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Im Auge des Drachen#

Heimito von Doderer (1896-1966) hatte ein Faible für Drachen. Sein Ritter-Roman "Das letzte Abenteuer" verkehrt den heldenhaften Drachenkampf in das Zerrbild einer untergehenden Welt.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 10./11. August 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Andrea Reisner


Jost Haller, Kampf des Hl. Georg, um 1450
Ritter und Drache: zwei Seiten einer Medaille. (Jost Haller, Kampf des Hl. Georg, um 1450).
Foto: © Archiv

Im Märchen ist alles so einfach: Der tapfere Ritter tötet den fürchterlichen Drachen, heiratet die schöne Prinzessin, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Aber was, wenn der Held dazu keine Lust hat? Was, wenn die alten Rollen nicht mehr passen? In Heimito von Doderers Erzählung "Das letzte Abenteuer", 1953 erstmals erschienen und heuer bei C.H. Beck neu herausgegeben, laufen die Protagonisten neben der eingefahrenen Spur überkommener Klischees.

In den Wäldern nahe der Burg Montefal treibt ein Lindwurm sein Unwesen. Wer ihn erlegt, soll zum Lohn die Herzogin Lidoine zur Frau bekommen. Ein fahrender Ritter, der Spanier Ruy de Fanez, hat sich auf Aventiure begeben, doch es zeichnet sich rasch ab, dass er kein Held ist. Der 40-Jährige weiß, dass er einem sinkenden Stand angehört, dass das waghalsige Unterfangen aberwitzig und sinnlos ist, zumal die Burg, so stellt sich heraus, vom Untier gar nicht wirklich bedroht wird. Nur Ruys kindlich-naiver Schildknappe Gauvain ist Feuer und Flamme. Seinen Herrn aber plagen Selbstzweifel, Melancholie, Antriebslosigkeit. Er zögert, wenn er das Wort "Held" ausspricht.

Schläfriger Drache#

Aber auch der Drache lässt, wie der Ritter, zu wünschen übrig, erinnert er doch eher an einen zu groß geratenen Hund mit Horn und Panzer. Bei der Konfrontation mit Ruy wirkt er schläfrig, das kleine, aufgeregte Männchen interessiert ihn nicht sonderlich. Als der Ritter ihm mit dem Schwert die Spitze des Horns abschlägt, trollt er sich verdutzt in den Wald. "Ihr seid der größte Held aller Zeiten! (. . .) Ihr schlugt den Drachen vor unseren Augen in die Flucht", jubelt der Knappe. Ruy möchte zwar lieber umkehren, man reitet aber doch, wie es sich gehört, nach Montefal.

Dort feiert man den Ritter wenn schon nicht als Drachentöter, dann immerhin als den, der die Bestie verjagte. Die Brautwerbung wird erwartet, doch Ruy denkt nicht daran. Lidoine gefällt ihm nicht, ja er verachtet diese Frau, "die sich selbst in ihrer Torheit solcher Proben für wert hielt." Ihre Gastfreundschaft nimmt er trotzdem ausgiebig in Anspruch.

Die Tage verstreichen ereignislos, bis ein zweiter Ritter, der hemdsärmelige Deutsche Gamuret der Fronauer, auf die Burg kommt. Auch er ist auf den Lindwurm getroffen, auch er hat ihn nicht erlegt. Nun zählt man auf ihn als Brautwerber, doch winkt er wie sein Vorgänger ab. Gamuret und Ruy tun sich zusammen und lästern über die Burgherrin.

Langsam wird die Lage peinlich. Vor allem für die unsympathisch gezeichnete Lidoine, für die man auch einmal eine Lanze brechen muss. Ihr bleibt als Heiratskandidat nur der Teenager Gauvain. Der eben erst zum Ritter Geschlagene hat sich in die Dame verknallt und springt nun gern in die Bresche. Lidoine ist einverstanden - neben dem traurigen Spanier (Don Quixote lässt grüßen) und dem trinkfesten Deutschen scheint der Jüngling nicht die schlechteste Wahl. Und auch ihre Ratgeber haben nichts gegen ihn als künftigen Chef einzuwenden, wird er doch kaum so dumm sein, sich in die Regierungsgeschäfte einzumischen.

Ruy aber, dem die höfische Gesellschaft zum Horror, die Burgherrin zum eigentlichen Drachen wird, zieht es wieder in den Wald, wo er sich keinen Konventionen fügen, keinen Zweck erfüllen muss.

Die Kulisse dieses "Ritter-Romans" (so der Untertitel) ist historisch, die Figuren aber sind modern. "Das letzte Abenteuer" handelt nicht von einer landläufigen Midlife-Crisis, sondern - ein stets wiederkehrendes Thema bei Doderer - von der Krise eines Menschen, der sich auf das Abenteuer eines Künstler-Lebens einlässt.

Als der irrende Ritter Ruy dem Untier in die riesigen Augen schaut, sieht er - sich selbst. Die Konfrontation mit dem Drachen wird zur Konfrontation mit dem eigenen Ich. Ritter und Drache, das wird in diesem Moment klar, gehören zusammen wie zwei Seiten einer Medaille. Ein Blick auf die Entstehung dieses Textes zeigt, dass Ruy die Züge seines Autors trägt.

Am 4. September 1936 schrieb Doderer in sein Tagebuch: "Morgen ist mein vierzigster Geburtstag. Ich komme plötzlich auf den Einfall, es könnte mir meine gute Mutter aus diesem Anlasse eine moralische Epistel - wegen meiner Erwerbslosigkeit und dergleichen - schreiben. Hoffentlich tut sie das nicht." Einen Tag davor hatte er mit der Arbeit am "Ritter-Roman" begonnen. Doderer war zu diesem Zeitpunkt als Schriftsteller noch unbekannt. Mit dem Verzicht auf eine geordnete bürgerliche Karriere machte er sich die längste Zeit von seiner Familie (eine Ingenieurs- und Architektendynastie) abhängig. Der Durchbruch sollte erst im sechsten Lebensjahrzehnt kommen, mit seinen großen Wien-Romanen "Die Strudlhofstiege" (1951) und "Die Dämonen" (1956).

Doderer trug übrigens selbst den Titel eines "Ritters": Sein Großvater Carl Wilhelm von Doderer, Architekt und Professor, war 1877 in den erblichen Adelsstand erhoben worden. Sein 1896 geborener Enkel hieß mit vollem Namen Franz Carl Heimito Ritter von Doderer. 1915 rückte dieser bei einem Regiment ein, das den Drachen im Namen führt: dem k.u.k. Dragoner-Regiment Nr. 3. Als Offizier trug er, ähnlich seinem bunt gewandeten Ritter Ruy, "ein heute längst historisches Kostüm in lustigen roten und blauen Farben", wie er in seinem "Autobiograpischen Nachwort" zur Erstausgabe des "Letzten Abenteuers" schrieb.

Rittertum im Sinken#

Die Genese der Erzählung erstreckte sich über einen längeren Zeitraum, in dem es zu zahlreichen Umbrüchen kam: Erste Vorarbeiten sollen schon 1917 erfolgt sein, als die Habsburgermonarchie vor dem Kollaps steht. 1936 entsteht die endgültige Fassung, erst 1953 wird sie veröffentlicht. Die Handlung fällt ebenfalls in die Ära einer untergehenden Welt, nämlich ins späte Mittelalter, in dem das Rittertum im Sinken begriffen ist - eine Phase, die Doderer auch als Historiker faszinierte und in der er Parallelen zur Gegenwart sah.

Hier kommt wieder der Drache ins Spiel: "Es ist eine alte Meinung, daß die Erscheinung von Chimären und Ungeheuern einen Wechsel der Zeiten anzeigt", schreibt er in seinem wunderlich anmutenden Essay "Die Wiederkehr der Drachen" (1958 fertiggestellt). Doderer war von Lindwürmern aller Art fasziniert, in seinem Werk stößt man immer wieder auf ein solches Wesen oder einen seiner Anverwandten: die riesige Ringelnatter in der "Strudl-hofstiege", die wie Miniatur-Tatzelwürmer aussehenden Molche in "Ein Mord den jeder begeht" oder die monströsen Kraken in der Kanalisation der "Dämonen". Er arbeitete sich auch journalistisch an dem Thema ab, schrieb etwa einen Artikel über die "Phantastische Tierkunde des Mittelalters" für das "Das Tier-Magazin", Organ des Österreichischen Tierschutz-Vereines.

Er war davon überzeugt, dass der Drache weder reine Phantasie noch Symbol sei, sondern dass der Mensch die Riesenechse aus eigener Erfahrung kenne, ihr vor Urzeiten leibhaftig gegenüber gestanden sein müsse. (Nur die Flügel seien purer Unsinn.) Der Drache sei aber keine bestimmbare, in vielen Exemplaren auftretende Tierart, sondern stets ein Einzelfall, der sich einer Einordnung in Klassifikationssysteme widersetze. Doderer sah (und liebte) den Drachen als Demonstration gegen die starre Taxonomie der Pflanzen und Tiere, für die der Schwede Carl von Linné (1707- 1778) den Grundstein gelegt hatte.

Verschiedene Umstände könnten zum Auftreten eines Drachen führen: die Möglichkeit zum exzessiven Großwuchs bei Reptilien und die Möglichkeit der vereinzelten Wiederkehr alter Tierarten. Dies erklärte Doderer mit dem Begriff "Symbiose der Zeiten" - einfach ausgedrückt: "Jede einmal ausgespielte Karte bleibt auf irgendeine Weise im Spiel. So in der Erdgeschichte, so im geschichtlichen, so in unserem persönlichen Leben". Würde also ein Saurier aus der Tiefe der Zeiten heutzutage im Wienerwald auftauchen, dann wäre er ein Drache. Und weil dies, laut Doderer, jederzeit möglich ist, riet er dem Wanderer: "bereit sein in der einsamen Waldschlucht! Plötzlich ist er da, gleitet der grünbraune Hals aus dem tuffigen Loch, rollen die Steinchen und Steine. . ."

"Reptil" Doderer#

Dass Doderer zuweilen selbst ein Ungeheuer war, wissen wir spätestens seit Dorothea Zeemanns offenherzigem Roman "Jungfrau und Reptil" (1982), in dem sie ihre Beziehung mit dem Schriftsteller verarbeitete. Auch dieses Werk wurde heuer wieder herausgegeben, vom Rimbaud-Verlag (genauer gesagt nur jener Teil des ursprünglich längeren Textes, der die Jahre 1955-1966 umfasst, die sie mit Doderer bis zu dessen Tod verbrachte).

Zeemann (1909-1993) schildert ihn darin - schamlos und mit aller Schärfe - als einen, der nicht geht, sondern schreitet, nicht isst, sondern speist, als infam grinsenden Herrn mit Maßanzug und Ödipuskomplex, mit handgearbeiteten Schuhen von Nagy und dem künstlichen Gebiss auf dem Nachtkästchen. Ihr Umfeld protestiert: "Der Mann ist ein Faschist!" (Doderer war 1933 der NSDAP beigetreten, distanzierte sich später wieder davon), aber sie lässt sich trotzdem auf ihn ein und macht die peinlichen Rollenspiele mit, in denen sie die Märtyrerin geben muss. Er, der Einzelgänger, der Wiedergänger aus einer anderen Zeit mit "bösen Schlangenaugen", zieht die 13 Jahre jüngere Zeemann in seinen Bann - "ein Mann wie ein Drache, ein Reptil", dem die Schriftstellerin mit ihrem Erinnerungswerk post mortem zu Leibe rückte.

Mit "Das letzte Abenteuer" und "Jungfrau und Reptil" liegen zwei äußerst lesenswerte Bücher neu vor: eines für alle, die Doderer lieben, und eines für alle, die Doderer hassen. Nicht wenige werden auch beide Werke verschlingen.

Andrea Reisner, geboren 1982, Studium der Germanistik, arbeitet an einer Dissertation über Heimito von Doderer und ist Redakteurin der "Wiener Zeitung"-Beilage "Zeitreisen".

Information#

  • Heimito von Doderer: Das letzte Abenteuer. Nachwort von Martin Mosebach. Hrsg. v. Gerald Sommer. C.H. Beck, München 2013, 120 Seiten.
  • Dorothea Zeemann: Jungfrau und Reptil. Leben zwischen 1955 und 1966. Vorwort von Bernhard Albers. Rimbaud Verlag, Aachen 2013, 100 Seiten.

Wiener Zeitung, Sa./So., 10./11. August 2013


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