Franz von Suppè und die "Geburt der Wiener Operette"#
Der österreichische Komponist bot reichlich Stoff zur Legendenbildung. Am 18. April jährt sich sein Geburtstag zum 200. Mal. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 14. April 2019
Von
Markus Vorzellner
In Willi Forsts Film "Operette", der 1940 in die deutschen Kinos kam, wird der Operettenkomponist Franz von Suppè (die aktuelle Namensschreibung Suppè folgt der eigenen Schreibweise des Komponisten, Anm.) durch den seinerzeit berühmten Opernsänger und späteren Filmschauspieler Leo Slezak verkörpert, der dieser Figur ein gewisses Maß an humorvoll behäbiger Präsenz verleiht.
Doch nur an zwei markanten Stellen dieses Streifens tritt der fiktionale Suppè merkbar in Erscheinung: Zum einen in einer Szene mit dem von Willi Forst zum Operetten-Gott stilisierten und freilich von ihm selbst verkörperten Theaterprinzipal Franz Jauner, bei welcher dieser den Komponisten in ein Klavier-Zimmer einsperrt und ihn nötigt, den erfolgversprechenden Marsch für "Fatinitza" zu komponieren, der dann konsequenterweise aus dieser Zwangssituation zum durchschlagenden Erfolg führt.
In einer Szene davor jedoch bekommt Suppès Auftreten zusätzlich eine ideologisch getränkte Färbung: Nach der mäßig erfolgreichen Premiere der Strauß’-schen "Fledermaus" im Theater an der Wien - es scheint sich um den 5. April 1874 zu handeln - verhilft Jauner als Deus ex Machina ausgerechnet im Lokal der Premierenfeier dem Werk vor ausgewählten Gästen zu einem fulminanten Sieg. Die Glanzleistung besteht aus einem Gesangs- und Tanz-Potpourri mit etwas abgeänderter Fledermaus-Musik, das Jauner zuvor mit dem Ensemble des Theaters einstudiert hatte.
Allumfassendes Genre#
Die Fulminanz dieses nachgereichten choreographischen Geniestreiches zieht alle Anwesenden, freilich auch Suppè, in ihren Bann. Als Johann Strauß nach Beendigung der Darbietung schließlich zu dessen Tisch kommt, springt der ältere Kollege auf, küsst den "Walzerkönig" und ruft begeistert aus: "Es ist die Geburt der Wiener Operette!"
Über das ursprüngliche Konzept zu diesem Film erzählt Willi Forst später: "Eines Tages flatterte mir eine Anregung zu, das Leben Franz von Suppès (. . .) zu verfilmen. Während ich seinem Schicksal nachging, stieß ich auf soviel berühmte musikalische Zeitgenossen, dass ich auf die Idee kam, nicht nur die Filmgeschichte um einen Musiker zu schreiben und zu drehen, wie es schon so oft geschehen war: Ich wollte gleich das Leben und Schaffen dreier unsterblicher Tondichter Johann Strauß, Franz von Suppè und Carl Millöcker zeigen und damit eine ganze Zeit umreißen."
Trotz dieses Bekenntnisses einer Allumfassung hinsichtlich des Operettengenres findet eine weitere Verschiebung statt, welche die postulierte Gleichwertigkeit der drei genannten Komponisten zugunsten von Johann Strauß erneut relativiert und Suppè zu einem akklamierenden Zeitzeugen der "Geburtsstunde der Operette" degradiert.
Dass Filmplots aus Legenden geboren werden, ist durchaus keine neue Erkenntnis. Nur entfernt sich die von Leo Slezak verkörperte Film-Figur vollends von dem Stellenwert Suppès innerhalb der Wiener Operette, der weit über die Rolle eines akklamierenden Nebendarstellers hinausreicht. Die Geburtsstunde dieses Genres wird nämlich - im allgemeinen Konsens der Operettenwissenschaften - 14 Jahre vor der "Fledermaus"-Premiere angesetzt: Am 24. November 1860 wurde, ebenfalls im Theater an der Wien, "Das Pensionat" zum ersten Mal gegeben, mit der Musik des seit 1845 als Theaterkapellmeister und Komponist an diesem Haus tätigen Franz von Suppè.
Dieses Werk lässt zwar als eines seiner Inspirationsquellen Donizettis "La fille du régiment" erahnen, die Suppè am 13. Juni 1844 im Theater in der Josefstadt, unter dem Titel "Marie, die Tochter des Regiments", dirigiert hatte. In beiden Stücken nämlich gehen die vor der Autoritätsperson dargebrachten Gesänge, besinnliche oder geistliche, allmählich über in Lieder, die der eigenen Befindlichkeit entspringen: Aus der Regimentstochter, die für die Marquise von Berkenfield ein besinnliches Lied singen soll, brechen die militärischen Gesänge aus deren Kindheit hervor, und Amalie, ein Mädchen des Pensionats, singt nach einem allgemeinen Gebet ein "frivoles" Lied: "Wenn in des Mondes bläulichem Schimmer sich Dolorita zeigt am Balkon". Obendrein stört im Folgenden eine Gruppe von Pensionatsmädchen das Liebesduett der Protagonisten Karl und Helene.
Hinsichtlich der formalen Gestaltung und des Handlungsverlaufs zeigt sich aber, dass "Das Pensionat" eine erste lokale Antwort auf das Œuvre Jacques Offenbachs darstellt, das sich im Wien der 1850er Jahre immer größerer Beliebtheit erfreuen konnte. Einen Monat vor der Suppè-Premiere erlebte im konkurrierenden Carl-Theater der Offenbach-Einakter "Ba-ta-clan" seine Wiener Erstaufführung. In beiden Werken gerät ein durchaus übersichtliches Sozialgefüge ins Wanken: Ist es in der Offenbach-Operette das eines kleinen Fantasiestaates, der durch eine neu eingeführte Kunstsprache herausgefordert ist, so werden bei Suppè "nur" die vorgegebenen Moralvorschriften von den Mädchen des Pensionats allzu gerne übergangen.
Vorbild Offenbach#
Doch auch innerhalb dieses Themenbereichs belegbarer Aufführungsdaten machen sich Legenden breit: In einem Artikel der einstmals vorbildlichen, in späteren Jahren ein wenig an Qualitätseinbruch leidenden "Österreichischen Musikzeitschrift" (ÖMZ) steht zu lesen, dass als Vorbild für Suppès "Pensionat" die opéra comique "Vert-Vert" von Jacques Offenbach gegolten hätte. Dazu sollte angemerkt werden, dass dieses Offenbachsche Bühnenwerk 1869, also neun Jahre nach Suppès Operetten-Erstling, auf die Bühnen kam. Hier scheinen der Begriff der Legende und jener der Desinformation miteinander in Streit über die Deutungshoheit zu gelangen.
Nachdem Suppè am 12. Mai 1862 die Wiener Erstaufführung von Offenbachs Operette "Die Seufzerbrücke" ("Le pont des soupirs") im Theater am Franz Josefs Kai (am heutigen Morzin-Platz, an dessen Stelle später die GESTAPO ihr Hauptquartier einrichtete) geleitet hatte, soll ihm Offenbach persönlich gratuliert haben. Dass Suppè obendrein das Stück um vier Nummern erweitert hat, macht die Gratulation des französischen Meisters noch virulenter. Durch Quellen belegbar ist diese Ehrerbietung nicht.
Doch beschränken sich die Legendenbildungen um Franz von Suppè keineswegs auf die narzisstischen Intentionen eines Willi Forst - der in seinem Film den aus totalem Konkurs heraus resultierenden Selbstmord Franz Jauners konsequenterweise ausspart - und ebensowenig auf Blumigkeiten der ÖMZ. Denn auch direkt aus Suppès tradierter Biographie treten uns Legenden entgegen, die erst vor kurzer Zeit durch den Germanisten Andreas Weigel, den wohl akribischsten Suppè-Forscher, enttarnt werden konnten, speziell in Bezug auf die Familie des am 18. April 1819 im dalmatinischen Split geborenen Komponisten. Diese war noch im selben Jahr nach Zadar (Zara) übersiedelt, wo sie die nächsten 16 Jahre leben sollte.
Ehrgeiziger Großvater#
In Bezug auf den darauffolgenden Ortswechsel nach Wien kann man in der 1977 erschienenen Suppè-Biographie des DDR-Dramaturgen und Operettenregisseurs Otto Schneidereit Folgendes lesen: "Die Mutter sah keine Notwendigkeit, länger in Zara zu bleiben. Sie stammte aus Wien, dort lebten Verwandte von ihr, sogar noch ihr Vater, und sie beschloß, für immer nach Wien zu übersiedeln. [. . .] Der Vater der Mutter, Suppès Großvater Landovsky, war Beamter an der ,K. K. Theresianischen Ritterakademie‘ [. . .]. Begreiflich, daß Großvater Landovsky [. . .] mit seinem Enkel große Pläne hatte. Er kam auf die Idee, Franz müsse Medizin studieren. Franz sträubte sich erfolgreich und setzte durch, daß er Musik studieren durfte."
Bereits 1941 erging sich der von der Aura des Nationalsozialismus durchaus umwehte Biograph Julius Kromer hinsichtlich des ehrgeizigen Großvaters in hymnischen Tönen: "In Wien erwartete sie Großvater Landowsky mit Ungeduld, hatte er doch seine Tochter seit vielen Jahren nicht mehr gesehen und seinen Enkel kannte er überhaupt noch nicht."
Wie Andreas Weigel bei seinen Recherchen aufdeckte, konnte Großvater Landovsky, der eigentlich "Jandovsky" hieß (ein seit Jahren vom verdienten Suppè-Forscher Vladimir Haklik reklamierter Transkriptions-Fehler, der bereits beim ersten Suppè-Biographen Otto Keller 1905 aufscheint), für seinen Enkel keine großen Pläne schmieden, weil er bereits am 21. Februar 1803 verstorben war, den späteren Komponisten also nie persönlich kennenlernen konnte.
Landsitz in Gars#
Es existieren aber noch andere Besonderheiten im Leben Suppès, die einen gewissen Legenden-Charakter erahnen lassen, quellenmäßig jedoch klar und deutlich zu belegen sind. Eine davon lässt sich auf seinem Landsitz in Gars am Kamp lokalisieren, den er im Sommer 1879 aufgrund der Tantiemen aus "Fatinitza" (1876), sowie seinem längstlebigen Werk, "Boccaccio" (1879), erstehen konnte. In diesem Domizil führte er ein Notizbuch, und darin findet sich ein zeitlich genau ausgetüftelter Rasierplan: "Monatliche Rasier-Tage in Gars. 1. 4. 7. 10. 13. 16. 19. 22. 25. 28. - Im Februar, bei gemeinen Jahren, entfällt der 28., während bei Schaltjahren wird er gehalten. Jeder 31te, gleichviel in welchem Monat, entfällt gänzlich." Hätte Willi Forsts Streifen doch noch einen anderen Verlauf genommen, wenn der Regisseur diesen Ausschnitt gekannt hätte?
Zum diesjährigen 200. Geburtstag des Komponisten ist in Gars am Kamp eine von Andreas Weigel und dem lokalen Kulturpublizisten Anton Ehrenberger kuratierte Ausstellung in Planung, die am 7. Juni eröffnet wird. Gezeigt werden die Exponate jedoch nicht in einem von Suppè im Lauf der Zeit erworbenen vier Garser Häusern, sondern im 1883 erbauten Zeitbrücke-Museum.
Dieses wird, wie auf der Homepage zu lesen ist, "ab Juni 2019 in seiner Suppè-Jubiläumsausstellung und Begleit-Publikation erstmals seit 1932 eine große Auswahl der in Vergessenheit geratenen Schau- und Erinnerungsstücke öffentlich präsentieren." Bereits 2002 wurde in demselben Haus ein dauerhafter Suppè-Gedenkraum eingerichtet.
In diesem Sinn werden sowohl die Ausstellung als auch die Anfang Sommer erscheinende Suppè-Monographie von Andreas Weigel anhand des Lebens und Schaffens des ersten Großmeisters der Wiener Operette vortrefflich den Satz des römischen Dichters Properz widerlegen, dass Legenden in jedem Fall aus dem Nichts entstehen.
Markus Vorzellner lebt als Pianist, Musikpublizist und Pädagoge in Wien.
Folgende Publikation zum Thema ist in Vorbereitung:
- Andreas Weigel: Franz von Suppè (1819-1895). Musiker, Menschenfreund. Ehrenbürger von Gars. Mit Beiträgen von Andreas Weigel, Anton Ehrenberger, Ingrid Scherney und Christine Steininger. Gars: Zeitbrücke-Museum 2019.
Weiterführendes#
- Neue Musikportraits: Franz von SuppéWerk und LebenHans-Dieter RoserEdition SteinbauerWien2007
- Franz von Suppé - Ein Operettenkomponist aus Dalmatien (Essay)