"Wir sind froh über die Österreicher"#
Albaniens Justizminister Manjani hofft auf baldigen Startschuss zu EU-Beitrittsgesprächen - und auf Unterstützung aus Wien.#
Von der Wiener Zeitung (Montag, 30. Mai 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska
Tirana. Mitglied der Nato ist Albanien bereits, doch eine Aufnahme in die Europäische Union ist noch nicht in Sichtweite. Seit 2014 hat das Land den Status eines Beitrittskandidaten. Der Jahrzehnte lang vom Rest der Welt isolierte Staat, in dem das durchschnittliche Monatsgehalt nicht einmal 300 Euro beträgt, muss noch etliche tiefgreifende Reformen durchführen - in der Wirtschaft, Verwaltung oder der Justiz. Gerade die Justizreform gilt als eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass die EU-Kommission den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Albanien empfiehlt. Im Interview äußert Justizminister Ylli Manjani die Hoffnung, dass die Brüsseler Behörde noch heuer diesen Schritt setzt.
"Wiener Zeitung": Die in Ihrem Land geplante Justizreform umfasst mehr als ein paar Korrekturen. Vielmehr geht es um einen Umbau des Systems, etwa bei den Richtern. Was muss sich ändern?
Ylli Manjani: Es ist die Klüngel-Mentalität, die wir bekämpfen wollen. So bilden Richter ein in sich geschlossenes System, in dem sie sich selbst kontrollieren und daher sich gegenseitig schützen können. Das gilt auch für die Staatsanwälte und den Generalstaatsanwalt. Dadurch wird Machtmissbrauch möglich. Daher sollte es einen Filter geben, ein gemischtes Gremium, das das Parlament mitbestimmt. Bei den Richtern soll der Hohe Justizrat ein Instrument der Überprüfung sein. Dadurch kann zumindest die Personalpolitik transparenter werden.
Kein unwesentliches Ziel ist aber auch die Bekämpfung von Korruption. Mehr Transparenz soll es daher ebenfalls bei den Vermögensverhältnissen geben. Reicht das aus?
In der Wahrnehmung ist der Grad der Korruption tatsächlich hoch. Verpflichtende Vermögenserklärungen sollen dazu beitragen, ihn zu senken. Doch müsste es weitere Konsequenzen geben. Denn weil sich die Richter gegenseitig schützen, kommt es kaum zu einer Anklage, wenn jemand nicht nachvollziehbar machen kann, woher er seine Vermögenswerte hat oder falsche Angaben liefert. Ein solcher Richter sollte aber diesen Beruf nicht mehr ausüben dürfen, weil er das Amt diskreditiert. Es geht auch darum, ein Klima zu schaffen, in dem Bürger der Justiz wieder vertrauen.
Müssten dafür viele Richter entlassen werden?
Ich möchte nicht spekulieren, aber das zuständige Inspektorat hat allein wegen falscher Vermögenserklärungen Vorwürfe gegen 30, 35 Richter erhoben. Das ist jeder zehnte.
Auf der anderen Seite ist Schmiergeld bei einem geringen Gehalt manchmal Teil des Verdienstes - ob für Richter, Polizisten, Lehrer oder Ärzte. Wie sollen ein Land und seine Bürger, deren finanzielle Mittel beschränkt sind, damit umgehen?
Das ist eine wichtige Frage. Denn auch aus Statistiken geht hervor, dass in jenen Ländern, wo die Einkommen gering sind, die Korruption hoch ist. Daher sollte Teil der Justizreform auch ein völlig anderes Gehaltsschema für das Justizpersonal sein. Ich schlage vor, dass ein Richter mehr verdient als der Staatspräsident. Derzeit gibt es zwei Kategorien von Richtern. Die einen nutzen ihr geringes Einkommen als Vorwand, um sich bestechen zu lassen. Doch auch die anderen, die nicht korrupt sind, verdienen wenig. Daher sollten die Gehälter angehoben werden.
Wie soll das finanziert werden?
Mit den Gerichtsgebühren.
Und die Reform in ihrer Gesamtheit?
Das Budget ist noch nicht fixiert, aber es wird ein großer finanzieller Aufwand sein.
Auch juristischer Aufwand ist nötig: Immerhin muss die Verfassung geändert werden. Die Opposition hat noch Einwände. Wird es dennoch die nötige Mehrheit im Parlament geben?
Ich bin da zuversichtlich. Beim Inhalt der Justizreform gibt es keine Spaltung zwischen den Parteien. Und wir haben die Verfassung schon mehrmals geändert - das wäre nun das fünfte Mal. Damit hätte die Opposition also kein Problem. Aber es ist ein taktisches Verhinderungsspiel. Gleichzeitig jedoch gibt es den Druck nicht nur von der Europäischen Union, sondern auch von innen: Albaniens Bürger wünschen sich nämlich eine Justizreform. Sie wollen endlich sehen, dass sich etwas ändert. Die Opposition hat also gleich mehrere Gründe zuzustimmen. Auch wenn sie dies im letzten Moment tun könnte, Ende Juli.
Welche Probleme sind bis dahin auszuräumen?
Einiges muss noch klargestellt werden. Es gibt ein paar Vorschläge, die vom Konzept der klassischen Gewaltenteilung abweichen und stattdessen auf unabhängige Organe setzen. Ein Beispiel ist das sogenannte Rechtstribunal, das eine Kombination aus Höchst- sowie Verfassungsgericht sein und Rechtsstreitigkeiten zwischen den Richtern selbst lösen soll. Ebenso schwelt weiterhin die Debatte um die Rolle des Justizministers und seiner Zuständigkeit für disziplinäre Verfahren. Es sind komplexe Angelegenheiten, die erklärt werden müssen, sich aber nicht gegen eine Partei oder politische Gruppe richten. Es geht um die Justiz.
Aber ebenfalls um den Start von Beitrittsgesprächen mit der EU. Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass der Weg dafür noch heuer geebnet wird?
Wenn wir die Verfassungsänderungen gemacht haben, hoffen wir, die EU-Kommission davon überzeugen zu können, den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen noch in diesem Jahr zu empfehlen. Ich glaube aber nicht, dass die Mitgliedstaaten dem gleich folgen werden. Wir wissen, dass es Skepsis in Deutschland oder den Niederlanden gibt. Und dann ist ein Aufschub wahrscheinlich, wegen Wahlen oder anderer Vorbehalte. Es gibt immer ein "Aber" - und dessen sind wir uns bewusst.
Sind keine Verbündeten in Sicht?
Zu unseren Unterstützern gehört schon traditionell Österreich. Wir sind froh über die Österreicher.
Diese gehören zu den größten ausländischen Investoren in Albanien - auch wenn das Engagement in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Hängt das Investitionsklima nicht ebenfalls mit Rechtssicherheit zusammen?
Wir können nicht auf die Justizreform warten, um Investitionen anzukurbeln. Wir müssen eine Arbeitsgruppe einrichten auf Regierungsebene und uns mit den Partnerländern vernetzen. Wenn also ein Unternehmer ein Problem hat, wären wir dafür zuständig. Es muss schneller gehen als auf dem Gerichtsweg. Der Schaden, der durch schlechte Verwaltung entsteht, ist größer als jener, den ein schlechtes Gericht verursacht.
Zur Person#
Ylli Manjani#
Der Jurist, der in Tirana, Oslo und Leiden studiert hat, ist seit gut einem halben Jahr Justizminister Albaniens. Er gehört der Partei LSI (Sozialistische Bewegung für Integration) an, die Juniorpartnerin in der Koalition mit den Sozialisten von Premier Edi Rama ist.