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Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben#

Der Synodale Weg in Deutschland: Chancen und Risiko einer Neuorientierung der katholischen Kirche#


Von

Alfred Gassner

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 315/2019


Kümmert euch um eure Mitarbeiter, wenn ihr erfolgreich sein wollt, sagen Unternehmensberater Wirtschaftsbossen in ihren Seminaren und bringen so die ganze Bedeutung einer stimmigen Unternehmensphilosophie auf den Punkt. Stimmt das Betriebsklima nicht, taugt auch das Unternehmen nichts. Jeder weiß, dass gescheiterte >Bosse< meist ihre Autorität oder ihre akademischen Herkunft überbetonen. Solche Apparatschiks erkennt man auch daran, dass sie sich selten sehen lassen und, wenn sie auf der Bildfläche erscheinen, Arroganz verbreiten und an ihrer Immunisierung gegen Kritik arbeiten. In der Folge solcher Kränkungen schwinden die betrieblichen Bindungskräfte, der unsichtbare Bezugsrahmen des Unternehmens beginnt sich aufzulösen, Reizzustände sorgen für Frustration und hierarchisch getroffene Anordnungen werden immer mehr umgangen. Erst wenn es wieder zu kleineren Kooperationen kommt, kann daraus allmählich eine gefestigte Gemeinschaftsordnung hervorgehen. Auch Kirchen bräuchten fähige Menschen beiderlei Geschlechts, die einerseits das Ergebnis aller gemeinsamen Aktionen nach außen sichtbar machen können, andererseits aber ihren Mitgliedern die notwendige Autonomien zubilligen, um ein ambitioniertes Interesse an der Botschaft Jesu aufrecht zu erhalten.

Dass es um das Betriebsklima in der kath. Kirche schlecht bestellt ist, muss man nicht erst beweisen, die schwärenden Wunden sprechen für sich. Glaubt man den plakativen Anklagen der Amtsträger, liegt der kirchliche Selbstfraß an der Sittenlosigkeit der Gesellschaft, die tief in die Kirche eingedrungen sei (so der Altpapst Benedikt XVI. in einem Aufsatz zu Missbrauchsfragen vom Frühjahr 2019) und am überbordenden Modernismus. Das System Kirche sei ja grundsätzlich gesund, sagt der Altpapst, an der klerikalen Letztverantwortung dürfe man nicht rütteln, es seien ja nur die Taten Einzelner gewesen, die der institutionellen Kirche als Ganzes unterschoben würden.

Ambitionierte Laienkatholiken dagegen machen die >klerikale Orthodoxie< und die >Diktatur des Dogmatismus< für den Chaoszustand verantwortlich; auch hier weiß man aber nicht, was so richtig damit gemeint ist. Unabhängig davon bleibt Fakt, dass Katholiken massenweise die Kirche verlassen, in Deutschland nur noch 10 Prozeant ihrer Mitglieder regelmäßig die Sonntagsgottesdienste besuchen und nur 50 Prozent der getauften Kinder noch am schulischen Religionsunterricht teilnehmen. Der Priesternachwuchs tendiert gegen null, eine Studie der Uni Freiburg prophezeit der Kirche einen Mitgliederschwund von 50 Prozent in etwa 40 Jahren. Die Kirche stirbt in tausenden Einzelschritten.

Über die Verantwortungsfrage ließe sich trefflich streiten. Ich versuche das erst gar nicht. Eine von vielen kohärenten Krisenursachen ist die Tatsache, dass es in den institutionellen Handlungssträngen des Unternehmens >Kirche< nur eine Richtung gibt: Anordnungen fließen nur von oben nach unten, in der Gegenrichtung gibt es keinerlei konstitutive Mitwirkungs- und Korrekturmechanismen. Die Bischöfe als Letztverantwortliche sind weder theologisch noch administrativ in der Lage, eine gesunde Gruppendynamik zu garantieren, sie haben die Kirche zu einem ungemein reichen Sozialkonzern umgebaut und sind jetzt empört, weil man sie für ihre Hartherzigkeit kritisiert. Noch immer verstehen sie sich als „einzigen Problemlöser", die alles können und dürfen; sie dispensieren sich aber gerne von ihrer Verantwortung, wenn etwas schiefläuft. Rein autokratisch handelnde Kirchenfunktionäre vermitteln aber der Basis den Eindruck, sie sei nur das fünfte Rad am Wagen, diese aber hat längst begonnen ihren Vormündern das Wohlwollen zu entziehen. Wen wundert es also, dass die Kirche als Ganzes ihre sakramentale Ausstrahlung verloren hat und heute vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen Unfähigkeit steht und eigentlich niemand mehr so recht an einer Teilhabe interessiert ist.

Die Kirche als gelebter Glaubens- und Rechtsakt. Insolvenzverwalter erinnern in Sanierungsfällen oft an das sog. >Subsidiaritätsprinzip<. Unternehmen scheitern oft daran, dass vor der Krise keine ideellen Leitlinien existierten, an die sich alle halten können, dass die Zuständigkeiten der unterschiedlichen Ebenen nicht exakt geregelt waren und dass Kontrollmechanismen, nicht nur von oben nach unten, sondern auch in die Gegenrichtung, notwendig gewesen wären, um nicht in die Krise zu geraten. Nur im vertrauens-vollen Zusammenspiel aller Ebenen lassen sich nämlich ambitionierte Mitarbeiter gewinnen, die dem Unternehmen ihre Prägung geben und Erfolg gewährleisten. Eine korrekte Führung eines Betriebes erfordert Abstimmung und Zusammenarbeit auf allen Ebenen und muss im Sanierungsfall erst neu geschaffen werden. Die Kunst, die kath. Kirche wieder zu einer >Communio< (einvernehmlich handelnden Gemeinschaft) zu machen, wird analog dazu also darin bestehen, von der absolutistischen Hierarchie Abschied zu nehmen und Fenster für die eigenverantwortliche Handeln von Laien zu öffnen. Für eine solche Umstrukturierung ist die Synode grundsätzlich der richtige Ort. Aber dabei gibt es auch Bedenken. Es treffen dort ja unterschiedlich starke Interessensträger aufeinander, die versöhnt werden müssen. Die Vertreter des Laien können aus der Vielzahl ihrer Anliegen nur eine Prioritätenliste vorlegen, diese argumentativ begründen und dann hoffen, dass das bischöfliche Männermonopol seinen bisherigen Sicherheitsabstand aufgibt. Wenn auf der Seite der Mächtigen der sog. >Good will< zur Zusammenarbeit fehlt, wird die Kirche aus ihrem Schlamassel, in das sie sich selbst gebracht hat, nicht herauskommen.

„Reformieren, solange noch Zeit ist“. Methodisch geht es in der Synode um die pointierte, aber gemeindedienliche Schaffung eines theologischen und administrativen Rahmens und von Ausgleichsmechanismen der Spannungen in und zwischen den unterschiedlichen Ebenen. Dabei wird es wohl nicht nur um den Austausch von Freundlichkeiten kommen. Um Dauerspannungen auszuweichen, könnte hilfreich sein, schon bei der Stoffsammlung zu Beginn der Synode festzulegen, was nicht auf der Tagessordnung steht. Auf der Tagesordnung stehen nicht die Abschaffung der Klerikalkirche und ihrer Letztverantwortung, auch nicht der Austausch der Kernbotschaft des Evangeliums gegen platte Versatzstücke, sondern ein vernunftbezogenes Konzept, welche autonomen Kompetenzen künftig der Laienkirche zukommen sollen und wie diese in die Struktur der Kirche eingebaut werden können. Dabei wird man automatisch mit der Frage konfrontiert, wie die Botschaft des Evangeliums in modernen Zeiten inhaltlich und pädagogisch korrekt neu vermittelt werden kann. Taktische Heucheleien und Meinungsmonopole haben bei dieser schwierigen Kompromisssuche nichts zu suchen. Es gilt bei den einzelnen Entscheidungen zu beachten, dass Wasser keine Balken hat und dass man Risiken eingehen muss, deren Reichweite man noch nicht überschauen kann. Auch nach der Synode werden Ideal und Wirklichkeit nicht immer sofort deckungsgleich gemacht werden können. Aber eines sollten alle Synodalen im Auge behalten: Gerade jene Katholiken, die sich noch als Teil der Kirche verstehen, brauchen eine offene Kirche als metaphysischen Zufluchtsort. Wer die unterschiedlichen Charismen aller Stände nicht anerkennen will, hat jetzt schon verloren: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Die gemeinsame Verantwortung aller. Aber gerade, weil die Kirche in ihrer tiefsten Krise seit der Reformation so wie heute nicht mehr lange weiter bestehen kann, sind all ihre Gliederungen für die Ergebnisse der Synode mitverantwortlich und aufgerufen, ihr Bewusstsein, wie Konflikte friedlich ausgetragen werden können, zu schärfen. Einzelergebnisse sind in meinen Augen zunächst eher unwichtig, wir müssen vorweg erst lernen, Interessen, unterschiedliche Zielsetzungen und Wertvorstellungen zielführend miteinander zu verbinden und das eigene Konfliktverhalten verändern. Ich vereinfache hier ganz bewusst, wenn ich verkürzend sage: Im Fokus der Synodenarbeit muss die Antwort auf die Frage stehen, wie die Botschaft Jesu inhaltlich aussehen würde, wenn die Evangelisten die konkreten Lebensumstände unserer Zeit im Voraus schon gekannt hätten. Nur so kann die Gemeinschaft aller Getauften wieder neu ins Leben gerufen und die kath. Kirche wieder Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft werden. Wer weiterhin voll auf sein dogmatisch angemaßtes Weisungsrecht setzt, muss sich sagen lassen, dass er nur für eine Insolvenzverschleppung sorgt. Denn wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Das zumindest sollten die deutschen Bischöfe des Jahres 2019 aus der jüngsten DDR-Geschichte gelernt haben.

Alfred Gassner, Regensburg, ist Dipl. Rechtspfleger a. D.


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