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Wie soll ich schreiben?#

Katharina Luger#


Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: Der Standard (Sonntag, 19. Februar 2012)


"Zu seiner Belehrung sollte ein Schriftsteller mehr leben als lesen. Zu seiner Unterhaltung sollte ein Schriftsteller mehr schreiben als lesen" (Karl Kraus)


Ich soll schreiben. Weiter, ich soll überall schreiben können, nicht nur zuhause. Ich soll Türen öffnen, nicht nur Kaffeehaustüren. Ich sitze ebenda, in so einem Kaffeehaus, eine Zigarette im Mundwinkel - das Klischee sei mir verziehen, es ist meine pure Absicht – und soll innovativ sein. Neue Wege gehen, die nicht nur mit Prosa gepflastert sind, ich soll unterwegs vielleicht einen Akt für ein Drama, einen Gedichtzyklus und vier Essays schreiben, wenn möglich abdruckfähig, vielleicht in einer Literaturzeitschrift. Ich soll den Betrieb aber nicht zu ernst nehmen, Essay kommt schließlich von essayer. (Ich soll Französisch sprechen). Ich soll mich nicht um Verlage kümmern, ich soll mich nicht um den Buchhandel kümmern (Der Buchhandel liegt im Argen). Dort kommt nämlich "Handel" vor, und ich bin kein Produkt. Ich soll kein Produkt sein wollen. Ich soll sagen, ach, der Literaturbetrieb ist fürchterlich, aber ich soll keine Lesung verpassen. Ich soll eine engagierte Schriftstellerin sein. Ich soll eine Autorin sein, nicht interessiert am eigenen Erfolg, sondern an der Sache. Ich soll 1500 Bücher verkaufen, damit es sich für den Verlag lohnt, mich anzupreisen. Werbung soll ich scheußlich finden. Ich soll mich mit dem Zeitgeschehen befassen, ich soll die Geschichte meines eigenen Landes kennen, ich soll die Geschichte meiner eigenen Familie kennen. Ich soll die Innenpolitik kommentieren können, die aktuelle, die vom letzten Jahr und die vor meiner Zeit. Ich soll Ö1 hören, die Features, und die Hörspiele. In der Nacht läuft das beste Fernsehprogramm. Ich soll nicht beim Fernsehen einschlafen. Ich soll keinen Fernseher besitzen. Ich soll Filme kennen. Klassiker. In Originalton. (In der Übersetzung geht der ganze Humor verloren.) Das Lebenswerk von ... . Ich soll auf Filmfestivals gehen und mir Retrospektiven ansehen. Ich soll mich auch mit Theater auseinandersetzen. Literatur und Theater liegen ja eng bei einander. Ich soll Jazz lieben und Pop verachten. Ich soll Jazz verachten. (Bob Dylan ist ein Poet.) Ich soll eine klare Linie ziehen können zwischen Avantgarde und Postmoderne. Ich soll mich sehr gut mit Epochen auskennen, aus der Epoche die Kunst herleiten und aus der Kunst die Epoche. Ich soll mit Gerhard Rühm oder Carl Djerassi einen Diskurs führen können, und dies vor allem, da ich ein naturwissenschaftliches Vorstudium absolviert habe. Oder zumindest ein Philosophiestudium. Ich soll nicht im eigenen Dampf schmoren. Ich soll schlecht in Mathematik sein. Ich soll wissen, dass Mathematik alles zusammenhält. Und nicht Rudolf Taschner. Ich soll Mallarmé verstehen, das sind ja nicht nur bunte Buchstaben. (Klassische Erzählung hat nichts mehr mit Kunst zu tun, nur andere, experimentelle Zugänge sind heute noch legitim.)

Ich soll nicht schreiben wie...#

Ich soll bestimmte Bücher schon mehr als einmal gelesen, und jedes mal etwas Neues entdeckt haben. Ich soll nicht den ganzen Tag damit beschäftigt sein, das zu lesen, was ich ohnehin schon kennen sollte. Ich soll meine Zeit nicht im Internet vertrödeln, aber einen eigenen Blog haben und andere Literaturblogs verfolgen (Ein Blog ist so eine demokratische Form der Publikation). Ich soll mich nicht versklaven, ich soll nicht "Lohnarbeit fristen", oder "texten", ich soll mich für Literaturwettbewerbe interessieren, ich soll einreichen, ich soll ein Manuskript im Ärmel haben und dieses bei Gelegenheit den richtigen Personen zustecken, bei deren Lesungen ich pünktlich eingetroffen bin. Ich soll aktuelle Arbeitsproben haben, und mich mit diesen für Stipendien bewerben. Ich soll das Schreiben lieben, oder ich soll es hassen, aber in jedem Fall soll ich viel schreiben. Und lesen, und wissen, was Karl Kraus dazu sagt. Und der Olymp. Und Helmut Qualtinger. Alles ist schon einmal dagewesen, ich soll anders schreiben, ich soll nicht schreiben wie... . Ich soll gerade die österreichische Literatur kennen. Nur nicht die Bestseller. Ich soll in kleine Buchhandlungen gehen, ich soll Antiquariate kennen, viele. Ich soll auch einmal etwas Schlechtes schreiben. Ich soll dem Ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur einen Bericht über meinen Erzählband abliefern. Ich soll Zweifel kennen, ich soll aber nicht verzweifeln. Ich soll Widerstand leisten, ich soll nicht zu glatt sein, ich soll nicht an der Oberfläche kraulen sondern an ihr kratzen. Ich soll mit der Hand schreiben, mit Füllfeder, ich soll mit der Schreibmaschine schreiben. Ich soll in der Früh schreiben, wenn der Tag noch jung ist. Ich soll Jungautorin sein. Gerade aufgestanden. Ich soll neben meinem Bett ein Blatt Papier liegen haben, um die Ideen, die im Schlaf kommen, sofort aufschreiben zu können im 10-Fingersatz. Ich soll im Gymnasium gewesen sein, ich soll Latein gehabt haben. Ich soll nicht bürgerlich sein, ich soll bürgerliches Milieu kritisieren. Ich soll keine Lifestyle Autorin sein. Ich soll nicht über oder gegen Befindlichkeiten schreiben, nicht die eigene Familiengeschichte aufrollen. (Schon wieder der Vater! Das hat vor ihr schon...) Ich soll nicht beschreiben, wie sich ein warmes Wannenbad anfühlt. Jeder weiß, wie sich ein warmes Wannenbad anfühlt. Ich soll wissen, dass das Thomas Bernhard gesagt hat. Ich soll nicht beschreiben, was eine Prostituierte in ihrer Handtasche hat, ich soll mit einer Prostituierten schlafen und das beschreiben. Ich soll nicht einen Erzählband als Erstlingswerk herausbringen, der verkauft sich nicht. Ich soll mich nicht an Verkaufszahlen aufhängen. Ich soll mich nicht erhängen. Die, die wirklich verkaufen, schreiben sich per Auftrag quer durch die Feuilletons. Ich soll die Feuilletons durchforsten. Ich soll Feuilleton im Schlaf buchstabieren können. Ich soll nicht das erste Wort wählen, das mir einfällt. Ich soll eine Veröffentlichung bei der Grazer Literaturzeitschrift "Manuskripte" haben, solange Alfred Kolleritsch dabei ist. Ich soll ohne Internet wissen, dass Alfred Kolleritsch Alfred Kolleritsch heißt. Ich soll ein Problem mit authentischen Schriftstellern haben. Ich soll performen. Ich soll Poetry Slams besuchen. Ich soll noch Briefe schreiben, ich soll mir einmal eine meinung darüber gemacht haben, ob ich groß und kleinschreibe. ich soll es auch einmal ausprobiert haben kleinzuschreiben, mich der konvention widersetzen. Ich soll Hesse in der Schule abgelegt haben, ich soll den Mann ohne Eigenschaften gelesen haben. Ich soll das Lied von der Erde kennen. Ich beginne jeden Satz mit "Ich soll", ich soll Wortwiederholungen vermeiden. Ich soll mich bewusst für Wortwiederholungen entscheiden. Schreibe ich "es", ich habe mich immer zuvor gefragt: Ist dieses "es" wirklich notwendig, und falls ja, habe ich mich ebenfalls bewusst dafür entschieden. Ich spare die Adjektive. Ich vermeide schiefe Bilder oder gar jene, die wir alle schon 400mal gelesen haben. Ich soll ein Objekt an den Anfang einer Erzählung stellen.

Ich soll anwesend sein. Ich soll mit meinem Namen unterschreiben. Ich soll mich nicht als erste melden, um meinen Text vorzulesen. Ich soll noch bis zum nächsten Mal auf das Feedback warten können. Ich soll nicht gleich gehen, nachdem mein Text besprochen wurde, sondern solidarisch sein und noch den anderen zuhören. Ich soll wissen, dass Autoren niemals solidarisch sind, und jeder nur über seinen eigenen Text sprechen will, und hören möchte, was der andere dazu sagt.

Ich soll mich innerhalb der "Angewandten" mit Studenten aus anderen Richtungen für Projekte zusammenschließen. Ich soll gendern und nicht sagen Studenten aus anderen Studienrichtungen sondern Studierende. Ich soll wissen, wer gerade angesagt ist, obwohl er Maler ist und nicht Dichter. Ich soll wissen, wo die nächste Angewandten-Party ist. Ich soll 8-10 Seiten schreiben. Ich soll eine Stimme haben und Gegenargumente zu meiner Position finden. Oder mich im Zweifel einfach an Montaigne oder Johnson orientieren. Natürlich, ich soll zur Deadline abgeben. Ich soll etwas abgeben, sonst falle ich durch. Ich soll wissen, dass es nicht um einen akademischen Titel geht, wenn man schreiben will. Ich soll nach dem Unterricht noch mitgehen auf ein Bier. Ich soll eine Idee für ein Sprach/Filmprojekt haben und verwirklichen. Ich soll cutten lernen.

Ich soll schon vor der Lehrveranstaltung die Leseliste gelesen haben. Ich soll die Lehrbeauftragten, die Dichter, kennen. Ich soll ihr Werk nicht nur gelesen haben, ich soll zu ihm durchgedrungen sein. Nicht zu jedem, aber falls nicht-warum? Ich soll jedes Wort schon einmal gehört haben, und falls nicht, sofort fragen, was es heißt. Ich soll einen Arbeitstitel haben. Ich soll ein Konzept haben. Ich soll bei Konzeptkunstprojekten mitmachen und in ein Museum das Wort "Kübel" brüllen gehen. Ich soll keine Schreibblockade haben, ich soll eine überwinden. Ich will einen Roman schreiben.

Der Standard (19. Februar 2012)