]
Wenn es zwischen Weihnachten und Neujahr keinen Sonntag gibt, wird das Fest der hl. Familie am 30. Dezember gefeiert. Fällt es aber auf den 26. oder 28. Dezember, wird dadurch das Fest des hl. Stephanus bzw. der Unschuldigen Kinder (Bethlehemitischer Kindermord) verdrängt.[6] Die Feier des Fests der hl. Familie erklärt sich von daher (d.h. aus dem Grund), dass man „in dem dreißig Jahre[7] währenden Leben Jesu in der Heiligen Familie“ ein bedeutungstiefes Mysterium und ein hilfreiches Vorbild für das vielfach gefährdete Familienleben“[8] sah und sieht. Es soll also einem Zerfall des christlichen Familienbildes entgegenwirken. Ob es solches leisten kann, erscheint heute noch fraglicher als früher. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass früher die romantisch stilisierte Idylle der hl. Familie im Vordergrund stand, die alles überstrahlte. Auch die jahrhundertelange vergleichsweise Geringschätzung der Sexualität und die Bewertung der Keuschheit als eine höhere (Form der) Vollkommenheit durch die Kirche mag dazu beigetragen haben, dass man die hl. Familie idealisierte.
Nun muss man aber bedenken, dass das Kirchenrecht bis heute für eine gültige Ehe die Bereitschaft zur Zeugung von Nachkommenschaft, zum gegenseitige Beistand und zum Zur-Verfügung-Stellen des eigenen Körpers zur Befriedigung des Geschlechtstriebs des anderen Ehepartners fordert.[9] So wäre also die von der Kirche für die hl. Familie angenommene „Josefsehe“ gar keine echte Ehe gewesen! Nach dem Kirchenrecht kommt nämlich eine solche nicht gültig zustande, wenn das gegenseitige Recht auf den ehelichen Akt von vornherein ausgeschlossen wird. Nur im gegenseitigen Einverständnis kann später auf den ehelichen Akt verzichtet werden, ohne dass dadurch aber das Recht jedes der beiden Partner auf diesen gültig ausgeschlossen werden könnte.
Auch wenn wir die Frage, warum diese „Josefsehe“ als Grundlage für eine vorbildliche Familie – wenn auch nur der „heiligen“ – angesehen wird, beiseitelassen, so liegt es auf der Hand, dass diese hl. Familie keine „normale“ Familie war, die ohne weiteres als beispielshaft hingestellt werden kann. Zwei der drei Mitglieder waren ja „ohne Makel der Erbsünde“, was bei Maria von Papst Pius IX. 1854 definiert wurde, bei Jesus aber als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Und was Josef anlangt, wird er immerhin vom Evangelisten Matthäus ein „gerechter“ Mann genannt. [10] Überdies hatte er in Zusammenhang mit Maria und Jesus mehrere Engelserscheinungen, weshalb er sich gerade im Hinblick auf diese wohl leichter tat als „normale“ Ehemänner mit „normalen“ Ehefrauen und „normale Väter“ mit „normalen“ Kindern. Für ein harmonisches „Familien“-Leben war also vorgesorgt.
Es ist, geht man von der traditionellen, teilweise sogar dogmatisierten kirchlichen Theologie aus, nicht möglich, dass Jesus ein „schlimmes“ Kind oder ein „störrische“ Jugendlicher gewesen ist, Maria eine zänkische Ehefrau und Josef ein „grober“, d.h. gewalttätiger Ehemann und Vater. Sie waren ja den Versuchungen dazu von vornherein entzogen. „Normale“ Familien haben es nicht so gut, weil sie – als Erbsündengeschädigte – allerlei Anfechtungen ausgesetzt sind, sodass es da auch schlimme Kinder und störrische Jugendliche, zänkische Ehefrauen und handgreifliche Ehemänner und Väter gibt. Gar nicht zu reden von schlimmeren Dingen bis hin zu einer (ganz von alleine entstehenden) geistigen oder körperlichen Entfremdung.
Gegen all das hilft uns eine Betrachtung der hl. Familie,[11] der all diese Anfechtungen erspart geblieben sind, herzlich wenig. Höchstens Josef könnte theoretisch zur Sünde versucht worden sein, praktisch muss das aber – abgesehen von seinen spezifischen Erfahrungen mit Engeln als Gottesboten – schon aufgrund des Umstand als ausgeschlossen erscheinen, dass er es ja in seiner Familie mit „besonderen“ Menschen (um ihm kein besseres Verständnis der Situation zu unterstellen) zu tun hatte.
Freilich ist es wenig wahrscheinlich, dass die Vorstellung von der hl. Familie, in welcher Josef seine Angetraute, Maria, „besonders verehrt“ und mit ihr gemeinsam den Sohn Jesus „angebetet“ hat, zutrifft. Einiges spricht dagegen. Jesu Eltern wunderten sich bei der Darstellung im Tempel darüber, was Simeon über Jesus sagte,[12] und sie wussten nicht, dass Jesus im Tempel als dem Haus seines „Vaters“ sein musste (?[13]). Seine Familie hat ihn und seine Sendung nicht verstanden, denn sie hielt ihn ja (jedenfalls die Mutter und seine Brüder; von Josef ist da keine Rede mehr) nach Beginn seines öffentlichen Auftretens für „von Sinnen“.[14] Was wollte und will uns die Kirche mit dem Fest der hl. Familie sagen?[15] Ursprünglich wohl, dass Kinder nicht ungehorsam, Jugendliche nicht störrisch, Frauen nicht zänkisch und Ehemänner um die Ihren besorgt sein sollen. Das stand und steht aber alles seit langem im Katechismus. Im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wollte man darüber hinaus vielleicht noch zeigen, dass in den Familien die traditionellen Rollenbilder eingehalten werden sollten, mit dem Mann als Haupt der Familie und der Frau als um den Haushalt besorgte Hausfrau sowie den Kindern als Verrichter ihrer Hausaufgaben.
Ein solches Rollenbild ist aber in der modernen Gesellschaft – jedenfalls was die Frau betrifft – längst aufgegeben. Jeder – auch die Frau – hat das Recht, einen seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Beruf zu ergreifen und darin von der eigenen Familie, aber auch von Gesellschaft und Staat, ja sogar von der Kirche unterstützt zu werden.
Letztlich bleibt von der hl. Familie als „Besonderes“, das auch andere Familien nachahmen könnten, nur noch der Verzicht auf die Sexualität, deren Akte in klerikalen Kreisen oft immer noch geradezu als „Schweinereien“ angesehen werden. Damit steht man zwar in der Tradition von Augustinus, nach dem es gerade der (auch eheliche) Sexualakt ist, durch den die Erbsünde weitergegeben wird. Aber Psychologen und Psychotherapeuten (auch katholische!) schlagen heute bei einer solchen Sicht, die Natürliches perhorresziert, freilich nur noch die Hände über dem Kopf zusammen.
Es wäre daher höchste Zeit, dass die Verantwortlichen in der Kirche ihre Vorstellungen über die Vorbildwirkung der hl. Familie einmal in Ruhe reflektieren und danach entsprechend revidieren. Ihrem Ansehen würde dadurch keineswegs geschadet, nur ein schiefes Bild würde zurechtgerückt. Dadurch könnte man auch der Gefahr wehren, dass schlichte Gemüter Jesus, Maria und Josef – was tatsächlich vorkommt – mit der Dreifaltigkeit verwechseln, mit der sie sonst wenig anzufangen wissen.
Fußnoten#
[1] Offizielle, bes. im diplomatischen Verkehr übliche Bezeichnung für den Papst, weil er auf dem „Stuhl Petri“ sitzt und so die Leitung der Gesamtkirche überhat.[2] Vgl. Adolf Adam, Das Kirchenjahr mitfeiern: seine Geschichte und seine Bedeutung nach der Liturgieerneuerung, Freiburg-Basel-Wien: Herder, 1980,
[3] D.h. auf römisches Territorium, da Rom Ägypten bereits unter Octavian (dem später so genannten Kaiser Augustus) um 30. v. Chr. dem Römischen Reich einverleibt hatte. Ägypten war also alles, was von den griechischen Ptolemäer beherrscht worden war und was danach dem römischen Präfekten unterstand oder unterstellt wurde. Mit der Flucht nach Ägypten (Mt 2, 13-15) ist jedenfalls gemeint, dass sie sich Familie Jesu der Herrschaft des Königs Herodes entzog.
[4] Lk 2, 21-40.
[5] Lk 2, 41-52.
[6] Mt 2, 16-18
[7] Vgl. Lk 3, 23.
[8] So Adolf Adam, Heilige Familie, in: In: Walter Kasper (Hrg.): Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Auflage, Band 4, Herder, Freiburg-Rom-Basel-Wien: Herder, 1995, 1276 f., auf 1277.
[9] So ausdrücklich der CIC von 1917, can. 1013 § 1, der den Ehezwecken noch verschiedene Ränge zuweist. Das Zweite Vatikanum kennt keine Rangfolge mehr, sondern schließt eine solche in der Pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes (1965), Art 50, 3, ausdrücklich aus: „Ohne Hintansetzung der übrigen Eheziele ("non posthabitis ceteris matrimonii finibus") sind deshalb die echte Gestaltung der ehelichen Liebe und die ganze sich daraus ergebende Natur des Familienlebens dahin ausgerichtet, dass die Gatten von sich aus entschlossen bereit sind zur Mitwirkung mit der Liebe des Schöpfers und Erlösers.“ Dementsprechend heißt es im CIC 1983, dass „[d]er Ehebund, durch den Mann und Frau unter sich die Gemeinschaft des ganzen Lebens begründen, […] durch ihre natürliche Eigenart auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet [ist …]“ Can. 1055, § 1. Wegen der „natürlichen Eigenart“ der Ehe, die auf das „Wohl der Ehegatten“ ausgerichtet ist, ist das Recht des einen Ehepartners auf Befriedigung des Geschlechtstriebes und die korrespondierende Pflicht des jeweils anderen Ehepartners, daran mitzuwirken, „natürlich“ eingeschlossen.
[10] Mt 1, 19.
[11]
[12] Luk 2, 25-39. Da Nunc dimittis gehört mittlerweile zu den berühmtesten Worten zum Lobe Gottes.
[13] Jedenfalls sind vor dem öffentlichen Auftreten Jesu keine weiteren Besuche im Tempel besonders erwähnt, wenn es auch wahrscheinlich ist, dass das an den jährlichen Pascha-Wallfahrten nach Jerusalem teilnahm.
[14] Mk 3, 21 und 31-35.
[15] Vgl. Peter Walter, Einige Annäherungen an das Thema „Familie“ aus theologiegeschichtlicher Perspektive, in: ders., Syngrammata. Gesammelte Schriften zur systematischen Theologie, Freiburg: Herder, 2015.