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Stellungnahme zu den „Zweifeln“, die vier Kardinäle an Papst Franziskus zwecks Klarstellung gerichtet haben#


Von

Manfred Hanglberger

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 206/2017

Wir bitten diese vier Kardinäle, Meisner, Brandmüller, Burke und Caffarra, das heutige Wissen und Verständnis von der Welt und vom Menschen zur Kenntnis zu nehmen und mit unserem Glauben in Dialog zu bringen, damit sie ein zeitgemäßes Verständnis des Glaubens und der Ge-bote Jesu respektieren, für sich selbst realisieren und den Menschen mitteilen können. Zu unse-rem heutigen Wissen und Verständnis von Welt und Mensch gehört, dass die Welt nicht als eine statische Bühne erschaffen worden ist, auf welcher der Mensch auftritt und sich im Zeitraum seines Lebens zu bewähren hat, sondern dass die Welt, der große Kosmos und alles Leben auf der Erde in Entwicklung sind.

Was die Naturwissenschaften für die äußere Welt vom Mikrokosmos bis zum Makrokosmos uns zeigen, hat in ähnlicher Weise die Psychologie für den Menschen aufgedeckt. Denn er ist nicht nur biologischen Wachstums- und Reifungsprozessen unterworfen, sondern er soll auch geistig, psychisch und spirituell wachsen und reifen. Zu diesen seelischen Wachstumsprozessen gehört wesentlich das Wachsen und Reifen in der Gottesliebe, in der Nächstenliebe und in einer gesun-den Weltliebe und Selbstliebe. Diese psychologischen und spirituellen Erkenntnisse lassen uns die Wachstumsgleichnisse und die Gleichnisse vom Reiche Gottes in der Frohbotschaft Jesu tiefer verstehen.

In dieser Sicht des Menschen hat die Kirche die Aufgabe, den Menschen – in welcher Entwick-lungsphase oder in welcher Sackgasse von Schuld er sich auch befinden mag – die Gnade und Barmherzigkeit Gottes zu verkünden und ihm den Weg aufzuzeigen, wie er von seiner Situation

ausgehend wieder wachsen kann in Gottes- und Nächstenliebe, in Welt- und Selbstliebe. Denn in den Wachstums- und Reich-Gottes-Gleichnisse wird sichtbar: dies ist der Wille Gottes, dies ist doch die Herausforderung und ein wesentlicher Inhalt des Umkehr-Rufes in Jesu Frohbotschaft.

In der bisher üblichen Sicht der Ehelehre und der Ehemoral der Kath. Kirche hatten jene Men-schen, deren Ehe gescheitert war und die eine neue Partnerschaft eingegangen sind, keine Chance mehr, einen Zugang zu den spirituellen Heilmitteln der Kirche für ihr spirituelles und charakterli-ches Wachsen und Reifen in Gestalt der Sakramente zu bekommen. Die weltweite und ökologi-sche Vernetztheit des Menschen, das Wissen um vielfältige unbewusste Impulse, die unser Ver-halten beeinflussen, und die heute bekannten psychischen Verdrängungsmechanismen machen uns in unserer Zeit bewusst, dass wir immer in Schuld und Sünden verstrickt sind – auch nach einer ehrlich abgelegten Beichte.

Deshalb macht die traditionelle Unterscheidung zwischen einem Stand der Gnade nach einer Beichte und dem Zustand der schweren Sünde, in der angeblich geschiedene und wiederverheira-tete Menschen grundsätzlich leben, keinen Sinn mehr. Beichte ist nicht die Versetzung in einen Sünden- und Schuld-freien Zustand, sondern die Neuausrichtung auf das jetzt mögliche seelische Wachsen und Reifen und die neue Bereitschaft, die eigene christliche Berufung zu erkennen und anzunehmen – ausgehend von der Situation, in der man sich jetzt befindet. In der Nachfolge Jesu müssen wir doch bei jedem Menschen, der unsere pastorale Hilfe sucht, seinen ganz eigenen Weg bedenken, ob er Opfer der Schuld anderer oder selbst Verursacher von Schuld ist, um ihm zu beizustehen, damit er von der Situation ausgehend, in der er sich jetzt be-findet, wieder seelisch wachsen und reifen kann. Besonders das Alte Testament zeigt uns Men-schen wie Jakob oder David, die trotz sehr großer Schuld von Gott nicht ausgegrenzt wurden, sondern durch ihre Schuld hindurch zu einem seelischen Reifungsprozess geführt worden sind, so dass sie die ganz großen Mittler der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen geworden sind.

In der traditionellen Ehepastoral der Kath. Kirche sind diese alttestamentlichen Beispiele für die Sichtweise von Schuld und für den Umgang mit Schuld offensichtlich zu wenig bedacht. Sowohl die moderne Psychologie wie auch die Geschichtsforschung weiß um das Phänomen, dass so-wohl einzelne Menschen wie ganze Völker durch schlimme Schuld hindurch zu entscheidenden zukunftsweisenden Reifungsprozesse gelangen können. Deshalb kann auch das Scheidungsverbot Jesu nicht als Ausgrenzungsgebot von den sakramentalen Heilmitteln der Kirche verstanden werden, sondern als Herausforderung an die Ehepaare ebenso wie an die Kirche, die größte Aufmerksamkeit und die größten Anstrengungen zu unternehmen, um Wesen und Sinn von see-lischen Wachstumsprozessen und möglichen Blockaden in der ehelichen Beziehung von Mann und Frau und in einer Familie immer besser verstehen und im Sinne eines spirituellen und psy-chischen Wachstums unterstützen zu können. Dass das Scheidungsverbot Jesu in diesem Sinne bisher in der Kath. Kirche viel zu wenig ernst genommen wurde, ist leider eine traurige Tatsache. Denn die traditionelle Reaktion der Kirche auf gescheiterte Ehen, indem man eine Wiederverheiratung mit Ausgrenzung von den Sakramen-ten bestraft, ist angesichts des heutigen psychologischen Wissens über die Psychodynamik von Menschen in einer Partnerschaft ein erschreckendes Armutszeugnis und in den Augen vieler Menschen heute ein zu billiges und primitives Umgehen mit äußert diffizilen Problemen – und es ist keine Hilfe für jene Betroffenen, die Hilfe erwarten würden.

Die „Verwirrung“, die „Amoris Laetitia“ angeblich bei den Gläubigen ausgelöst hat, erinnert an die Verwirrung, die das Zweite Vatikanische Konzil verursacht hat. Denn die Gläubigen waren zuvor gewohnt, dass ihr Leben durch die Gebote und Verbote der Kirche so sehr geregelt war, dass sie wussten, wieviel Gramm Fleisch an einem Freitag zu essen zwischen einer leichten und einer schweren Sünde unterschied. Aber plötzlich war das alles nicht mehr so detailliert geregelt, sondern die Gläubigen sollten ihr christliches Leben nach Grundsätzen der Frohbotschaft und der Kirche gestalten, die einen großen Spielraum für Entscheidungen im Einzelfall ließen. Men-schen, die gelernt hatten, dem zu gehorchen, was die kirchliche Obrigkeit anordnet, aber nicht gewohnt waren, einem geschulten und sensiblen eigenem Gewissen zu folgen, waren dadurch sehr verunsichert.

Der Weg von einem autoritären Gehorsamsdenken zu einem mündigen Christsein war für man-che eine sehr unangenehme Herausforderung. Dieses Problem taucht nun offensichtlich auch in Fragen der kirchlichen Ehemoral auf. Und es ist zu vermuten, dass die „Verwirrung“, die Amoris Laetitia bei manchen Priestern und Bischöfen auslöst, von daher kommt, dass die Ehe- und Fa-milienpastoral von Amoris Laetitia den einzelnen Menschen wirklich ernst nimmt, ihm nahe zu sein sich bemüht und ihn zu verstehen und zu begleiten sucht. Dies ist eine sehr anspruchsvolle Pastoral, die von den Seelsorgern großes menschliches Einfühlungsvermögen und profunde Kenntnisse über die psychodynamischen Prozesse von Menschen in Paarbeziehungen erfordern.

Und nicht zuletzt ist solche Pastoral weitaus zeitraubender als wenn man den Gläubigen nur zu sagen braucht, was erlaubt und was unerlaubt ist – und welche Konsequenzen das hat. Viele Seel-sorger bemühen sich im Sinne von Amoris Laetitia seit langem um eine anspruchsvolle Pastoral. Aber jene, die sich hauptsächlich um die Verkündigung und Einhaltung von kirchlichen Gesetzen und Vorschriften bemüht haben, werden durch Amoris Laetitia zurecht in eine hoffentlich heil-same Unruhe und Verwirrung versetzt.

Wir bitten die vier Kardinäle, die wegen ihrer Verwirrung durch Amoris Laetitia den Papst um eine Korrektur bitten, dieses Glaubensdokument gründlicher und mit großem seelsorglichem Wohlwollen für die Menschen in „irregulären Situationen“ zu lesen.

Ferner bitten wir sie, folgende Themen neu zu überdenken:

  • ihr Verständnis von Sünde, Schuld und dem Sinn der Beichte,
  • ihr Verständnis der Gebote und Verbote Jesu: die anspruchsvolle Gratwanderung zwi-schen Legalismus und Liberalismus!
  • ihr Verständnis vom Sinn der Sakramente
  • ihr Verständnis vom christlichen Menschenbild (Bewährungszeit oder ganzheitlicher see-lischer Wachstumsprozess?)
Wir befürchten, die vier Kardinäle haben ein unzureichendes Wissen über die unbewussten Ursa-chen von Ehekonflikten und über die seelischen Lähmungen von Ehepartnern in Ehen früherer Generationen und deren Auswirkungen auf die Kinder und Enkelkinder und deren Ehen (Denn diese seelischen Lähmungen wurden z.T. durch die traditionelle kirchliche Ehemoral verursacht).

Manfred Hanglberger ist Pfarrer und Familientherapeut in Teublitz, Landkreis Schwandorf


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