Kampf der Kulturen – Schlagwort oder Realität?#
Ernst Bruckmüller
Der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington prägte das seither in der öffentlichen Debatte präsente Schlagwort vom „Kampf der Kulturen“ in seinem 1996 erschienenen gleichnamigen Buch (The Clash of Civilizations).
Seine Hauptthesen: In der Welt nach dem Kalten Krieg sind die wichtigsten Unterscheidungen zwischen Völkern nicht mehr ideologischer, politischer oder ökonomischer, sondern kultureller Art.
Die wichtigsten Gruppierungen von Staaten sind nicht mehr die drei Blöcke der 1950er bis 1980er Jahre (Osten – Westen – Dritte Welt), sondern die sieben oder acht großen „Kulturen“ der Welt. Huntington unterscheidet sieben solcher „Kulturen“: die „sinische“ (chinesische), die japanische, die hinduistische, die islamische, die westliche, die lateinamerikanische und die (schwarz-) afrikanische.
Nun ist dieses Modell keineswegs besonders neu, es spielte in der Tradition europäischen Geschichtsdenkens – etwa bei Oswald Spengler oder Arnold Toynbee – traditionell eine erhebliche Rolle.
Neu ist hingegen, dass Huntington in den Grenzen der Kulturen die entscheidenden Konfliktlinien des späten 20. und des 21. Jahrhunderts sieht. Die möglichen Konfliktursachen sind überaus vielfältig. Doch das Grundmuster ist überschaubar:
– Die Integration der Welt („Globalisierung“) geht weiter, der Austausch von Menschen und Gütern rund um die Welt floriert. Diese Bewegung ging primär vom „Westen“ aus und führte gleichzeitig zu seiner ungeheuren Dominanz auf weiten Teilen der Erde. Er erzeugt aber nicht die oft zitierte „eine Welt“.
– Gegen diese Dominanz erhebt sich vielfacher Widerstand, der wesentlich kulturell begründet erscheint. Es ändert nichts an der Sache, dass der Widerstand gegen den Westen Mobiltelefone, Computer und Kalaschnikows verwendet.
– Doch sind die Nicht-Westler keine Einheit. Neben dem noch dominanten, aber jetzt und in Zukunft deutlich schwächer werdenden Westen existiert eine Mehrzahl selbst miteinander konkurrierender „Kulturen“.
– Schon in den 1990er Jahren haben zahlreiche Konflikte an Kulturgrenzen zu erheblichen Problemen geführt, wie der Krieg in Bosnien nur zu eindrucksvoll gezeigt hat.
– Diese Konflikte können gefährlich eskalieren, wenn der Westen nicht bereit ist, für sich eine neue Rolle in der multikulturellen, aber auch multipolaren Welt zu formulieren.
– Die neuen beherrschenden Ideologien heißen nicht mehr Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus oder christliche Demokratie. Diese verfallen mit der Entwestlichung der Welt. An ihre Stelle treten religiöse und andere kulturelle Bindungen und Loyalitäten.
Der 11. September 2001 zeigte, was an Sprengkraft im „Kampf der Kulturen“ liegt. Hypothesen wie die Huntingtons bieten einen interessanten Interpretationsansatz, der den politischen Akteuren helfen soll, adäquate Reaktionsweisen auf die neue Realität der kulturell mehrfältigen Welt zu suchen.
Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch: