Das behinderte Ding wird Mensch#
Inklusion verträgt keine Ausgrenzung [1]#
Freundlicherweise zu Verfügung gestellt von: "Behinderte Menschen", Heft 1 - 2014
von
Wolfgang Jantzen
"Ein schlechter Witz: Personen mit Behinderung in einer Gesellschaft zu rehabilitieren, die behindert?" - Colin Barnes
"Die Dekolonisation ist wahrhaft eine Schöpfung neuer Menschen. Aber diese Schöpfung empfängt ihre Legitimität von keiner übernatürlichen Macht: das kolonisierte Ding wird Mensch gerade in dem Prozess, durch den es sich befreit." - Frantz Fanon
Vorbemerkungen#
Der Prozess der sozialen Inklusion hat durch die Behindertenrechts-Konvention der Vereinten Nationen (BRK) eine neue menschenrechtliche Qualität erhalten, mit der zugleich die Gesamtheit der Menschenrechte weiter entwickelt wird. Das Recht, alle Rechte zu haben, der Schutz vor Gewalt und Diskriminierung und die Gewährleistung individueller Entwicklung als Vielfalt in der Differenz werden nicht nur für alle behinderten Menschen im weitesten Sinne geltend gemacht. Erstmals steht im Zentrum der menschenrechtlichen Debatte die Subjektivität der bisher Ausgegrenzten: Das Gefühl der eigenen Würde (sense of dignitiy) und das Gefühl der sozialen Zugehörigkeit (sense of belonging) wird in den Mittelpunkt gestellt (Bielefeldt 2009). Dies gilt für körperlich oder geistig behinderte Menschen ebenso wie für psychisch kranke oder alte und demente Personen; es gilt aber darüber hinaus für jeden einzelnen Menschen. Die BRK steht im Kontext weiterer spezieller Menschenrechtserklärungen wie u.a. der Konvention gegen Rassen-Diskriminierung von 1965, der Frauenkonvention von 1979, der Anti-Fol- „Ein schlechter Witz: Personen mit Behinderung in einer Gesellschaft zu rehabilitieren, die behindert?“ - Colin Barnes -terkonvention von 1984, der Kinderrechtskonvention von 1989, einer Reihe, die fortgeführt wird, so durch die Konvention der Rechte der indigenen Völker von 2007.
Gegen die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ [2] sind Menschenrechte ein wichtiges Instrument, die Stimme der Ausgegrenzten, der „Verdammten dieser Erde“ (Fanon 1969)[3], der „Nichtse“ (Eduardo Galeano[4]) wieder zur Geltung zu bringen. Allerdings wäre dies wirklich ein schlechter, Witz, wie es Barnes (2009) im Kontext der englischen Disability Studies vermutet, wenn wir uns nur gegen die Gleichgültigkeit im Bereich Behinderung durch die Rede von Inklusion, Teilhabe und Empowerment wenden wollten, ohne die nationalen, europäischen und globalen Zusammenhänge im Auge zu haben, die systematisch Ausgrenzung produzieren und zugleich die Ausgegrenzten unsichtbar machen. Folgen wir einer Überlegung des portugiesischen Soziologen Boaventura de Sousa Santos, so hätten wir gegen die teilnahmslose Vernunft des Nordens eine solidarische Vernunft des Südens zu setzen. Süden steht hierbei nicht für den geographischen Süden, sondern als Metapher für das weltweit durch Globalisierung und eine kapitalistische Gesellschaftsordnung verursachte Leiden. Und gegen eine Auffassung von Vernunft, die Chaos in Ordnung zu überführen versucht, wäre eine andere Vernunft zu setzen, ein anderes Paradigma, das Kolonisierung in Solidarität überführt (Santos 2010, 38). Wie aber ist dies möglich in einer Gesellschaft, die behinderte Menschen nach wie vor als defekt sieht? Und wie können sich gegen die damit verbundenen Ausgrenzungsmechanismen kontrahegemoniale Prozesse der Inklusion entwickeln?
Ideologische Formen des Ausschlusses und ihre Veränderung von unten#
Die Forschungen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit
Im Kontext der Rassismusforschung haben Sozialwissenschaftler der Universität Bielefeld durch umfangreiche empirische Untersuchungen über 10 Jahre in 8 europäischen Ländern eine Grundlage für die weitere Diskussion der ideologischen Strukturen gesellschaftlicher Ausgrenzung geschaffen. Sie betrachten gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) als gemeinsames Syndrom unterschiedlicher Formen der ideologischen Ausgrenzung von Menschen. Sie verstehen darunter „eine generalisierte Abwertung von Fremdgruppen, die im Kern von einer Ideologie der Ungleichwertigkeit bestimmt ist.“ (Zick et al. 2011, 42)
Dieses Syndrom umfasst die folgenden Elemente: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Etabliertenvorrechte, Sexismus, Homophobie, Abwertung von Behinderten, Abwertung von Obdachlosen, Abwertung von Langzeitarbeitslosen (IKG 2013). Eine Ursache, z. B. Islamfeindlichkeit, kann unterschiedliche Konsequenzen haben, z. B. Ablehnung von Behinderten. Aber unterschiedliche Formen können auch von derselben Ursache abhängen, so bestimmte die Auffassung, dass es den Deutschen „schlechter gehe als den Ausländern“, die Ablehnung aller anderen Gruppen des Syndroms (Zick 2006, 7).
Mit der GMF sind drei ideologische Orientierungen verbunden:
- „eine auf Recht und Ordnung sowie Disziplin setzende Grundhaltung“,
- „die Befürwortung von sozialen Hierarchien zwischen ‚oben‘ und ‚unten‘“ sowie
- „eine generell ablehnende Haltung gegenüber Vielfalt von Kulturen, Ethnien und Religionen innerhalb eines Landes.“ (Zick et al. 2011, 15).
Eine GMF scheint zudem eher im Kontext religiöser Überzeugungen vorhanden zu sein (Küpper, 2010). Darüber hinaus zeigt eine neue Veröffentlichung aus diesem Projekt, dass nicht nur religiöse Ideologie in der Bestimmung von Ungleichheit wirksam ist, sondern vor allem auch neoliberale Ideologie. Eine „Ideologie der Unproduktivität“, fußend auf „ökonomistischen Werthaltungen“ und einem „unternehmerischen Selbst“, trifft sich mit der Ideologie der Ungleichheit. Sie erklärt erhebliche Varianzanteile bei den drei dort verglichenen Arten der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit: Menschen mit Behinderung 25 %, Obdachlose ca. 36 %, Langzeitarbeitslose ca. 50 % (Groß und Hövermann 2013).
Wichtigste Schutzfaktoren vor GMF sind „das Vertrauen in andere Menschen, das Gefühl, feste Freundschaften schließen zu können, der Kontakt mit Einwander/innen, und vor allem eine positive Grundhaltung gegenüber Diversität. Religiosität schützt hingegen nicht vor gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, und allgemeine Werthaltungen, die Sicherheit und Universalismus betonen, spielen kaum eine Rolle.“ (Zick et al. 2011)
„Für wirkliche Prävention (…) braucht es eine ganz bestimmte Kultur.“ (Kahane 2006, 4). Wie aber eine solche kontrahegemoniale Kultur in einem Feld vielfältiger gegenläufiger ideologischer Prozesse entwickeln? Hierzu zunächst einige theoretische Überlegungen
Hegemoniale Ideologie und kontrahegemoniales Handeln#
Ideen und Praxen der Inklusion finden in einem komplexen Geflecht exkludierender sozialer Prozesse statt, die sich nicht nur in den verschiedenen Mustern der GMF zeigen, sondern gegenläufig in die kulturellen Bewegungen von Inklusion und Empowerment hineinwirken. So z. B. stieg die Anzahl der Heimplätze für Behinderte in Deutschland zwischen 1993 und 2003 kontinuierlich um 55 Prozent von ca. 150.000 auf ca. 179.000 (Rohrmann 2013,31).[5] In Schweden ist hierzu im Gegensatz die Zahl der Heime seit 1968 mit damals 18.000 Behinderten kontinuierlich gesunken bis zu ihrem endgültigen Verbot im Jahre 2001.[6]
Im schulischen Bereich ist in Deutschland die Diskrepanz zwischen Bestrebungen der Inklusion und der Weiterentwicklung von Aussonderung nach wie vor sehr hoch. So erfährt man in den unterschiedlichen deutschen Bundesländern durchgängig, dass eine Reihe von Kindern „nicht inkludierbar“ sei.[7] Darüber hinaus reden auch Befürworter und Vorkämpfer der schulischen Inklusion davon, dass schulische Inklusion nicht für alle Kinder möglich sei[8].
Wir haben demnach eine Situation vorliegen, die sozialwissenschaftlich als Situation der Entfremdung beschrieben werden könnte. Auf der einen Seite existieren menschenrechtliche Forderungen nach einer Kultur von Kooperation und Solidarität, auf der anderen Seite existiert eine ökonomische, ideologische und sozialpolitische Realität, die immer wieder in der TINA-Formel des Thatcherismus: beschworen wird „There is no alternative“. Eingeschrieben in die Köpfe großer Bevölkerungsteile sind im Rahmen dieses Denkens die Ausgrenzung von behinderten oder psychisch kranken Menschen, von Migranten, Menschen in Altersheimen, Menschen in prekären Lebenslagen, so sehr wir dies auch bedauern, mehr oder weniger unvermeidbare Nebenfolgen der Naturgesetze des Marktes. Von den Akkumulationsgesetzen des Kapitals, die als Totalität die Ausgrenzung lebendiger Arbeit hervorbringen, ist in der Regel nicht die Rede (vgl. Dussel 1989, 2006, Jantzen 2012a).
Was aber ist Entfremdung und wie realisiert sie sich? Wie können wir sie in Form neuer Kultur durchbrechen und wie kann soziale Inklusion realisiert werden?
Von besonderem Interesse ist hierbei eine bei Lacan entwickelte Grundfigur von Individuum und Gesellschaft. „Das Subjekt ist weder autonomes Zentrum seiner selbst noch Initiator seines vom Bewußtsein ausgehenden Verhältnisses zur Welt […] vielmehr [ist] die Sprache das entscheidende Agens, durch das es spricht und durch das gesprochen wird.“ (Pagel 2012, 13). Durch die Symbolfunktion der Sprache ist das „wahre Subjekt“, das „Je“, das „Ich“, irreflexiv und exzentrisch gegenüber dem „Moi“, dem „Ich als Du“. Da, so folgt daraus, das Subjekt das Ich-werden in der Sprache der anderen ist, mit Buber ließe sich ergänzen, dass der Mensch „am Du zum Ich“ wird, ist dieser Prozess prinzipiell unabgeschlossen.
Die Entfremdung ist doppelt: einerseits im irreflexiven Ich („je“ / „I“) gegenüber dem reflexiven Ich als Du („moi“ / „me“) und andererseits im Verhältnis des Ich zur Welt, da Sozietät dadurch entsteht, dass die sich konstituierenden Subjekte sich im Anderen (in einer Sprache) gemeinsam entfremden (ebd.). D. h. die Entfremdung ist in dieser Hinsicht in die Sprache, in die Kultur eingeschrieben. Diese Selbstentfremdung verdeutlicht sich im Einschreiben der Ausgrenzungserfahrungen in das eigene Selbst, den eigenen Körper, die eigene Haut. „Das Subjekt spricht, wenn es als Subjekt spricht, immer vom Ort des Anderen aus.“ (Doblhammer 1998, 234)
Entsprechend lesen wir bei Frantz Fanon[9] zu einer solchen Situation: „Das Körperschema, das an mehreren Stellen angegriffen war, brach zusammen und machte einem epidermischen Rassenschema Platz, […]. In der Eisenbahn überließ man mir nicht einen, sondern zwei, drei Plätze. […] Ich existierte dreifach. Ich nahm Platz ein. Ich ging auf den anderen zu … ; und der andere verflüchtigte sich, feindselig aber nicht greifbar, durchsichtig, abwesend. Das Ekel … […] An jenem Tag […] begab ich mich sehr weit weg von meinem Dasein und konstituierte mich als Objekt.“ (Fanon 1986f.).
Vergleichbare Erfahrungen finden wir immer wieder in Berichten von und über behinderte Menschen (vgl. Niedecken 1998, Sinason 2000)[10]. So berichtet Christel Manske aus einer Spieltherapie mit einem Mädchen mit Trisomie 21 wie folgt:
Das Mädchen, nennen wir es Paula, baut auf dem Tisch ein Haus auf, eine Insel sowie ein Boot mit zwei Puppen; für eine der beiden nimmt sie ein Einhorn. Es sind zwei Schwestern; das Einhorn ist sie selbst. Beide Schwestern fahren los. Auf dem Weg hält sie inne und sagt: „Die eine Schwester ist leider kein richtiger Mensch.“ Ihr Gesicht ist tief ernst. „Leider!“ fügt sie hinzu. Die Therapeutin reagiert: „Das ist eine verwunschene Prinzessin“ – „Ach ja?“ – „Und wenn sie die Insel erreichen, dann wird sie eine Prinzessin“, so die Therapeutin im Wissen, dass Paulas Mutter sie immer eine kleine Prinzessin nennt. Paula lächelt zaghaft. (Manske 2013)
Der Mensch existiert, so zeigen es beide Beispiele, vermittelt über die Sprache und Kultur, er existiert in einer exzentrischen Position zu sich selbst.[11] In diesem Kontext leisten Lacans strukturalistische Überlegungen – jenseits aller spekulativen Ausschmückung[12] – einen wichtigen Zugang zum Verständnis von Ideologie. Entscheidend ist, dass bei Lacan Entfremdung ebenso wie Subjektivität als Relation bestimmt wird. In Paraphrasierung einer Äußerung von Francisco Varela, dass der Geist nicht im Kopf ist, nicht draußen und nicht drinnen ist, sondern ein „Zyklus von Operationen“ (zit. nach Rudrauf 2003, 33ff.), ließe sich sagen: Subjektivität und Entfremdung sind Zyklen von Operationen, die Individuen und Gesellschaft über Sprache und Kultur miteinander verknüpfen.
Nach Seiten der Gesellschaft knüpft Louis Althusser (1970) in seiner Theorie der ideologischen Staatsapparate unmittelbar hieran an.[13] Die gesellschaftlichen Anderen sind in ihrer institutionellen Form soziale SUBJEKTE (groß geschrieben), die uns als „Subjekt“ (klein geschrieben) nach dem Muster des Anrufs von Moses durch GOTT anrufen. Derartige große SUBJEKTE wären u.a. Gott, das Gemeinwohl, der Nationalstaat, ein Führer, eine Leitfigur, eine Leitidee u.a.m. Durch die Prozesse der wechselseitigen Anrufung entsteht sozialer Sinn im Sein (vgl. Jantzen 2009).
Folgen wir der Sichtweise der Strukturalistischen Psychoanalyse[14], so geschieht dies über eine emotionale Objektbesetzung des großen SUBJEKTs, psychologisch betrachtet also durch emotionale Bindungsprozesse, die im Laufe der kindlichen Entwicklung mehr und mehr von konkreten Personen auf gesellschaftliche reale und ideologische Institutionen übertragen werden. Sagen wir es relational: Die Individuen sind Subjekte, weil sie angerufen werden und sie werden angerufen, weil sie Subjekte sind. Gefangen in dieser Anrufung als Subjekte, in der Unterwerfung unter das große SUBJEKT, in diesem System der allgemeinen Anerkennung und der Gewissheit, das alles so seine Ordnung hat, funktionieren die Subjekte in den meisten Fällen „ganz von alleine“, so wie uns dies die Forschungen zur GMF deutlich vor Augen führen.
Der besondere Wert von Lacans und Althussers Zugang zu Fragen der kollektiven Psychologie und darüber hinaus zu Fragen der Massenpsychologie liegt darin, dass sie die emotionalen und motivationalen Aspekte dieser Rahmungen[15] deutlich machen.
Dass andere, humanistische und solidarische Anrufungsmöglichkeiten denkbar und realisierbar sind, die für erfolgreiche Prozesse der Inklusion von zentraler Bedeutung sind, darauf verweisen vielfältige theoretische und praktische Erfahrungen. Ersichtlich verlangt dies jedoch eine radikale Veränderung der Anrufungsprozesse, die in unser gesellschaftlich formiertes Unbewusstes eingeschrieben sind. Wie aber kann Emanzipation in einer von Ausgrenzung durchzogenen Welt neu gedacht und realisiert werden?
Der entscheidende Dreh- und Angelpunkt ist die absolute Anerkennung der Existenz des anderen, wie es die„Goldene Regel“ formuliert, die allen großen Weltreligionen zugrunde liegt. Sie „verlangt, dass wir uns immer und überall ins Herz schauen; dass wir feststellen, was uns Schmerz verursacht und uns dann unter allen Umständen weigern, diesen Schmerz einem anderen zuzufügen – sie verlangt, dass wir uns nicht länger einer besonderen und getrennten Kategorie zurechnen, sondern unsere Erfahrung ständig zu der Erfahrung anderer in Beziehung setzen.“ (Armstrong 2009, 73).
Dies verlangt eine fundamentale Umkehr in den Anrufungsstrukturen, auf die insbesondere der französische Philosoph Emanuel Lévinas verwiesen hat.[16] Der Andere als der je Einzelne ist die Bedingung meiner Existenz. Die Ethik der Anerkennung tritt in dieser Hinsicht vor die Lehre vom Sein, die Ontologie; sie wäre die erste Philosophie. Dies eröffnet eine scharfe Trennungslinie zwischen hierarchischen Anrufungsprozessen durch die Herrschenden und egalitären Anrufungsprozessen auf der Ebene wechselseitiger Anerkennung in Orientierung an jenen, die ausgeschlossen oder von Ausschluss bedroht sind. Hieran orientiert formuliert Enrique Dussel in seiner „Philosophie der Befreiung“: „Der Andere ist das einzig heilige Seiende, das grenzenlosen Respekt verdient.“ Um aber „die Stimme des Anderen zu hören, ist es an erster Stelle notwendig, atheistisch gegenüber dem System zu sein.“ (Dussel 1989, 75)[17] „Die Göttlichkeit des Kapitals zu negieren, dessen Kult der Internationale Währungsfond (IWF) über allen Göttern und jeder Ethik pflegt, ist die Bedingung der Affirmation eines nicht deistischen Absoluten.“ (ebd. 115)
Wie ein solcher Prozess in sozialer Hinsicht gedacht und gestaltet werden kann, dies erörtert vorrangig die Epistemologie des Südens des portugiesischen Philosophen Boaventura de Sousa Santos.[18]
Ich komme später auf die persönliche Seite der Realisierbarkeit des grenzenlosen Respekts vor dem Anderen am Beispiel eines schwerstbehinderten Jungen zurück und verfolge hier zunächst die soziale Seite.
Gegen die Prozesse des Unsichtbarmachens der Ausgegrenzten, die er in einer Soziologie der Ausgrenzung untersucht, setzt Santos verschiedene „Ökologien“ politischer Emanzipation und sozialer Inklusion, die sich in vielerlei Hinsicht mit unseren eigenen Erfahrungen treffen, wie ich in praktischer Hinsicht am Beispiel der Planung des BlauHaus in Bremen erörtern werde.[19] Es sind dies:
- Die Ökologie der Wissensformen. Sie ist ein Ensemble von Praktiken, welche die Möglichkeit solidarischer Interaktion zwischen Wissensformen unterschiedlicher Provenienz fördern. Dies basiert auf der Voraussetzung, dass sich alle durch den Dialog bereichern können. Die historisch traditionell zum Schweigen gebrachten Gruppen sind fundamentaler Teil dieser Ökologie.
- Die Ökologie der Zeitlichkeiten. Sie gestattet die Anerkennung und die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Formen der Zeit. Sie würdigt die Unterschiedlichkeit der sozialen Zeiten und Räume ebenso wie die unterschiedlichen zeitlichen Rhythmen der Subjekte, die nicht nur nach linearen Zeiten funktionieren.
- Die Ökologie der Anerkennungen verweigert sich der Naturalisierung von Individuen und Gruppen. Sie dekonstruiert minderwertig machende Differenzen als eine Frucht der Machtverhältnisse, um sie durch gleiche Differenzen, ausgehend von wechselseitigen Anerkennungen zu ersetzen. Sie erkennt also Unterschiedlichkeit an, ohne sie minder zu werten oder zu homogenisieren. Dabei ist es „vor allem […] anderen notwendig anzuerkennen, dass nicht jede Differenz minderwertig macht“ (Santos 2010, 45). Dies gilt in besonderer Weise für das Gebiet der Behindertenpädagogik (vgl. Jantzen 2012, 2014).
- Die Ökologie jenseits des herrschenden Maßstabs geht davon aus, dass sich legitime Existenz nicht nur auf der Ebene von Universalität und Globalität manifestiert sondern es unterschiedliche territoriale Maßstäbe der Handlung gibt. Das Anerkennen unterschiedlicher Maßstäbe kann zur Stärkung der Bewegung für die soziale Inklusion behinderter Menschen beitragen, weil in der Artikulation zwischen den Maßstäben die Erkenntnis entsteht, Teil eines kollektiven, gesellschaftlich organisierten Netzwerks zu sein.
- Schließlich stellt die Ökologie der Produktivitäten das herrschende kapitalistische Entwicklungsmodell und seine Formen der Soziabilität in Frage, indem es andere Formen der Produktivität artikuliert, z. B. Prozesse der sozialen und solidarischen Ökonomie.
Es geht Santos also darum, die unendliche Verschiedenheit als einen der wichtigsten Reichtümer der sozialen Bewegungen und Organisationen zu nutzen. Dies verlangt jedoch eine Theorie der Übersetzung, innerhalb der Gleichheit und Differenz der Handelnden im Sinne partizipativer Demokratie erhalten bleiben. „Die Schlüsselannahme der Theorie der Übersetzung ist es, dass es kein alleiniges Prinzip des sozialen Wandels gibt, wie es auch […] keine alleinige Form der Unterdrückung gibt.“ (Aguiló 2013, 105)
Soziale Inklusion verlangt somit eine damit einhergehende Transformation der Gesellschaft, im lokalen, regionalen, nationalen und globalen Rahmen, wie es Enrique Dussel gegen alle Vertreter der Inklusion hervorhebt: „Die Ausgeschlossenen sollen nicht ins alte System eingeschlossen werden […], sondern als Gleiche in einem neuen institutionellen Moment […] partizipieren. Man kämpft nicht für die Inklusion, sondern für die Transformation.“ (2006, These 14.13.) Dies soll im Folgenden an einem Beispiel verdeutlicht werden.
Das Blauhaus als Projekt sozialer Inklusion#
Blaue Karawane und BlauHaus
Vom Projekt BlauHaus in Bremen zu berichten, erfordert von seiner Geschichte und seinem sozialen Umfeld zu berichten. Zunächst aber: Was ist das BlauHaus?
Ich zitiere von der Homepage der Stadt Bremen:
„Das BlauHaus ist ein Wohnprojekt der Blauen Karawane. Die Geschichte der Blauen Karawane reicht bis in die 70er Jahre, als die Kritik an der traditionellen Psychiatrie und ihrer menschenunwürdigen Verwahrpraxis in sogenannten ‚Irrenhäusern‘ bei Fachleuten, Politikern und in der Öffentlichkeit wuchs. Es ging darum die Normal- Verrückten und die Verrückt-Normalen nach der Auflösung der ‚Irrenhäuser‘ wieder in die Gesellschaft zu integrieren und ihnen das ‚normale‘ Leben zu ermöglichen. Das BlauHaus soll eine Fortsetzung dieses Grundgedankens sein.“ (Janiaczyk 2011)
Durch Wegfall des Bremer Überseehafens entsteht nun an der Hafenkante ein Gewerbegebiet, zunehmend mit der Planung „origineller Wohnformen“ verbunden.
Hier trifft sich die Planung mit dem Trend, hilfebedürftigen Menschen in Bremen insgesamt alternative Wohnformen zu bieten, anstatt sie in Heimen oder Anstalten unterzubringen, dabei jedoch eine erneute Isolation in soziale Ghettos zu vermeiden. Entsprechend ist in dem ehemaligen Speicher XI zurzeit nicht nur die Hochschule für Künste beheimatet, sondern neben anderen Einrichtungen, wie einem Hafen-Museum und einem Restaurant, auch seit 2003 die Blaue Karawane und mit ihr das Café Blau. Dieses war ursprünglich Teil des ebenfalls aus der Psychiatriekritik hervorgegangenen Blaumeier- Projekts[20], eines Projekts, das sich durch engagierte und viel beachtete Theateraufführungen von Behinderten und Nichtbehinderten national und international einen Namen gemacht hat.
In anderen Speichern und Schuppen des ehemaligen Hafengebietes sind gastronomische Einrichtungen und Wohnungen entstanden; die Umgestaltung eines weiteren Schuppens in Ateliers für Künstler ist in Diskussion.[21] Ebenfalls in Diskussion ist die Erschließung dieses gesamten Gebietes durch eine neue Straßenbahnlinie. Zusätzlich erfolgt durch die Umgestaltung zur Überseestadt eine erhebliche Aufwertung des Stadtteils Walle, der ebenso wie der nördlich davon gelegene Stadtteil Gröpelingen in sozialer Hinsicht schwer unter den Folgen der Schließung der Großwerft AG Weser Ende 1983 gelitten hat.[22]
Für die Blaue Karawane war es keine Frage, sich an dem Großprojekt an der Hafenkante zu beteiligen. Hier soll nun das BlauHaus entstehen und ein alternativer Treffpunkt für alle werden. Im BlauHaus soll eine gemischte Lebensform entstehen, wo Normale und Verrückte, Behinderte und Nichtbehinderte, Arbeitende und Arbeitslose, Alte und Junge in gemeinschaftlichen Zusammenhängen leben. Es wird im Norden der bisherigen Blauen Karawanserei entstehen, die dann aus dem Speicher XI dorthin umziehen wird.
Im BlauHaus soll eine gemischte Lebensform entstehen, wo Normale und Verrückte, Behinderte und Nichtbehinderte, Arbeitende und Arbeitslose, Alte und Junge in gemeinschaftlichen zusammenhängen leben. Es wird im Norden der bisherigen Blauen Karawanserei entstehen, die dann aus dem Speicher XI dorthin umziehen wird.
„In der ‚Blauen Manege‘ im Erdgeschoss sollen sich Werkstatt-, Gewerbe-, Dienstleistungs- und Gemeinschaftsräume und ein Café befinden. Dies soll ein Ort der Gastfreundschaft und Begegnung werden, ein Platz, wo sich die Bewohner und andere Bürger treffen, verweilen und austauschen können.
In den Werkstätten und Ateliers sollen alle die Möglichkeit haben, sich zu verwirklichen und einfach nur Spaß zu haben. Das Ganze wird durch einen Innenhof verbunden, den man über die Durchfahrten und Passagen erreichen kann. Hier ist man Gast und Gastgeber; Mitspieler und Zuschauer zugleich – ganz egal ob man BewohnerIn, NachbarIn oder BesucherIn ist.“.[23] Dann wird das Ganze vielleicht so aussehen wie auf Abbildung 2.
Wer soll in dem Haus wohnen? Das Haus wird über vier Stockwerke verfügen. Es wird im Erdgeschoss eine Wohnung für acht Demenzkranke und im ersten Stock Wohnmöglichkeiten für vier schwerbehinderte Menschen haben. Von den übrigen Wohnungen (einschließlich der gerade genannten sind dies 36 ein- bis vier-Personen-Wohnungen für insgesamt 64 Bewohner) entfällt ein Großteil auf Menschen in prekären Lebensverhältnissen, die zur Bezahlung ihrer Wohnung auf öffentliche Hilfen angewiesen sind. 16 Bewohner in Wohnungen unterschiedlicher Größe sind als Selbstzahler eingeplant. Zudem soll ein Kindergarten mit auf dem Gelände einziehen.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zwar sind die Blaupläne gezeichnet, aber für die Stellung des Bauantrags ist noch die Veränderung der Verwaltungsrichtlinien abzuwarten, die von der Landesregierung in Auftrag gegeben wurde. Für die Finanzierung werden neben einer hypothekarischen Belastung öffentliche Mittel in erheblichem Umfang in Anspruch genommen. Eine Finanzierung aus den Mitteln der sog. „Ausgleichsabgabe“ erfolgt jedoch nach bisherigen Richtlinien nur an Einrichtungen, die auf Exklusion angelegt sind. Obwohl für das Vorhaben die Bremer Landesregierung gewonnen wurde, die Frau des früheren Regierenden Bürgermeisters Henning Scherf, Frau Louise Scherf, die Schirmherrin des Projektes ist, der ehemalige Staatsrat Arnold Knigge, heute Sprecher der Freien Wohlfahrtsverbände, das Projekt berät und unterstützt, obwohl die öffentliche Wohnungsbaugesellschaft GEWOBA sowie die Klaus Hübotter Grundstücks GmbH das Projekt in jeder Beziehung unterstützen, besitzen Verwaltungen und Bürokratien sichtlich eine lähmende Langsamkeit.[24] Umso erstaunlicher ist es, dass hier auf der Basis eines solchen Projektes ein Abbau bürokratischer Prozesse, die der Inklusion hinderlich sind, in Angriff genommen wird.
Eine andere Schwierigkeit liegt darin, dass eine finanziell sich tragende Bewirtschaftung nur möglich ist, wenn die Assistenz für die Demenzkranken ebenso wie für die schwerbehinderten Menschen in einer Hand liegt. Dies ist aber nur möglich bei einem Träger, der gleichzeitig die Anerkennung nach dem Sozialhilfegesetz und dem Pflegegesetz hat, und diese Bedingung erfüllt in Bremen nur ein Dienst, der Martinsclub, mit dem, bei deutlichen Ähnlichkeiten in der Zielsetzung, bereits eine enge Zusammenarbeit besteht und der die Organisation beider Dienste übernehmen wird.[25]Und all diese Planung wird ständig wieder in den monatlichen Versammlungen zum Stand der Entwicklung in basaler Demokratie rückgekoppelt und überdacht. Daher ein kurzer Überblick zur Geschichte der Blauen Karawane.[26]
Zur Geschichte der Blauen Karawane[27]
Die Geschichte der Blauen Karawane steht im Kontext der Kritik an der traditionellen Psychiatrie und ihrer menschenunwürdigen Verwahrpraxis und reicht zurück in die 1970er Jahre. Im Rahmen des Bundesmodellprogramms zur Reform der Psychiatrie wurde erstmals in Deutschland eine psychiatrische Anstalt aufgelöst: die Bremische Klinik Kloster Blankenburg (40 km vor denToren Bremens).
Menschen, die bis 1981 (im Durchschnitt 16 Jahre lang) Insassen in einer Verwahrpsychiatrie gewesen waren, nahmen wieder Kontakt auf mit dem Leben in ihrer Stadt und mit ihrer eigenen Lebensgeschichte, bezogen eigene Wohnungen; ein neues Leben begann, in dem sie nicht mehr Objekte von total fremdbestimmter Anstaltsbetreuung waren, sondern verantwortlich handelnde Subjekte ihrer selbst gestalteten Umgebung wurden – in betreuten Wohngemeinschaften der eigens gegründeten „Initiative zur Sozialen Rehabilitation“. Die anfängliche Euphorie wich jedoch bald der Ernüchterung: Die alten Lösungen des medizinisch-psychiatrischen Denkmodells wurden durch neue fertige Lösungen ersetzt.
Dagegen wandte sich die erste Blaue Karawane 1985, die von Triest aus zusammen mit dem Blauen Pferd Marco Cavallo, dem berühmten Symbol der Triestiner Anstaltsauflösung, und den Bremer Stadtmusikanten aus Pappmaché durch Deutschland zog und mit künstlerischbunten und provozierenden Aktionen in neun psychiatrischen Anstalten haltmachte.
Seit Beginn der 90er Jahre trafen sich unter dem Dach des Vereins Das Blaue Haus die Leute aus der blauen Szene, denen es um die gedankliche und tatkräftige Auseinandersetzung mit dem Thema der Ausgrenzungen in unserer Gesellschaft ging. Aus der Psychiatriedebatte heraus richtete sich das Augenmerk auch auf andere Formen der Ausgrenzung: Alten- und Pflegeheime, Asyllager, Gefängnisse, Arbeitslosigkeit, zunehmende Verarmung u.a.m.
Bei ihren Reisen 1994, 2000 und 2009 zog die Blaue Karawane in West- und Ostdeutschland zu Orten der sozialen Ausgrenzung, um für einen anderen Umgang mit Menschen, für soziale Inklusion zu werben. Sie zog mit Wasserfahrzeugen über Flüsse und Kanäle und ihr voran immer die neue Symbolgestalt: Das Blaue Kamel namens „WÜNA“ („Wüstennarrenschiff“), flauschig, blau, 12 Meter lang, 2,4 Meter breit und bis zum Kopf 5,4 Meter hoch. Das Symboltier „WÜNA“ war eigens für die Karawane von langzeitarbeitslosen Werft-, Tischlerei- und Polsterei-Mitarbeitern, Künstlern, Schülern, Studenten u.a. geschaffen worden – ebenso wie der extra für das Blaue Kamel konstruierte Katamaran.
Und natürlich war und ist WÜNA bei nahezu allen anderen offiziellen Aktivitäten dabei, so z. B. beim Einzug der Blauen Karawane in den Speicher XI .
Mit diesen und vielen anderen politischen und künstlerischen Aktionen, natürlich auch durch den Betrieb des Café Blau und die Herausgabe der Zeitung „Die Blaue Karawane“ (erstmals 2008), hat sich die Blaue Karawane großen Respekt in der politischen und zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit verschafft. Dieser drückt sich aus in der Verleihung des Kultur und Friedenspreises der Villa Ichon an die Blaue Karawane und an Blaumeier im Rathaus der Stadt Bremen.
Spätestens hier jedoch ist ein kurzer Blick auf das politische und zivilgesellschaftliche Umfeld erforderlich, in dem diese Entwicklung stattfand und stattfindet.
Einige Bemerkungen zum politischen und zivilgesellschaftlichen Umfeld
Die Situation in Bremen seit den späten 60er den 70er Jahren ist zunächst gekennzeichnet durch die langen Folgen sozialdemokratischer Regierungen und durch die Dominanz der SPD in den Arbeitervierteln ebenso wie der Dominanz der CDU in den Bürgervierteln. Dies erklärt die vehementen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen im politischen Klima der 70er Jahre, außerordentlich verschärft durch die neu gegründete Universität, durch ihre Studenten und Absolventen ebenso wie die linke Ausrichtung der Universität („Rote Universität“), die mehr oder weniger bis zum Zusammenbruch des Realsozialismus 1989/90 anhielt. Diese Prozesse trafen zudem auf eine im westdeutschen Vergleich sehr starke kommunistische Partei, die in vielen Betrieben und sozialen Bewegungen vertreten war, jedoch niemals Sitze im Stadt- oder Landesparlament erzielte. Hinzu kam das sehr frühe Entstehen der politischen Bewegung der Grünen.
Allerdings wirkte sich die Existenz der Universität im Bereich der Wohlfahrtsverbände deutlich aus, nicht nur, wie schon erwähnt, im Landesverband Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder in Bremen, sondern auch durch Studenten des Diplom-Studiums der Behindertenpädagogik. Viele von ihnen ließen sich die ihre Existenz sichernde Arbeit in Wohnheimen für Behinderte oder in den Familien entlastenden Diensten der Wohlfahrtsverbände als Praktika anerkennen, wurden entsprechend an der Universität supervidiert und nahmen nicht selten später auch Leitungsstellen im Bereich der Wohlfahrtsverbände ein. Auch aus anderen Studiengängen bestanden enge Beziehungen zu fortschrittlichen Bewegungen in der Stadt, sei es im Bereich der Arbeitswissenschaft, im Bereich der Volkshochschule oder im Bereich der Jugendhilfe, so dass in Bremen eine hoch entwickelte Zivilgesellschaft festzustellen war.
Die in dieser Zeit lange bestandenen Abgrenzungen innerhalb des politischen Spektrums verflüchtigten sich in den Folgejahren nach der deutschen Einigung in erheblichem Maße, sei es durch die große Koalition zwischen SPD und CDU unter Henning Scherf, sei es durch den Eintritt ehemaliger hochrangiger DKP-Funktionäre in die SPD nach dem Scheitern der sehr starken Perestroika- Bewegung in Bremen, die insgesamt eine wechselseitige Annäherung mit der SPD hervorgebracht hatte, sei es durch die Umwandlung der Universität in eine Elite- Universität (leider mit deutlicher Schwächung basisdemokratischer Strukturen und Inhalte bzw. in Abwicklung progressiver Studiengänge).
Insgesamt muss die Geschichte dieser Umorientierung einschließlich eines Neuerstarkens zivilgesellschaftlicher Kräfte noch geschrieben werden. Exemplarisch jedoch für die zivilgesellschaftliche Entwicklung basisdemokratischer Kräfte und eine gelungene Zusammenarbeit mit den regierende Kräften möchte ich die Umgestaltung des Stadtteils Osterholz-Tenever erwähnen, – eines sozialen Ghettos voll verrottender Hochhäuser, einer Bausünde der 1960er Jahre, umgestaltet in einen wieder gut bewohnbaren Stadtteil. Trotz eines hohen Migrationsanteils und hoher Armut gelang hier sowohl eine bauliche Sanierung als auch eine Demokratisierung der Gesellschaft. In deren Mittelpunkt stehen monatliche Stadtteilversammlungen von Bewohnern, Institutionsvertretern, Politikern, die für die Planung notwendiger Vorhaben und gesellschaftlichen Austausch sorgen, natürlich nicht ohne die Initiative eines großartigen Stadteilmanagers.[28]
Wie aber haben wir mit der anderen Seite der Entfremdung umzugehen, die tief ins Selbst eingeschrieben ist. Wie haben wir den Respekt vor den Ausgegrenzten zu realisieren, von dem Enrique Dussel spricht?
Es gibt keinen Rest: Die freie Entwicklung eines jeden als Bedingung sozialer Inklusion#
„Respekt ist Schweigen, aber kein Schweigen, weil es nichts zu sagen gibt, sondern das Schweigen derer, die etwas hören wollen, weil sie etwas über den Anderen wissen wollen.“ So lesen wir bei Enrique Dussel (1989, 75): „Glauben bedeutet, das Wort des Anderen anzunehmen, weil sich der Andere offenbart – aus keinem anderen Grund“ […] Offenbaren heißt, sich selbst der Verletzungsgefahr auszusetzen.“ (ebd. 61)
Befreiung als solche wird gedacht – entsprechend der Pädagogik und Philosophie von Paulo Freire – als gemeinsame, dialogische Prozedur der Gewinnung von Bewusstsein über gemeinsame und gemeinschaftliche Praxis entlang generativer Themen, die aus der Kultur des Schweigens herausführen, welche die Unterdrückung setzt (vgl. Dussel 2013).
„Rehistorisierung […] bedeutet […], mit Hilfe der Erhebung von diagnostischen Daten eine von sozialer Ausgrenzung oder Reduktion auf Natur bedrohte bzw. ausgegrenzte und reduzierte Person wieder in den Status ihrer Menschen- und Bürgerrechte zu setzen, also in der Lage zu sein, ihre Geschichte so zu erzählen und zu begründen, als hätte sie auch unsere sein können. Der Prozess der Rehistorisierung ist daher unabdingbar an die Herstellung einer Situation gebunden, die dies im sozialen Verkehr zwischen Diagnostiker und Diagnostiziertem leistet, wobei die sozialen und psychischen Fähigkeiten des Diagnostikers mit auf dem Prüfstand stehen. Ist er in der Lage, Empathiebrücken zu dem Diagnostizierten zu entwickeln und so aufrecht zu erhalten, dass Nähe in der Distanz und Distanz in der Nähe gehalten werden können? Kann er seine Urteile in einer Situation der Macht so kontrollieren, dass er weder den Klienten verurteilt noch sich mit ihm in unzulässiger Weise verschwörerisch verbündet? […] Insofern schließt der Prozess der Rehistorisierung notwendigerweise den Beobachter mit ein. Und zudem bedarf die Konstruktion dieser Geschichte ständig der Verifikation durch die Tätigkeit (Praxis) des ‚Diagnostizierten‘. Er oder sie verifiziert in letzter Konsequenz die von mir konstruierte Geschichte.“ (Jantzen 2006, 320)
Dies soll im Folgenden erörtert werden. Ich habe mich hier für ein Beispiel entschieden, das aufzeigt, dass auch bei Formen schwerster organischer Beeinträchtigung inklusives Handeln möglich ist, dass hier genauso wie in allen anderen Fällen eine durch teilnahmslose Vernunft hervorgebrachte Reduktion auf Natur überwunden werden kann.
Ich berichte im Folgenden über die Situation eines 11 Jahre alten Jungen, nennen wir ihn Andreas, mit der medizinischen Diagnose Hydrancephalie. Dies bedeutet ein weitgehendes Fehlen des Großhirns (Anencephalie) bei jedoch geschlossener Schädeldecke. Dieser Hohlraum ist mit Gehirnflüssigkeit, Liquor cerebralis, angefüllt. In der Regel ist diese Diagnose von zahlreichen weiteren Einschränkungen begleitet und bis vor etwas mehr als einem Jahrzehnt galt als medizinische Lehrmeinung die gänzliche Entwicklungsunfähigkeit dieser Kinder. Für mich selbst war es die dritte Person mit einer derartigen Diagnose, die ich kennen lernte (vgl. auch Jantzen 2001, 2010)
Von Andreas erfuhr ich durch den Anruf einer Mutter-Kind-Einrichtung mit Babyklappe, in der drei schwer behinderte Kinder leben, zu denen die Mütter keinen Kontakt nach der Geburt aufgenommen haben. Eines von ihnen ist Andreas. Auf Betreiben der regional zuständigen Institutionen und durch fragwürdige Vormundschaftsentscheidungen des zuständigen Amtsgerichtes war eine Situation entstanden, innerhalb derer eine von Amtswegen als Vormund eingesetzte Frau bereits mit zwei leitenden Mitarbeiterinnen einer größeren Einrichtung für schwerstbehinderte Kinder unangemeldet in der Mutter-Kind-Einrichtung stand, um die baldige Verlegung von Andreas in eine Sondereinrichtung für schwerstbehinderte Kinder zu organisieren.
Ein auf Betreiben des Amtsgerichts eingeholtes kinder-und jugendpsychiatrisches Gutachten stützte die Argumentation einer notwendigen Verlegung, hinter der, wie sollte es auch anders sein, sich massive ökonomische Interessen verbargen. Und schließlich, warum sollte ein gänzlich als entwicklungsunfähig erachtetes Kind weiter in einer Mutter-Kind-Einrichtung leben? Zumal das eingeholte Gutachten die zugrunde gelegte Frage des Amtsgerichtes eindeutig verneinte: „Besteht bei einer Verlegung des Kindes Andreas XX aus seiner jetzigen Umgebung in eine andere Einrichtung eine Gefährdung des Kindeswohls?“ – Andreas sei nicht entwicklungsfähig. Ohne Großhirn gebe es kein Bewusstsein. Außerdem habe er keinerlei Bindung aufbauen können, da eine solche erst im Alter von 18 Monaten abgeschlossen sei, also auf einem für ihn unerreichbaren Entwicklungsniveau. Daher sei eine Verlegung ohne jegliche Folge für das Kindeswohl möglich.
Unterstützt durch einen im Sozial- und Jugendrecht hervorragend qualifizierten Rechtsanwalt hatte die Einrichtung alles versucht, die Verlegung von Andreas zu verhindern. Ich sagte gerne zu, ein Gegengutachten zu erstellen. Wie immer erbat ich mir vorher alle vorhandenen Unterlagen zur Vorbereitung. Für die Tätigkeit der Übersetzung ist es unabdingbar, sich mit Geschichte und Kultur des kolonialisierten naturalisierten, fatalisierten Dings auseinanderzusetzen, das durch unsere Übersetzungstätigkeit wieder als Mensch sichtbar werden soll.
Im Falle einer veränderten psychophysiologischen Organisation ist diese selbst aus den Fängen der Naturalisierung zu befreien, insofern für alles menschliche Leben die Tatsache der Entwicklungsfähigkeit anzuerkennen ist. Negiert man die Möglichkeit, diese andere Verfasstheit als nicht minderwertig machende Differenz zu rekonstruieren[29], so „verwandelt man die Politik der Gleichheit, die dies verkennt, kontradiktorisch in eine Politik der Ungleichheit“. Sie erwiese sich als in eine „in Wahrheit rassistische Politik“ (Santos 2010, 36). Die entscheidende Voraussetzung für Entwicklung ist in jedem Fall die Realisierung von Anerkennung in einer gemeinsam geteilten kulturellen Vielfalt, so die neurowissenschaftlich gestützte Grundannahme für alle Menschen (Gallese 2003). Dass diese Überlegung auch für Menschen ohne Großhirn Geltung hat, belegen die Arbeiten von Shewmon et al. (1999) und Merker (2007) nur allzu deutlich.[30]
Rehistorisierung bedeutet folglich, auch die biologische Seite der menschlichen Existenz mit einzubeziehen, sie jedoch jenseits jeglicher Verdinglichung zu begreifen. Sie ist, als Kern der Retardation, die Grundlage einer (geistigen) Behinderung. Die (geistige) Entwicklung bzw. Unterentwicklung unter den jeweils spezifischen Ausgangsbedingungen des Kerns der Retardation ist jedoch grundsätzlich sozialer Natur (Vygotsky 1993). Aber gerade spezielle Behinderteneinrichtungen, insbesondere Großeinrichtungen, schränken Dialog, Kommunikation und sozialen Verkehr in hohem Umfang ein. Insofern ist immer wieder gegen sie geltend zu machen, dass die von ihnen naturalistisch verstandenen Grenzen behinderter Menschen sozialer Natur sind. Sie sind Teile eines Systems der Kolonisierung, das durch Solidarität und nicht durch vermeintliche Ordnung überwunden werden muss.
Nicht die Ausgegrenzten haben demnach zu beweisen, dass sie in vollem Umfang Mensch sind, also zu Dialog und Kommunikation, zu sozialem Verkehr in der Lage, sondern ich selbst habe als Diagnostiker, Pädagoge, Therapeut zu beweisen, dass ich in der Lage bin, einen egalitären Dialog zu führen.
Bei meinem Besuch der Einrichtung saßen wir gemeinsam, Mitarbeiterinnen, Andreas und ich, an einem großen Tisch. Entsprechend der Ökologie der Wissensformen ist es notwendig, das Wissen aller Beteiligten zusammenzuführen und zu teilen. „Nicht über uns ohne uns“ – dies ist eine Grundforderung der Behindertenbewegung und ein Grundprinzip rehistorisierender Diagnostik. Und selbstverständlich sind alle in dieser kulturellen Situation in den unmittelbaren Umgang mit behinderten Menschen einbezogenen Personen in den Prozess der Übersetzung mit einzubeziehen.
Schon aus den unterschiedlichen Dokumenten der Akte war deutlich, dass Andreas über eine Reihe dialogischer und kommunikativer Kompetenzen verfügt. In meinem Gutachten schildere ich die Eingangsituation wie folgt:
„Andreas saß mir schräg gegenüber an der Tischecke […]. Die Mitarbeiterinnen kamen z. T. nach einander in den Raum. Mir fiel auf, dass Andreas jeweils nach Ansprache durch die ersten beiden Mitarbeiterinnen […] für ca. fünf Sekunden sehr deutliche Lippenbewegungen machte. Ich sprach ihn mehrmals mit tiefer Stimme als Andreas an und stellte mich dann mit Wolfgang vor. Auch hierauf reagierte er unmittelbar mit Lippenbewegungen. Ich machte […] darauf aufmerksam und wir überprüften dies bei den vier weiteren Personen, die den Raum betraten, mit jeweils dem gleichen Ergebnis der Lippenbewegungen. Bei einem plötzlichen Geräusch reagierte Andreas mit Hochreißen der beiden Arme.“
Im weiteren Gespräch kam die Rede darauf, dass seine Stressreaktionen nur sehr kurz sind und er sich schnell wieder beruhigt, was für eine gute und sichere Bindung spricht. Bei Kontaktaufnahme bewegt er den nach links herunter hängenden Kopf deutlich über die Mittellinie. Zudem hat er eine Reihe von ausgeprägten Vorlieben für bestimmte Musik. Dies alles spricht für eine Entwicklung entsprechend den von Shewmon dokumentierten positiven Verläufen. Und es spricht für eine deutlich entwickelte zeitliche Organisation.
Von besonderer Bedeutung aber ist die folgende Situation:
„Im Tagesablauf hat er eine sichere Orientierung, als ob er die Uhrzeiten kenne. Er drückt dann bei Verspätungen sein Unbehagen durch Meckern aus. Wie ich mir dieses Meckern vorzustellen habe, frage ich nach. Frau Y. imitiert dies mit auf einem auf und abschwellenden hochtonigen ‚huihuihuihuihui‘ worauf Andreas mit einem ausgeprägten Lachen reagiert.“
Insofern er aber eine für sich selbst benutzte Tonfolge in der Darstellung einer anderen Person wieder erkennt, zeigt er das Entwicklungsniveau einer geteilten Aufmerksamkeit, das im Alter zwischen acht Monaten und einem Jahr erreicht wird, ein Bereich, in dem für personale Veränderungen und Bindungsverluste die größte Verwundbarkeit besteht.[31]
Dies alles zeigt, wie sehr in unserem Vorgehen neben der Ökologie der Wissensformen die Ökologien der Zeitlichkeit, der Anerkennungen und in lokaler Hinsicht die Ökologie jenseits des herrschenden Maßstabs zur Geltung kommen.
Mein auf diesen und einer Reihe weiterer Fakten und wissenschaftlicher Diskurse aufbauendes Gutachten lieferte die Grundlage für die Abwendung einer gerichtlichen Entscheidung gegen die Mutter-Kind-Einrichtung, gegen Andreas und vor allem für eine Abwehr der Kolonisierung in einer großen Behinderungseinrichtung. Zuvor hatte die Dame, die als neuer Vormund eingesetzt war, sich aufgrund des Gutachtens bereits dezidiert für ein Verbleiben von Andreas in der jetzigen Einrichtung eingesetzt.[32]
Die gerichtliche Entscheidung ist insofern von herausragender Bedeutung, als für eine der denkbar schwersten Formen von Behinderung die Verlegung in eine Einrichtung für schwerstbehinderte Kinder abgewendet wurde. Damit wurden gegen die Naturalisierung im Kontext einer teilnahmslosen Vernunft umfassend die Menschenrechte von Andreas zur Geltung gebracht, sowohl im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention als auch des Artikels 3.3.2 des deutschen Grundgesetzes „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Schlussbemerkung#
Ich hoffe, dass ich zeigen konnte, dass soziale Inklusion auch in einer ausgrenzenden Gesellschaft möglich ist, sie aber einen Lern- und Transformationsprozess für alle Beteiligen voraussetzt und beinhaltet. Entfremdung kann überwunden werden, Demokratie ist möglich.
Besonders faszinierend war und ist für mich hierbei einerseits, wie unterschiedliche Strömungen regional, national und global sich verbinden können. Dies gilt für unsere sozialen Bewegungen in Bremen untereinander, wie die der Blauen Karawane und den von uns selbst (verschiedenen Absolventen und Professoren des ehemaligen Studiengang Behindertenpädagogik) beeinflussten, beides in Verbindung zur italienischen Demokratischen Psychiatrie, sowie jetzt erneut in Verbindung zur Epistemologie des Südens von de Sousa Santos, und über diesen als wesentlichen Impulsgeber der Weltsozialforen mit dieser globalen Bewegung. Ich erinnere an die Worte des Weltsozialforums:
Un otro mundo es posible. Eine andere Welt ist möglich.
Anmerkungen#
[1] Vortrag bei der Fachtagung „Behindertenhilfe und Sozialraum – Praktische Wege in das Gemeinwesen“ der LWV.Eingliederungshilfe GmbH Tübingen am 05.12.2013 in Reutlingen.
[2] So Papst Franziskus I in Anbetracht der Flüchtlinge aus Afrika bei seinem Besuch auf Lampedusa. http://www.sueddeutsche.de/panorama/franziskus-auf-lampedusa-papstgedenkt-ertrunkener-fluechtlinge-1.1715363
[3] Frantz Fanon (1924–1961), dunkelhäutiger Bauernsohn aus Martinique, Studium in Frankreich, Arbeit als Psychiater in Algerien, gilt als wichtigster Autor der antikolonialen Bewegung Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Sein Buch „Die Verdammten dieser Erde“ galt als kommunistisches Manifest der antikolonialen Revolution. Zur Aktualität von Fanon vgl. Wolter 2002.
[4] Vgl. Eduardo Galeano: Los nadies. http://migueldecervantes.blogspot.de/2005/06/einschub-eines-gedichtes.html
[5] Dieser Trend scheint unverändert anzudauern: 62 % der Empfängerinnen und Empfänger von Eingliederungshilfe für
Behinderte lebten 2009 hinter stationären Mauern (Rohrmann 2013, 32).
[6] Zu diesem Zeitpunkt waren es noch 170 Bewohner (Rohrmann ebd. 38)
[7] Vgl. zum politischen Unterlaufen der Behindertenrechts-Konvention Wocken 2012
[8] So die von Vertretern der Inklusion häufig geforderte Umkehrung der Quote von Sonderbeschulung zu einer gelungenen
Inklusion von gegenwärtig 20:80 auf 80:20 (Heimlich 2011, 44).
[9] Zitiert aus dem in „Das kolonisierte Ding wird Mensch“ (Fanon 1986) teilweise nachgedruckten Buch „Schwarze Haut,
weiße Masken“.
[10] Beide Autorinnen heben immer wieder, auf praktische Beispiele bezogen, die ausgrenzenden Blicke und Reaktionen der Umwelt hervor, voller Wegmach- und Todeswünsche. „Es überrascht nicht, dass das behinderte Kind oder der Erwachsene
angesichts eines […] Todeswunsches, die eigene Intelligenz noch radikaler kappt, damit er oder sie nicht hört, sieht oder versteht, was in einer feindseligen Umwelt vor sich geht […]. Tragischerweise geht der Kampf mit einem inneren Feind weiter, wenn der Außenfeind längst nicht mehr da ist.“ (Sinason 2000, 44)
[11] Auf den Begriff der exzentrischen Positionalität in der philosophischen Anthropologie von Helmuth Plessner kann
ich hier nicht eingehen; vgl. hierzu Fischer 2000.
[12] Doblhammer (a.a.O., 227) spricht von „barocken“ Umschweifungen.
[13] Althusser (1970) betrachtet Anrufung als Kern seiner marxistischen Staatstheorie. Sie erfolgt im Wesentlichen über Ideologische Staatsapparate (ISA), die alle zur Reproduktion der Produktionsverhältnisse beitragen. Dies sind der religiöse ISA (das System der verschiedenen Kirchen), der schulische ISA (das System der Bildungsinstitutionen), der
familiäre ISA sowie die juristischen, politischen, gewerkschaftlichen, informationellen und kulturellen ISA.
[14] Vgl. Heil 2003
[15] Ich verwende hier den allgemeinen Begriff des Referenzrahmens im Sinne von Goffman, wie er exemplarisch zur Analyse der Kriegsverbrechen von Soldaten der Deutschen Wehrmacht, für die Situation einzelner Soldaten durch Neitzel und Welzer (2011) verwendet wird. Im Rahmen des hier vorgegebenen Umfangs verbietet sich die Verwendung von Begriffen wie Semiosphäre (Lotman 2010 ) oder Chronotop (Bachtin 2008), welche die raumzeitliche Organisation, die Interaktion und den Fluss derartiger sozialer Gebilde weitaus besser charakterisieren (vgl. Jantzen 2013).
[16] Vgl. Lévinas 1992
[17] Für den Soziologen Zygmunt Bauman bedeutet dies die Außerkraftsetzung von technisch formaler Verantwortung zugunsten persönlicher Verantwortung (Bauman 1992, 1995).
[18] Vgl. als Überblick Aguiló 2013
[19] Vgl. ergänzend auch Aguiló & Jantzen 2014
[20] http://www.blaumeier.de/index.php?id=413
[21] Siehe z.B. http://www.ueberseestadtonline.de
[22] Soweit nicht anders vermerkt, beruhen meine Informationen auf langjährigen persönlichen Kenntnissen der sozialen
Entwicklung Bremens, auf meiner Mitarbeit in der Planung des Projektes BlauHaus sowie auf Papieren des Vereins Blaue Karawane e.V.
[23] Janiaczyk 2011; Homepage der Stadt Bremen: http://www.bremen.de/das-blauhaus-projekt-21091169
[24] Dieses Problem kennzeichnet Santos treffend: „Staatliche Bürokratien werden im Verlauf ihrer Entwicklung immer mehr in sektoriale Interessen aufgelöst, die den Staat in ein Netz von Mikrostaaten überführen, jeder mit einer öffentlichen Mikropolitik […] und einem Mikrodespotismus.“ (Santos 2010, 45).
[25] http://www.martinsclub.de/; vgl. auch im Moment allerdings noch im Entwurf vorliegende Dossier zum Angebot des
Interessenbekundungsverfahrens für die Übernahme des Wohnbereichs der Werkstatt Bremen. Martinsclub Bremen e.V. 2013
[26] http://www.blauekarawane.de/seiten/blauka-geschichte.htm (27.10.2013)
[27] Im Folgenden zitiere ich in diesem Abschnitt ohne weitere Kennzeichnung aus den Papieren der Blauen Karawane.
[28] Siehe die Beiträge von Joachim Barloschky, dem langjährigen Stadtteilmanager: http://www.barloschky.de
[29] eine Vorgehensweise, die sich nur allzu häufig in der Debatte um Inklusion findet (vgl. hierzu Jantzen 2012b),
[30] Als wichtigste Bedingung, warum bei Hydrancephalie so selten positive Entwicklung gesehen wurde, nennen Shewmon et al. „First decorticate children are extremely sensitive to changes in routine and environment.” (1999, 372)
[31] Vgl. die entsprechenden Ergebnisse der Bindungsforschung.
[32] Ich danke ihr ebenso wie der Mutter-Kind-Einrichtung für ihr Einverständnis, meine Befunde in anonymisierter Form veröffentlichen zu dürfen.
Literatur#
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