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Ein bedeutungsschwerer Rücktritt#


Von

Herbert Kohlmaier

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit, Nr. 79/2012


Ursprünglich wollte ich Verfahren vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg zum Gegenstand meiner nächsten „Gedanken“ machen. Dabei geht es darum, inwieweit religiöse Überzeugung von der staatlichen Rechtsordnung zu beachten ist. Dazu erging eine sog. „Note“ der Vertretung des Heiligen Stuhls beim Europarat, wo sich folgender Satz. findet: „Die Normen, die die Kirche vorschreibt, sind nur zur Wahrung der Freiheit vorgesehen“. Wie Sie sich vorstellen können, erschienen mir kritische Bemerkungen dazu nötig.

Die geschilderte Intervention des Vatikans ist nun nicht mehr aktuell, denn es kam die unerwartete Nachricht vom Rücktritt des Papstes. Sie wirft schwerwiegende Fragen auf. Deren Beantwortung wird – wenn überhaupt – erst später möglich sein. Ich meine aber, dass die Entscheidende ist, ob dieser Schritt tatsächlich spontan, ganz aus eigenem Antrieb und nur wegen eines Nachlassens der Kräfte erfolgt. Benedikt betont das, jedoch sind da Zweifel sehr wohl angebracht.

Ich habe mir schon lange Gedanken darüber gemacht, ob dieser Papst wirklich immer Herr seiner Entschlüsse war. Erschien doch Manches, das er unternahm, schwer verständlich. Man fragte sich, ob er nicht unter dem Einfluss bestimmter Kräfte stand, deren Richtung er folgen sollte. Oder war es gar ein Druck, der auf ihn immer wieder ausgeübt wurde? Nun ist auch sein letzter Schritt rätselhaft. Bietet doch der vatikanische Apparat genug Möglichkeiten, auch einem sehr geschwächten Papst so zur Seite zu stehen, dass er eine gewisse Zeit sein Amt immer noch „offiziell“ ausüben kann, auch wenn seine Kraft nicht mehr ganz dazu ausreicht.

Warum wurde das nicht wie schon oft vorher so gehandhabt? Kardinal Schönborn hat in einer ersten Reaktion betont, dass er Benedikt vor ganz kurzer Zeit getroffen und dass dieser auf ihn einen geistig wachen und völlig frischen Eindruck gemacht hätte. Ebenso auch den, über die Situation in Österreich gut informiert zu sein. Gibt das nicht sehr zu denken?

Ganz unverständlich ist, dass der Papst mit seinem Rücktritt seine wichtigsten Mitarbeiter und die Bischöfe der „Weltkirche“ überraschte. Wäre es nicht höchst notwendig, über einen so schwerwiegenden Schritt gründlich zu beraten, nämlich was seine Richtigkeit und die möglichen Konsequenzen betrifft? Es war aber ein einsamer Beschluss, vielleicht auch, um den Problemen auszuweichen, die ein geordneter Rückzug mit sich gebracht hätte. Benedikt stellte alle vor eine vollendete Tatsache. So liegt nahe, dass für ihn eine Situation entstand, die ihm nicht mehr bewältigbar erschien und wo er meinte, keine Hilfe erwarten zu können.

Der Papst erklärte als Begründung für seinen Rücktritt, dass es Kraft benötige, um das Schifflein Petri in einer Zeit zu steuern, wo die Welt von Fragen großer Bedeutung hin- und hergeworfen werde. Er hat immer ein tiefes Misstrauen gegenüber den Entwicklungen in dieser heutigen Welt erkennen lassen und gar den Teufel am Werk gesehen, etwa als man in der Kirche schwere sexuelle Verfehlungen wahrnahm. Sicher hat er das Schreckliche erkannt, das Zusammenbrechen einer behaupteten allgemeinen geistlichen Heiligkeit. Offenbar ist er damit nicht wirklich fertig geworden. Schließlich hat er es niemandem mehr recht machen können – weder den reformwilligen noch den beharrenden Kräften, weder der Welt draußen noch der Kirche selbst.

Er hat wohl dieses sein Unvermögen erkannt. Sind es nur die Kräfte, die ihm in seinem hohen Alter nun schwinden, oder ist es nicht vielmehr die Einsicht, dass er mit all dem nicht mehr zurechtkam? Mit den widersprüchlichen Anforderungen und Forderungen, mit denen er ständig konfrontiert wurde? Oder anders gesagt: Mit der schweren Kirchenkrise, von der er befürchten musste, dass ihm die Geschichte diese einst zurechnen würde.

Offenbar wurde ihm klar, dass seine Strategie eines den Problemen ausweichenden Beharrens und dass die Darstellung seines Glaubens nicht ausreichen würden, den er in Jesusbüchern eindrucksvoll beschreibt. Er war viel mehr ein Getriebener als ein Lenkender. So dürfte er seine mangelnde Fähigkeit erkannt haben, die Kirche glaubwürdig zu führen. Es ist eigentlich eine Flucht, in der er nun sein Heil sucht. Vielleicht vor Machtgebilden, die ihn nicht mehr dulden wollten, auch dann, wenn es keinen „Putsch“ gab, wie ihn Helmut Schüller am Abend des Rücktritts im ORF für denkbar hielt.

Eine seltsame Geschichte – aber sie soll doch erzählt werden#

Nun erzähle ich Ihnen etwas, das Sie wahrscheinlich verwundern wird. Ich betone, dass es wahr ist und ich bitte Sie, jetzt nicht mit der Feststellung zu reagieren, ich sei nicht ganz bei Trost. Natürlich habe ich überlegt, ob man so etwas überhaupt erwähnen soll, aber es gibt doch zu denken. Glauben Sie mir: ich bin ein durchaus an der Realität orientierter Mensch und erliege sicher keinen abwegigen Vorstellungen.

In der Familie meiner Frau wurde in den Jahren um 1950 – bitte, beachten Sie diese Zeitangabe! – über die Aussagen einer „Sibylla“, also einer Seherin gesprochen. Diese erklärte ihre Visionen zum Papsttum. Dabei sagte sie, es werde ein Reisepapst kommen und dem würde ein Deutscher nachfolgen. Und dieser würde „davongejagt“ werden. Wenn ich mich recht erinnere, soll sie auch so etwas wie ein „flüchten Müssen“ vorausgesagt haben.

Wir haben diese merkwürdige Geschichte immer wieder in unserem Bekanntenkreis erzählt. Schon vor vielen Jahren und erst recht, als Josef Ratzinger dem reiselustigen Johannes Paul folgte. Natürlich immer mit dem Beisatz, dass die Gute da neben erstaunlich Wahrem wohl etwas Absurdes vorausgesagt hätte. Es existierte nämlich auch die Version, der deutsche Papst würde überhaupt der letzte sein.

Sie werden verstehen, dass mir das jetzt doch wieder einfällt. Die parapsychologische Wissenschaft kennt sehr viele eindeutig belegbare Fälle von Präkognition. Dabei zeigt sich immer eine merkwürdige Mischung von Zutreffendem und von Fehlern. Also ist nichts für bare Münze zu nehmen. Auch wenn man manchmal doch verblüfft sein darf.

Womit ich also keineswegs sagen möchte, die Seherin habe recht gehabt. Aber vielleicht ist es wirklich eine Flucht oder ein sich von den Problemen verjagen Lassen, was nun geschah. So können Sie vielleicht verstehen, dass ich darüber nachdenke. Und mir gleich darauf sage, dass es ja nicht wirklich von Bedeutung ist…

Viel mehr wird nun anders, als man denkt!#

Doch wieder zurück zur Realität. Bisher war es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Päpste bis zu ihrem Tod dienen. Man schuf ja ganz bewusst einen Nimbus des Überirdischen um ihr Amt. Der „Heilige Vater“, Stellvertreter Christi, sollte kein gewöhnlicher Mensch sein, sondern von Gott in eine Aufgabe berufen, die sich ganz unabhängig von so Banalem wie der physischen Leistungsfähigkeit entfaltet. Die Nachfolge Petri würde sich eben schon in den erhabenen Dimensionen der Ewigkeit ereignen.

Wohl ungewollt hat nun Benedikt dem Gebilde Kirche einen großen Dienst erwiesen. Er hat der ganzen Welt vor Augen geführt, dass ein Papst so gut oder so schlecht ist wie seine persönlichen menschlichen Fähigkeiten. Das war zwar durch zahlreiche historische Figuren in diesem Amt längst offenkundig, aber beharrlich arbeitete man weiterhin an einem Scheingebilde übermenschlich heiliger Art. So hatte man immer etwas zu verehren, was Viele brauchen, oder etwas zum Unterwerfen, was für Manche eigentlicher Glaubensinhalt ist. Und gerade diese Leute haben das Sagen in Rom.

Wenn ein Papst geht, weil er ganz offensichtlich überfordert ist, wird die totale Normalität des geistlichen Amtes sichtbar, die man immer von sich fernhalten wollte. Auch ein Papst ist nur ein Mensch, mit dem auf Augenhöhe zu reden ist, der seine Fehler und Schwächen hat wie jeder von uns. Und der vor allem irren kann, auch auf die Weise, dass er sich und seine Aufgabe abseits jeder Wirklichkeit wahrnimmt.

Die Hinterlassenschaft Benedikts ist fatal. Noch so schönes Herumreden kann nichts daran ändern, dass dieser Papst eine Situation zu verantworten hat, welche die Kirche schwer belastet. Sein Nachfolger kann nicht den Weg des „business as usual“ beschreiten. Er wird energisch Neues prüfen, bedenken und unternehmen müssen.

Wird sich ein dafür Geeigneter finden? Es ist das geradezu eine Überlebensfrage für die Kirche, die sich in eine verhängnisvolle Situation manövriert hat. In hohem Maß auch deswegen, weil das Rekrutierungssystem für ihre Ämter katastrophal ist. Fähige haben da keine Chance des Aufstiegs, wenn sie nicht in ein System des bedingungslosen Gehorsams und der Dominanz einer uninspirierten Bürokratie ausschließlich von Männern passen.

So erweist sich die Wahl des nächsten Papstes als die vielleicht wichtigste in der Geschichte der Kirche. Schönborn meint gar, dass Gott da schon entschieden habe und die Kardinäle müssten das eben nur herausfinden. Es ist sehr zu befürchten, dass ihnen das nicht gelingen wird. Trotz aller Herabrufung des Heiligen Geistes, der leider allzu oft dem Ungeist weichen musste, der sich im Vatikan ausgebreitet hat.

So bleibt nur zu hoffen, dass das so außergewöhnlich zu Ende gegangene Pontifikat eine jener krummen Zeilen ist, auf denen Gott bekanntlich gerade schreibt. Vielleicht sollten wir ihm auf diese Weise vertrauen! Wir werden es bald sehen. Dem Rat Jesu folgend müssen wir alle aber sehr wachsam sein, um noch weiteres Unheil von der Kirche abzuwehren!


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