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Atmosphärische Spiegelungen#

Die Impressionisten hatten eine besondere Vorliebe für Wasser-Motive - und fanden diese reichlich in der Normandie. Die nordfranzösische Region feiert die Freiluftmaler in einem imposanten Festival.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 17./18. August 2013 ) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Ingeborg Waldinger


Sinnlich und heiter: Pierre-Auguste Renoirs Wassersport-Bild 'Die Jolle' entstand 1875.
Sinnlich und heiter: Pierre-Auguste Renoirs Wassersport-Bild "Die Jolle" entstand 1875.
Abb.: Wikimedia

Das Publikum war außer sich: Das absurde Geschmiere sollte Kunst sein? Was es da zu sehen bekam, 1874, im Atelier des Pariser Fotografen Félix Nadar, sprengte alle Sehgewohnheiten. Es waren keine Fotos, es waren Gemälde, die allseits Empörung hervorriefen. Die Werke stammten von einer Gruppe von Malern, die im Pariser Café Guerbois mit Schriftstellern wie Émile Zola über neue Wege künstlerischen Ausdrucks diskutierten, sich zur "Anonymen Gesellschaft der Kunstmaler, Bildhauer und Grafiker" zusammenschlossen - und 1874 ihre erste von insgesamt acht gemeinsamen Ausstellungen absolvierten (auch der Kunsthändler Durand-Ruel sollte dafür Schauräume zur Verfügung stellen). Der Gruppe gehörten u.a. Edgar Degas, Alfred Sisley, Auguste Renoir und Camille Pissarro an. Und Claude Monet, der typischste Vertreter des neuen Stils. Sein bei Nadar ausgestelltes Bild (siehe unten, li.) erhitzte die Gemüter am heftigsten.

Es zeigt einen vom Morgennebel leicht verschleierten Hafen, in dessen Becken sich die aufgehende Sonne spiegelt, desgleichen Kräne, Schlote und Schiffsmasten; im Vordergrund sind die Silhouetten von Fischern in ihren Booten auszumachen. Himmel und Meer verschmelzen im diffusen Licht. Die lose Pinselführung ließ das Bild auf den damaligen Betrachter unfertig, skizzenhaft wirken. Es war der ganz profane Hafenbetrieb, festgehalten in der Flüchtigkeit eines Moments, den Claude Monet 1872 in Le Havre auf Leinwand gebannt hatte.

Ein steiniger Weg#

Das Bild hieß "Impression - soleil levant" (Impression - Sonnenaufgang) und wurde zur namensgebenden Ikone einer revolutionären Kunstrichtung, des Impressionismus. Kritiker Louis Leroy hatte den Begriff in einem durchaus pejorativen Sinn geprägt und über Monets Hafenbild geätzt: "Eine Tapete im Rohzustand ist ausgearbeiteter als dieses Seestück." Und ein weiterer Kunstkritiker, Jules Claretie, schrieb gar, Monet und seine Künstlerfreunde hätten "der Schönheit den Krieg erklärt". Émile Zola hingegen verteidigte die Gegenwartsbezogenheit dieser Avantgarde, ihre luftig-leichte, helle Palette und ihr Temperament. Im Gegenzug geißelte der Schriftsteller den offiziellen Kunstbetrieb.

Es sollte ein langer und steiniger Weg werden, bis die Impressionisten den Beifall des Publikums fanden. Der Kunstmarkt wollte ihre Werke nicht. Claude Monet etwa durchlebte äußerst prekäre Phasen, wurde mehrmals gepfändet, ehe sich seine Finanzlage entspannte. Erst in den 1880er Jahren änderte sich allmählich der breite Geschmack. Die Impressionisten waren endlich erfolgreich - für Émile Zola hingegen bereits zu geschmäcklerisch. Der wahre Hype um diesen Stil aber entbrannte erst viel später, in den 1980er Jahren. Bis heute erzielen Monets Werke Rekordpreise: Im Herbst des Vorjahres wurden für eines seiner "Seerosen"-Bilder bei Christie’s in New York 34 Millionen Euro erlöst.

Monets Ikone: 'Impression - Sonnenaufgang' (1872, Detail)
Monets Ikone: "Impression - Sonnenaufgang" (1872, Detail).
Abb.: Wikimedia

Doch in der 60er/70er Jahren des 19. Jahrhunderts dominierten noch die klassizistischen Maler den Markt und den offiziellen Pariser "Salon". Die Impressionisten blieben von dieser Kunstschau weitgehend ausgeschlossen. Die Salon-Jury war extrem rigide und auch parteiisch. Als sie 1863 mehr als 3000 von insgesamt 5000 eingereichten Werken ablehnte, bot Napoleon III. den "Zurückgewiesenen" ein eigenes Forum, den "Salon des Refusés". Eine singuläre Veranstaltung, denn erst 1884, als die nicht mehr neuen Neuerer einigermaßen akzeptiert waren, öffnete sich mit dem "Salon des Indépendants" ein nächster unabhängiger Ausstellungsrahmen.

Der dogmatische Formalismus der gefeierten Salonmaler wie deren verlogene, süßliche Sinnlichkeit war freilich schon von den Künstlern der Romantik und des Realismus unterminiert worden. Sie malten kein idealisiertes Altertum mehr, keine antikisierenden Akte, auch kein detailversessenes Abbild der Natur. Sie erhoben die Fantasie und das kühne Farbspiel zum Credo, entfalteten eine subjektive, pathetische Ausdrucksweise und strebten nach realistischer Erfassung der Zeit.

Bewegtes Lichtspiel#

Die Impressionisten trieben die Revolution weiter voran. Sie verließen die Ateliers, malten das Hier und Jetzt "plein air", im Freien, und dies aus oft ungewöhnlicher, am japanischen Farbholzschnitt orientierter Perspektive. Monet etwa arbeitete oft von seinem Atelier-Boot aus. Die Maler zeigten das moderne Großstadtleben mit seinen Industriezonen, Bahnhöfen und Freizeitinseln, die Natur in ihrem atmosphärischen, instabilen Farbenzauber. Sie fingen den Augenblick ein, lösten den Gegenstand auf in flirrende Töne. Die Farben wurden ein eigenständiges Mittel der Malerei.

Legendär sind Monets Serien der Kathedrale von Rouen oder von Heuschobern im wechselnden Licht der Tages- und Jahreszeiten. Die impressionistische Optik und Themenwahl beeinflusste auch die Pioniere der Fotografie ganz wesentlich.

Ein besonderer Reiz ging für die Impressionisten vom Wasser aus. Das Flackern und Funkeln seiner spiegelnden Oberfläche einzufangen, stellte eine technische Herausforderung dar. Es sei schon schwierig, meinte Monet, das Flüchtige festzuhalten, wenn das Lichtspiel einen fixen Punkt treffe, eine Stadt- oder Naturlandschaft, die sich nicht bewegt. Wie schwer sei dies erst, wenn das Licht auf das bewegliche, sein Erscheinungsbild stetig wandelnde Wasser falle! - Monet löste die Aufgabe virtuos. Émile Zola pries ihn als Seestücke-Maler ersten Ranges - und als einen, der das Wasser liebte "wie eine Geliebte".

Georges Seurat: 'Badende bei Asnières' (1883, Detail)
Georges Seurat: "Badende bei Asnières" (1883, Detail).
Abb.: Wikimedia

Im Umland von Paris, entlang der Seine und an den Küsten der Normandie boten sich vielfältige Wasser-Motive: wilde oder industrialisierte Flussufer, mondäne Seebäder, Häfen und von den Elementen gepeitschte Gestade. Die breite Präsenz dieser Landschaften im Werk der Impressionisten hat die Region Normandie im Jahr 2010 dazu bewogen, diesen Malern mit einem großen Festival zu huldigen. Der Veranstaltungsreigen wurde heuer neu aufgelegt - und dem Schwerpunktthema "Wasser" gewidmet. Fünf Großausstellungen und hunderte Veranstaltungen präsentieren impressionistische und neo-impressionistische Wasser-Bilder.

Die Leitausstellung im Musée des Beaux Arts von Rouen (noch bis 30. September) trägt den Titel "Éblouissants Reflets" (Faszinierende Spiegelungen) und verweist auf den exemplarischen Charakter der Exponate: Das Flüchtige der Wasserspiegelungen kann auch als Paradigma der Moderne gelesen werden.

Paradigma der Moderne#

Die Schau vergleicht Gemälde und Fotografien. Sie spannt den Bogen von Wassersport-Bildern wie Auguste Renoirs rudernden Damen (siehe oben) oder Gustave Caillebottes Seglern in Argenteuil über vielfältigste Seine-Uferlandschaften, beispielsweise Monets Pappel-Serien oder Alfred Sisleys Überschwemmungsdokumentationen aus Port-Marly bis hin zu den Hafen- und Seebadszenen.

Die Ausstellung erinnert auch an die internationalen Wasser-Motive der Impressionisten, etwa an Alfred Sisleys "Unter der Brücke von Hampton" oder an Monets Impressionen aus Amsterdam, London und Venedig: 1908, mit knapp 70 Jahren und schon an seiner (später operierten) Augenerkrankung leidend, reiste Letzerer mit Alice, seiner zweiten Frau, in die Serenissima und malte abermals serienweise Spiegelbilder, etwa vom Dogenpalast.

Für Monet wurden diese Landschaften aus Farb- und Lichtreflexen zur wahren Obsession. Immer weiter entrückte er den Gegenstand der Realität. Es entstanden Farbteppiche von magischer Atmosphäre und poetischer Kraft.

Die Neo-Impressionisten näherten sich dem Spektrum und Spiel der Farben mit wissenschaftlicher Neugier. Sie lösten den Gegenstand in immer feinere Farbtupfer auf. Georges Seurat hat diesen - auch "Divisionismus" genannten - Stil geprägt. Paul Signac u.a. haben die Teilungsmalerei auf die Spitze getrieben, indem sie ihre Bilder gänzlich aus kleinen Farbpunkten zusammensetzten ("Pointillismus"). In der Themenwahl unterschieden sie sich nicht von den Impressionisten, wie Seurats Badende bei Asnières zeigen (siehe unten, re.): Das Bild hält das Großstadtleben in einem konkreten Moment fest - schon im nächsten Augenblick wird die Szene wechseln, werden die Rauchschwaden der Schlote andere Konturen, die Farben und das Licht einen anderen Ton annehmen.

Ingeborg Waldinger, geb. 1956, Romanistin und Germanistin, ist Redakteurin im "extra" der "Wiener Zeitung" und literarische Übersetzerin.

Wiener Zeitung, Sa./So., 17./18. August 2013


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