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Dement, aber nicht vergessen#

130.000 Menschen in Österreich werden im Jahr 2020 an Demenz erkrankt sein.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Dienstag, 22. April 2014)

Von

Petra Tempfer


Symbolfoto: Erinnern
Symbolfoto: Erinnern
© dpa/Oliver Berg

Wien. "Bis 90 war mit meiner Mutter alles so weit in Ordnung. Dann hat sie auf einmal angefangen, immer das gleiche Buch zu lesen. Schön langsam ist das immer auffälliger geworden. Bis ich sie nicht mehr alleine lassen konnte", sagt Heidi Beilner. Jahrelang pflegte sie ihre Mutter. Als es nicht mehr ging, brachte sie sie in eine Hausgemeinschaft der Diakonie. Heute ist die Mutter 99, erkennt ihre Tochter nicht mehr, wird gewickelt und gefüttert - "aber sie macht einen glücklichen Eindruck", sagt Beilner.

Natürlich habe sie lernen müssen, Demenz nicht als vorübergehende Krankheit zu sehen und mit diesem Phänomen umzugehen. Genau darum geht es auch der Diakonie. "Demenz geht uns alle an", sagt Direktor Michael Chalupka. "Demenz bedeutet vergessen. Menschen mit Demenz dürfen aber nicht vergessen werden." Vielmehr müsse man umdenken und Demenzkranke nicht abschieben, sondern ihnen einen fixen Platz in der Gesellschaft einräumen. Jeder müsse lernen, diesen Menschen gegenüber Verantwortung zu übernehmen.

Demenzstrategie der Regierung soll bis Ende 2014 fertig sein#

Die Zeit drängt. Denn 130.000 Menschen werden 2020 von Demenz betroffen sein, rechnet Chalupka vor. Derzeit ist jeder Zwanzigste zwischen 65 und 69 Jahren dement, bei den über 90-Jährigen ist es bereits jeder Dritte. Laut Chalupka ist es deshalb höchste Zeit, dass sich auch die Regierung mit diesem Thema befasst und Maßnahmen erarbeitet.

Im Regierungsprogramm ist zwar festgeschrieben, dass bis Ende 2014 eine Demenzstrategie erarbeitet werden soll - Details sind aber noch nicht ausgeführt. Bei dieser Strategie geht es vor allem um den Umgang mit Demenzkranken. Sie sieht ein breiteres Angebot an Informationen und Schulungen für jene vor, die im Alltag mit Älteren zu tun haben, beispielsweise Supermarkt-Mitarbeiter oder Polizistinnen.

Die Diakonie fordert jedoch mehr. Etwa, dass Angehörige besser entlastet werden. "Zuhause unterstützt mit mobilen Diensten, im Pflegeheim oder im betreuten Wohnen; ein Zentrum, in dem nur tagsüber Unterstützung geboten wird - vieles soll möglich sein. Derzeit fehlen diese Leistungen oft noch oder sind nicht leistbar", sagt Chalupka. Vor allem im ländlichen Raum sei das Angebot rar. Andernorts seien Tageszentren mitunter teurer als ein Pflegeheim-Platz, den der Betroffene noch gar nicht benötigen würde.

Grundsätzlich geht es darum, die Angehörigen so weit zu entlasten, dass sie ihr gewohntes Leben weiterführen können. Derzeit geben viele ihre Arbeit auf oder reduzieren die Stunden, um sich um die demente Mutter oder den Großvater zu kümmern. Das nagt allerdings an deren Pension.

Dass die Demenzstrategie ein willkommenes Ventil für die Regierung ist, um von den Problemen des Pflegesystems abzulenken, glaubt Chalupka nicht: "Das eine muss im anderen aufgehen." Seiner Ansicht nach ist es sogar gut und wichtig, dass der gesellschaftliche und der medizinische Aspekt separat betrachtet werden. Zu Letzterem zählen die Themen Pflegegeld (wurde seit 2008 nicht mehr valorisiert, dafür kommen Demenzkranke seit kurzem in eine höhere Pflegestufe), Pflegefonds (ist mit 300 Millionen Euro bestückt) sowie Pflegekarenz.

Ein wirksames Heilmittel gibt es nicht#

Fakt ist: Ein Heilmittel gegen Demenz gibt es nicht. "Die Ursachen sind weitgehend unklar", sagt Alexander Aschenbrenner, Gerontopsychologe aus der Diakonie in Salzburg. Demenz sei etwas anderes als "die gewohnte Vergesslichkeit". Sie sei eine degenerative Veränderung im Gehirn und zum Teil genetisch bedingt. Auch eine schwere Depression kann die Ursache sein. Betroffene durchlaufen drei Stadien, wobei die erste Zeit für sie selbst die schwierigste ist: Wenn sie merken, dass sich etwas verändert - und versuchen, es zu kaschieren.

Auch Beilner erinnert sich an dieses Stadium ihrer Mutter. "Als es ihr dann auch noch körperlich immer schlechter gegangen ist, ist es mit der Demenz schnell schlimmer geworden." Die Mutter habe zunehmend von Erlebnissen aus ihrer Kindheit auf einem Bauernhof im Mühlviertel erzählt und auch völlig unrealistische Begebenheiten dazuerfunden. Beilner lernte, damit umzugehen. "Früher hab’ ich sie immer verbessert. Dann hat man mir gesagt, dass das keinen Sinn hat und ich ihr zustimmen soll." Diese wertschätzende Haltung dementen Menschen gegenüber heißt in der Fachsprache Validation. "Das hat geholfen, und meine Mutter ist wieder aufgeblüht."

Wiener Zeitung, Dienstag, 22. April 2014