Bitte, keine Vatikan - "Hofberichterstattung"!#
Von
Herbert Kohlmaier
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit, Nr. 81/2013
Sehr geehrte Damen und Herren der Medienarbeit,
wie Sie vielleicht (noch) wissen, habe ich in meinem politischen Leben zuletzt als Volksanwalt eine nationale Ombudsmannfunktion ausgeübt. Dabei war es meine Aufgabe, Machtmissbrauch offenkundig zu machen und abzuwehren.
Wenn ich - nun in der Kirchenreformbewegung engagiert - die Hofberichterstattung wahrnehme, welche die vatikanische Inszenierung des bevorstehenden Konklaves vielfach auslöst, beunruhigt mich das sehr. Geradezu devote Schönfärberei tritt einem da entgegen. Doch der scheidende Josef Ratzinger erwies sich wie viele Päpste vor ihm in seiner Amtsführung als übler Despot. Nun wird die Fortsetzung eines unerträglichen Gewaltregimes vorbereitet. Zu harte Worte?
Noch vor Kurzem "feuerte" Benedikt einen im Volk angesehenen slowakischen Erzbischof, nämlich Róbert Bezák, ohne Angabe von Gründen. Auf Nachfragen wurde erklärt, das ginge niemanden etwas an. Dem Abgesetzten wurde jeder Medienkontakt verboten. Das ist Willkür! In letzter Zeit ereignete sich abermals mehrfach, dass Menschen des geistlichen Standes und sogar der australische Bischof Morris nur deswegen hart gemaßregelt wurden, weil sie Vorschläge für eine Änderung des Kirchensystems äußerten. Das ist Gesinnungsterror!
Warum wird das alles in der aktuellen Berichterstattung so oft ausgeblendet? Man fühlt sich in die Zeiten vor Demokratie und Rechtsstaat versetzt und wird an geächtete autoritäre Regime erinnert, die wir erlebten und auch heute noch in manchen Teilen der Welt beklagen. Sind wir trotz allem Fortschritt Untertanen geblieben? Kann Diktatur damit gerechtfertigt werden, dass die Menschen ein geistliches Oberhaupt wollen, zu dem man „aufschauen“ kann und das in einer unsicheren Welt Halt verspricht?
An sich ist das verständlich und legitim, auch wenn Charakterschwächen wie Ängstlichkeit oder Unterwerfungsbedürfnis veranlassen, den Papst zu verherrlichen. Dennoch dürfen Schein und Sein nicht verwechselt werden und es sollte nicht eine ganz unangebrachte Ergebenheit an den Tage gelegt werden. Das geschieht, aber ist es wirklich hinzunehmen?
Auch fehlt oft das ausreichende Wissen. Da kann man etwa von „2000 Jahren Papsttum“ lesen! So erscheint angebracht, wesentliche Irrtümer darzulegen, die sich zeigen:
1. Irrtum: Ein „Heiliger Vater“ hat den „Heiligen Stuhl“ verlassen.#
Kaum etwas verdient das Attribut „heilig“ so wenig wie das derzeitige vatikanische Papsttum. Wenn Benedikt sich jetzt zum Gebet zurückzieht, sollte er sich der Sünden besinnen, die er gegen den Heiligen Geist begangen hat und die - wie Jesus sagte - sogar unverzeihlich sind. Er hat angesichts eines katastrophalen Seelsorgemangels unzählige kostbare Berufungen vernichtet, nur weil das Geschlecht nicht passt oder die Bereitschaft fehlt, auf Ehe und Familie zu verzichten. Er hat Viele mit unsinnigen Vorschriften gequält, welche mit dem Evangelium nichts zu tun haben und die sich nur Menschen vergangener Zeiten ausdachten.
Er ließ sich und sinnlos gewordenen Regeln Gehorsam schwören, obwohl das von Jesus verworfen wurde. Seine größte Verfehlung ist aber, dass er stur auf längst überholten Glaubenskonstruktionen des Katechismus und des so genannten "Kirchenrechts" beharrte. Damit hat er unzähligen Menschen das Christentum vermiest und es ihnen geradezu ausgetrieben.
2. Irrtum: Der Papst ist Nachfolger des Petrus und Stellvertreter Gottes#
Beim "Stuhl Petri" handelt es sich um eine dreiste Lüge, mit der man über viele Jahrhunderte grenzenlose Macht legitimieren wollte. Es ist absurd, Jesus, der eindringlich vor jeder Herrschaftsausübung warnte, zu unterstellen, er habe den einfachen Fischer Simon mit einem schrankenlosen Kommando über den Glauben aller Menschen beauftragt. Wissen wir doch längst, dass Jesus weder eine Kirche gründen noch Ämter einrichten wollte!
Das alles ist Menschenwerk, natürlich an sich notwendig, weil man auch Religion sehr wohl ordnen und systematisch pflegen muss! Es kommt aber immer darauf an, wie es geschieht. Petrus war ein wichtiger und verehrter Apostel, aber ganz bestimmt nicht so etwas wie ein Papst. Wenn er wirklich in Rom war, fand er dort eine Gemeinde vor, die noch lange nach ihm von einem Presbyterkollegium geleitet wurde. Ämter mit gesetzlich ausgestatteter Macht entstanden ja erst viel später, als sich das Christentum mit dem Kaiser verbündete.
Nicht Petrus sondern Paulus erkannte mit allen weit reichenden Konsequenzen, dass nicht nur die Juden sondern Alle Christen werden sollten. Die Vollmacht, die Jesus - freilich nach keineswegs gesichert überlieferten Worten - für seine Nachfolge erteilte, bezieht sich auf alle Getauften, nicht aber auf einen, der sich selbst für "heilig" hält. Die Behauptung, ein Mensch könne Stellvertreter Jesu sein und Entscheidungen an Stelle des unbegreiflichen Gottes treffen, ist von einem geradezu pathologischen Größenwahn geprägt und höchst gefährlich!
3. Irrtum: Der Papst ist einer der mächtigsten Männer der Welt#
Doch die Macht, die sich die Päpste mit Hilfe der weltlichen Herrscher anmaßten, wird immer brüchiger. Sie beschränkt sich auf zwei Kategorien von Menschen. Der einen gehören jene an, die im Dienst der Kirche stehen und sich beugen müssen. Der anderen jene, die noch an das Regime glauben. Dieser Minderheit steht heute eine weitaus überwiegende Mehrheit gegenüber, für die das System "Amtskirche" längst unverständlich geworden ist.
Nach wie vor spukt der gewaltige Irrtum in den hierarchischen Köpfen, man könne mit Gehorsamsgeboten Autorität ersetzen. Aber die meisten Mitglieder der Kirche interessieren sich weder für das, was man vom Vatikan aus vorschreibt, noch denken sie daran, es zu befolgen. Besonders für die Jugend ist die Kirche im täglichen Leben belanglos geworden. "Events", die gern besucht und geschätzt werden, dürfen darüber nicht hinwegtäuschen! Schon gar nicht ist der Papst heute noch eine moralische Weltautorität, auf die gehört wird.
Beklemmend ist der Umstand, dass das Kirchenoberhaupt selbst ganz offenbar nicht mehr Herr seiner Entschlüsse ist. Dies hat auch ganz praktische Gründe, denn ein Apparat, der eine Kirche mit mehr als eine Milliarde Mitgliedern und Tausenden Bischöfen leiten soll, kann nicht nur von einem Mann gelenkt werden. Darüber, was der Papst erfahren darf und tun soll, befindet ein undurchschaubares Gebilde, das niemand kontrollieren kann.
Benedikt versprach sogleich nach seinem Rücktritt „unbedingte Ehrfurcht und Gehorsam“ gegenüber dem nächsten Papst. Diese stets verherrlichte Mentalität infantiler Unterwürfigkeit ist ein schlimmes Übel, weil niemand prüfen, kontrollieren oder kritisieren darf, was und von wem tatsächlich entschieden wird. Wer die päpstliche Macht wirklich ausübt, ist unklar. Es gibt unübersehbare Hinweise darauf, dass sich höchst ungute sektenartige Gruppierungen wie das Opus Dei den entscheidenden Einfluss verschafft haben und in Wahrheit den Papst und die Kirche dirigieren (sowie auch die ganz und gar nicht heilige Bank des Vatikans).
Und nicht zuletzt: Viele Menschen empfinden den argen Widerspruch zwischen pompösem Papstkult und dem, was wahre Autorität sein sollte. Trug Petrus rote Schuhe?
4. Irrtum: Im Konklave findet eine "Wahl" statt#
Als Johannes XXIII. das Konzil versammelte, hatte die Kurie bereits Dokumente vorbereitet, die völlig unbrauchbar waren. Doch damals gab es noch selbständig denkende Bischöfe. Sie verbündeten sich mit dem inspirierten Papst und leiteten wesentliche Reformen ein.
Das zu korrigieren wurde danach vom Vatikan alsbald mit eiserner Konsequenz in Angriff genommen. Wichtigste Voraussetzung dafür war, dass man nur noch linientreue Bischöfe einsetzte, die totale Entmündigung auf sich zu nehmen bereit sind. Sie müssen beim Antritt ihres Amtes dem Papst bedingungslosen Gehorsam schwören. Allerdings bezeichnet sie die Kirchenverfassung als "göttlich eingesetzt"(!) und an die Stelle der Apostel getreten. Eine groteske Pervertierung dieses wichtigen Dienstes der Kirche zeigt sich da.
Alle Kardinäle, die sich im Konklave versammeln, und von denen einer ausgewählt wird, sind vom erzkonservativen Papst kreiert, also seine Kreaturen. Sie werden nichts Anderes können und wollen, als das zu bestätigen, was die eigentlich Mächtigen vorher ausgehandelt haben - Intrigen eingeschlossen. Chancen, Papst zu werden, hat nur, wer sich dem herrschenden System beugt. Eine andere "Wahl" hat die Kirche und vor allem das Kirchenvolk nicht, das man für unmündig und ganz unwichtig hält, blendbar durch antiquiertes Spektakel.
5. Irrtum: Der neue Papst könnte etwas verändern#
Angesichts der geschilderten Umstände wäre es eine naive Illusion, zu glauben, ein neuer Papst könnte den Zwängen des allseits vor unliebsamen Störungen abgesicherten Systems auch nur im Geringsten entrinnen. Der Elfenbeinturm in Rom bleibt unbeeinflussbar in sich gekehrt, egal, wen man an seiner Spitze herzeigt. Die Isolierung von der Welt wird aufrechterhalten bleiben und das Zerstörungswerk der Abgehobenheit fortgesetzt werden.
6. Irrtum: Ratzinger ist / war ein guter Theologe#
Dem fortschrittlichen Mut des jungen Professors und Konzilstheologen folgten die Ängstlichkeit und rücksichtslose Durchsetzung des alten Systems als Leiter der Glaubenskongregation (zuvor Inquisition). Niemand weiß wirklich, warum das so war. Ratzinger war als Papst und ist zweifellos ein frommer Mann, der sich seinen persönlichen Jesus zurechtgelegt hat und ihm berührende Texte widmet. Aber er tut das abseits der heutigen theologischen Wissenschaft und vor allem des Standes der Exegese.
Ratzingers Glaubensgebäude ist heillos veraltet. Das wurde besonders in seinem Rundschreiben anlässlich des "Priesterjahres" sichtbar, wo er allen Geistlichen die Gesinnung des Heiligen Pfarrers von Ars empfiehlt: Mit seiner Macht könne der Priester Gott in die Hostie befehlen, welche man nur mit keuschen Händen berühren dürfe.
Damit zeigt sich die nun vorherrschende prinzipielle Fehleinstellung: Die Kirche hat Jesus im alleinigen Besitz und sie kann daher über ihn verfügen. Sie braucht auch nicht zu beachten, dass der Herr verbat, sich Lehrer oder Vater nennen zu lassen. Nicht die Hierarchie kann es also sein, die den Glauben verloren hat, sondern die säkularisierte Welt draußen. Diese "relativiere" ja die Wahrheiten des Katechismus. Und der große Theologe Ratzinger hat mehrmals erkennen lassen, dass er dabei gar den Teufel am Werk sieht!
Dass die Kirche dazu berufen wäre, den Glauben so zu verkünden, wie er immer und überall verstanden und angenommen werden kann, begriff Ratzinger nicht. Sein Regime lehnte den "Zeitgeist" ab. Die Folge war, dass der Geist, wie er in unserer Zeit lebt, die Kirche ablehnt. Jesus sagt, dass man den Menschen an seinen Früchten erkenne. Die des Josef Ratzinger sind: Schwindende Glaubwürdigkeit der Kirche, massenhafte Austritte, Vormarsch der Evangelikalen, ein erdrückender Mangel an Seelsorgern und eine Verödung des geistlichen Lebens.
7. Irrtum: Alle Welt schaut nun gebannt nach Rom#
Die Inszenierung wird wie immer perfekt sein: Abertausende werden den weißen Rauch aufsteigen sehen und begeistert sein! Das Rezept ist bis in die jüngste Geschichte bekannt: Die Diktatoren lassen sich bejubeln. Und alle Welt soll daraus schließen, was das ganze Volk will.
Doch keine Kamera richtet sich auf jene katholischen Frauen und Männer, die nicht dabei sind und eine viel bedeutsamere Mehrheit bilden. Es sind jene, die sehr kritisch oder gleichgültig distanziert geworden sind und auch Massenhysterien ablehnen. Die oft tief betrübt wahrnehmen müssen, wie das, was sie an ihrem Glauben schätzen, mit dem orientalischen Papstkult in die Niederungen von Lug und Trug gezerrt wird.
Gerade von denen, die sich vor der Welt zum Christentum bekennen, die aktiv und engagiert in ihrer Kirche arbeiten und die viel Segensreiches tun, sind sehr Viele verbittert und enttäuscht. Sie wünschen sich eine erneuerte Kirche Jesu, nicht eine des nunmehrigen Vatikans. Sie mahnen seit Jahren. Darunter viele verantwortungsvolle Geistliche und prominente Theologen! Hunderte von diesen drängten in einem Memorandum auf Änderungen.
Alle diese Besorgten wurden vom Papst mit hartherziger Kälte ignoriert, sie werden seit Jahrzehnten nur gedemütigt. Aber es sind jene, die sich für ihre Kirche eine Zukunft wünschen! Es ist zu befürchten, dass sie der Rummel, der demnächst stattfinden wird, wieder ganz in den Hintergrund drängt. Dennoch werden die ihrem Gewissen Folgenden weiter hoffen. Sollten doch wenigstens die Umstände aufrütteln, die den letzten Papst resignieren ließen!
Es wird sehr viel davon abhängen, ob die Menschen endlich die verhängnisvolle Fehlerhaftigkeit eines ganz und gar unbiblischen Regimes erkennen. Sollen sie jetzt wieder vom Wesentlichen abgelenkt werden, durch den Schein vom Sein, durch die Täuschung von der Realität? Entscheidend für die Zukunft der Kirche ist keineswegs, was jetzt der Öffentlichkeit vorgaukeln wird. In Wahrheit geht es heute nur mehr darum, ob es gelingen kann, die Botschaft jenes Evangeliums wieder sichtbar zu machen, das einst die Welt veränderte und auch jetzt zum Besseren bewegen sollte. Es wäre bitter nötig!