Die Wasserscheide: das Credo#
Von
Roland Hinnen, Therwil CH
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 191/2016
Lieber Herr Dr. Kohlmaier,
ich erinnere mich, dass Sie auch kürzlich in einem Vortrag in Deutschland Ihre Schwierigkeiten mit dem Bekennen der Credos (in der Messfeier) geäussert haben. In meinen Notizen fand ich soeben eigene Gedanken dazu. Sie werden Sie in Ihrem Weg bestärken.
Herzliche Grüsse
Aus dem 3. und 4. Jahrhundert sind uns zwei Credo-Texte von Konzilien übermittelt: das Apos-tolicum (ein Glaubensbekenntnis bei der Erwachsenentaufe) und das Nizäno-Konstan-tinopolitanum (der Name ist so bombastisch wie der Inhalt).
- Das Apostolicum (= kleine) stammt meines Wissens aus der Erwachsenentaufe der frühen Kirche von Rom.
- Das sog. Grosse (= lange) Glaubensbekenntnis ist erstmals vom Konzil von Chalzedon (451) überliefert und dort als „Bekenntnis der 150 heiligen Väter“ vorgestellt. Seine Herkunft ist unklar, vermutlich ist es ursprünglich ebenfalls ein Taufbekenntnis.
Immer wieder wird von den getrennten Kirchen betont, dieses Glaubensbekenntnis sei gemein-same Grundlage. Ich halte diese Behauptung für Augenwischerei (zwischen den Ostkirchen und der Römischen besteht bis heute ein früher erbitterter Streit um das im Westen eingefügte filio-que): Es ist undenkbar, dass ein Christ, der sich die historisch-kritische Methode als Zugang zur Glaubensrealität angeeignet hat, beim Sprechen dieses Textes denselben Inhalt meint wie ein Fundamentalist. Es ist ein Unterschied, ob ich die Jungfrauengeburt als Metapher verstehe oder als physische, wundersame Realität: Wenn zwei dieselbe Formel sprechen, meinen sie nicht dasselbe.
Seit einiger Zeit sehe ich aber die Wasserscheide im Glaubensbekenntnis der Christen ganz wo anders: Die Glaubenswelt der Credos ist eine radikal andere als zumindest die der drei Synopti-ker. Ob mit oder ohne Credo: Das macht den wesentlichen Unterschied aus. Was in den Credos als Glaubensinhalt vorgestellt wird, ist eine ganz andere Welt als die Nachfolge Jesu. Nachfolge Jesu, sein paradigmatisches Leben, seine Praxis, seine Verkündigung kommen in den Credos überhaupt nicht vor, auch nicht zentrale Inhalte von Jesu Verkündigung und Leben: Das men-schenfreundliche Reich Gottes.
Die Credos vermitteln deshalb in keiner Weise das Zentrum und Kriterium christlichen Glau-bens, sondern führen auf Abwege, in eine ausgedachte Welt jenseits unserer Erfahrung. Mit dem, was die Credos anbieten, kann man nicht leben; sie sind nicht Brot, sondern intellektuelles Papier. Das ist nicht Sauerteig, der mitten im Teig der Welt diesen Teig durchwirkt, sondern abgehobene hellenistische Spekulation. Das Leben Jesu, der das Gleichnis Gottes für ein menschenwürdiges Leben ist, kommt im Credo nicht vor. Ich bin deshalb seit langem verwundert, dass sich fast jeder grosse der zeitgenössischen Theologen zu irgendeinem Werk übers Credo bemüht hat.
Ich bin überzeugt: Diese Credos sind keine Hilfe zur Nachfolge Jesu, sondern führen davon weg. Dass jemand es nicht (mehr) zu sprechen/bekennen vermag, ist eher ein Hinweis, dass er zum Wesentliche, zum Umstürzenden der Nachfolge Jesu vorgestossen ist. Wer diese Credos verfasst (oder als Norm dekretiert) hat, war schon weit weg vom Evangelium Jesu.
Roland Hinnen (81j) war nach einem gründlichen Theologiestudium Pfarrer einer Vorstadtge-meinde von Basel. Wegen Heirat (von Papst Wojtyla nie eine Antwort auf Dispensgesuch) vollzeitliche Zweitausbildung zum Psychologen/Berufsberater. Bis zur Pensionierung 1997 Berufsberater bei der Eidg. Invalidenversicherung.
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Auch vor mitragekrönten Köpfen gibt es Bretter. Eine Polemik#
Von
Herbert Kohlmaier
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 191/2016
Dass die allermeisten Gläubigen den verpflichtenden Zölibat des römisch-katholischen Klerus für ein Unding halten, ist längst bekannte Tatsache. So nimmt es kein Wunder, wenn nun der Präsident des Deutscher Zentralrats der Katholiken Thomas Sternberg eher energisch und wohlbegründet fordert, man möge das endlich ändern. Man kann da nur sagen: Bravo!
Wie zu erwarten, folgte dem eine so genannte „deutliche Zurückweisung“, nämlich von dem nicht gerade als Progressiver aufgefallenen Kölner Erzbischof und Kardinal Woelki. Die Glei-chung „Lockerung oder Abschaffung des Zölibats gleich steigende Priesterzahlen“ gehe ohnehin nicht auf. Allein der Blick auf andere Kirchen …zeige uns, dass das nicht so der Fall sei (sic!).
Die Ehelosigkeit katholischer Priester habe zudem, so Woelki, seine Bedeutung als „Zeichen der Liebe Gottes mitten unter uns“ seine Bedeutung ganz und gar nicht verloren. Er kontert auch dem Vorschlag Sternbergs, verheiratete Diakone zu Priestern zu weihen, denn dieses Amt habe seine spezifische Berufung. Aus persönlichen Gesprächen mit Diakonen wisse er, dass diese solche Äußerungen „als Entwertung ihrer Berufung und ihres Dienstes erleben“(!). Die Kirche brauche eine "grundlegende Neuevangelisierung" mit dem Ziel, "Menschen überhaupt wieder mit Jesus Christus und seinem Evangelium bekannt zu machen".
Liest man das, muss man sich fragen, in welcher Welt der Herr Kardinal wohl lebt und vor allem, was er unter „Neuevangelisierung“ versteht. Er müsste doch wissen, wie viele göttliche Berufungen am Verbot, eine Familie zu gründen, schon von Beginn an oder später scheitern! (Ganz zu schweigen von der Abweisung unendlich vieler und kostbarer Berufungen von Frauen.) Ist nicht die Familie ein viel bedeutsameres Zeichen von Gottes Liebe als deren willkürlicher Ausschluss? Die Argumente ließen sich vielfach fortsetzen, sie sind alle bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass keineswegs nur wenige Priester den Zölibat nicht schaffen und mehr oder weniger heimlich eine innige Beziehung zu einer Frau haben. Was ist das wohl für ein „Zeichen“?
Höchst verwunderlich ist, dass Woelki meint, eine forcierte Berufung auf das Evangelium würde seine Haltung unterstützen. Wo, bitte, Herr Kardinal, ist hier vom Zölibat die Rede, wo überhaupt von Priestern, denen man dieses aufzuerlegen habe? Mehr als ein Jahrtausend nach Christus und vor allem in der frühen und unmittelbaren Nachfolge Jesu sah man sich nicht zu so einer Anordnung veranlasst, die der uns von Gott gegebenen Menschennatur widerspricht. Jesus schätzte und verteidigte die Ehe, Paulus riet von ihr nur ab, weil er das Ende der Welt unmittel-bar erwartete… Eine „Neuevangelisierung“, die den Menschen jenes klerikale Vorschriftengewirr, das immer deutlicher abgelehnt wird, noch mehr einhämmern will, würde noch viel mehr Schaden als Nut-zen bringen. Aber Woelkis seltsame Aussagen verstärken auch eine Sorge, die wir alle immer mehr empfinden, und die uns bedrückt.
Papst Franziskus will nötige Reformen in der Kirche nicht im Alleingang herbeiführen, sondern er erwartet und erhofft Initiativen der Bischöfe. Das ist an sich eine löbliche Absicht und ein wesentlicher Fortschritt! Doch da fragt man sich: Wie soll das funktionieren? Sicher denken, Gott sei Dank, nicht alle so wie der von Köln, aber wo bleiben sie, die Vorschläge unserer „Oberhirten“? Sind sie doch – bei allem Respekt sei es gesagt – allesamt Produkt einer systematischen klerikalen Indoktrinierung, die – und das wiederum im klaren Gegensatz zum Evangelium! – im abverlangten Eid kulminiert, der Kirchenleitung bedingungslos zu gehorchen.
Ist da nicht zu befürchten, dass dieser so sympathische Papst „vom anderen Ende der Welt“ einfach aufs falsche Pferd setzt?