Haydn? Bitte nur zuhören#
Am 31. Mai 2009, dem 200. Todestag des Komponisten Joseph Haydn, soll rund um die Welt sein Oratorium „Die Schöpfung“ erklingen. 2009 ist ein Haydn-Jahr.#
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (2009)
von
Walter Dobner
Thomas Kakuska, unvergessener Bratscher des mittlerweile aufgelösten Alban Berg Quartetts, hat es auf den Punkt gebracht: „Sprecht nicht immer von Haydn, spielt ihn!“ Bis heute ist der Vater der Wiener Klassik, wie Joseph Haydn zuweilen genannt wird, ein Komponist für Kenner und Liebhaber geblieben. Veranstalter betonen zwar immer wieder seine Bedeutung, auf die Programme setzen sie ihn nur selten. Ihr Argument: Die beiden anderen Wiener Klassiker, Mozart und Beethoven, hätten sich als zugkräftiger erwiesen. Wenigstens hierzulande; in den angelsächsischen Staaten war Haydn, zu seiner Zeit der bedeutendste Komponist, immer schon populär und zugkräftig und ist es in mehrfacher Hinsicht bis heute geblieben. Nicht nur was die Kenntnis seiner Werke, sondern auch der Interpreten betrifft, denn englische Künstler bieten stets die Garantie, Haydn auf höchstem Niveau zu interpretieren. Warum? Sir John Eliot Gardiner, der Referenzeinspielungen der "Schöpfung" und der "Jahreszeiten" vorgelegt hat, wartet mit einer originellen Antwort auf: In Haydns Musik spiegle sich der charakteristische Charme der englischen Landschaft wider. Auch andere große Interpreten bemühen kräftige Bilder, wenn es darum geht, diesen Schöpfer der klassischen Symphonie und Vollender des klassischen Streichquartetts – um wenigstens zwei der wichtigsten Leistungen Joseph Haydns zu nennen – zu beschreiben. Der Pianist Alfred Brendel nennt ihn einen "Komponisten für Kenner", für den Konzertchef der Salzburger Festspiele, den Pianisten Markus Hinterhäuser, ist er ein "Weichensteller", für Riccardo Muti „eine der großen Vaterfiguren“, für den Pianisten András Schiff ein "Wegweiser", für Franz Welser-Möst ein "prägender Wegbereiter". Lippenbekenntnisse oder mehr? 2009 ist ein Haydn-Jahr. Am 31. Mai werden es 200 Jahre, dass der im niederösterreichischen Rohrau geborene Komponist, der von sich sagte: „Meine Sprache versteht man durch die ganze Welt“, in Wien verstorben ist. Eisenstadt, wo er wichtige Jahre seines Lebens als Kapellmeister der dort ansässigen Fürsten Esterházy verbrachte, wird im Zentrum des Haydn-Jahres stehen. Genauer, die von Intendant Walter Reicher zu höchstem Niveau geführten Haydn Festspiele.
Konzerte, Projekte und Bücher#
In einer noch nie da gewesenen Fülle werden vom 31. März bis 27. September zahlreiche Werke von Haydn aufgeführt, darunter sämtliche Symphonien. Am 31. Mai steht sein Opus summum auf dem Programm: das Oratorium „Die Schöpfung“, mit dem künstlerischen Spiritus rector der Haydn Festspiele, dem Budapester GMD Adam Fischer am Pult der von ihm begründeten Österreichisch- Ungarischen Haydn Philharmonie und dem prominenten Solistenterzett Annette Dasch, Christoph Strehl und Thomas Quasthoff. Erklingen wird Haydns „Schöpfung“ an diesem besonderen Tag aber auch an anderen Orten, wie in Tokyo, San Francisco, Sydney, Athen, London, Boston oder New York, wo Lorin Maazel dieses Werk dirigieren wird. Auch sonst überbietet man sich kommendes Jahr an Haydn-Aktivitäten: Ausstellungen, darunter die Eisenstädter Großexhibition „Phänomen Haydn“ (vom 31. März bis 11. November), oder ganze Zyklen seiner Symphonien, wie die Londoner Symphonien mit Les Musiciens du Louvre, Grenoble unter Marc Minkowski während des Wiener Festwochen-Musikfests im Wiener Konzerthaus, das niemand Geringerer als die Philharmoniker unter Nikolaus Harnoncourt mit einem reinen Haydn-Programm eröffnen werden, Orgelwanderungen, Crossoverund Kinderprojekte, zahlreiche Haydn-Aufführungen auf verschiedenen Schauplätzen seines Lebens in Wien, Niederösterreich, dem Burgenland und Ungarn sind avisiert. Längst auf dem Markt sind auch einige Haydn-Bücher: Biografien, Interviews mit Interpreten über Haydn ebenso wie Wissenschaftliches, wie ein für Sommer geplantes Haydn-Lexikon (Laaber Verlag). Auch Plattenfirmen werden zu diesem Anlass wieder so manches aus ihren Back-Katalogen zutage fördern. Viel Neues ist angesichts der Krise auf dem Klassik-Markt nicht zu erwarten. Immerhin: Die Wiener Philharmoniker haben unter Muti vier weniger bekannte Haydn-Symphonien neu produziert. Mehr als in den Jahren zuvor wird auch der bislang unterschätzte Opernkomponist Haydn zu Wort kommen: im Theater an der Wien, in der Wiener Kammeroper, bei den Festwochen der Alten Musik in Innsbruck oder bei den Salzburger Festspielen. Auch dass Riccardo Muti mit den Wiener Philharmonikern mit Haydns „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ das Wiener Osterklang Festival eröffnet, passt in dieses Bild, dass man Haydns 200. Todestag zum Anlass nimmt, sich auch für weniger bekannte Werke einzusetzen und dafür prominente Interpreten zu gewinnen. Einem Tornado gleich also wird in den kommenden 12 Monaten Haydns Musik auf die Zuhörer stürzen, Haydn plötzlich zu einem beherrschenden Thema werden. Fernsehen und Radio werden, und dies weltweit, glaubt man den Ankündigungen der Stationen, durch Übertragungen und Filme in diesen Jubel miteinstimmen. Die ganze Welt wird Gelegenheit haben, sein Werk zu hören. Aber wird man, wovon der Komponist felsenfest überzeugt war, es auch verstehen, wird es mit diesem Haydn-Jahr endlich gelingen, das falsche Klischee des Papa Haydn zu überwinden? Denn warum genießt Haydn nicht längst diese Wertschätzung, die seinem Genie gebührte? Wo doch Übereinstimmung in der Wissenschaft und musikalischen Praxis herrscht, dass er der innovativste Meister der Wiener Klassik ist? Wegen seiner "schweren Position zwischen Mozart, Beethoven und Wagner" (Pierre Boulez)? Weil man jahrzehntelang nicht genügend Probezeit aufwendete, um seine Werke entsprechend aufzuführen? Weil er „kein Poet wie Schumann oder Tschaikowsky“ (Mariss Jansons) ist? Weil er "sehr schwierig aufzuführen (ist), da man seine Sprache verstehen muss" (Roger Norrington)? Vielleicht sollte man das Haydn-Jahr einfach zum Anlass nehmen, Haydn nur zuzuhören, um endlich seine wahre Größe zu erkennen. Denn wie sagt Nikolaus Harnoncourt: "Er erzählt uns alles, was wir wissen müssen."